Österreich:Hahnenkampf am Steppensee

Österreich: Die Balz der Hähne der Großtrappe ist spektakulär. Im Nationalpark Neusiedler See wächst die Population der vom Aussterben bedrohten Tiere wieder.

Die Balz der Hähne der Großtrappe ist spektakulär. Im Nationalpark Neusiedler See wächst die Population der vom Aussterben bedrohten Tiere wieder.

(Foto: mauritius images/age fotostock)

Am Neusiedler See erobern sich seltene Arten ihren Lebensraum zurück. Das ist nicht nur ein Verdienst der Naturschützer, sondern auch der Landwirte.

Von Hans Gasser

"Blödes Viech!", schimpft Alois Lang. Der Fasan bleibt einfach mitten auf der Straße stehen, obwohl das Auto direkt auf ihn zurollt. Lang bremst scharf, erst dann rennt der farbenprächtige Vogel zur Seite ins Feld. "Sind halt Hühner", sagt Lang, der seit fast drei Jahrzehnten für den Nationalpark Neusiedler See - Seewinkel arbeitet und sich hier so gut auskennt wie kaum ein anderer. Er fährt weiter auf der schnurgeraden Dammstraße in Richtung Ungarn. An einem Aprilmorgen herrscht hier, in der fast baumlosen Niedermoorfläche Hanság östlich des Neusiedler Sees, tierischer Hochbetrieb. Neben den häufigen Fasanen hoppeln viele Feldhasen herum, Kiebitze fliegen auf und ab, Rehfamilien stehen auf dem Acker wie ausgestopft. Ein paar Hundert Meter weiter hat eine Rohrweihe einen jungen Hasen erwischt. Die Haseneltern springen aufgeregt um den Greifvogel herum, doch der lässt sich nicht mehr abbringen von seiner Beute.

Viele der Arten, die hier in so großer Zahl kreuchen und fleuchen, stehen in Deutschland auf der Roten Liste, weil die industrielle Landwirtschaft ihnen weder Futter noch Lebensraum bietet. Alois Lang hat das aus diesem Grund initiierte Artenvolksbegehren in Bayern aufmerksam verfolgt. "An sich gut", sagt er, "aber mich würde interessieren, wie viele von denen, die dafür waren, vor ihrem Haus einen pflegeleichten Steingarten haben und im Garten den Mähroboter laufen lassen." Grundsätzlich dürfe man bei der Artenvielfalt nicht in Schubladen denken, hier die Bauern und die Jäger, dort die Naturschützer. "Man muss einen Modus Vivendi finden, vor allem mit den Bauern."

Der erst 1993 gegründete Nationalpark am westlichsten Steppensee Europas ist keine zusammenhängende Fläche, sondern ein Verbund von Schutzgebieten, zwischen denen Äcker und Weinberge liegen. Das insgesamt 300 Quadratkilometer große Gebiet erstreckt sich zu einem Drittel auf österreichischer und zu zwei Dritteln auf ungarischer Seite.

Die Nationalparkflächen in Österreich gehören nicht dem Staat, sondern 1200 privaten Eigentümern. Die haben mit dem Nationalpark Verträge abgeschlossen, dass sie ihr Land nicht mehr bestellen. Dafür bekommen sie jährlich eine bestimmte Summe Geld, erklärt Lang. Mit anderen Bauern wiederum gibt es Verträge, gerade damit sie ihre Rinder auf die Nationalparkflächen treiben, vor allem in die Uferzone. "Dort fressen sie Büsche und Schilf und halten die Wiesen und die für viele Vogel-, Reptilien und Fischarten wichtige Flachwasserzone offen." Der Nationalpark unterhält sogar eine eigene Herde mit 250 imposant langhornigen Graurindern und 50 Wasserbüffeln, die jetzt, Ende April, von der Koppel auf die Nationalparkflächen gelassen werden, wo sie den ganzen Sommer verbringen.

Österreich: Eine große Herde von ungarischen Graurindern weidet die Seeufer ab.

Eine große Herde von ungarischen Graurindern weidet die Seeufer ab.

(Foto: Roman Huditsch/Nationalpark)

"Wir halten hier eine alte Kulturlandschaft aufrecht, keine Wildnis", erklärt Lang. "Wildnis wäre viel billiger." Viele Jahrhunderte lang wurden die Niedermoorflächen östlich und südlich des Sees entweder gemäht oder als sogenannte Hutweiden für Viehherden genützt, die von Zentralungarn bis nach Wien und sogar nach Nürnberg getrieben und dort als Schlachtvieh verkauft wurden. Dadurch entstand ein ganz eigenes Ökosystem, in dem jede Menge Insekten und vor allem Vogelarten lebten, die weite, offene Flächen zum Brüten brauchen.

Im Lauf des 20. Jahrhunderts verschwand diese Form der Weidewirtschaft, weil die sumpfigen Wiesen durch Kanäle entwässert und für Ackerbau genutzt wurden. Der Nationalpark versucht nun seit 26 Jahren, dies wieder rückgängig zu machen. Mit Erfolg, wie man zum Beispiel an der Großtrappe sieht, einer von 340 hier vorkommenden Vogelarten, nach der Lang gerade aus dem Auto heraus Ausschau hält. Sie ist mit bis zu 16 Kilogramm einer der schwersten flugfähigen Vögel der Welt und in Mitteleuropa vom Aussterben bedroht.

Jetzt im Frühling ist Balzzeit. Birdwatcher kommen von weit her, um das Trappenspektakel zu sehen. Die eigentlich rotbraunen Hähne stülpen dabei ihr Gefieder so um, dass sie weiß wie riesige Schneekugeln aussehen. "Da drüben sind sie!" Alois Lang stoppt den Wagen, baut das Fernrohr auf und richtet es in die Ferne. Tatsächlich sind darin mehrere imposante Hähne zu sehen, die vor den Hennen defilieren und immer wieder ihre weißen Federn zeigen. "Manchmal fließt auch Blut beim Hahnenkampf", sagt Lang.

Fast wie im Okavangodelta

Dass es den Trappen hier im Hanság so gefällt, liegt auch an Erich Patak. Der Ranger betreut das Gebiet und sorgt in Zusammenarbeit mit den Bauern dafür, dass das Gras zur richtigen Zeit und an den richtigen Stellen gemäht wird, damit die Trappen stets Flächen mit hohem Gras zum Brüten und kurze Wiesen zum Fressen haben.

Patak, der hier jeden Tag seine Trappen beobachtet, schaut argwöhnisch in Richtung eines Traktors, der auf einem privaten Rübenacker unmittelbar daneben Spritzmittel ausbringt. "Die Trappen halten sich leider nicht an die Nationalparkflächen", sagt Patak, "dann fressen sie das Gift und kriegen Durchfall oder fallen um." Er hat deshalb schon versucht, sie von den gespritzten Feldern wegzutreiben, aber das bringe nichts, weil sie zum nächsten Acker fliegen. Jedoch kooperierten viele Bauern, insgesamt sei das Großtrappenprojekt ein großer Erfolg. Innerhalb von 15 Jahren ist die Population durch die Schutzmaßnahmen von 180 auf 500 Vögel angewachsen.

Österreich: Der Schilfgürtel rund um den Neusiedler See ist der zweitgrößte in Europa nach dem Donaudelta. Darin leben nicht nur verschiedenste Vögel, sondern auch Hirsche.

Der Schilfgürtel rund um den Neusiedler See ist der zweitgrößte in Europa nach dem Donaudelta. Darin leben nicht nur verschiedenste Vögel, sondern auch Hirsche.

(Foto: Hans Gasser)

Wer hierher ins Burgenland reist, kommt nicht nur mit Natur, sondern auch unweigerlich mit der Geschichte in Berührung. Unweit der balzenden Großtrappen verläuft die Brücke von Andau über den Einser-Kanal, der hier die Grenze zu Ungarn bildet. Über sie sind 1956 mehrere Zehntausend Ungarn in den Westen geflüchtet. Ein Denkmal erinnert daran. Manche der ehemaligen hohen Grenzwachtürme dienen heute einem erfreulicheren Zweck: Einer wurde etwa ans Sandeck versetzt, in die streng geschützte Bewahrungszone des Nationalparks.

Wer sich traut, die steilen Eisenleitern auf die oberste Plattform hochzuklettern, hat einen hervorragenden Überblick über die besondere Natur- und Kulturlandschaft des Neusiedlersees, die seit 2001 zum Unesco-Welterbe zählt: Die Wiesen des Hanság gehen über in den breiten Schilfgürtel, der den nur maximal 1,5 Meter tiefen See säumt und nach dem Donaudelta die größte Schilffläche Europas bildet. Darin leben nicht nur alle möglichen Vögel, sondern auch eine große Hirschpopulation. Am Westufer ist im Dunst das Leithagebirge zu sehen, ein flacher und mit einigen der besten Weinlagen Österreichs bestückter Bergrücken als letzter Ausläufer der Alpen.

Die Vielfalt der Landschaftsformen wird noch größer durch die sogenannten Lacken im Seewinkel. Das sind soda- und salzhaltige flache Wasserbecken, die kleinen Fischen, Krebsen und Weichtieren Lebensraum bieten, von denen sich wiederum seltene Vögel wie Seeregenpfeifer und Säbelschnäbler ernähren. Die Lacken trocknen im Sommer oft aus, was normal ist. "Aber in diesem Frühling ist der Wasserstand so niedrig wie sonst erst im Juni", sagt Lang, "es regnet einfach viel zu wenig."

Ungarn ist hier immer nur ein paar Schritte oder Autominuten entfernt, und der ungarische Teil des Nationalparks ist fast doppelt so groß wie der österreichische. "Manche Touristen trauen sich auch 30 Jahre nach der Wende nicht so recht nach Ungarn hinüber", sagt Alois Lang, "dabei sollte man das unbedingt machen."

Österreich: Der Löffler gehört zu den auffälligsten Vögeln im Nationalpark Neusiedler See, er brütet hier wieder erfolgreich im Schilf.

Der Löffler gehört zu den auffälligsten Vögeln im Nationalpark Neusiedler See, er brütet hier wieder erfolgreich im Schilf.

(Foto: Rupert Kogler/Nationalpark Neusiedler See)

Hier, am Fertö To, wie der See auf Ungarisch heißt, liegen die größten zusammenhängenden Flächen des Parks, auch die Herden von Wasserbüffeln, Graurindern und zwirbelhornigen ungarischen Zackelschafen sind größer. An der Schleuse des Einser-Kanals, der seit 1909 die Bewohner des Seeufers in beiden Ländern vor Überschwemmungen schützen soll, wähnt man sich ein bisschen wie im Okavangodelta: Schwarze Wasserbüffel weiden in dem weitläufigen Gebiet, davor staksen große weiße Reiher und lustige Löffler herum, die mit ihrer Irokesenfrisur und dem vorne platt gedrückten Schnabel aussehen, als hätte Walt Disney sie erfunden. Die Luft ist voller Tierstimmen. Goldschakale sind hier auch wieder heimisch, aber nur nachts oder in der Dämmerung zu sehen.

Ein Großteil des Nationalparkgebiets gehörte einst den Fürsten Esterházy, die bei der Teilung von Österreich und Ungarn 1921 lieber bei Ungarn bleiben wollten, weil sie Angst hatten, in Österreich enteignet zu werden. "Deshalb nimmt die Grenze zwischen dem Burgenland und Ungarn hier einen recht barocken Zickzackverlauf, durch den die Esterházys ihre Ländereien in Ungarn halten konnten", sagt Hellmut Velich, 85-jähriger Senior-Weinbauer des gleichnamigen Weingutes in Apetlon.

Er sitzt dort im "Gasthaus zum fröhlichen Arbeiter", das neben dem originellen Namen auch sehr gute Wirtshausküche bietet. Ein Schwerpunkt liegt auf dem reichlich vorhandenen Wild, das Weinbauer Velich gerade jetzt im Frühjahr zu schaffen macht. "Die fressen die jungen Triebe ab. Einen von unseren Weingärten kassieren die Rehe jedes Jahr komplett", sagt er mit Blick zum Nebentisch, an dem einige bereits angetrunkene Jäger sitzen. Zurzeit jage man Rehe rund um die Weinberge, sagt der Wirt und Koch Hannes Tschida, der selbst bei der örtlichen Jagdgesellschaft ist. "Zusätzlich legen wir Toilettensteine rund um die Weingärten aus, den Geruch mögen die Rehe nicht."

Und kommt auch Fasan in den Topf? "Natürlich!", sagt Tschida. Den jage man aber erst wieder im Herbst, und er neige "etwas zur Trockenheit", weil er so viel herumrenne. "Die Brust braten wir mit Speck umwickelt, aus den Keulen machen wir ein Paprikás-Schmorgericht." Dagegen hat auch Alois Lang nichts einzuwenden - solange der Fasan nicht im Nationalpark geschossen wird.

Reiseinformationen

Anreise: Mit der Bahn über Wien bis Neusiedl am See, weiter mit dem Bus nach Illmitz.

Unterkunft: z.B. Nationalparkhotel Illmitz, DZ ab 188 Euro für zwei Personen mit FS, www.hotel-nationalpark.com; Residenz Velich Apetlon, schön renoviertes Zollhaus DZ mit FS ab 185 Euro, www.velich.at

Essen: Z.B. im Gut Purbach, wo der Ausnahme-Koch Max Stiegl originelle pannonische Küche bietet (und auch Zimmer), www.gutpurbach.at; Gasthaus zum Fröhlichen Arbeiter in Apetlon, www.froehlicherarbeiter.at

Natur: Im Nationalparkzentrum in Illmitz werden jede Menge Exkursionen angeboten: www.nationalpark-neusiedlersee-seewinkel.at

Allgemein: burgenland.info, neusiedlersee.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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