Nachtleben Williamsburg in New York:Brooklyn schläft wirklich nicht

Nachtleben Williamsburg in New York: Sieht zwar noch alternativ aus, ist aber schon richtig hip - und das Feiervolk aus Manhattan kommt auf die andere Seite: nach Williamsburg in Brooklyn

Sieht zwar noch alternativ aus, ist aber schon richtig hip - und das Feiervolk aus Manhattan kommt auf die andere Seite: nach Williamsburg in Brooklyn

(Foto: AP)

Williamsburg ist so hip geworden, dass die hippen New Yorker schon nicht mehr wissen, wohin sie in "Little Berlin" noch ausgehen sollen. Zum Glück öffnen immer wieder neue, besondere Clubs.

Von Kathrin Werner, New York

Samstagabend, 21.30 Uhr. Die U-Bahn von Manhattan nach Williamsburg ist voll mit jungen Leuten. Mädchen in kurzen Röcken bibbern in der Klimaanlagen-Kälte. Jungen mit Karohemden halten sich an den Stahlstangen fest. Einer hat einen Ghettoblaster dabei. Die Bahn ruckelt über den East River, rechts spannen sich die Manhattan Bridge und die Brooklyn Bridge über den Fluss, links leuchten das Empire State Building und das Chrysler Building. Die große, alte Skyline bleibt hinter den jungen Leuten zurück.

Vor ihnen liegt Brooklyn, liegen die spärlichen Lichter des Viertels Williamsburg. Am Fluss steht eine Handvoll neuer, gläserner Luxus-Wohntürme, aber sonst sind die Häuser hier niedrige Flachdach-Lagerhausklötze aus Backstein. Die alte Domino-Zuckerfabrik bröckelt vor sich hin. Und trotzdem fahren alle hier hin.

Former Domino Sugar Factory Slated For Mixed-Use Development

Williamsburg-Brücke, dahinter die alte Domino Zuckerfabrik.

(Foto: Bloomberg)

"Ich gehe eigentlich nur noch in Brooklyn weg", sagt Michael Swann, ein Freund von dem mit dem Ghettoblaster. "In Manhattan ist die Stimmung aggressiver, da sind mehr Besoffene und Angeber." Seine Freunde und er wollen erst einmal was trinken gehen, später vielleicht noch tanzen. Es gibt keine genauen Pläne, und genau das gefällt dem 23-Jährigen. "In Brooklyn kann man sich gut durch die Nacht treiben lassen."

Brooklyn. Einst war es hässlich und gefährlich hier, ein Viertel für die Leute, die sich Manhattan nicht leisten konnten. Lieder sind geschrieben worden vom harten Leben in Brooklyns Ghettos, vom Rapper Jay Z zum Beispiel, der aus dem Viertel kommt: "Brooklyn we go hard, we go hard!", singt er. Doch die rauen Zeiten sind längst vorbei.

Heute ist Jay Z Multimillionär, und das Magazin GQ hat Brooklyn zum coolsten Ort auf dem Planeten gekürt. Früher kamen die Menschen aus Brooklyn nach Manhattan, um auszugehen. Heute sind die U-Bahnen von Manhattan nach Brooklyn voll am Samstagabend, die von Brooklyn nach Manhattan fast leer.

Die besten kleinen Geschäfte, Restaurants, Bars und Clubs gibt es auf dieser Seite des East River - vor allem in Williamsburg. Brooklyn definiert sich nicht mehr über Manhattan, Brooklyn ist selbst cool.

An der Marcy Avenue steigen fast alle aus der J-Linie, auch Michael. "Nächstes Jahr ziehe ich nach Williamsburg, ich bin sowieso schon dauernd hier", sagt er. Er hat einen billigen Wohnheimplatz von seiner Universität in Manhattans East Village bekommen, aber all seine Freunde leben in Brooklyn. Sie wollen ihre Nacht in der Crown Victoria Bar beginnen, einer ehemaligen Werkstatt für Polizeiautos. "Da ist das Bier am besten", sagt Michael. Im Gänsemarsch quetscht sich das Grüppchen über die U-Bahn-Plattform.

Hier an der Marcy Avenue ist noch ein Rest des alten Brooklyn übrig geblieben. Es gibt Nagelstudios und McDonald's, den 99-Cent-Laden Loco-Crazy-Loco und chinesisches Essen aus Pappschachteln bei Fortune Place. Manhattans gelbe Taxis fehlen, die Bürgersteige sind voller Taubenkacke.

Ein paar Straßenecken weiter beginnt der hippe Teil Williamsburgs. Eine Lichterkette leuchtet im Baum vor einem roten Klinkerbau. Musik dringt auf die Straße, wenn sich die Tür öffnet: "When The Saints Go Marching In." Willkommen in der Bar Saint Mazie auf der Grand Street. Es ist noch einigermaßen leer um diese Zeit, an der langen Bar sind Plätze frei. Der Barkeeper trägt Hosenträger, fährt mit einem Stück Zitrone um den Rand der Cocktailgläser und kühlt sie mit Eiswürfeln auf die perfekte Temperatur herunter, bevor er den frisch geschüttelten Drink einfüllt.

Brooklyn, vor allem Williamsburg, ist das Epizentrum der Cocktail-Bewegung. Eigentlich darf man den Barkeeper hier nicht mehr Barkeeper nennen, sondern Mixologist. Die Getränke sind eine so große Kunst wie ein sorgsam gekochtes Dinner. Ein Hemingway Daiquiri schmeckt nach weißem Rum und Limettensaft und kostet zehn Dollar. An der Wand hängen alte Spiegel, die Decken-Ventilatoren werden durch Lederriemen in Gang gesetzt, auf dem Tresen leuchten Kerzen. Um 23 Uhr beginnt die Live-Musik. Das Trio A-Toner spielt Jazz. Inzwischen ist es richtig voll.

"Jetzt sind die ätzenden Leute aus Manhattan alle hier, und man kann nirgends mehr hin"

Aber wer richtig weggehen will in New York, darf nicht zu lange bleiben. New York, ja auch Brooklyn, ist keine Stadt des Verweilens. In Williamsburg gibt es eine Kneipe für jeden Geschmack. Im Post Office steht die Bar voller Flaschen, die Wände sind mit dunklem Holz getäfelt und die Whisky-Auswahl ist groß.

In Pete's Candy Store gibt es keine Süßigkeiten, aber billiges Bier und Rockmusik. Union Pool war früher mal ein Laden für Swimmingpool-Equipment, heute tanzen hier hübsche, junge Leute meist zu Indie-Rock und ohne Eintritt zu bezahlen. Im Hinterhof gibt es eine Taco-Bude. Es ist ein guter Ort zum Lockertanzen, bevor die ganz große Party beginnt. Es ist jetzt Mitternacht.

Der Rest der USA schläft, in "Little Berlin" steigt die große Party

Brooklyn ist übrigens die einzige Stadt Amerikas, in der die Menschen im Schnitt noch nach Mitternacht wach sind. Das Unternehmen Jawbone hat die Schlafdaten seiner Kunden ausgewertet. Die Firma verkauft Fitness-Armbänder und kann an den Bewegungsmustern ablesen, ob die Leute schlafen. Natürlich ist die Statistik nicht sehr verlässlich, schließlich trägt nur ein kleiner Ausschnitt der Gesellschaft solche Bändchen - aber gerade bestätigen sich die Daten: Brooklyn ist hellwach.

Für die große Party muss man fast an den East River heran, zur Wythe Avenue, der Tanzclub-Meile. Hier stehen die alten Lagerhäuser, über die Manhattanites einst die Nase rümpften und in denen jetzt ständig neue Clubs aufmachen. Wer es indie-rockig mag, kann Konzert, Trinken und Tanzen mit Bowling verbinden: Im Brooklyn Bowl ist die Tanzfläche gleich neben den Kegelbahnen. Aber gerade ist elektronische Musik im Trend - und die Schlangen vor den House-Diskos sind länger als vor dem Brooklyn Bowl.

Nachdem jahrzehntelang in fast allen amerikanischen Diskos Rockmusik schrammelte, es nur ein paar Untergrund-Rave-Clubs gab und die wenigen amerikanischen Fans nach Berlin pilgerten, ist die Musik nun im Mainstream angekommen in den Vereinigten Staaten - vor allem in New York. EDM nennen sie die Amerikaner, Electronic Dance Music.

Gerade hat ein neuer Club in einer alten Metallwerkstatt eröffnet, er heißt Verboten. Eintrittspreis: 40 Dollar. Der Name hat Geschichte, schließlich hat Disko-Chefin Jen Schiffer mit ihrem Mann John Perez mehr als ein Jahrzehnt lang halb-legale Raves in ganz New York organisiert. "Wir haben die Leute von Brooklyn nach Manhattan gezerrt. Irgendwann haben wir uns entschieden, die Party zu den Leuten zu bringen", sagt Schiffer. Brooklyn passe zu ihr. "Jeder hier arbeitet an einem Projekt aus Leidenschaft, es gibt so viel Kunst und Leben, wie ich das nur vom alten Manhattan kenne." Die Wythe Avenue, schreibt die New York Times, beginne langsam, sich anzufühlen wie "Little Berlin".

Um die Ecke vom Verboten steht der zwei Jahre alte House-Club Output. Der Eintritt kostet 30 Dollar und die Schlange ist die längste des Viertels. Die Bässe lassen den Bürgersteig beben, drinnen gibt es zwei Tanzflächen. Es ist schon um kurz nach Mitternacht voll - früh für New York. Die Gäste sind durchmischt, ein großer Teil ist unter 30, aber es gibt auch Ältere. Auf der Tanzfläche drängen sich neonbunte Transsexuelle und Neo-Gothic-Fans in Schwarz, junge Männer mit Wollpullis und Fusselbärten, andere mit Goldkettchen und Stiernacken und Frauen in High Heels oder Chucks.

Ein Inder zeigt seiner mexikanischen Freundin die Stadt, andere Leute sprechen Französisch, Deutsch oder Japanisch, ein Grüppchen adretter Investmentbank-Praktikanten aus den Niederlanden gräbt alle Frauen an. Der DJ Tin Man ist aus Wien angereist. Die Lichter blitzen bunt über die Gesichter, die Musik wummert im Magen, die Masse wippt im Takt.

Von der Dachterrasse aus sieht man die Skyline von Manhattan. Heather macht hier gerade Pause vom Tanzen. Ihren Nachnamen verrät sie nicht. Sie ist 40 und damit "eigentlich viel zu alt", sagt sie und bläst den Rauch ihrer Zigarette Richtung Stadt. Aber sie kennt die Party-Organisatoren und liebt die DJs, die heute auflegen. Sie geht schon seit 20 Jahren in New York aus und liebt und hasst es gleichzeitig.

"Erst war es toll in Manhattan, dann kamen die Schnösel und es wurde ätzend. Darum sind wir zum Feiern nach Brooklyn. Jetzt sind die ätzenden Leute aus Manhattan alle hier und man kann nirgends mehr hin", sagt sie. Sie nimmt sich immer wieder vor, nicht mehr so viel auszugehen, aber dann zieht es sie doch hinaus. "Dafür, dass ich eigentlich einen Scheißtag hatte, habe ich jetzt eine ziemlich gute Zeit."

Es ist noch gar nicht lange her, da wären Clubs mit 40 Dollar Eintritt, sauberen Toiletten und hochhackigen Partygirls in Brooklyn undenkbar gewesen. Brooklyn ist kein Abenteuer mehr, sondern Mainstream, man muss nicht mehr cool sein, um hierherzukommen. Inzwischen ist Brooklyn für alle da - was vielen der alten Brooklynites nicht gefällt, den jungen, mittellosen Künstlern, die vor der Gentrifizierung und steigenden Preisen in Manhattan geflohen sind.

Die Mieten sind inzwischen teuer hier, in Williamsburg wohnen jetzt Investmentbanker. Wer kein Geld hat, zieht immer weiter weg in immer entlegenere Teile Brooklyns, zum Beispiel nach Bushwick. Für Pessimisten wie Heather ist Brooklyn "over", das billige, freie, wilde Leben muss man woanders suchen.

Sogar Micheil Saakaschwili, Prada-Sonnenbrillen tragender Ex-Präsident von Georgien, lebt jetzt in Williamsburg, in einem der gläsernen Hochhäuser am Fluss. "Früher habe ich von Manhattan herüber geschaut, es war erbärmlich, es war Mafia, ein Ort, an dem Auftragskiller ihre Leichen ablegten", sagte er der New York Times. Jetzt sei die Atmosphäre in Brooklyn "jazzig". Er geht gern ins Wythe Hotel direkt neben dem Output, eines dieser schicken Etablissements, auf dessen Dachterrasse gut aussehende Menschen Selfies schießen.

Um 3.45 Uhr lässt man im Output die letzten Gäste rein, Schluss ist aber noch lange nicht. Heather geht wieder hinunter zum Tanzen. Einer der holländischen Praktikanten knutscht mitten in der Menschenmasse herum. Auf der Tanzfläche ist es knallvoll, schwitzende Körper an schwitzenden Körpern. Brooklyn: Die Stadt, die niemals schläft.

Die Ohren rauschen, die Füße schmerzen, es ist Zeit zu gehen. Zum Luftschnappen noch einmal hinunter zum East River, auf dem sich die Lichter des Empire State Buildings spiegeln. Wer nicht in der Stadt ist, kann auf die Stadt blicken. Manhattan ist Dekoration für das Nachtleben in Brooklyn. Und wer muss, rattert müde mit der U-Bahn zurück über den Fluss.

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Informationen

Wer eine Nacht in Brooklyns Clubs und Kneipen unbeschadet überstehen will, sollte vorher ein gutes Abendessen einnehmen. Das Menu des Traif (traifny.com) im Süden von Williamsburg ist spannend (zum Beispiel Bacon Doughnuts). Kneipen gibt es unzählige im Viertel, das spirituosenlastige Post Office (postofficebk.com) liegt direkt um die Ecke vom Traif. In der Bar Saint Mazie (stmazie.com) auf der Grand Street gibt es Live-Musik und hervorragende Cocktails. Und wer nicht im Traif war, kann gut das Restaurant direkt unter der Bar ausprobieren: Supper Club eignet sich auch für romantische Dates. Tanzen zu Bier und Schrammelmusik kann man in Pete's Candy Store (petescandystore.com). Und im Union Pool (union-pool.com) gibt es im Hinterhof Late-Night-Tacos. Nicht weit weg und besonders entspannt und billig ist es auch in der East River Bar (eastriverbar.com) - hier trifft sich übrigens auch der New Yorker Fanclub des Fußballvereins FC St. Pauli. Die größten Nachtclubs findet man auf der Wythe Avenue. Im Rock-Club Brooklyn Bowl (brooklynbowl.com) kann man auch ein paar Kugeln schieben. Techno gibt es im brandneuen Club Verboten (verbotennewyork.com) und im Output (outputclub.com). Es lohnt sich, vorher im Internet Tickets zu kaufen, das ist billiger. Und wer am nächsten Morgen nach durchzechter Nacht Heißhunger hat, sollte den Tag mit einem Brunch beginnen. In Williamsburg geht man am besten zum House of Small Wonder (houseofsmallwonder.com), wo man auch gut Hipster beobachten kann.

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