Obere Donau:Ein Fluss nicht für jedermann

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Das Donautal bei Beuron ist für Ausflügler wie für Tiere attraktiv - strikte Regeln sollen die Naturschönheit bewahren.

Dominik Prantl

So ganz zeitgemäß wirkt die Eisenbahnstrecke namens Donautalbahn noch nicht. Keine Oberleitung stört das Bild, ein einziges Gleis läuft die Donau entlang und wechselt die Flussseite alle paar Kilometer. Selbst der Zug mit dem etwas irreführenden Namen Naturpark-Express zuckelt der ICE-Gegenwart hinterher; gemütlich verläuft die Fahrt in der Schwäbischen Eisenbahn von Sigmaringen nach Beuron.

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Im Naturpark Obere Donau blickt man von Burgen und Aussichtsfelsen auf die Schönheit des Flusses.

Es ist gerade das richtige Tempo, um nach dem Wechsel der Landschaft hineinzurollen in den Wechsel der Perspektiven. Dafür entsteigt der Reisende dem Zug am Bahnsteig von Beuron und quert ihn mit wenigen Schritten.

Im Bahnhof

Früher, als die Touristen noch Ausflügler hießen und keine Wirtschaftskrise brauchten, um zu begreifen, wie schön es direkt vor der Haustüre sein kann, sind die Menschen meistens mit der Bahn gefahren. Haltestellen waren dadurch auch stets eine Art touristisches Zentrum.

Der Bahnhof von Beuron gäbe heute wahrscheinlich ein ziemlich trostloses Bild ab, wäre das Hauptgebäude nicht in das "Haus der Natur" und damit auch in ein Haus der Zukunft umfunktioniert worden. Seit 1996 sind hier die Geschäftsstellen der Stiftung Naturschutzzentrum Obere Donau und des Naturpark-Vereins Obere Donau untergebracht.

Auch wenn sich mancher Ausflügler wundern mag, dass die Natur hier gleich durch zwei Institutionen vertreten wird, kann es ihm letztlich egal sein.

Das Haus der Natur beherbergt nämlich eine wirklich sehenswerte Ausstellung über die erdgeschichtliche Entstehung der Donau und die sensiblen, oft entlegenen Lebensräume wie Uferbereiche, Felsköpfe und Höhlen. Es sind dies ja gleichzeitig die Problemzonen der Region, weil auch die Ausflügler nur zu gerne in die Rückzugsgebiete von Flora und Fauna vorstoßen, was dann ungefähr so gut zusammenpasst, als träte Guido Westerwelle bei einem Parteitag der Grünen auf.

Nutzungskonflikt heißt das dann so schön im Naturschützerdeutsch, und immer mal wieder ist dann auch die Expertise von Bernd Schneck, Geschäftsführer des Naturpark-Vereins, gefragt.

Er weiß, dass Nutzungskonflikte oft aus der Unwissenheit der Nutzer resultieren. Kaum ein Besucher stört Uhu, Eisvogel oder Fledermaus vorsätzlich, deshalb setzt Schneck auf die üblichen vorbeugenden Maßnahmen: "Zonierung, Besucherlenkung und vor allem Information. Das ist das A und O."

Da habe sich in den vergangenen zehn Jahren doch einiges getan. Nur das komplette Aussperren des Touristen, das ist schon allein wegen der Naturpark-Verordnung gar nicht möglich. Dort steht: "Das Naturpark-Gebiet ist als vorbildliche Erholungslandschaft zu erhalten und zu entwickeln." Es soll ein Ort der Ruhe bleiben.

Durch die Zeit

Die Ruhe hat hier sogar eine eigene Stätte, eine, die nicht nur die wenig mehr als 200 Einwohner zählende Ortschaft dominiert, sondern den gesamten Talabschnitt. Das gewaltige Kloster von Beuron gab es schon vor der Bahnlinie und bevor die vielen Sommergäste in Booten, auf Rädern und mit Kletterschuhen kamen - und erst recht vor der Ernennung des Gebiets zum Naturpark 1980.

Bereits im Jahr 1077 wurde die Erzabtei St. Martin als Augustiner Chorherrenstift gegründet und 1863 als Benediktinerkloster wiederbesiedelt. Seitdem ist es so etwas wie das Haus der Kultur in der Region. Noch bis 1. November läuft die Ausstellung "Kunst im Kloster heute".

Eine riesige Bibliothek sowie ein eigener Kunstverlag zählen zu den Aushängeschildern der Abtei. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand hier die "Beuroner Kunst" als eigene Kunstform. Damals hatte das Kloster bis zu 300 Mönche, heute sind es 50. Einer von ihnen ist Theodor Hogg.

Der Erzabt des Klosters trat dem Orden direkt nach seinem Abitur 1961 bei. Damals gab es noch sechs Hotels in Beuron, die vor allem von den Pilgern lebten. Doch selbst der Klosterhof, ehemals mit 150 Betten und einem Jugendstil-Speisesaal das erste Haus am Platz, vergammelt seit den siebziger Jahren.

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Inzwischen habe auch das Denkmalamt den maroden Fachwerkkoloss herabgestuft, sagt Hogg. Er kann sich nicht mehr über den Besitz des imposanten Baus freuen: "Wir würden ihn gerne verkaufen."

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Das Kloster selbst blieb eine Anlaufstelle, war doch die Gastfreundschaft schon immer eines der Anliegen Benedikts. Es müsse niemand an den Gottesdiensten teilnehmen, sagt Hogg, aber die Kontemplation stehe natürlich im Vordergrund. Der Gästeflügel ist mit 33 Zimmern, zwei kleineren Schlafsälen und insgesamt 77 Betten eher übersichtlich; mehr ist heutzutage auch selten nötig. Für längere Aufenthalte nehmen sich nur wenige Zeit, die meisten Gäste sind Tagesausflügler. Allein zu den Gottesdiensten kommen an manchen hohen Feiertagen bis zu 2000 Menschen.

Und weil die oft kurzfristig und wetterabhängig entscheiden, reagieren auch die Dienstleister des Ortes mit südländischer Spontanität. Das Café gegenüber dem Klosterhof hat geschlossen, und die Einheimische mit dem Hund schaut nicht etwa auf die Uhr, um die Frage zu beantworten, ob das Café heute noch öffne, sondern in den Himmel. Dann sagt sie: "Es ist bewölkt, ich glaube nicht."

Auf dem Wasser

Auch der Fluss hat für Gäste heute geschlossen - wie schon seit drei Sommern. Schließlich ist die Zeit, als man einfach ein Kanu zu Wasser ließ und damit auf der blauen Donau jederzeit und grölend im Zickzack-Kurs hinabrauschen durfte, vorbei. Der sich windende Strom, speziell seine empfindliche Uferzone, ist seit jeher so etwas wie die Front der Nutzungskonflikte. Zu viele wollten das bisschen Donau genießen.

Der Fluss wird daher nur unter Auflagen für Bootstouristen freigegeben. Eine Versickerungsstelle vereitelt das Befahren der Teilstrecke westlich von Beuron generell, im Osten blockieren wiederum Bauarbeiten am Wehr von St. Maurus das Wochenendabenteuer, das deshalb erst ab Hausen möglich ist.

Auf allen Abschnitten der Oberen Donau gelten zeitliche Einschränkungen. Es gibt Begrenzungen, den Pegelstand betreffend, und über Befahrungsscheine geregelte Kontingente für Vereine, Privatfahrer und gewerbliche Anbieter. Auch herrscht eine Null-Promille-Grenze. Wer sich nicht daran hält, fällt bei gelegentlichen Kontrollen schon durch seinen eigenwilligen Paddelstil auf.

Letztlich ist die Limitierung des Bootsverkehrs vor allem für die Touristen selbst vorteilhaft. An einem August-Wochenende, wenn die Kontingente ausgeschöpft sind, stauen sich an manchen Tragepassagen die häufig mit Familien besetzten Kanus. Nur wer früh genug losfährt, scheucht dann trotz null Promille noch Eisvogel und Graureiher auf und schafft mit dem entsprechenden Durchhaltevermögen die 28 Kilometer flussabwärts bis Sigmaringen.

Noch viel langsamer geht es dahin als im Naturpark-Express oder im Fahrradsattel. Ständig schweift der Blick vom tiefsten Punkt des Tales über die Böschung hinweg auf die mächtigen Felsen. Überhaupt wirkt das Tal aus der Entenperspektive gewaltiger, die vom Radweg nebendran kaum sichtbare Strömung stärker und der Fluss facettenreicher.

Wasserpflanzen streichen an der Bootsunterseite entlang, an besonders seichten Stellen bremsen Steine die Fahrt. Aufpassen muss man knapp hinter Thiergarten, weil man sonst womöglich die Anlegestelle des Käppeler Gutshofs verpasst, eines geschichtsreichen Anwesens, das sich als eines von vier Gasthäusern des Verbunds Donau Vita der regionalen Küche verpflichtet hat. Schnell also noch mit Angusrindschinken stärken, dann bergauf.

Über dem Tal

Knopfmacherfels, Eichfelsen, Schaufelsen. In Millionen Jahren hat die Donau steile Wände ausgefräst - und damit nicht nur Standorte für zahlreiche Burgen und wertvolle Aussichtspunkte zur Freude aller Landschaftsästhetiker geschaffen, sondern weitere Schauplätze für Nutzungskonflikte.

Die Wände und Felsvorsprünge bieten ein ideales Terrain für Vögel wie für Sportkletterer, und erst nach langen Verhandlungen wurde mit Hilfe der Interessensgemeinschaft Klettern eine Verordnung verfasst. Es soll nicht jedem Trend nachgegeben werden. Dennoch wurde kürzlich unerlaubt eine Art Klettersteig in einen geschützten Felsen gebohrt.

In solchen Fällen ist Markus Ellinger gefragt.

Ellinger nennt sich offiziell "Hauptamtlicher Schutzgebietsbetreuer". Damit ist er so etwas wie der Blauhelm des Naturparks, und wahrscheinlich täte es der Region gut, wenn es mehr Ellingers gäbe.

Der Ranger wirbt mit der Inbrunst eines Touristikers für den regionalen Bio-Apfelsaft und die lokalen Gastbetriebe, spricht als Einheimischer mit sanfter Ironie über die Eigenart der Hiesigen und weiß doch, wie recht sie so oft haben: "Heute zahlen wir viel Geld, damit Hirten wie früher beweiden und damit die Artenvielfalt erhalten."

Den Klettersteig hat Ellinger mit einem verbündeten Kletterer wieder "entnagelt", wobei sich das kriminelle Potential der Erschließer offenbarte. "Da wurde in schwierigem Gelände ein riesiger Aufwand betrieben. Wir vermuten, dass es ein Anbieter für Abenteuergeschichten war", sagt Markus Ellinger.

Es treffen sich ohnehin viele Menschen oberhalb der Donau. Die omnipräsenten Radfahrer, dazu Fernwanderer, Kletterer und viele der Klosterbesucher. Auch die Mönche beziehen nicht nur den Strom mittels des Kloster-Wasserkraftwerks aus der Umgebung, sondern zudem ihre persönliche Energie.

Es gibt nämlich bei den Benediktinern trotz des Klostercredos "ora et labora" eine wunderbare Regel, von der Abt Hogg erzählt: In der Hausordnung wird den Mönchen die Bewegung im Freien einmal pro Woche dringend angeraten.

Alles andere wäre in dieser Region auch geradezu ein Frevel.

© SZ vom 8.10.2009/kaeb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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