Süddeutsche Zeitung

"New York Times" empfiehlt Reiseziele:Frankfurt, ernsthaft?

Die "New York Times" kürt die 52 lohnendsten Reiseziele weltweit, darunter als einzigen deutschen Ort: Frankfurt am Main. Warum das denn? Wir haben bei Kennern nachgefragt. Sechs Liebeserklärungen an eine unterschätzte Stadt.

Aufgezeichnet von Carolin Gasteiger

"Eine Dosis hippes Nachtleben weckt eine verschlafene Großstadt auf" - Mit dieser Erkenntnis kürt die New York Times Frankfurt am Main unter die 52 lohnenswertesten Reiseziele 2014 - als einzigen deutschen Ort. Die größte Stadt Hessens rangiert hinter Taiwan und vor Addis Ababa in Äthiopien auf Platz 12, immerhin. Als einzige europäische Stadt wird davor noch Rotterdam empfohlen.

Jetzt mal ehrlich: Frankfurt am Main?Als Quintessenz aus Alpen und Nordsee, besser als Hamburg, Berlin und Köln? Sechs Liebeserklärungen an eine unterschätzte Stadt.

"In einem Punkt kann ich die New York Times verstehen: Frankfurt ist viel offener, entspannter und internationaler als andere deutsche Städte. Die beiden Brüder vom Restaurant "Maxie Eisen" betreiben außerdem noch einen Club und einen Burgerladen im New-York-Style - alles wirklich empfehlenswert. Allerdings sind die Angestellten dort cooler als das Publikum. Auf dem Weg in die Locations kann man schon mal dem einen oder anderen Rotlichtviertelbesucher oder einigen Junkies begegnen. Coole Musik gibt es außerdem bei der Pop-Up-Partyreihe "Rockmarket". Außerdem hat Frankfurt den wahrscheinlich schönsten und neuesten Uni-Campus Europas - für mich ein toller Arbeitsplatz.

Das Manko der Stadt ist tatsächlich die Umgebung. Trotz schöner Parks bin ich als Oberbayer da leider verwöhnt: Im Sommer gibt es keinen schönen See zur Abkühlung und von Bergen wie daheim keine Spur. Dafür erholen wir uns im nahegelegenen Taunus sowie in den Weinbergen des Rheingaus."

Benjamin Loos, lebt seit 2006 in Frankfurt und arbeitet als Dozent an der Universität

"Mich fasziniert an Frankfurt, wie unterschiedlich diese Stadt ist: Neben dem schicken Bankenviertel liegen Problemkieze, es gibt schöne alte Parks und vor allem ein sehr umfangreiches kulturelles Angebot.

Dem wird die Empfehlung der New York Times zwar kaum gerecht, aber immerhin nennen sie das Städel-Museum. Es gibt drei hervorragende Orchester, ein tolles modernes Ballett und die politische Kabarettszene ist schon seit den Sechzigern und Siebzigern ganz groß. Immer mehr Bars und Cafés machen die Stadt lebenswert. Und das Beste: Statt langer Bus- oder Bahnfahrten durch die Stadt ist man überall schnell mit dem Rad."

Veronika Stickel lebte von 2000 bis 2008 in Frankfurt und studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst.

"Von München aus mag die Wahl der New York Times verwunderlich wirken. Aber sie scheint mir ein deutlicher Beleg dafür, daß Frankfurts schlechter Ruf vor allem ein innerdeutsches Phänomen ist. Die Stadt ist um vieles besser als dieser Ruf. Gewiß, es ist offensichtlich eine Stadt des Business und das prägt ihr Erscheinungsbild. Es fehlt ihr alles Gemütliche. Aber hinter diesem ersten Einruck kann man eine große Offenheit erleben, die bürgerliche Gelassenheit der alten Freien Reichsstadt. Hier kommt man sich viel schneller näher als in den Kiezen in Hamburg oder Berlin. Im Gegensatz zur ausschweifenden Clubszene Berlins ist das Frankfurter Nachtleben sicherlich eher - sagen wir: konzentriert.

Aber darüber hinaus bietet die Stadt eine wunderbare Vielfalt, sie ist wahrhaft multikulturell und vielsprachig, es gibt großartige Museen und wieder ein gutes Theater, es gibt den Main und die wunderschönen Wälder von Odenwald und Taunus, und der Rhein ist nicht weit. Mich freut diese Empfehlung sehr."

Schriftsteller Thomas Hettche, lebte mehr als zwanzig Jahre lang in Frankfurt

"Frankfurt: Top-Ziel Deutschlands? Die Leute kommen und gehen hier. Vielleicht genau das richtige für Kurztrip-Touristen, die auf Hochhausatmosphäre, ein gutes kulturelles Angebot und eine überdimensional hohe Restaurantdichte stehen. In Frankfurt findet man fast alles und jeden - nur Föhn gibt's hier nicht! Aber das ist Geschmackssache ..."

Caro Zapf, lebt seit zwei Jahren in Frankfurt

"Frankfurt ist in der öffentlichen Wahrnehmung die Stadt des 'sch': schmuddeliges Bahnhofsviertel, schnöder Mammon in Bankentürmen, schummrige Apfelwein-Wirtschaften, in denen Einheimische überwiegend sch-Laute vor sich hinbrabbeln. Rischtisch wischtisch aus touristischer Sicht war Frankfurt bisher nicht. Aber überraschend ist die Wahl der New York Times nur für Leute, deren Frankfurt-Bild ausschließlich durch Vorurteile geprägt ist.

Kenner wissen schon lange um den besonderen Reiz von Deutschlands kleinster Großstadt, von ihrer seltenen Mischung aus regionalem Liebreiz und internationalem Flair. Lobend erwähnen die Tester aus New York die Wandlung des Bahnhofsviertels zur Ausgehzone, neue Restaurants der Spitzenklasse, das neue unterirdische Städel-Museum. Es gibt noch mehr, zum Beispiel einen wunderbaren Fluss, an dessen Südufer samt Museen sich Kunstfreunde leicht eine Woche aufhalten können. Durch die Hochhausschluchten weht der Geist von Freiheit, Offenheit und Toleranz. Der Spruch "frank und frei" kommt nicht von ungefähr. Das Beste an Frankfurt aber ist der Menschenschlag: unaufgeregt, freundlich, nicht süßlich, nicht bussi-bussi, nicht proll. Und auch die Investmentbanker sind kleinlauter geworden."

Harald Freiberger, seit vier Jahren SZ-Wirtschaftsredakteur in Frankfurt

"Auf die Frage, warum die Frankfurter Kunstakademie so erfolgreich ist, erwähnt der ehemalige Direktor der Frankfurter Städelschule, Nicolaus Hirsch, unter anderem, dass Frankfurt einfach ein idealer Ort sei. Schon weil man von der City, wo die Städelschule direkt am Mainufer liegt, in weniger als zwanzig Minuten in einer Abflughalle am Airport sein könne. Mit dem Fahrrad.

Wenn Frankfurt heute etwas zu bieten hat - und das ist vielleicht die entscheidende Qualität - dann kriegt das aber dafür auch jeder mit. In einer Stadt, in der mehr Arbeitsmigranten leben und arbeiten als in jeder anderen deutschen Metropole, hat man gelernt, sich zu öffnen und durchlässig zu sein. Und das, was man hat, wirklich jedem zugänglich zu machen. Kunststudenten, die füreinander kochen, können eine so offene und hoch geschätzte Location machen, wie der inzwischen auch in Soho, New York, hoch geschätzte Kunststar Michael Riedel mit seiner Montagsküche. Neue Clubs werden sofort auch von der Szene entdeckt. Und Museen sind nicht nur Kunsthäuser, sondern werden für die Arbeitsmigranten zur Begegnungsstätte.

Jetzt, wo bald die Europäische Zentralbank ihre Büros in einer Ikone der Frankfurter Moderne bezieht, die Philosophische Fakultät als Nachfolgeeinrichtung der Frankfurter Schule ins elegant renovierte ehemalige Headquarter gezogen ist, hat Frankfurt es geschafft - ist nicht nur Durchgangsstation, sondern, vielleicht endlich, auch Destination."

Catrin Lorch, Mitarbeiterin im Feuilleton der SZ, ist in Frankfurt aufgewachsen

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