Nordsee-Bäder: Dangast:An Jades Busen

Dangast ist das älteste Nordsee-Bad und eines der stillsten. Hierher kamen Künstler schon immer gern. Und ließen manches zurück, was heute den Ort schmückt.

Ute Kruse-Fischer

Die Wächterin ist zurückgekehrt auf ihren Posten im Watt. Sie hält nach ihrer Restaurierung wieder die Stellung am Steg. Der grob gezimmerte Stuhl für Kaiser Butjatha ein paar Meter weiter wirkt brüchig, hält aber der auflaufenden Flut wacker stand. Am Strand ragt ein riesiger steinerner Phallus in den Himmel. Ein Schwarm Vögel lässt sich unentschlossen einen Moment auf den Wellen nieder und zieht mit elegantem Schwung weiter. Der Himmel ist hellgrau.

Ein paar Stühle stehen schräg im Sand, als hätte jemand dort einige ratlose Minuten verbracht und sich dann dem alten Kurhaus zugewandt, einem Backsteingebäude, das im Schatten von Eichen hoch über dem Strand auf dem Dangaster Geestrücken steht.

Dort wirkt Maren Tapken. Sie hat ab 16 Uhr Zeit für einen Becher Kaffee. Davor steht sie in der Küche und kocht. Grünkohl, Rinderbraten, Fisch, je nach Jahreszeit - Hausmannskost. Die Tapkens sind Gastwirte durch und durch. Selbst wenn ihr Kurhaus nicht geöffnet ist, bleiben die hölzernen weißen Gartenstühle draußen stehen, so dass Besucher die Aussicht auf das Watt und den Hafen genießen können. Der Strand, der zu ihrem Besitz gehört, ist sowieso für jedermann zugänglich.

"Ach ja, die Jade, sie war in der Reparatur. Der eine Fuß war gebrochen und wir hatten die Befürchtung, dass ihre Standfestigkeit irgendwann leidet, wenn wir den Schaden nicht beheben", sagt die junge Frau, die gemeinsam mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrem Mann in fünfter Generation das alte Kurhaus bewirtschaftet, das in Dangast Kultstatus hat. Die Jade, eine drei Zentner schwere nackte Dame in Grün, ist eine Statue, die der Beuys-Schüler Anatol Herzfeld in den siebziger Jahren zum Gruß der Fischer auf einen Dalben ins Watt gestellt hat.

Wahre Happenings veranstalteten die Mitglieder der "Freien Akademie Oldenburg" damals in unmittelbarer Nähe des alten Kurhauses. Ein Spektakel war es, als Anatol mit dem übergroßen Papierschiff "Tante Olga" 1977 zur Documenta nach Kassel schipperte, um für Dangast zu werben.

Geblieben aus der Zeit sind die Jade, der Kaiserstuhl von Wikinger-Oberhaupt Butjatha alias Wilfried Gerdes, der ein geschätztes Klettergerüst für Kinder ist, und der Phallus aus schwedischem Granit von Eckart Grenzer, der lange Zeit für erhitzte Gemüter gesorgt hat und nun einfach dazugehört.

Nach Dangast kommt man nicht zufällig

In dem 700-Einwohner-Dorf am südlichen Jadebusen ist man an künstlerische Provokationen wie diese gewöhnt. Das hat eine lange Tradition. Die Expressionisten Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein von der Künstlergruppe "Brücke" entdeckten die ehemals gräfliche Seebadeanstalt Anfang des 20.Jahrhunderts für sich. 1907 waren die Maler auf der Suche nach einer Küste, die "auf besondere Weise herausstach", so Heckel 1958 in einem Interview. Nach einem Blick auf die Landkarte wählten sie den Jadebusen bei Oldenburg. An dessen Südspitze gibt es nicht nur Sanddünen und Meer, sondern auch Marsch, Moor und Geest.

Stadt Varel

Die Etta-von-Dangast im Hafen

(Foto: Martin Stoever/Kurverwaltung Dangast)

Damals wie heute lag Dangast nicht auf einer der für Touristen üblichen Routen entlang der Nordseeküste. Nach Dangast kam und kommt man nicht zufällig, da will man hin. Der immerhin älteste Seebadeort an der Nordsee, der in den Jahren 1804 bis 1828 vom Oldenburger Grafen zum Kurbad ausgebaut wurde, hat mit dem typischen Ferienbetrieb deutscher Nordseebäder nicht viel im Sinn. "Vergnügungen gibt's nur solche, die die Gäste selbst anstellen", stand schon 1904 in einem Bericht von Meiers Reisebüchern über Dangast.

Das Land ist flach und weit. Die Straße nach Dangast geht immer geradeaus und gibt keine Anreize, die Richtung zu ändern.

Der höchste Tidenhub der deutschen Küste

Im östlichen Teil des Ortes finden sich trübsinnige Bausünden der siebziger Jahre, denn natürlich hat auch Dangast seinerzeit den Sprung in die Hochglanzprospekte der Reiseveranstalter versucht. Ohne viel Erfolg allerdings. Jede Menge Ferienappartements im gesichtslosen Einheitsstil und ein großes Sole-Freizeitbad mit übergroßem Parkplatz zeugen noch heute davon.

Dabei erfüllt letzteres noch immer seinen Sinn, denn wer nach Dangast fährt und sich spontan in die Fluten stürzen möchte, kann bitter enttäuscht werden. Das Meer verabschiedet sich hier zweimal täglich auf eine Weise, die Seltenheitswert hat. Der Tidenhub ist mit durchschnittlichen 3,5 Metern gewaltig und der höchste der deutschen Küste. Wenn Ebbe ist, ist Ebbe: der Jadebusen fällt bis auf eine schmale Fahrrinne völlig leer. Da sind Badefreuden nur im Meerwasserquellbad garantiert.

"Dafür sieht der Jadebusen im Wechsel der Gezeiten immer wieder anders aus, das Licht wechselt auf dramatische Weise, das endlose, manchmal bläulich schimmernde, manchmal im Nebel verschwindende Watt ist ein täglich neues Schauspiel", sagt Maren Tapken.

Intensität der Farben

Niedersächsisches Wattenmeer
(Foto: dpa)

"Es ist unglaublich, wie stark man die Farben hier findet, eine Intensität wie sie kein Pigment hat, fast zu scharf für das Auge", schrieb Karl Schmidt-Rottluff 1909. Immer wieder kehrten er, Erich Heckel und Max Pechstein in den Jahren 1907 bis 1912 zurück an den Jadebusen, um Landschaft, Häuser und wilde Wolken mit dem Pinsel festzuhalten.

Später kam Franz Radziwill und blieb von 1922 an für immer da. Sein Haus an der Sielstraße, eine ehemalige Fischerkate, ist heute ein kleines Museum und neben dem Kunstpfad, der die Originalschauplätze der bildenden Kunst erschließt, und den überall im Ort verstreuten Skulpturen ein Anziehungspunkt für Besucher.

In den siebziger Jahren dann fielen die Bildhauer in Dangast ein. Karl-August Tapken war das mehr als recht. Er hatte schon immer was übrig für schräge Typen und Künstler mit Weltverbesserungsambitionen. Anatol verschaffte er ein Atelier auf dem Gelände des Kurhauses und führte damit eine Tradition weiter, die schon seine Eltern Karl-Anton und Olga gepflegt hatten und Großmutter Hanny ihm geradezu ans Herz gelegt hatte: "Junge, pass auf, wenn Künstler kommen: Du weißt nicht, was aus denen wird."

Eine Lithographie von Heckel, ein Porträt eben dieser Großmutter, befindet sich noch heute im Besitz der Tapkens, die seit 1883 Eigner des Alten Kurhauses sind. 1977 hat Karl-August Tapken es von seinen Eltern übernommen, jetzt steht Tochter Maren ihm zur Seite, und durch den hohen Conversationssaal mit seinen schönen Jugendstilfenstern, der reich bestückt ist mit Kunstwerken aller Art, rennen schon die Vertreter der nachfolgenden Generation über den knarrenden Holzfußboden.

An den Wochenenden, wenn das gesamte Gelände für Autos gesperrt ist, warten gealterte Harley-Davidson-Fahrer einträchtig neben älteren Damen mit roten Bäckchen, stehen Familien mit Kleinkindern hinter gepiercten Jugendlichen in der Schlange vor dem Selbstbedienungstresen, um ein Stück von dem fast schon legendären Rhabarberkuchen zu ergattern. Angeblich wird er schon seit 100 Jahren gebacken. Manche spötteln sogar, Karl-August Tapken hätte sein Bundesverdienstkreuz 2002 nicht für seine kulturellen Verdienste erhalten, sondern für den Rhabarberkuchen. Für dessen Herstellung steht er jedenfalls noch immer morgens als erster in der Küche.

Gestiefelte Kater nach der Wattwanderung

Jade Nordsee
(Foto: SZ-Grafik)

Sein Bruder Anton Tapken schmeißt im kleinen Yachthafen gleich hinter dem Kurhaus den Motor seines Ausflugsschiffs Etta-von-Dangast an, um mit seinen Gästen über den Jadebusen, zu den Seehundbänken oder einmal um den Arngaster Leuchtturm zu tuckern.

Anton Tapken hat eine Menge zu erzählen dabei: dass Dangast auf dem Geestrücken liegt und deshalb keinen Deich benötigt; dass das Dangastquellbad das gesündeste Badewasser in Nordwestdeutschland hat; dass seine vier Geschwister alle Dangast verbunden geblieben sind, Karl-August im Kurhaus, Friedrich-Wilhelm in der Klause im ehemaligen Warmbadehaus, Inge auf dem Campingplatz und Lena in Bremen mit ihrem Buch "Rund ums alte Kurhaus Dangast".

Voraussetzung für eine Fahrt mit der Etta-von-Dangast ist natürlich, dass Wasser da ist. Wenn nicht, steht eine Wattwanderung auf dem Programm. Das tiefe Buchtenwatt des Jadebusens ist eine endlos schillernde Fläche, die schmatzend dem Meer hinterher seufzt und pro Quadratmeter bis zu 100000 Wattschnecken beherbergt.

Wen der sportliche Ehrgeiz packt, kann eine geführte Wanderung zum Leuchtturm Arngast unternehmen. Die Tour ist eine der anspruchsvollsten an der gesamten Wattenmeerküste. Doch Vorsicht: Das Watt ist hier schwer zu durchwaten und nur geeignet für ganze Kerle. Weil es infolge fehlender Strömung aus vielen Feinsedimenten besteht, ist es sehr schlickig, man sackt tief ein.

Wie gestiefelte Kater sehen die aus, die nach sieben Stunden erschöpft wieder am Strand vor dem alten Kurhaus landen. Dort können sie sich unter den wachsamen Augen der Jade dann die Füße waschen. Ob Fischer oder Wattwanderer, tobende Kinder oder stille Jadebusenanbeter, die grüne Wächterin heißt sie alle willkommen, schließlich steht sie nicht umsonst im Watt vor dem alten Kurhaus Dangast mit der weltläufigen Ausstrahlung und dem besten Rhabarberkuchen.

Informationen:

Anreise: Mit der Bahn bis Varel (Oldenburg), von dort in zehn Minuten mit dem Bus nach Dangast. www.bahn.de Allgemeine Auskünfte: Kurverwaltung Nordseebad Dangast, Am Alten Deich 4-10, 26316 Varel/Dangast, Tel.: 04451/91 14 13, info@dangast.de, www.dangast.com

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