Süddeutsche Zeitung

Tourismus:Fatbikes erobern die Alpen

Die Räder mit den breiten Reifen wurden in Alaska erfunden. Nun kommen sie auch in den Alpen zum Einsatz - als Spaßmobil für Touristen.

Von Sebastian Herrmann

Selbst Fahrräder sollten artgerecht gehalten werden. Mit einem Fatbike über geteerte Radwege durch die Großstadt zu rollen, ist zum Beispiel genauso bekloppt, wie mit einem Geländewagen durch den Feierabendverkehr einer Innenstadt zu schleichen. Nein, die Räder mit den Ballonreifen müssen im Schnee ausgeführt werden. Nur wenn sie über weiße Wege oder gewalzte Pisten rollen, machen sie Spaß. Im Schnee werden sie artgerecht gehalten, in diesem natürlichen Habitat spielen sie ihre Stärken aus, zum Beispiel auf dem Skating-Streifen einer Langlauf-Loipe in der Region Schladming-Dachstein in Österreich.

Dort wildert der Tourenanbieter Michhael Stix die Winter-Mountainbikes aus. Seit vergangener Saison bietet er geführte Touren durch das Gelände an. "Ich war sofort von der Idee überzeugt, auch ohne dass ich vorher Fatbike gefahren bin", sagt der studierte Jurist, der seinen Alltag lieber auf dicken Rädern statt zwischen dicken Akten erleben will. Auch andere Orte in den Alpen entdecken das Fatbike gerade als Winterspaßgerät, etwa Livigno in Italien. In Gstaad in der Schweiz kurvten im Januar die Räder bei der zweiten Auflage des "Snow Bike Festivals" durch den Schnee.

Das Fatbike weitet seinen Lebensraum in die Alpen aus. Mit so einem Rad lassen sich ja auch Touristen bespaßen, wenn der Schnee auf Pisten und Loipen schon (oder noch) von braunen Flecken durchsetzt ist. Doch Auswilderungsprojekte bergen stets eine Gefahr: Mensch und Tier müssen sich vertragen. Im übertragenen Fall bedeutet das: Etablierte Wintersportler wie Langläufer, Rodler und Skifahrer müssen sich mit den Neuankömmlingen, die da auf zwei dicken Reifen unterwegs sind, ein Revier teilen. Geraten sie nun aneinander so wie Mountainbiker und Wanderer im Sommer? In der Region Schladming-Dachstein funktioniert bislang alles reibungslos.

An diesem klirrend kalten Tag im Januar rollen die Fatbikes dort durch eine Winter-Kulisse wie aus einem Kitsch-Postkarten-Kalender. In der Nacht zuvor ist endlich Schnee gefallen, die Bäume tragen Schneepolster und das Dachsteinmassiv liegt unter blauem Himmel. Michael Stix lässt erst mal die Luft raus. Die enorm dicken Reifen der Fatbikes dürfen nicht prall aufgepumpt sein. Das ist das Geheimnis der Räder: In den gut zehn Zentimeter breiten Ballonreifen sollte sich weniger als ein Bar Luftdruck befinden. Bei hoher Trittfrequenz wippen Fatbiker daher wie Schneehasen durchs Gelände. Die weichen Reifen wirken wie Stoßdämpfer, die meisten Modelle verzichten deshalb auf eine Federgabel. Vor allem vergrößert der niedrige Druck die Auflagefläche so sehr, dass die Reifen greifen und man erstaunliche Steigungen über Schnee fahren kann.

Die ersten Fatbikes wurden in den 1980er-Jahren in Alaska entwickelt und sind dort seither immer populärer geworden. Die Fahrrad-Community von Anchorage etwa radelt damit in den Wintermonaten über zugefrorene Fjorde, verschneite Bergflanken oder Hundeschlitten-Routen. Aber auch auf Sand sind die dicken Räder praktisch: Die Wüsten von New Mexiko waren ein weiterer Ursprungsort der Fatbikes. Zuletzt hat die Industrie die Räder so gut vermarktet, dass sie nun weltweit populär sind. Seit 2013 bieten die meisten großen Hersteller eigene Modelle an. Immer mehr Fahrradfans rollen nun auf dicken Reifen umher - meist aber auf Radwegen statt vereisten Fjorden.

In Ramsau am Dachstein beginnt die Tour auf einem eingeschneiten Pfad im Wald hinter dem Langlaufstadion des Ortes. Die Spur zwischen den Bäumen ist eng, und wenn die Reifen in den Tiefschnee geraten, kostet es erst etwas Mühe, das Rad in Balance zu halten. Routine auf dem Mountainbike ist aber keine Voraussetzung, um eine Tour im Schnee zu genießen. Auf den frisch gespurten Loipen der Hochebene am Dachstein rollen die fetten Räder sowieso gutmütig dahin.

"Grüß dich! Hallo! Danke!" Michael Stix grüßt jeden Langläufer, der an diesem Januartag an den Radlern vorüber zieht. Die offensive Freundlichkeit soll helfen, das Räder-Projekt möglichst geschmeidig zu etablieren. Auf der Loipe sorgen die Räder denn auch für Aufsehen, aber für wenig Aufregung. Was daran liegen kann, dass die Reifen kaum Spuren hinterlassen.

Ein Langläufer unterbricht seine Runde. "Was sind das denn für Räder?", fragt der Wintersportler. Michael Stix erklärt, und der Langläufer nutzt die Gelegenheit, um von seiner verflossenen Radsportkarriere zu erzählen - ein potenzieller Fan. Andere Wintersportler fotografieren die zwei komischen Typen, die sich scheinbar in der Jahreszeit oder dem Sportgerät geirrt haben. Nur zwei Mal beschweren sich an diesem Tag Langläufer, dass Radler nichts auf der Loipe zu suchen haben.

An einem Anstieg im Wald feuert eine Reisegruppe aus einem Pferdeschlitten heraus die Fatbiker an. Oben an der Halseralm stürmt die Kutschenbesatzung dann auf die Radler zu. Die verschwitzen Pferde dampfen in der Kälte, die Urlauber vom Niederrhein probieren die Räder aus oder lassen sich mit Fatbike vor Pferden im Schnee fotografieren. Das Auswilderungsprojekt von Michael Stix lässt sich gut an, vielleicht auch, weil ohne seine Begleitung zunächst niemand über die Loipen radeln darf und die Fatbiker-Gruppen noch eine exotische Erscheinung sind. "Wir bauen das hier ganz in Ruhe auf, damit sich alle aneinander gewöhnen können", sagt er. Über das dichte Netz von Wanderwegen und Loipen rund um Ramsau kann er bereits jetzt zig verschiedene Tourenvarianten anbieten. Wenn sich alle gut vertragen, darf man dann auch auf eigene Faust losradeln? "Das sehen wir dann", sagt Stix.

Auf der anderen Seite des Ennstals blicken die zwei Skifahrer in der Hochwurzen-Gipfelbahn kurz irritiert, als zwei Räder zu ihnen in die Gondel geschoben werden. Am Hang oberhalb von Rohrmoos, nahe Schladming, teilen sich Fatbiker das Revier nicht mehr mit Langläufern und Pferdeschlitten, sondern mit Rodlern, Skifahrern und Snowboardern. Dass die dicken Reifen auch bergab Grip haben, beweisen sie auf der Rodelbahn: Gut 700 Höhenmeter geht es von der Hochwurzen bergab. Die ersten Kurven noch zögerlich, dann mutiger - das Rad gerät trotz hoher Geschwindigkeit nie außer Kontrolle.

Ob das nun unter "artgerechte Haltung" fällt, ein Fatbike mit der Gondel auf einen Berg zu befördern und bergab zu schießen? Es macht auf jeden Fall irre Spaß.

Reiseinformationen

Anreise: Mit dem Auto über die A8 Richtung Salzburg und die A10 bis zur Ausfahrt Ennstal; über Schladming nach Ramsau. Mit der Bahn bis Schladming, ca. 50 Euro, mit dem Bus nach Ramsau (www.rvb.at).

Unterkunft: Zum Beispiel Hotel Matschner in Ramsau am Dachstein. DZ mit 3/4 Pension ab 128 Euro. www.matschner.at; Telefon: 0043/3687/ 81 72 10

Touren mit dem Fatbike: Der Anbieter Alpinefatbike bietet zwei- bis vierstündige Touren zwischen zwölf und 40 Kilometern. Reine Abfahrten auf der Naturrodelbahn der Hochwurzen sind auch möglich. Preis: 69 Euro pro Person, inklusive Leihmaterial (Fahrrad, Helm, Knieschützer, etc.).

Kontakt und Buchung: info@alpinefatbike.com, Telefon: 0043/676/936 79 07

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Quelle:
SZ vom 28.01.2016
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