Nachtleben Berlin:Die Feiermenschen winken artig zurück. Meistens.

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Tamara ist mit Ralf da. Ralf trinkt Sekt. Das typische Getränk der Linksradikalen. "Man muss auch mal seine Vorurteile abbauen", sagt Ralf, "da gibt es nämlich große Unterschiede. Es gibt schlechten Sekt und guten Sekt." Soso. Wovon lebt eigentlich Ralf? "Hab ein paar Jahre von Garderobe gelebt", sagt er. Ralf hat Kumpels, die eine eigene Firma gegründet haben und jetzt in Berliner Clubs die Jacken als Dienstleister aufhängen. "Es macht total Sinn, die Garderobe outzusourcen", findet Ralf. Mag sein. Wir lassen die linke Weltrevolution trotzdem mal wieder mit ihren Umsturzplänen alleine. Es ist ja schon nach zehn.

Das berühmte Berghain hinter dem Ostbahnhof wäre jetzt eine Option. Aber vom Berghain sagen selbst die Touristen, dass es inzwischen ein bisschen zu berühmt ist. Wir ziehen lieber noch ein Stück weiter zu einem Absturzklassiker, dem Golden Gate unter der Jannowitzbrücke.

Dort tropft um die Mittagszeit der Schweiß der letzten zwölf Stunden von der Decke. Es gibt in diesem beengten Betonbunker nur eine Ausguckluke mit rötlichem Plexiglas, hinter der die oberen Stockwerke eines Plattenbaus durchschimmern. Wer gerne Sauerstoff atmet, ist hier falsch. Die Musik ist aber prima.

Wer nicht zum Recherchieren da ist, hat um diese Uhrzeit zwei Möglichkeiten. Entweder er nimmt die letzte Gelegenheit der ersten Tageshälfte wahr, um einen Sexualpartner zu finden. Oder er legt ein paar Drogen nach. "Brauchst noch 'n bisschen Keta?", fragt eine, die ihren Namen lieber für sich behält. Ketamin gilt als ideales Betäubungsmittel für Katze, Hund, Pferd und Rind. Menschen scheint es zum Tanzen zu animieren. Wir bleiben beim Gin.

Das Wetter ist jetzt eh zu gut für diese verruchte Höhle. Den Nachmittag verdaddeln wir lieber unter freiem Himmel am Spreeufer. Bis zum Lichtpark tragen uns die räudigen Füße gerade noch. Von zwei bis halb vier legt dort "U so Witty" auf und macht seine Sache glänzend. Die Tanzfläche ist trotzdem leer, weil die Leute so gerne in Liegestühlen liegen, ihre Füße im Sand vergraben und sich fragen, wo sie die letzte Nacht verbracht haben oder wo sie die nächste verbringen werden. Wenn ein Ausflugsschiff vorbeikommt, winken die Touristen herüber und freuen sich, dass sie echte Berliner Feiermenschen fotografieren können. Und die Feiermenschen winken artig zurück. Meistens. Manchmal steht auch einer auf, zieht seine Hose runter und winkt mit dem Penis.

Plötzlich ist es spät. Wir müssen los. Die MS Hoppetosse steht ein ganzes Stück weiter flussaufwärts. Ende der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts schipperte sie als luxuriöser Passagierdampfer über die Nordsee. Im Zweiten Weltkrieg war sie als schwimmendes Lazarett im Einsatz. Jetzt ist sie das Schmuckstück der Berliner Sommerpartymeile. Dort soll dieser Tag ein angemessenes Ende finden. Im Unterdeck knarzen die Bässe und glucksen die Beats so herrlich ineinander, dass jede Ratte blöd wäre, die freiwillig das Schiff verließe. Oben an der Reling fühlt man sich zwischen all den tanzenden Matrosen mit Sonnenbrillen und Häschenohren wie Käptn Iglu auf großer Fahrt. Die Silhouette der Hauptstadt glänzt im schiefen Abendlicht. Wir treffen die zwei Drogen-Druffis aus dem Golden Gate wieder. Und sogar die knutschenden Mädchen aus dem Chalet. Sie reden nicht mit uns. Und wir nicht mit ihnen. Wir alle wissen, dass alles gesagt ist. Der Bass wird kurz wegbleiben. Dann wird er wieder einsetzen. Irgendwann kommt die Nacht. Und dann geht es von vorne weiter.

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