Nachtleben in Stockholm:Raus hier!

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Um zehn Uhr abends ist es noch taghell, wenn die Sonne langsam untergeht. Um drei Uhr geht sie wieder auf. Die Stockholmer nutzen diese Zeit. Schlafen kann man ja schließlich wieder im Winter. (Foto: picture alliance / dpa)

Der Sommer ist kurz in Stockholm, aber dafür sind die Nächte lang und hell. Nur in Clubs mit ganz strengen Türstehern kommt nicht einmal das Licht herein.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Bis Mitternacht tanzt Daniel unter der Brücke. Dann geht es im Wald weiter, das hofft der junge Schwede zumindest. Im Sommer gebe es in Stockholm manchmal geheime Konzerte, irgendwo draußen, erzählt er. Man erfahre davon nur, wenn man jemanden kennt, und Daniel kennt hier viele. Man müsse am richtigen Ort sein, um sich anzuschließen. Das Trädgården, "Der Garten", ist so ein Ort, eine Mischung aus Open-Air-Konzertgelände, Spielplatz, Nachtclub und Biergarten. Ein guter Ort für lange schwedische Nächte, in denen es kaum richtig dunkel wird und die Stockholmer so viel Licht und Sonne wie möglich tanken.

Das Trädgården liegt versteckt unter einem der größeren Verkehrsknotenpunkte der Stadt. Stockholm ist auf 14 Inseln gebaut. Wo sie sich nahekommen, verbinden oft gleich mehrere Brücken die Ufer. Im Süden der Insel Södermalm führen gleich drei große Autobrücken nebeneinander über das Wasser des Årstaviken. Kein schöner Ort, lebensfeindlich nahezu. Doch versteckt unter den vielspurigen Straßen, am Fuße der gigantischen Brückenpfeiler, liegt der bunteste Garten Stockholms.

Kleine farbige Häuschen schmiegen sich an den Beton. Riesige grüne Smileys hängen neben Discokugeln vom Himmel. Beleuchtete Kirchenfensterimitationen zieren hoch oben die Brückenpfeiler. Wenn keine Konzerte stattfinden, ist die Bühne ein vegetarisches Restaurant. Im Biergarten gibt es dafür Burger, sonst nichts. Eine Sitzgruppe aus Sofas in Sperrmüllqualität steht im Staub. Am frühen Abend scharen sich alle um die Boule-Plätze, Tischtennisplatten und einen Fotoautomaten, wie man ihn sonst in Bahnhöfen findet. Zwei vermummte Sprayer verewigen sich auf einem Baucontainer. In einer künstlerischen Pause zünden sie bengalische Feuer. Schon am Eingang hat eine riesige Asiatin die Besucher mit Glückskeksen beworfen. Ein Konzept ist nicht erkennbar: Im Trädgården soll jeder etwas finden, das ihm gefällt.

Diesen Freitagabend legt die Russin Nina Kravitz auf: feministischer Elektro - den Stockholmer Hipstern scheint das etwas zu sagen. Sie tanzen im Dunst der Nebelmaschinen, die gegen den Wind ankämpfen. Er zieht kräftig um die Brückenpfeiler. Wem kalt wird, der tanzt drinnen weiter, eine alte Fabrik dient gleichzeitig als Disco und Galerie. Cecelia, Joel und Ida sitzen noch draußen auf der Holztribüne und sehen den Tanzenden zu. Sie sind oft hier. In Södermalm, dem ehemaligen Arbeiter- und heutigen Kreativen-Viertel im Süden der Stadt, feiert man entspannter als nördlich der Gamla Stan, der Altstadtinsel im Zentrum. Dort oben zwischen Norrmalm und dem reichen Östermalm liegt das andere, das zweite Zentrum des Stockholmer Nachtlebens. Da sind die schicken Clubs, die noch teureren Bars. "Uns ist es zu hochnäsig", sagt Cecelia.

Es ist erst zehn. Die drei Freunde warten auf andere, die noch vorglühen. Alkohol ist teuer in Schweden, und am teuersten in den Kneipen und Bars. Deswegen sollte man nicht nüchtern kommen, aber nüchtern genug, um alle Fragen der strengen Türsteher anständig beantworten zu können. Selbst das vermeintliche Chaos im Garten unter der Brücke ist, wie eigentlich alles in Schweden, gut organisiert: Immer genügend Klopapier auf der Toilette, immer ausreichend Trinkbecher neben den kostenlosen Wasserspendern. Schon am Eingang erinnert ein Schild die Besucher daran, auch genug davon zu trinken.

Die Warterei vor dem Club zieht sich. Man vertreibt sich die Zeit beim Bingo-Spiel

Wer vor acht Uhr kommt, zahlt nichts, danach wird es am Wochenende alle zwei Stunden teurer, von 70 Kronen (etwa 7,80 Euro) bis zu 170 Kronen (etwa 18,90 Euro). Das machen viele Clubs in Stockholm so. Trotzdem wird die Schlange vor dem Trädgården oft erst ab neun Uhr richtig lang, "manchmal 400 Meter", sagt Betreiber Leo Forseell. Zwei Stunden dauert es dann, bis man drin ist. Forseell versucht, den Wartenden die Zeit mit Bingo-Spielen zu vertreiben, wer gewinnt, darf umsonst rein, und zwar sofort. Heute ist zwar nicht so viel los, Forseell hat trotzdem Stress. "Ich hatte den ganzen Tag Angst, dass es regnet", sagt er, ein junger Typ, den Kaffeebecher in der Hand, die Mütze ins Gesicht gezogen. Es hat nicht geregnet, der Himmel ist immer noch blau. Das Konzert endet um zehn, dann muss Forseell für einen nahtlosen Übergang sorgen. Wenn die DJs danach nicht rechtzeitig loslegen, laufen ihm die Leute weg.

Vom Trädgården ist es nur eine U-Bahn-Station zum Medborgarplatsen, dem Zentrum von Södermalm. Wer die Götgatan entlang dorthin geht, kommt am Himlen vorbei. Im 26. Stock eines Hochhauses kann man hier Cocktails trinken und ab halb drei Uhr nachts die Stadt langsam wieder hell werden sehen.

Schären vor Västervik in Schweden
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Eine Stadt, 5000 Inseln, das ist die "Perle der Ostseeküste", wie sich Västervik in Schweden stolz selbst nennt. Natürlich finden die Einwohner ihre Schären-Inseln noch viel schöner als die vor Stockholm. Wer mit ihnen Mittsommer feiern will, sollte dem zustimmen - und sich auch sonst mit den Bräuchen auskennen.

Der Sommer in Stockholm ist kurz, und so sind die Sommernächte. Beides nutzen die Schweden dafür umso intensiver. Sie erzählen, dass ihnen im Juni vier Stunden Schlaf ausreichen, dass in dieser Zeit eine besondere Energie liege. Um zehn Uhr abends ist es noch taghell, und auf der Götgatan sind viele Leute unterwegs, Feiernde genauso wie Familien mit kleinen Kindern. Es ist Ferienzeit. Fast kommt es einem so vor, als scheine immer noch die Sonne. Dabei geht sie gerade unter. Zwischen den hohen Gebäuden in Södermalms Zentrum sieht man das nicht. Das Sonnenlicht spiegelt sich immer noch in einigen Fenstern der oberen Stockwerke.

Am Medborgarplatsen, kurz Medis, trifft man sich, um dann weiterzuziehen in eine der vielen Kneipen im Viertel, Irish Pubs, Karaoke-Bars, After-Work-Partys mit Schlips. Wo immer es geht, sitzt man draußen, auch auf dem Medis haben die Bars längst ihre Tische rausgestellt. Doch hier will man nicht bleiben, die Ausläufer zu vieler verschiedener Songs mischen sich auf dem Platz. Am lautesten dröhnt die Musik aus dem Schnaps, das 5emtio4yra auf der anderen Seite hält gut dagegen. In der Mitte kämpfen Möwen um die Reste von Dönertaschen. Besser man setzt sich ein paar Straßen weiter auf die Mosebacke-Terrassen. Der Biergarten auf dem Hügel gehört zum ältesten Theater Stockholms. Von hier oben blickt man auf die Altstadt, das Wasser und die abendsonnenfarbenen Dächer.

Wenn die Sonne weg ist, sollte man ein wenig tiefer in die kleineren Straßen von Södermalm vordringen, weg von den offensichtlichen Party-Angeboten. Das Ugglan beispielsweise, "Die Eule", ist von draußen leicht zu übersehen: ein schlichtes graues Stahltor, dahinter führt eine steile Eisentreppe in den Keller. "Sie verlassen den amerikanischen Sektor", warnt ein Schild. Dahinter eröffnet sich ein weiterer Spielplatz für Nachtaktive: Shuffleboard, Tischtennis, Billard, Dart in bunt bemalten Gewölben und auf sandigem Boden. Dazu gibt es Bier aus Berlin oder Wein bei echtem Kerzenschein. Ein Leuchter mit mehreren Kerzen steht gefährlich nah neben einer der Tischtennisplatten, um die gut 20 Spieler im Kreis laufen.

Dem Heavy-Metal-Fan aus Lappland sind die Bierkrüge zu schwer

Man kann auch einen der offensichtlicheren Orte wählen: Das Debaser liegt direkt am Medis, im Bürgerhaus, gemeinsam mit einer Bibliothek und einem Schwimmbad. Das verleiht ihm zwar den Charme eines Behördengebäudes, doch unter anderem sind hier schon Bob Dylan und die Strokes aufgetreten. An diesem Abend ist nicht viel los. "Vielleicht, weil Metallica im Globe spielen", sagt die Frau hinter der Theke. Der Globe ist eine große Veranstaltungshalle weiter im Süden. Vom Medis aus kann man sie sehen, weiß und rund, wie ein gigantischer Golfball. Doch auch im Debaser braucht man eine Menge Leute, damit es nicht leer wirkt. Ob es noch voller wird? Die Bedienung schaut auf die Uhr, es ist nach Mitternacht. Unwahrscheinlich, dass hier noch viel passiert.

Umso erstaunlicher ist die lange Schlange vor dem Kvarnen, der "Mühle", auf der anderen Straßenseite. Es ist eigentlich ein rustikales Restaurant, schwedische Küche, Hering und Köttbullar, tschechisches Bier, Holzvertäfelung. Stieg Larsson ließ seinen Helden Mikael Blomkvist in der Millennium-Trilogie herkommen. Am Eingang muss jeder seine Jacke abgeben, die Aufbewahrung kostet 30 Kronen. Dafür bekommt man etwas geboten: Ein junger Mann balanciert drei Meter über dem Boden auf einer Leiter und einer Eisenstange, um die Jacken noch weiter oben aufzuhängen. Ordnung muss sein. Im Keller wird getanzt, oben herrscht Brauhausatmosphäre. An der Theke beschwert sich gerade Staffan aus Lappland über die massiven Gläser, in denen halbe Bierliter ausgeschenkt werden. "Die sind echt schwer." Der Heavy-Metal-Fan mit Flammen-Tattoo am Unterarm hat Metallica heute mal ausgelassen. Die habe er schon zu oft gesehen. Er war mit seinen Kumpels in der Karaoke-Bar um die Ecke. Viele Kneipen schließen um eins. Im Keller des Kvarnen wird weitergetanzt bis drei.

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Wer danach immer noch feiern möchte, muss Södermalm verlassen und auf die andere Seite der Gamla Stan. Rund um den Stureplan trifft sich, wer nicht in Turnschuhen tanzen geht. In den schicken Clubs geht es darum, gesehen zu werden. An den Türstehern vorbeizukommen, ist hier schwieriger. Die Spy Bar steht in dem Ruf, besonders ungnädige Aufpasser zu haben. Wer kann, schreibt Manager Zeke Tastas vorher eine Mail und lässt sich auf die Gästeliste setzen. Die Spy Bar ist eine herrschaftliche Wohnung, umgebaut zum Nachtclub. Sie spielen Michael Jackson, tanzen vor verzierten Kachelöfen. Zu größeren Schnapsbestellungen gibt es ein kleines Tischfeuerwerk. Die Luft wird immer schlechter, je mehr davon angezündet werden. Das zurückkehrende Tageslicht wird ausgesperrt, Rauchwolken ziehen um die Kronleuchter. Es ist kurz nach drei, bis fünf hat die Spy Bar geöffnet.

Draußen hat sich der Himmel von Taubengrau in ein helles Fliederfarben gewandelt. Die Vögeln zwitschern längst. Carl und sein Kumpel stehen schon eine Weile vor der Absperrung. Sie wollen hinein und warten geduldig. "Wenn wir in einer halben Stunde noch nicht drin sind, dann geben wir auf", sagt Carl.

© SZ vom 18.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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