Neue Hütten in Südtirol:Zu modern für den Berg?

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Disneyland! Ende der Gemütlichkeit! Der Bau von neuen Schutzhütten hat in Südtirol die Gemüter erhitzt. Ausgerechnet einer bleibt gelassen: der Wirt.

Von Dominik Prantl

Um es gleich vorwegzunehmen: Über die Edelrauthütte am Alpenhauptkamm saust noch immer keine Achterbahn hinweg. Auf der Terrasse steht auch kein Karussell. Nicht einmal Zuckerwatte, Gämsenabwehrspray oder wenigstens Südtiroler Berge in Miniaturformat gibt es zu kaufen. Nur die üblichen Hüttenschlafsäcke, Regenponchos oder auch T-Shirts mit einer lustig proportionierten Gämse darauf kann der Besucher erwerben. Und dann biegt mit Much Weissteiner auch noch ein Hüttenwirt ums Eck, der weder wie Aladdin aussieht noch wie Micky Maus, sondern einer, der mit grauem Vollbart, Bauchansatz und einer fast schon unverschämten Ruhe eben daherkommt wie ein ganz normaler Hüttenwirt, und der sagt: "Ich denke, dass hier wirklich vieles gelungen ist. Mir gefällt die neue Hütte gut."

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Viele neue Hütten in den Alpen brechen mit der gewohnten Optik. Das gilt auch für die Edelrauthütte in Südtirol.

Dabei war ja wirklich das Schlimmste zu befürchten gewesen, zumindest, wenn man Leserbriefe, soziale Netzwerke und Petitionen als Gradmesser für die Südtiroler Befindlichkeiten nimmt. Begonnen hatte alles damit, dass drei der insgesamt 26 Hütten in Landesbesitz wegen Altersschwäche abgerissen und neu wieder aufgebaut werden sollten. Im November 2011 lobte das Land Südtirol zu diesem Zweck einen Architekturwettbewerb für die Weißkugel-, Schwarzenstein- und eben die 1907 erbaute Edelrauthütte aus, und es liegt in der Natur der Sache, dass Architekturbüros des 21. Jahrhunderts den Begriff "Hütte" anders interpretieren als noch vor 100 Jahren.

Quantensprung in die Jetztzeit

Dementsprechend wollte auch keiner der Wettbewerbsteilnehmer ein quadratisches Steinhäuschen mit Giebeldach in die Landschaft mörteln. Und es liegt auch in der Natur der Sache, dass ein Teil der ohnehin eher konservativ gestimmten Wanderer- und Bergsteigergemeinde den giebeldächernen Steinhäuschen gerne nachtrauert. Entsprechend gewöhnungsbedürftig waren für das alpin geschulte Auge einige der Siegerentwürfe - auch wenn den meisten die Raumschiffoptik manch anderer Neubauten in den Alpen fehlte. Jedenfalls bildeten sich zwei Fronten heraus: dort die verkopften Künstler mit ihren komischen Ideen, hier die bodenständigen Berggeher mit ihrem Wunsch nach Vertrautem. In der Hüttenwirtsdiplomatie des Much Weissteiner klingt das so: "Die Leute tun sich immer schwer mit etwas Neuem."

Weissteiner war mit dem Alten durchaus vertraut. Seit 15 Jahren hat der Mittelschullehrer aus Brixen auf der Edelrauthütte das Sagen, seit 44 Jahren ist das Refugium auf 2545 Metern in den südlichen Zillertaler Alpen in Familienhand. Die Einweihung der neuen Hütte in diesem Sommer bedeutete auch für ihn einen Abschied und den Quantensprung in die auf Funktionalität ausgerichtete Jetztzeit des Alpintourismus. Weissteiner hat kein Problem damit; wieso sollte er auch. Zwar habe er auf das Äußere des Hauses - ein heller L-förmiger Holzbau mit großen Panoramafenstern und einer sich nach Westen hin öffnenden Fassade - keinen Einfluss nehmen können, aber dafür wurden "die Zimmer genau so gemacht, wie wir das wollten".

SZ-Karte: Mainka (Foto: N/A)

Durch eine etwas großzügigere Aufteilung der insgesamt 78 Schlafplätze ging deswegen das wohl nur bei Masochisten beliebte Massenlagerflair verloren. Trockenschränke im Eingangsbereich erlauben das Aufhängen eines durchschwitzten T-Shirts, ohne durch ein Dutzend nasser Softshell-Jacken Slalom laufen zu müssen, und im Untergeschoss hat wiederum Weissteiner massig Platz. Ein Batterienbataillon der Photovoltaikanlage arbeitet in einem eigens dafür vorgesehenen Raum für weniger Dieselverbrauch, und der Felsenkeller mit eingelagertem Käse und Schinken ist laut Weissteiner "mehr wert, als man jetzt denkt".

Warum der hohe, dezent mit diversen Hörnern und Geweihen geschmückte Speisesaal die Gäste bei kompletter Belegung doch arg zusammenrücken lässt, bleibt zwar ebenso Architektengeheimnis wie nur zwei Waschbecken im Männer-Sanitärbereich. Aber rein optisch? "Ein Gast meinte, dass es aussieht wie in einer Bahnhofshalle", und Weissteiner will damit sagen: nur ein einziger Gast. Und das, obwohl im August jeden Tag mehr als 50 Besucher übernachteten.

Der Wirt weiß natürlich, dass seine Edelrauthütte nach Plänen der Brixener Architekten Matteo Scagnol und Sandy Attia jenes der drei Gebäude ist, bei dessen Entwurf der vergleichsweise größte Konsens herrschte, während Bau und öffentliche Bewertung der besonders kontrovers diskutierten Schwarzenstein- und Weißkugelhütte noch ausstehen. Dennoch bleibt den Hüttenbauern fürs Erste der Triumph: Seht her! War doch gar nicht so schlimm.

Die Aussicht auf eine dreifache Demontage von der Weißkugel im Westen bis zum Schwarzenstein im Osten hatte ja nicht nur die Debatte entfacht, ob es denn wirklich eine "futuristische" Hüttenästhetik in den Bergen braucht, wobei offenbleibt, was darunter zu verstehen ist. Einige Gegner sahen offenbar gleich die gesamte Kulturlandschaft der Südalpen in Gefahr, andere nutzten das Thema als Vorlage für ein politisches Statement.

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Leserbriefe geißelten den Disneyland-Charakter samt Konsumalpinismus, Gastkommentatoren schrieben vom Verschandeln der Berge. Auf Facebook entstand als Folge der geballten Modernisierungsoffensive die Gruppe "Erhaltet die Südtiroler Schutzhütten und Almen", die zwar noch immer mehr als 5000 Fans zählt, aber an Aktivität eingebüßt hat. Als Gesichter der Gruppe sind weiterhin Spitzenbergsteiger wie Hans Kammerlander oder Tamara Lunger zu sehen, als Administrator im Hintergrund lässt sich unter anderen Elena Artioli finden, einst Mitglied der Südtiroler Volkspartei und Landtagsabgeordnete für die Lega Nord.

Tenor der Wortführer, ob Blog, Leserbrief oder Facebook-Gruppe: Wir sind natürlich ein total innovatives und auch offenes Land, aber nicht, wenn es um die Berge geht, da hört der Spaß auf. Vor allem dann, wenn der Spaß jeweils etwa drei Millionen Euro kostet und vom Land getragen werden muss, während sich die Architekten ein Denkmal auf Kosten von Berggemeinde und Gemütlichkeit setzen wollen. Dass tatsächlich ein Teil der alpinen Geschichte verloren gehen könnte, weshalb historisch besonders bedeutende Häuser wie die nur einen Bergkamm entfernte Berliner Hütte in Österreich allerdings unter Denkmalschutz stehen, spielte in all der Aufregung kaum eine Rolle.

Das Thema ist freilich kein originär südtirolerisches. Auch die Macher der Höllentalangerhütte an der Zugspitze in Deutschland galten zumindest bis zur Eröffnung im vergangenen Jahr als Henker der Heimeligkeit. Beim Schweizer Alpen-Club weiß man spätestens seit dem Bau der Monte-Rosa-Hütte, dass bei solchen Prestigeobjekten ganz besonders genau hingeschaut wird. "Aber vielleicht ist bei uns die Skepsis noch stärker ausgeprägt, weil man im touristisch geprägten Südtirol meint, diese traditionelle Form der Berghütten bieten zu müssen."

Der Satz kommt von Mateo Taibon, Gründer der wunderbar ironischen und eher kleinen Neubaugegner-Gegenbewegung "Erhalten wir unsere Höhlen - keine Naturverschandelung durch Häuser". Er sieht die Bergwelt geradezu als "prädestiniert für Avantgardistisches, für eine neue Sprache". Anders als in manchen Bergdörfern, in denen durch radikale neue Formen das Erscheinungsbild ganzer Ensembles verändert werde, habe in den Bergen das Experiment doch noch Platz. "Die Alpen als heile Welt erscheinen zu lassen, ist doch abwegig." Das von den Bewahrern propagierte Musterbild für Berghütten - gemütlich, nett, traditionell - nennt er eine "hineinprojizierte Idealvorstellung".

Das Holz der alten Hütte steckt in den neuen Innenwänden und der Theke - oder wird verheizt

Auf der Edelrauthütte wurde die alte Hütte übrigens keineswegs vergessen, sondern in den Neubau miteinbezogen: Die Bänke und Tische auf der Terrasse umrahmen den mit Steinen markierten Grundriss der Vorgängerin, wodurch ein auffällig großer freier Platz entstanden ist. Wer an den Innenwänden und der gefährlich einladenden Theke genau hinblickt, erkennt eindeutig, dass hier älteres Holz verarbeitet wurde. Auch hinterm Haus, wo der Weg zur Weißzintscharte und weiter in Richtung Hochfeiler führt, liegen noch ein paar Balken der alten Hütte. "Aber die werden verheizt", sagt Weissteiner.

Mit dem Holz wird sich vielleicht auch die Debatte in Rauch auflösen, zumindest bis zum nächsten Sommer. Dann soll die Schwarzensteinhütte fertig werden.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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