Nordirland-Reise:Belfast ist nun stolz auf die "Titanic"

A view of the Titanic Museum with the SS Nomadic the only surviving White Star Line ship in the T

Das Titanic Museum von Belfast hatte bereits vier Millionen Besucher.

(Foto: imago/robertharding)

In Belfast wollte man früher nichts zu tun haben mit dem Unglücksschiff, das dort einst vom Stapel lief. Inzwischen hat in der ehemaligen Werft sogar ein Hotel eröffnet - und sogar ein "Eisberg" ist aufgetaucht.

Von Evelyn Pschak

Lange haben sich die Belfaster geschämt für ihr Meisterwerk. Die Titanic war im Osten der Stadt entworfen, gebaut und am 31. Mai 1911 vom Stapel gelassen worden. Damals war die Werft Harland & Wolff die größte Schiffbauanlage der Welt und die Titanic deren Prunkstück. Bis sie in der Nacht zum 15. April 1912 auf ihrer Jungfernfahrt von Southampton nach New York mit einem Eisberg kollidierte und unterging. Das Desaster, bei dem etwa 1500 Menschen starben, "brachte eine Wolke der Verzweiflung über die Stadt" - so steht es auf einer der Schautafeln des "Titanic Trail", der heute vom innerstädtischen Rathaus bis an die Docks auf das immer noch aktive Werftgelände führt. Es hat also mehr als neun Jahrzehnte gedauert, bis der Name Titanic in Belfast wieder mit Stolz ausgesprochen wurde.

Das Museum soll einem Schiffsbug ähneln. Und es hat genau die Höhe der "Titanic"

Und jetzt, 2017, steht ganz Belfast im Zeichen der Titanic. Es gibt auf dem ehemaligen Werftgelände nicht nur den "Titanic- Trail"-Themenspaziergang, sondern auch ein Touristen-Bähnchen, das etwa zur restaurierten SS Nomadic fährt. Das elegante Schiff war der Zubringer der Titanic. Die Bahn rattert an den Titanic Studios in der ehemaligen Paint Hall des Werftgeländes vorbei, wo in den 1970er- und 1980er-Jahren Supertanker gestrichen und in jüngster Zeit die Spezialeffekte der Fernsehserie "Game of Thrones" gedreht wurden. Und es umrundet natürlich das multimediale Museum "Titanic Belfast", das seit der Eröffnung 2012 bereits vier Millionen Besucher verzeichnen konnte. Im September hat gegenüber dem Museum nun auch noch das "Titanic Hotel Belfast" eröffnet - in den ehemaligen, von 1886 an erbauten Räumlichkeiten der Werft. "Das hätte auch ein stinkvornehmes Hotel werden können", sagt Gordon Baker und kräuselt ein wenig verächtlich die Nase. "Ist es aber nicht." Der 23-Jährige tuckert mit den Gästen der "Titanic Boat Tour" auf dem brackigen Flusswasser des Lagan entlang, an der Seehundekolonie vorbei Richtung Irische See. Schließlich erschließt sich das Anfang der 2000er-Jahre ausgerufene "Titanic Quarter" am Besten vom Wasser aus. Die knallgelben Portalkräne Samson und Goliath lassen keinen Zweifel zu: Das hier ist auch heute noch das Zentrum der Belfaster Schiffsindustrie.

Hinter den im Ufergeröll dösenden Seehunden erhebt sich ein schiffsbugförmig zusammengesetztes Gebäude mit silbern schimmernder Fassade. Das Museum, von der Bevölkerung ironisch "Eisberg" getauft, ragt 38,5 Meter in die Höhe - genau so hoch, wie vor 105 Jahren die Titanic war, als sie vom benachbarten Bauplatz zum ersten Mal ins Wasser glitt. Links dahinter leuchtet in kräftigem Klinkerrot das ehemalige Hauptquartier von Harland & Wolff. Nachdem das Unternehmen 1989 ausgezogen war, stand der Art-déco-Bau in den vergangenen Jahrzehnten leer. Im Museum lassen Schautafeln die beeindruckende Architektur seiner beiden Zeichensäle erkennen; auf Schwarz-Weiß-Fotografien arbeiten Menschen an langen Zeichentischreihen oder stehen vor Dokumentenschränken. Der eine Zeichensaal beherbergt inzwischen die Hotelbar, den zweiten kann man für Hochzeiten oder Events mieten.

Derek Booker bietet seit fast 20 Jahren Titanic-Flussfahrten an. Die trotzige Unternehmensdevise hat Booker auf die beigefarbene Rückbank seines Kahns gepinselt: "She was alright when she left here." "So sehen wir die Geschichte der Titanic", bekräftigt auch sein junger Maat Gordon Baker: "Als sie hier auslief, war sie in Ordnung." Der tragische Unfall sei menschliches Versagen gewesen. Oder, genauer: englisches. Um einen Tag früher in New York anzukommen, ließ Kapitän Edward John Smith auch in der Nacht die Motoren mit voller Geschwindigkeit laufen - obwohl ihn andere Schiffe vor den Eisbergen gewarnt hatten.

Derek Bookers Bootstouren waren ein erster Schritt auf dem Weg zur Rehabilitierung der Titanic. 2004 nahm der Titanic-Tourismus in Belfast dann richtig Fahrt auf. "Wir hatten die Troubles hinter uns", sagt die Geschäftsführerin der Titanic-Stiftung, Kerrie Sweeney, und meint damit die blutigen Auseinandersetzungen zwischen irisch-nationalistischen Katholiken und unionistischen Protestanten, die 1998 offiziell durch das Karfreitagsabkommen beendet wurden. Bis heute trennen mit Graffiti und Friedensbotschaften überzogene "Peace Walls" die Wohngebiete pro-irischer Republikaner und treu zur Krone stehender Unionisten. Und auch wenn die nordirische Regierung diese Friedenslinien in den nächsten Jahren beseitigen will: Noch sind sie da und gehören zum touristischen Pflichtprogramm Belfasts.

Um Belfast wieder als touristisches Ziel vermarkten zu können, wurde damals nach nordirischen Ikonen gesucht - und die Titanic gefunden: "Zu dem Zeitpunkt stieß diese Idee auf viel Skepsis", erzählt die Irin. Doch Stadtentwickler gestalteten Teile des Hafens und Brachland zum "Titanic Quarter" um - ein neues Viertel entstand. Es trug auch dazu bei, die Haltung der Belfaster ihrer Stadt gegenüber zu verändern.

Zum Korridor der Macht hatten früher nur wenige Zutritt

Auch das Titanic Hotel Belfast ist Teil dieser Geschichte des Wandels. Bis auf die Bar und die sie umgebenden blauen Samtsofas scheint zwar alles zunächst noch wie damals zu sein: Die Atelierfenster im weiß getünchten Tonnengewölbe sorgen noch immer für Tageslicht. Durch die hohen Fenster erblickt man Kopfsteinpflaster und Hafengelände. Doch heute rieselt Hintergrundmusik durchs Erdgeschoss. In einem Schaukasten steht ein Modell der Titanic; es zeigt das Schiff noch intakt, mit allen vier Schornsteinen, ockerfarben mit schwarzer Kappe, einst Markenzeichen der White Star Line. Seit Oktober hat das Hotel einen Anbau und somit insgesamt 119 Zimmer.

Im früheren Speisesaal des Werft-Direktoriums hat die Stiftungs-Vorsitzende Kerrie Sweeney ihr Büro: "Die Menschen aus Belfast haben eine starke Verbindung zu diesem Gebäude", sagt sie. "Hier haben einmal mehr als 30 000 Menschen gearbeitet, und die hatten Familie. Genau genommen hat also die gesamte Bevölkerung einen direkten oder indirekten Bezug zu diesen Hallen."

Die Freude der Belfaster über das neu interpretierte Stück Stadtgeschichte ist so groß, dass manche schon mal vergessen, dass sie in einem Hotel sind. Zettel an den Türen sollen Besucher, die sich im Haus umsehen wollen, nun davon abhalten, in Konferenzen zu platzen. Vor dem Eröffnungswochenende allerdings wurden ehemalige Mitarbeiter der Werft zu einem Umtrunk in den "Corridor of Power" eingeladen, in die Prachtbüros im Erdgeschoss. Durch die Eingangsdrehtür aus Mahagoni durften früher nur Mitglieder des Direktoriums gehen. "Es gibt viele, die ihr ganzes Leben auf der Werft gearbeitet haben, ohne je einen Fuß in diesen Korridor der Macht zu setzen", sagt die Hotel-Mitarbeiterin Yvonne McIlree. "Es herrschte eine strikte Hierarchie. Wer im zweiten oder gar im dritten Stock arbeitete, war nicht so wichtig wie der Mitarbeiterstab im Erdgeschoss."

Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft ist bis heute in der Architektur des Gebäudes zu sehen. Im dritten Stock sind die Räume niedriger als weiter unten, und die Gänge schmaler. Alle Hotelzimmer sind so gestaltet, dass sie an die einstige Funktion des Gebäudes erinnern: Nieten zieren Wände und Türen, Baupläne der Schiffe hängen an den Wänden, auch die Leuchten wirken wie aus einem Museum der Schifffahrtsindustrie. Durchs Hotelzimmerfenster blickt man auf einen zerfetzten Abendhimmel über den Docks. Wer die blickdichten Stores und schwer glänzenden Vorhänge nicht zuzieht, lässt nicht nur den Abendstern über den gelben Riesenkränen ins Zimmer leuchten, sondern auch rot blinkende Signallampen. Das murmelnde Motorenrauschen eines geschäftigen Hafens begleitet einen durch die Nacht.

Das "Titanic Quarter" habe eine ganz eigene, zukunftsweisende Energie, ist sich die Stiftungsvorsitzende Sweeney sicher, das zeige sich auch bei den Events auf dem Areal: Letztes Jahr habe man auf dem Gelände der Werft Großleinwände aufgestellt und die Fußballspiele der Europameisterschaft übertragen. "Das hätte heikel werden können", sagt Sweeney. Denn gezeigt wurden sowohl Spiele, die das Team der Republik Irland bestritt, als auch die Spiele der nordirischen Fußballnationalmannschaft. Aber alles ging gut. "Alle kamen her, man sah ein Meer aus grünen Trikots. Und es spielte keine Rolle, welche Mannschaft man unterstützte."

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Reiseinformationen

Anreise: mit Lufthansa von München nach Dublin hin und zurück ab 68 Euro, www.lufthansa.com, von dort weiter mit dem Aircoach-Bus nach Belfast, Busticket 20 Euro hin und zurück, www.aircoach.ie

Übernachten: Titanic Hotel Belfast, DZ mit F. ab 175 Euro. Wer den Titanic Visitor Stay bucht, erhält den Museumseintritt gleich mit und spart sich die Schlange am Ticketschalter, dann ab 227 Euro fürs Doppelzimmer mit Frühstück, www.titanichotelbelfast.com

Weitere Auskünfte: www.discovernorthernireland.com, www.ireland.com

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