Süddeutsche Zeitung

Norwegen:Am Kulturstrand

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Künstler treffen Naturburschen in einer Sauna am Ende der Welt: Das Festival "Salt" auf einer Insel in Nordnorwegen will das Erbe der Fischer in arktischen Küstenregionen beleuchten.

Von Evelyn Pschak

Helga-Marie Nordby freut sich: "Wie gut, dass es nicht dunkel wird, wir haben noch so viel zu tun." Es ist nur ein halber Scherz der zierlichen Kuratorin. Das Hämmern der Dacharbeiter verebbt tatsächlich erst gegen Mitternacht. Da ist es immer noch hell. 24 Stunden Tageslicht verspricht der nordnorwegische Sommer. Auf der Insel Sandhornøy lernt man schnell, dass Tageslicht allerdings nicht unbedingt Sonne bedeutet.

Gearbeitet wird bei jedem Wetter. Und so blitzen unter der Regenkutte der Künstlerin Edvine Larssen neben den roten Haarsträhnen auch einige besorgte Blicke auf die im Nieselregen kletternden Handwerker hervor. Und auf Helga-Marie Nordby, ihre Kuratorin, die sich gegen den Wind stemmt, um einen riesigen Vorhang aus 300 Metern Stoff zu raffen. Zur Vernissage soll Larssens textiles Kunstwerk aus neongrünem Nylon den dachgiebelartigen Holzbau einer überdimensionierten Fiskehjelle bespannen. Die schlichte Konstruktion in Form eines As wurde in alten Zeiten von Fischern entwickelt, die daran ihren Fang trockneten - ein Symbol der arktischen Küstenregionen. Über die einzelnen Holzträger werden üblicherweise nicht Kunstwerke, sondern gesalzene Kabeljaus gehängt. Auf diesem getrockneten Fisch basierte einst die gesamte Ökonomie Norwegens. Jetzt erinnert ein Festival an das Erbe der nordischen Küsten: "Salt". Was nicht nur auf Englisch, sondern auch im Norwegischen Salz bedeutet.

Die Kultur der Arktis soll bei "Salt" gefeiert werden. In all ihren Aspekten: Kunst, Musik, Essen, Architektur. "Die Samen lebten seit jeher mit der Natur, zogen mit Rentieren umher oder fischten. Es war ihrem Bewegungsablauf eingeschrieben, keine Spuren, sondern nur eine Botschaft zu hinterlassen: Die Erde ist heilig", erklärt Nordby die Motivation, die sie und den Kulturunternehmer Erlend Mogård Larsen 2010 dazu bewegten, das Festival zu konzipieren. "Uns interessieren das Leben und Erbe der Fischer in den arktischen Küstenregionen. Das fragile Ökosystem. Der Klimawandel, der sich in der Arktis doppelt so schnell manifestiert wie anderswo. Die geopolitische Interessenslage. Die Fangquote, Fischereirechte, der Zugang zu Wasser", sagt Nordby. Sie spricht in der zum Meer hin verglasten "Agora", der mit 120 Sitzplätzen angeblich weltgrößten Sauna am Festivalstrand. Hier finden Konferenzen und Künstlergespräche statt.

Kunst statt Kabeljau: Holzgestelle, wie sie zum Trocknen von Fisch verwendet werden, sind die Spielorte des Festivals.

Dazu gehören auch ein Café...

...und Schwitzbänke.

Keine Spuren zu hinterlassen, ist auch das Credo bei "Salt". Sämtliche Ausstellungsarchitekturen sind nomadisch. Die Njallas, samisch inspirierte Zelte für die Festivalbesucher, stehen auf Kufen. Das Festivalcafé Naustet passt komplett in einen Baucontainer und lässt sich samt einer kleinen Sauna leicht verschiffen. Und die großen Fiskehjelles, unter denen seit dem Sommer 2014 Konzerte und Performances stattfinden, sind von den vergangenen Herbststürmen schon auf ihre leichte Entfernbarkeit hin überprüft worden: Die starken Winde und nagenden Wellen haben die Strukturen in Treibgut verwandelt, was davon übrig blieb, wird seit diesem Juni wieder bespielt und restauriert.

Ein Weg aus schmalen Kiefernplanken führt über das Festivalgelände zwischen schneebetupften Bergen und Meer. "Die Bretterwege schützen die fragile Vegetation der Sanddünen und verbinden das Festivalgelände zum Parcours", erklärt Nordby. Über zwei Kilometer zieht sich der breite, feinsandige Strand. Der verhangene Himmel sitzt tief. Der Mensch ist eine Winzigkeit. Fünf Millionen Bewohner teilen sich in Norwegen eine Fläche, die größer ist als Deutschland. In der norwegischen Kommune Gildeskål, zu der Sandhornøy gehört, kommen drei Einwohner auf jeden Quadratkilometer. Auf der Insel selbst leben 400 Menschen. "Salt" führt ihr eine neue Öffentlichkeit zu: das Kunstpublikum. "Kunst gehört nicht zur Geschichte und zum Alltag der Menschen, die hier leben", sagt Nordby. Und doch ist sie sich sicher, dass dieser Landstrich, um tatsächlich gesehen zu werden, neue Aufmerksamkeitsstrategien braucht. "Norweger definieren sich nicht über Kunst, sondern über harte Arbeit und Natur. Die Natur ist die Kultur der Norweger", sagt die Kuratorin.

Die wichtigste Person scheint bei Salt allerdings kein Künstler zu sein, sondern der Elektrik-Experte. "Tor!", erschallt es allerorten. Dabei hat Tor Tømmervik eigentlich gerade frei. Im Multimediapavillon fehlt der Strom, um den Film des chinesischen Videokünstlers Yang Fudong abzuspielen. Er müsse erst einmal den Elektroheizer im Café Naustet abschalten, erkennt der Ingenieur das Problem. "Salt" ist ein Festival, das herunterdimmt. Man kann nicht alles haben: Kunst oder Wärme. Eine Entscheidung für Hartgesottene.

Im Naustet kocht Helga-Marie Nordby gerade Kaffee fürs Frühstück. Sie trägt Jeans und einen weißrotblau gemusterten Norwegerpulli, Schnürstiefel und Perlenohrringe. Das blonde Haar im legeren Dutt. So schauen Kuratorinnen auf Sandhornøy aus. Sinn fürs Praktische ist außerdem wichtig, wenn man hier draußen etwas aufbauen möchte. Der ihre ist wohl zu praktisch für manch ätherischen Geist des internationalen Kunstzirkels. Nordby erzählt von der nicht ganz reibungslosen Zusammenarbeit mit Yang Fudong: "In China bist du als bekannter Künstler gottgleich und verteilst Aufgaben. Das schlimmste für ihn war, dass ich im Wohnwagen seiner Tänzer das Klo selbst repariert habe."

Dann schließt sie die Tür zum Multimediaraum auf - und plötzlich befindet sich der Festivalbesucher nicht mehr im Naturspektakel Nordnorwegens, sondern doch wieder im nivellierenden, anthrazitfarben ausgelegten Überall zeitgenössischer Ausstellungsarchitektur. Fudong hat Heranwachsende der Insel in Schwarz-weiß gedrehten Szenen festgehalten, wie sie ins Polarmeer springen, zu dritt einen Einbaum tragen, den Strand Langsanden entlang, vor dem die Vorführungsbaracke steht.

Der Theologe und Dichter Elias Blix hat dem Strand in seinen "Kindheitserinnerungen" im 19. Jahrhundert ein Denkmal gesetzt: "Ich kenne ein Land weit, weit im Norden; mit einem schimmernden Strand zwischen hohen Bergen und Fjorden", lauten die ersten Zeilen seiner Hymne auf Nordnorwegen. Es mag ein Paradoxon sein, einen Publikumsmagneten zu schaffen, um diese Unversehrtheit zu bewahren. Es scheint jedoch, als könnte "Salt" genau das gelingen.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2016
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