Süddeutsche Zeitung

Norwegen:Kalte Klänge

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Beim Eismusikfestival in Norwegen sind nicht nur Umgebung und Räume, sondern auch die Instrumente aus gefrorenem Wasser. Passt ein Künstler nicht auf, schmilzt oder bricht schon mal was - oder er friert daran fest.

Von Evelyn Pschak

Hingebungsvoll stößt der Jazzer immer wieder mit dem Stößel in den Mörser. Sein rhythmisches Klopfen, Kratzen und Schürfen, über Lautsprecher in die Open-Air-Konzertarena gestreut, erinnert an das körnige Scheppern einer Crushed-Ice-Maschine. Kein Wunder, ist Terje Isungsets perkussives Instrument doch selbst aus Eis. Das Publikum begleitet die Anstrengung des Musikers dankbar wippend. In dieser südnorwegischen Winternacht hilft sein Rhythmus, kalte Füße wieder warm zu kriegen.

Allerdings hat der 53-jährige Autodidakt seinem Publikum die konzertante Kälte überhaupt erst eingebrockt. War es doch Isungset, der 2006 das Eismusikfestival im Bergort Geilo begründete: Ein zum ersten Vollmond des Jahres ausgetragenes, viertägiges Freiluft-Musikereignis, bei dem sowohl sämtliche Instrumente wie auch Bühne und Publikumsbereich aus Eis und Schnee hergestellt sind. Wer Isungsets gefrorenem Schlagwerk lauschen will, sollte also nicht nur Musikliebhaber sein, sondern auch kälteresistent und partizipativ. Denn im frostigen Dunkel des norwegischen Winters, bei minus 17 Grad, ist jeder Stiefel ein kalter Stiefel. Und jedes Mitstampfen künstlerische Wertschätzung wie leidensmindernde Maßnahme zugleich.

Zerbrechliche Klänge: Die Künstler müssen vorsichtig mit den Instrumenten umgehen.

Denn sowohl die Konzerträume als auch die verschiedenen Musikinstrumente sind aus Eis gefertigt.

Vorsichtig pusten: Ein Eis-Saxofon im Einsatz.

Ein warmer Schlafsack und eine dicke Mütze gehören zur Grundausstattung beim Besuch des Eismusikfestivals.

Ein Kontrabass aus gefrorenem Wasser.

"Ich möchte, dass Eismusik und Geilo zum Synonym werden", sagt der Norweger. Er trotzt dafür sämtlichen künstlerischen wie logistischen Schwierigkeiten. In der zweiwöchigen Vorbereitungsphase des Festivals wird Eis in großen Blöcken aus den Seen und Fjorden rund um Geilo geschnitten und mit Kettensägen, Stecheisen, Hobeln und Bunsenbrennern bearbeitet. Die Glockenspiele - an dünnen Schnüren hängende Stalaktiten - sind noch recht einfach herzustellen. Anders verhält es sich da, wo hölzerne Stege in gefrorene Bass- und Gitarrenkörper eingelassen werden. Oder Saxofone lederne Mundstücke bekommen, damit die Lippen des Spielers nicht am Eis festkleben.

Jedes Jahr werden neue Instrumente geschaffen. 2018 soll ein "IglooFonArium" dazu kommen, hat sich Isungset ausgedacht: "Wir werden versuchen, ein Iglu wie ein Instrument zu nutzen. Oder aber verschiedene Instrumente ergeben zusammen ein Iglu." Sie experimentieren gern hier. "Auf Eis zu spielen ist extrem. Dafür muss man sehr flexibel sein - und ein richtig guter Musiker." Viel üben können die teilnehmenden Künstler nicht, noch nicht einmal dann, wenn sie am Ort angekommen sind: Intensives Proben würde ihr fragiles Instrumentarium noch vor Konzertbeginn zerstören.

Das Festival-Programm kombiniert unterschiedliche musikalische Genres, auf den Eisinstrumenten wird Jazz oder Volkstümliches gespielt, aber auch Pop und Rhythm and Blues. Die anwesenden Eiskünstler und Eistechniker tüfteln bis zuletzt an der Spielbarkeit von Harfe oder Marimba. Zusätzlich lädt der Festivalleiter Klimaforscher nach Geilo, die über Folgen des Klimawandels referieren. Terje Isungset will mit dem Eismusikfestival nicht nur Musikgeschichte schreiben, sondern ökologisches Denken vorantreiben: "Ich sehe es als große Ehre an, mit einer der knappsten Ressourcen der Welt Musik machen zu dürfen - mit Wasser."

Mischung aus Vokal-Jazz und Elbenweisen

Um das ganze Tonspektrum auszuschöpfen, das auf Instrumenten aus Eis überhaupt möglich ist, braucht es Isungset zufolge eine Temperatur, die bei 20 Grad minus liegt. Und die hat es in Geilo zur ersten Vollmondnacht des Jahres gut und gerne. Wobei Isungset in diesem Jahr auf den zweiten Vollmond ausweicht. Am 2. Januar wäre nicht genügend Publikum angereist, vermutet der Musiker. Und über Weihnachten hätte er auch zu wenig freiwillige Helfer gefunden. Den familiären Charakter des Festes - auf rund 1000 Zuschauer ist man vorbereitet - wollen die Organisatoren ohnehin beibehalten.

Im Ort findet man als Gast alles, was man braucht: Es gibt einen Bahnhof an der 1909 eröffneten Bergenbahn, die in sieben Fahrtstunden Oslo und Bergen verbindet. Die Strecke führt durch prächtig weiße Berglandschaft oberhalb der Baumgrenze. Südwestlich von Geilo liegt die Hardangervidda, mit rund 8000 Quadratkilometern ist sie die größte Hochebene Europas. Hier lebt die größte Rentierherde des Landes. Geilo hat ein Gourmetrestaurant, eine autofreie Innenstadt, Hundeschlitten- und Fatbike-Verleiher, eine französische Bäckerei und ein Snowboardmuseum. Und in den Hügeln und Wäldern ringsum stehen Holzhütten mit weißen Sprossenfenstern. Auf einem der umliegenden Skihügel hat Ringo Starr 1971 den Clip zu "It don't come easy" gedreht, seiner ersten Solo-Hitsingle nach Auflösung der Beatles. Er saß dabei mit Handschuhen an seinem Klavier im Schnee.

Auch Terje Isungset klopft mit Wollfäustlingen auf die breiten Eis-Tasten einer Marimba und entlockt ihr hohle Töne, es klingt ein wenig wie Kuhglocken, die sich im Nachhall der eisigen Luft zu Akkorden mischen. Hin und wieder streift der Jazz-Komponist über die kristallklaren, an Schnüren baumelnden Stalaktiten zu seiner Rechten. Und konterkariert ihr Glöckchengeklimper alsbald mit dem röhrenden Ruf eines Eishorns. Die Instrumente glitzern im Blau und Pink der Scheinwerfer. Es wird wieder still, und Maria Skranes beginnt zu singen.

Als synkopenreiche Mischung aus Vokal-Jazz und Elbenweisen direkt aus Mittelerde könnte man ihren Stil in etwa umschreiben. Auch die 30-Jährige selbst wirkt ein bisschen elbisch, so durchscheinend und fragil, dass man ihr gegen die Kälte am liebsten Hochprozentiges in die Thermotasse geben möchte. Sie trinke aber lieber Tee, entgegnet die Sängerin, denn Eismusik verlange ihr einiges an Selbstkontrolle ab: "Bei den Konzerten muss ich sanft und hell singen, um nicht lauter zu sein als das Eis selbst."

Bereits seit 2010, Skranes studierte gerade im zweiten Jahr Jazz-Gesang in Bergen, begleitet die Trondheimerin Terje Isungset auf Eiskonzerte. Die erste gemeinsame Reise führte allerdings nicht nach Geilo, sondern ins Eismuseum nach Istanbul, denn Isungset ist mit seinen Eisinstrumenten gerne on the road, den Tiefkühl-Laster voll mit Instrumenten. Bei diesen Tourneen sei es zwar einfacher zu singen, sagt Skranes. Aber die Sets müssten kurz gehalten werden und die Instrumente zurück ins Gefrierfach, bevor sie schmelzen, sich verstimmen oder gar brechen.

Was ihn überhaupt zu dieser verrückten Idee angetrieben habe, möchte man von Terje Isungset dann doch noch wissen. Da muss er nicht lang überlegen: "Die Schönheit des Winters, Eis, Schnee, reine Natur und originäre Musik, das waren meine Hauptgründe." Dann fällt ihm noch etwas ein: "Und Menschen mit etwas Einzigartigem und Positivem zu überraschen. Mit etwas, das sie nie für möglich gehalten hätten."

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Quelle:
SZ vom 04.01.2018
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