"Neues Machu Picchu" in Peru:Das Rätsel der Mondpyramide

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Als auf der Pyramide im Norden Perus der Boden unter den Füßen des Archäologen Vargas nachgab, machte er eine sensationelle Entdeckung.

K. Englert

Der Ort scheint nicht von dieser Welt zu sein. Von der Anhöhe der Pyramide aus ist der Pazifische Ozean mit den endlosen Sandstränden sichtbar. Haltlos verliert sich der Blick am Horizont: Weite, nichts als grenzenlose Weite.

Pyramiden in Peru
:Das zweite Machu Picchu

Im Norden Perus stießen Archäologen auf versunkene Städte und Pyramiden, deren Reliefs von Kriegern und Fabelwesen erzählen.

Am Ufer duckt sich ein Fischerhäuschen inmitten eines Palmenhains. Im Hintergrund grünt üppige Pracht, Plantagen reihen sich an Plantagen. Es ist eine abgelegene Stätte, wo sich Himmel und Meer, staubiger Wüstenboden und blühende Natur berühren.

An diesem geheimnisvollen Ort bei Trujillo an der nordperuanischen Küste machte der Archäologe Denis Vargas im Oktober 2005 einen sensationellen Fund.

"Auf der obersten Plattform der Pyramide gab der Boden unter unseren Füßen nach", erzählt Vargas. "Wir gruben vorsichtig und entdeckten fünf Mumien. Unter den Leichnamen befand sich auch eine junge Frau, die aufgrund der Grabbeigaben eine hochrangige Person innerhalb der Mochica-Gesellschaft gewesen sein musste."

Vargas, ein sportlicher und eloquenter Mittvierziger, erklärt, dass die Mochica bis zum 7.Jahrhundert in dieser Meeresregion lebten und für ihre kunsthandwerklichen Fertigkeiten bekannt waren. Das könne man an der um 475 gestorbenen Frau erkennen, die mit Herrscherstab, Ringen, Diademen und Gesichtsmaske geschmückt war - alles aus purem Gold. Überraschend war der gute Zustand der Mumie, die viele Tätowierungen mit Schlangenmotiven aufwies.

Vargas und sein Team sicherten den Fundort.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Archäologen den Kulturschatz Perus in letzter Sekunde vor Grabräubern retteten ...

Peru
:Touristenzustrom bedroht Machu Picchu

Machu Picchu in Peru ist bei Touristen so beliebt, dass ihre Anziehungskraft zunehmend zur Bedrohung wird. Nun berät die Unesco darüber , ob die Inka-Stadt auf die Liste der gefährdeten Stätten gehört.

Den bis zur Pyramide sich erstreckenden Zeremonialplatz, an dem eindrucksvolle Wandreliefs der Mochica-Krieger freigelegt wurden, überspannten sie mit einer Zeltplane. Die vor 1500 Jahren gestorbene Señora de Cao, so nannten sie die geheimnisvolle Mochica-Herrscherin, wurde geborgen.

(Foto: Karte: SZ-Grafik)

Ihre Wohnstatt hat sie jetzt am Fuß der Pyramide im Museo Cao gefunden. Hinter einer Glaswand taucht die tätowierte Herrscherin wie aus dem Reich ewiger Dunkelheit auf. Umgeben ist sie von kunstvoll hergestellten Textilien, Tongefäßen, Waffen und Ritualgegenständen, die an der Pyramide, der Huaca El Brujo, freilegt wurden.

Niemals zuvor habe man in Peru eine besser erhaltene Mochica-Mumie entdeckt, sagt Denis Vargas. Auch nicht 1987, als er in Sipán mit Walter Alva, dem Nestor der peruanischen Archäologie, das legendäre Königsgrab entdeckte.

Als junger Student war Vargas mit dabei, als im Dorf Sipán bei Chiclayo die Grabkammer eines Mochica-Königs, des Señor de Sipán, aufgedeckt wurde. Der Fund übertraf alle Erwartungen. Vargas erlebte die Geburtsstunde der peruanischen Archäologie, denn plötzlich konnten Kulturen erforscht werden, die Jahrhunderte vor den Inkas existierten. Hollywood hätte diesen Krimi nicht besser erfinden können.

Im Februar 1987 rief die Polizei bei Alva an und forderte ihn auf, so schnell wie möglich nach Sipán zu eilen. Man habe huaceros, Grabräuber, festgenommen, die an der Pyramide von Huaca Rajada antike Grabstätten geplündert hätten. Alva und Vargas machten sich sofort auf den Weg, doch die Anfahrt vom fernen Lima war umständlich.

Als die beiden endlich ins Dorf gelangten, stellten sie erschrocken fest, dass sich die Neuigkeit schon verbreitet hatte. "Alles war voller Menschen. Sie gruben nach allem, was die Grabräuber vielleicht übersehen hatten."

Die Archäologen mussten die Huaca Rajada Tag und Nacht bewachen. Nur 20 Zentimeter über der Grabkammer des Mochica-Königs fanden sie später den Schuh eines Grabräubers. Die Diebe wären ihnen also fast zuvorgekommen und hätten die Ruhestatt aus dem 3. Jahrhundert beinahe geplündert.

Sämtliche Grabbeigaben - 600 Artefakte aus Gold, Silber, vergoldetem Kupfer, Edelsteinen, kunstvoll verarbeiteten Muscheln und Textilien - wären dann wohl in alle Himmelsrichtungen verstreut worden. Nun aber, freut sich Vargas, profitiere die gesamte Region um Chiclayo und Trujillo von den Funden.

Erst kürzlich wurde in Sipán ein Museum für neu entdeckte Priestergräber eröffnet. Und das nahe gelegene Städtchen Lambayeque leistet sich nach dem Museo Arqueológico Nacional, das auf die Sammlung des deutschen Ingenieurs Hans Heinrich Brüning zurückgeht, jetzt ein weiteres Archäologiemuseum - das Museo Tumbas Reales de Sipán, mit den großartigen Schätzen aus dem Königsgrab. Direktor ist Walter Alva.

Vargas, der zu den wichtigsten Erforschern der Prä-Inka-Kulturen gehört, ist davon überzeugt, dass sich in dem wüstenartigen Küstenstreifen zwischen Trujillo und Chiclayo noch so mancher Schatz verbirgt. Dagegen wirkt der südliche Altiplano mit seinen Touristenhochburgen Cuzco und Machu Picchu, der bereits 1911 entdeckten Inka-Stadt, lückenlos erschlossen. Das stört die Touristenschwärme freilich nicht.

Anders verhält es sich mit den Ausgrabungsstätten der Mochica, Chimú und Sicán an der nördlichen Pazifikküste oder der Chachapoya im Landesinneren.

Lesen Sie weiter, warum die spanischen Konquistadoren die Pyramide fluteten ...

Sogar an Sommertagen könnte man hier einsame Zwiesprache mit den Seelen der Ahnen halten. Vargas und seinen Kollegen, die vielerorts nach neuen Funden schürfen, ist das gerade recht. An der Mondpyramide der Mochica bei Trujillo sind ganze Hilfstrupps zugange, auch an den Sicán-Pyramiden von Tucume wühlen einzelne Grüppchen das Erdreich auf.

In Peru streitet man derzeit darüber, welche Ausgrabungsstätte sich mit dem Titel "Zweites Machu Picchu" schmücken darf. Der schwer zugängliche Gran Pajatén oder die Chachapoya-Stadt Kuélap, beide auf den Höhenzügen des Amazonas? Oder die Mond- und Sonnenpyramide der Mochica an der Pazifik-Küste?

Weil Kuélap und Gran Pajatén ein esoterischer Nimbus anhaftet, sollte niemand denken, die Mochica-Pyramiden bei Trujillo seien nur touristisches Pflichtprogramm. Sie gehören zu den ältesten Kultbauten in Peru, sind 700 Jahre älter als die Inka-Kultur.

Die Pyramiden an der kargen Küstenregion sind fremdartige Bauwerke. Eingehüllt in morgendliche Dunstschleier wirken sie unwirklich und archaisch. 30 Meter hoch, 160 Meter lang ist die Huaca del Sol, einst errichtet mit 140 Millionen getrockneten Lehmziegeln. Als schließlich die spanischen Konquistadoren auf ihrer Suche nach El Dorado ausgerechnet in der Sonnenpyramide Goldschätze vermuteten, fluteten sie das monumentale Bauwerk und hinterließen einen kläglichen Lehmhügel.

Am anderen Ende der Mochica-Siedlung erhebt sich die Huaca de la Luna, zu Ehren des Gottes Aiapaec. Auf der Pyramiden-Plattform zeigte sich der selbst wie ein Halbgott verehrte Herrscher seinen Untertanen, gehüllt in prunkvolle Gewänder, geschmückt mit goldenen Nasen- und Ohrringen sowie einem ehrfurchtgebietenden Kopfschmuck. Während die Bevölkerung auf dem Zeremonialplatz ausharrte, bestimmte der König, wer am Cerro Blanco, dem Weißen Berg an der Siedlung, den Tod finden sollte, um den grausamen Gott Aiapaec bei Naturkatastrophen gnädig zu stimmen. Je höher der gesellschaftliche Rang des Opfers, desto eher schien es möglich, den göttlichen Willen zu beeinflussen.

Vargas und seine Kollegen wollen das Geheimnis des Kultbaus lüften. Seit bekannt ist, dass die Mondpyramide im Verlauf von 500 Jahren aus insgesamt fünf übereinander liegenden Schichten aufgetürmt wurde, tragen die Archäologen Schicht für Schicht ab. So kommen Wandreliefs mit Kriegern, Spinnenwesen, doppelköpfigen Drachen und dem furchterregenden Aiapaec zum Vorschein - erstaunlicherweise nahezu unbeschadet, trotz ihres hohen Alters.

Vargas erklärt, die Mochica seien nicht nur an Überschwemmungs- und Dürrekatastrophen zugrunde gegangen. Sie hätten sich durch die vielen Menschenopfer ihrer eigenen Kräfte beraubt. Es folgte die Zeit der Chimú, die in der Wüste ihre Palaststadt Chan Chan errichteten. Wer an der nordperuanischen Küste entlangfährt, wird überall auf die Spuren dieser Kultur stoßen.

Die Leere der überdimensionalen Zeremonialplätze und Lehmpaläste von Chan Chan wirkt bedrückend. Doch der Ort erzählt nichts von Leiden und Gräueln. An den Palästen erkennt man nur stumme Zeichen - endlose Tier-Reliefs. Man muss sich die Hauptstadt der Chimú als einen quirligen Ort des Handels vorstellen, mit talentierten Töpfern, Gold- und Silberschmieden. Diese Kunde erreichte auch die goldgierigen Spanier.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wo in Peru die Himmelspforte zu finden ist ...

Sie trugen Chan Chan bis auf die Grundmauern ab. Zahllose Naturkatastrophen und der Sand von Jahrhunderten machten aus der Metropole vollends ein vergessenes Reich. Erst vor wenigen Jahrzehnten wurde Chan Chan vom Wüstensand befreit, und erst jetzt bekommt man eine Ahnung von der Größe dieser untergegangenen Kultur.

Die Distrikthauptstadt Chachapoyas liegt auf den bewaldeten Höhenzügen der Region Amazonas, 13 mühsame Autostunden von Trujillo entfernt. Auf der schlecht befestigten Hauptstraße muss man täglich mit Sperrungen wegen Überschwemmungen und Erdrutschen rechnen. Fernando Santillén, Biologe an der Universität von Chachapoya, ist sich der strapazenreichen Anfahrt bewusst.

Gleichwohl ist er davon überzeugt, dass finanzielle Hilfe aus Japan die Kolonialstadt etwas aus ihrer Abgeschiedenheit befreit hat. Der Pflanzenkundler und Hobby-Archäologe erhofft sich dadurch mehr touristischen Auftrieb. Er sagt: "In der schwach besiedelten Region Amazonas gibt es noch zahllose Siedlungsruinen zu entdecken."

Noch vor wenigen Jahren schaffte man die Serpentinenstrecke von Chachapoyas hinauf nach Kuélap lediglich mit Maultieren oder Motorrädern. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Die Fahrt mit einem robusten Pkw ist nichts für schwache Nerven. Es geht durch tiefe Schlammpfützen, vorbei an steilen Schluchten, über denen Papageienschwärme aufsteigen.

Im Dorf María freuen sich die Bewohner, dass sich mal wieder ein Tourist hierher verirrt hat. Auf 3000 Metern Höhe unter dräuenden Wolken gelegen, ist María die Himmelspforte zur abgeschirmten Welt der Chachapoya.

Nur wenige Kilometer später führt ein Fußweg zur Anhöhe, und kurz darauf taucht schon das sagenumwobene Kuélap auf. Eine massive Festungsmauer türmt sich auf. Dahinter verbirgt sich die im 8. Jahrhundert errichtete Chachapoya-Siedlung aus kreisrunden, mit Tier- und Götterfiguren verzierten Steinbauten. Damals war das Dorf umkämpft, heute ist es ein friedlicher Ort auf der Spitze steiler Berghänge, mit grasenden Lamas, tropischer Vegetation und weiten Ausblicken über die bewaldeten Täler hinweg.

Geschützt von der Wolkendecke und weitab von anderen Stämmen, fühlten sich die Chachapoya hinter den wehrhaften, 21 Meter hohen Festungsmauern 400 Jahre lang sicher. Nur ein einziger Krieger war nötig, um ein ganzes Heer abzuwehren.

Er brauchte sich nur hinter den schmalen, tiefen Eingangsbereich der Mauer zu stellen. Die Inkas siegten trotzdem. Als sie 1475 nach Kuélap kamen, dachten sie gar nicht an Kampf. Sie schnitten die Chachapoya einfach von ihren Nahrungsquellen ab, Widerstand leistende Bewohner unterwarfen und verschleppten sie. Dabei brannten die Angreifer die Häuser nieder und gingen auch sonst äußerst grausam vor.

So wuchs der Hass der Chachapoya, und so verbündeten sich die Besiegten wenig später mit den Spaniern gegen die Inkas. Aber die Konquistadoren fühlten sich keineswegs zu Dank verpflichtet. Bereits 100 Jahre später waren die letzten Chachapoya ausgestorben.

Noch ein halbes Jahrtausend danach gelten in Peru die alten Gesetze. Die am Amazonas lebenden Indianer kämpfen mit allen Mitteln um ihr Land, das die Regierung ausländischen Investoren anbieten wollte. Unter den grünen Bergen ist die Saat der Gewalt noch nicht verdorrt.

Und die Spuren der Kolonialherrschaft sind keineswegs verwischt.

Informationen:

Anreise: Die chilenische Fluggesellschaft LAN fliegt täglich von Frankfurt über Madrid nach Lima ab 699 Euro hin und zurück. Innerhalb Perus bietet LAN auch direkte Verbindungen zu allen wichtigen Städten wie Cusco, Trujillo, Iquitos, Chiclayo und Arequipa an, www.lan.com

Reisearrangement: Der Studienreiseveranstalter Ikarus Tours bietet eine siebzehntägige Rundreise mit Schwerpunkt auf archäologischen Stätten durch Nordperu an. Die Reise inklusive Flug kostet 3250 Euro pro Person, www.ikarus.com

Weitere Auskünfte: www.peru.info

© SZ vom 16.7.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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