Süddeutsche Zeitung

Notfall im Flugzeug:Wie komme ich am schnellsten raus?

Nicht nur Flugangsthasen spielen dieses Horrorszenario insgeheim mal durch: Wie komme ich am schnellsten aus dem Flugzeug, wenn es brennt? Auf welchem Platz habe ich die größten Überlebenschancen? Eine britische Studie gibt nun die Antwort.

Daniela Dau

Den sichersten Platz in einem Flugzeug gibt es nicht. Art und Ablauf eines jeden Unglücks, sowie das persönliche Verhalten der Passagiere und der Crew entscheiden darüber, ob man ein Flugzeugunglück überlebt oder nicht - das besagt zumindest die Statistik.

Wissenschaftler der Universität Greenwich nahe London haben im Auftrag der britischen Behörde für Zivilluftfahrt CAA (Civil Aviation Authority) 105 Luftfahrtunfälle und fast 2000 Gesprächsprotokolle mit Überlebenden von Bruchlandungen und Bränden an Bord ausgewertet.

Das Ergebnis der jüngst auf der Internetseite der CAA vorgestellten Studie: Aus einem brennenden Flugzeug entkommen am ehesten Passagiere, die im vorderen Bereich des Flugzeugs am Gang sitzen, und zwar maximal bis zu fünf Reihen von einem Notausgang entfernt.

Die höchsten Überlebenschancen haben Fluggäste, die genau an einem intakten Notausgang sitzen oder in der Reihe davor oder dahinter.

In den zwei bis fünf vom Notausgang entfernten Reihen besteht noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu entkommen, aber "der Abstand zwischen Davonkommen und Sterben ist wesentlich geringer", haben die Wissenschaftler herausgefunden.

Lebensgefährlich wird es auf den Sitzen, die sechs und mehr Reihen weit weg vom Notausgang liegen. "Hier überwiegt die Möglichkeit, getötet zu werden."

Vorne sitzen ist etwas günstiger

Unterschiedlich gut waren in den untersuchten Fällen im Falle eines Brandes auch die Überlebenschancen in den verschiedenen Bereichen eines Flugzeugs. Passagiere im vorderen Abschnitt hatten laut der Studie eine etwas größere Chance hinauszugelangen als Fluggäste im Heck (65 Prozent zu 53 Prozent). Die Überlebensrate auf den Gangsitzen liegt mit 64 Prozent im Vergleich zu 58 Prozent für andere Sitzplätze geringfügig höher.

Einer der fatalen Unfälle, die im Laufe der Untersuchung analysiert wurden, war der einer British Airtours Boeing 737 auf dem Flughafen Manchester im Jahr 1985. Auf der Startbahn explodierte ein Triebwerk, setzte eine Seite des Flugzeugs in Brand und versperrte so mehrere Notausgänge. 55 Menschen starben, die meisten durch das Einatmen giftiger Gase.

Das Wissenschaftlerteam unter der Leitung des Greenwich-Professors und Brandschutzexperten Professor Ed Galea fand heraus, dass die getöteten Passagiere etwa zweimal so weit weg von den noch verfügbaren Notausgängen saßen wie die überlebenden. Einige der Toten saßen 15 Reihen von der rettenden Tür entfernt.

Evakuierung innerhalb von 90 Sekunden

Um den internationalen Sicherheitsbestimmungen zu genügen, müssen Flugzeuge innerhalb von 90 Sekunden evakuiert werden können, selbst wenn die Hälfte der Notausgänge blockiert ist.

Diese Regel lässt nach Auffassung der Wissenschaftler aber einen wesentlichen Punkt außer Acht: Das individuelle Verhalten der Passagiere in einem Notfall. Nicht alle Passagier reagieren gleich schnell auf den Evakuierungsaufruf. Und oft sind es ganz banale Probleme, die ein schnelles Hinauskommen verhindern: In der Hektik bekommen viele ihren Sitzgurt nicht auf.

Die Evakuierungs-Tests setzen außerdem voraus, dass zwischen den Fluggästen keine sozialen Bindungen bestehen. Tatsächlich zeigt aber die Aufarbeitung von realen Evakuierungen in der Studie, dass viele erst später als theoretisch angenommen das Flugzeug verließen, weil sie Angehörigen oder Freunden beim Hinauskommen halfen. Waren Passagiere hingegen mit Fremden unterwegs, kümmerte sich die Mehrzahl ums eigene Überleben - und hatten Erfolg damit.

Die meisten nehmen den nächsten Ausgang

Weiter fanden die Mitarbeiter des Greenwich-Teams heraus, dass Passagiere im Ernstfall seltener den Anweisungen des Kabinenpersonals Folge leisten als im Zeitplan vorgesehen. Die Flugzeugcrew soll Passagiere von blockierten Notausgängen zu besser zugänglichen dirigieren. Aber: "In echten Notsituationen, wenn Passagiere die Wahl zwischen mehreren Fluchtwegen haben, entscheiden sich viele letztlich gegen die Entscheidung der Crew und versuchen den Ausgang zu erreichen, der ihnen am nächsten liegt", heißt es in der Studie. "Unglücklicherweise weiß man aber erst im Ernstfall, ob dieser auch intakt und benutzbar ist", so der Studienleiter Ed Galea zu sueddeutsche.de.

Nicht berücksichtigt in den theoretischen Vorgaben sind außerdem Akte des Überlebenswillens. Schließlich warten Passagiere in Panik nicht geduldig in einer Reihe, bis sie mit dem Hinausgehen dran sind. Bei vielen in der Studie dokumentierten Unfällen hat es Fluggäste gegeben, die über die Sitzreihen geklettert sind, um so eher zu den Nottüren zu gelangen.

Zuschläge für Plätze am Notausgang

Interessant sind die Studienergebnisse auch vor dem Hintergrund, dass viele Airlines für die Sitze am Notausgang wegen der größeren Beinfreiheit einen Preisaufschlag berechnen. Gleiches gilt für die Vorabreservierung von bestimmten Sitzen über das Internet.

Bei TuiFly zum Beispiel kostet die Onlinereservierung für einen normalen Platz neun Euro, für einen Sitz am Notausgang dagegen 25 Euro. Bei Condor werden je nach Entfernung zwischen 20 und 60 Euro pro Strecke fällig, das gleiche gilt auch für Air Berlin. Bei der britischen Fluglinie Virgin Atlantic schlägt diese Reservierung am Notausgang je nach Strecke sogar mit bis zu 94 Euro zu Buche.

"Die Überlebenschancen von Passagieren sollten nicht davon abhängen, ob sie in der Lage sind, sich solche Extrakosten zu leisten", findet Robert Gifford, Vorsitzender eines parlamentarischen Beratungsgremiums für Transportsicherheit in Großbritannien gegenüber der britischen Tageszeitung Times nach Veröffentlichung der Studie. Fluglinien sollten laut Gifford daher gerade Familien mit Kindern und älteren Reisenden, die im Falle einer Evakuierung besondere Unterstützung benötigen, Plätze in der Nähe der Notausgänge zuweisen.

Dies wird in der Realität aber oft verwehrt. Die internationalen Regelungen schreiben vor, dass die hier Sitzenden kräftig genug sein müssen, um beim Öffnen der Türen helfen zu können.

Studienleiter Ed Galea hält nichts davon, Kinder und ältere Passagiere in die Nähe der Notausgänge zu setzen. "Den sichersten Sitz in einem Flugzeug gibt es nicht", sagt der Professor für Brandschutzmaßnahmen zu sueddeutsche.de, "es kommt immer ganz auf Art und Ablauf des Unglücks an." Und wo bucht er selbst im Flieger? "Ich persönlich bevorzuge einen Gangplatz so nah am Notausgang wie möglich - am besten nicht weiter als fünf Reihen entfernt."

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