Österreich:Finger weg vom Berg!

Die Gegend um die Hochalmspitze in Kärnten ist eine weitgehend unberührte Schönheit. Dafür mussten die Einheimischen schon auf die Barrikaden gehen.

Von Nadine Regel

Hohe Berge kennt Charles-Lwanga Mubiru aus seinem Heimatland. Einen Kärntner Winter aber gibt es in Uganda nicht. Seit sieben Jahren betreut der Pfarrer die Katholiken im 820-Einwohner-Dorf Mallnitz im südlichsten Bundesland Österreichs. Er hat ein Herz für seine Gemeinde, und die Gemeinde liebt den 47-Jährigen. Aber noch immer machen ihm die Tauernwinde zu schaffen. Bei Beerdigungen auf dem Friedhof. Bei der traditionellen Tauernprozession im August hoch oben im Gebirge. "Es darf so kalt sein, wie es will", sagt Mubiru, aber der Wind sei unerträglich.

Kältestürze im Sommer sind in Mallnitz keine Seltenheit. Dann türmen sich auf den Tischen und Bänken des 2565 Meter hoch gelegenen Hannoverhauses 20 Zentimeter Neuschnee, wo zuvor noch Wanderer in kurzen Hosen ihr Linsengulasch aßen. Die Ankogelbahn, die vom Mallnitzer Dorfzentrum in 20 Minuten zu Fuß zu erreichen ist, steht dann still. Im Winter befördert der Lift Skifahrer. Im Sommer kommen Wanderer; vom kleinen Skigebiet ist nichts zu sehen.

Die Luft ist hier so gut, dass das auf 1191 Metern gelegene Mallnitz den Titel heilklimatischer Luftkurort trägt. Schroff präsentiert sich das hochalpine Gelände der Ankogelgruppe mit der Hochalmspitze als höchster Erhebung. Sie gilt als Gegenstück zum Großglockner. Beide Gipfel thronen im Nationalpark Hohe Tauern, dem größten und ältesten Nationalpark Österreichs und der Alpen.

Doch so mächtig die Natur hier ist, so sehr liegt ihre Schönheit und Unberührtheit auch am Einsatz der Menschen. In den Siebzigerjahren weigerten sich die Einheimischen, den finanziellen Verlockungen des Skizirkus nachzugeben. Wären die Pläne für ein Skigebiet an der Hochalmspitze damals verwirklicht worden, sähe es hier heute ganz anders aus.

"Grundeigentum ist immer noch der beste Schutz", sagt Heinz Jungmeier. Der 82-jährige Millstätter war 20 Jahre lang Vorsitzender des Landesverbandes Kärnten im Österreichischen Alpenverein (ÖAV). "Wenn sich ein großes Geschäft in der Region abzeichnet, geht die Politik in die Knie", ereifert er sich noch heute. Als der Grundbesitzer das Gebiet rund um die Hochalmspitze aus Geldnöten im August 1988 zum Verkauf anbot, initiierte Jungmeier den Freikauf des Berges, um ihn vor technischer Erschließung zu bewahren. Am 8. August 1988 ersteigerte er den Berg auf einer Auktion.

Den Kauf wollte er über Spendengeld finanzieren. Überraschend erklärte sich ein einzelner Großspender dazu bereit, die komplette Summe in Höhe von 1,12 Millionen Schilling (etwa 200 000 Euro) zu begleichen: der Stuttgarter Heinz Roth - Junggeselle, Unternehmer, leidenschaftlicher Bergsteiger. Heinz Roth starb 2007. "Seine" Hochalmspitze hat er nie besucht.

Dass an der Hochalmspitze kein Gletscherskigebiet errichtet worden ist, beklagt in Mallnitz niemand. Zumal die Gemeinde von der Erschließung nicht unmittelbar profitiert hätte, weil sich der betreffende Gletscher, das Hochalmkees, auf der Ostseite des Berges befindet. Im Gegenteil: Das Skigebiet hätte den eigentlichen Wert der Hochalmspitze als bergsteigerisches Ziel geschmälert.

Skigebiet und Staumauer: Die Bewohner von Mallnitz wehrten sich

Als Mitte der Achtzigerjahre im Seebachtal westlich der Hochalmspitze eine Staumauer entstehen sollte, regte sich ebenso Widerstand in Mallnitz. Die Bürger verhinderten, dass ihr artenreiches Tal in Wassermassen versank. Heute gehört das Seebachtal zu einem der ursprünglichsten Ausflugsziele, die Kärnten zu bieten hat. Fünf Kilometer kann man hineinwandern bis an die Westwand der gewaltigen Hochalmspitze.

Der Weg ins Seebachtal startet an der Talstation der Ankogelbahn und führt entlang der äußeren Talflanke durch nahezu unberührtes, urwaldähnliches Gelände, vorbei an einer wilden Moorlandschaft, in der sich kleine, aus unterirdischen Quellen gespeiste Seen gebildet haben. Das Wasser ist so klar, dass man hindurchschauen kann.

Farne säumen den Wegesrand. Verlässt man den Wald und quert nach links auf einem Bohlensteg in die Talmitte, gelangt man auf eine große Almwiese. Pferde trotten durch das kniehohe Gras, im Hintergrund sieht man den Stappitzer See und die gewaltige Bergkulisse der Ankogelgruppe. Zwei Bartgeierpärchen bewohnen das Gebiet. Mit Glück erblickt man im glasklaren, türkis schimmernden Seebach scheue Bachforellen. Der Seebach eignet sich zum Fliegenfischen. Angler wird man aber nur wenige treffen.

Reiseinformationen

Anreise: Mit dem Zug z.B. von München aus kommt man direkt nach Mallnitz-Obervellach. Dort ist alles fußläufig, mit Bus oder Wandertaxi zu erreichen.

Unterkunft: Übernachtet wird in Mallnitz in gemütlichen Gasthöfen und kleinen Hotels in Familienbesitz, z. B. Hotel Bergkristall, www.bergkristall-mallnitz.at, Hotel Alpengarten, www.alpengarten.at und Gasthof Eggerhof, www.eggerhof-mallnitz.at. Eine Übernachtung im Doppelzimmer mit Halbpension kostet zwischen 38 und 78 Euro.

Weitere Auskünfte: www.mallnitz.at; www.besucherzentrum-mallnitz.at; www.bergsteigerdoerfer.org

Peter Sterz achtet sehr genau darauf, wie viele Lizenzen er verkauft. "Nicht, dass dann am Ende hinter jedem Baum einer steht", sagt der 70-jährige Mallnitzer. Das schätzen ja gerade die Besucher an Mallnitz: Dass es hier ruhig zugeht, dass man noch eins mit der Natur werden kann, weil sich Touristen hier nicht auf den Füßen herumtreten. In seinen Bächen rund um Mallnitz schwimmen nur Bachforellen. Getreu nach Sterz' Motto: "Schlaue Fische für schlaue Angler." Die Bachforellen schnappten nicht nach jeder Fliege, sagt der erfahrene Fliegenfischer lachend.

Der Fischzüchter kümmert sich um die Wiederansiedlung der "Urforelle" im Seebachtal - die ursprünglich hier beheimatete Bachforelle, die vor einigen Jahrzehnten von ausgesetzten, robusteren Regenbogenforellen verdrängt worden ist. Dafür hat Sterz in hoch gelegenen Gebirgsbächen ohne fremden Besatz nach Tieren gesucht und deren Gene untersuchen lassen. Ein einmaliges Projekt in den Alpen.

Und dann kam der Otter

Es habe lange gedauert, bis er endlich genügend männliche und weibliche Tiere beisammen hatte, um eine Zucht zu betreiben. Die Nachkommen setzte er vorerst in einem abgefischten Bachabschnitt am Dösenbach im Nachbartal aus. "Doch jetzt ist etwas dazu gekommen", sagt Sterz - der Fischotter. Ein Riesenproblem. Allein in Kärnten soll es 400 Exemplare geben. Die Fischotter hätten schon in seinen Gewässern gewütet und die Muttertiere der Urforellen gefressen. Nachkommen, die sich in Sterz' Sammelbecken befinden, brauchen noch zwei Jahre bis zur Geschlechtsreife. Sterz vertraut auf den Selbsterhaltungstrieb der Urforellen.

Auch Peter Angermann ist optimistisch. Wenn der 58-Jährige durch sein Heimatdorf Mallnitz geht, grüßen ihn alle Leute. Bergsteigen hat hier eine lange Tradition. Mit Eröffnung des Tauerntunnels 1909 erlebte die Region einen großen Aufschwung. "Wir haben hier viel zu bieten", sagt Angermann, der Vorsitzende des Mallnitzer ÖAV und Kämpfer für nachhaltigen Tourismus. Riesige Hotelbauten mit Golfplatz und Après-Ski werde man in Mallnitz vergeblich suchen. Die kleinen Hotels sind in Familienbesitz, kein Gebäude überragt den Kirchturm.

Der Fokus liegt auf Regionalität und umweltfreundlicher Mobilität. Mallnitz gehört zur Initiative "Bergsteigerdörfer", deren Mitglieder sich auf naturnahen Tourismus eingeschworen haben. "Gäste in Mallnitz bekommen Produkte aus der Region auf den Tisch", sagt Angermann. Sein wichtigstes Anliegen ist die Anreise mit der Bahn. Die CO₂-Problematik dränge immer mehr ins Bewusstsein, was langfristig gegen Flüge und für Züge spreche, so hofft er. Acht EC-Stopps vom Norden und sieben vom Süden her - das sei "Wahnsinn für so einen kleinen Ort".

Davon könne die ganze Nationalpark-Region Hohe Tauern in Kärnten profitieren. Gäste müssten nicht mehr mit dem eigenen Auto anreisen, sondern nutzten das öffentliche Verkehrsnetz in Mallnitz. Auch in Zukunft müssten die Menschen dafür sorgen, dass die Natur so großartig bleibt.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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