Nachtleben auf Städtereisen:Versteckspiel in Rom

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Ausgehen in Rom: der Klub Papageno (Foto: Philipp Crone)

Es ist gar nicht so leicht, die derzeit in Rom angesagten Klubs zu finden. Und nicht jeder kennt das richtige Passwort - oder den geheimen Klub-Eingang in der Telefonzelle.

Von Philipp Crone

Um zwei Uhr morgens stehen 83 Menschen vor einer abgedunkelten Pizzeria. Die meisten rauchen. Der Türsteher geht eine Gästeliste durch. Aber was wollen die Leute da drin? Das Restaurant ist menschenleer.

Ein paar Bistrotische, dahinter führt ein schmaler Gang zu den Toiletten. Eine Fünfergruppe verschwindet dort, kurz danach drei weitere Männer, dann vier Frauen. Am Ende des Gangs ist die geschlossene Glastür einer Telefonzelle mit Fernsprecher zu sehen. Eine der Frauen öffnet die Zelle und drückt die Klinke neben dem Fernsprecher. Die Rückwand öffnet sich: Elektrobeats, Hitze und Laserstrahlen quellen heraus. Willkommen im Papageno, einem vor vier Monaten eröffneten Klub.

Willkommen im neuen römischen Nachtleben: Der DJ zupft an den Reglern des Mischpults, langbärtige Männer in Westen und langbeinige Frauen in Latexhosen ruckeln mit, so gut es geht, eigentlich ist es zum Tanzen zu voll. Den Scotch im Plastikbecher gibt es für zehn Euro, den durchschnittlichen Gast im Alter von 25 bis Ende 30.

Es hat sich viel verändert in den vergangenen Wochen an der Ecke der Viale Aventino 123, gleich beim Verkehrsknotenpunkt Porta S. Paolo. Und es hat sich viel verändert in Rom bei Nacht in den vergangenen Jahren.

15 Meter sind es von der geschlossenen Pizzeria zum versteckten Klub. Es ist auch eine Zeitreise. Vom eher plumpen Klubleben mit Großraumdiskotheken der früheren Jahrzehnte hin zu den neuen, kleinen, verspielten Barklubs.

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Freitagabend. Die Apartment Bar liegt in der Nähe des Hauptbahnhofs von San Lorenzo im Univiertel. Im September hat Marco di Lullo eröffnet, Publikum und Drinks ähneln denen im Papageno. Im hinteren Bereich legt ein DJ Funkmusik auf. Die Einrichtung: cool und gebraucht statt clean und gebürstet.

Ein Hirschgeweih aus Pappmasché hängt an der weinrot gestrichenen Wand, darunter ein aufgemalter und mit LEDs beleuchteter Kamin. Von der Decke hängen Glühbirnen in allen Farben. Man trägt universell großstädtisches Outfit, von Hemd über Motto-Shirts bis Lederjacke. Wichtig ist hier: nicht zu aufgestylt.

Marco di Lullo, der Betreiber, arbeitet seit 20 Jahren im römischen Nachtleben. Als er anfing, war die Feier-Philosophie in der Stadt eine ganz andere. "Damals ging es darum, möglichst bedeutende DJs zu engagieren und in die paar wenigen großen Diskotheken zu bekommen." Irgendwann sei dann überall alles gleich gewesen, die immer gleichen Musikmacher in immer gleichen Riesenräumen. "Damals hieß weggehen: sich in die Schlange stellen, an der Tür ausgemustert werden oder viel Eintritt zahlen."

Die Einrichtung in der Apartment Bar: cool und gebraucht statt clean und gebürstet. (Foto: Philipp Crone)

In dieser Hinsicht habe sich das Angebot stark verändert. "Man bietet den Gästen heute Orte, an denen sie keinen Eintritt zahlen und alles machen können, worauf sie Lust haben. Musik hören, tanzen oder nur reden, eine Kleinigkeit essen, etwas Gutes trinken, weiterziehen."

Schräg gegenüber der Apartment Bar ist das Luppol 12, das mit der Aufschrift wirbt: "Solo birre artigianali", nur handgemachtes Bier. Ein Kellergewölbe. Auf der Via Portuense lädt das 4:20 ebenfalls in ein Gewölbe, ebenfalls mit Dutzenden Bieren aus aller Welt. Getrunken wird aus Einmachgläsern, zu den Pommes gibt es Mayonnaise mit Whiskygeschmack.

"Die Veränderung hat auch mit der Krise in Italien zu tun", sagt Marco di Lullo. Man könne nicht mehr zig Euro Eintritt bezahlen. 20, 30 Euro hat es zu den Hochzeiten gekostet, wenn man im klassischen Weggehviertel Testaccio einen der Riesenläden besuchen wollte. Heute ist dort wenig los.

Ein paar neonröhrig erhellte Stände mit einsam vor sich hinrotierenden Dönerspießen erhellen die Straßen, vor den Diskotheken Coyote, Muzak und Alibi stehen einsame Türsteher in tarnfarbenen Hosen. Die Klubs sind nicht zu übersehen - und auch nicht, dass niemand drin ist.

Das umgekehrte Prinzip funktioniert offenbar besser. Verspielt, versteckt, verrückt. Unter den Individualisierungstrend der Nachtszene fallen auch die neuen Speakeasy-Lokale. Zur Prohibitionszeit entstanden sie als geheime Bars in den USA. In ihnen konnte man trotz des Verbots Alkohol konsumieren. In Rom hat man den Eindruck, dass hier Genussmenschen oder solche, die sich dafür halten, ungestört von grölenden Erasmus-Studenten-Horden, Touristen und allgemein uncoolem Volk ihre Edeldrinks zu sich nehmen wollen. Wunderbar zu sehen ist das im Circolo Coda di Gallo, einer Bar direkt am Campo de' Fiori.

Wie lautet der Code?

Hier ist an der Via del Pellegrino 13 ein lautes Semesterfest im Gange. Hängehosenträger stehen mit Weinflaschen in der Hand auf dem Pflaster, während der Kenner - schon damit vermittelt die Bar dem Gast ein erstes Hochgefühl - das richtige Klingelschild eines Mehrfamilien-Palazzos bedient und ein Codewort in die Sprechanlage flüstert. Durch einen dunklen Hausgang geht es zum Empfang, wo man sich mit E-Mail-Adresse ausweisen muss, ehe man über eine Wendeltreppe in das Kellergewölbe darf.

Die Einrichtung: Klassenzimmerstühle, Flohmarktmöbel, nackte Glühbirnen. Die Einrichtung entspricht dem derzeitigen Barcode in den angesagten Modelokalen, ob in Rom, London, New York, München oder Mailand. Für das Circolo Coda di Gallo bekommt man monatlich ein neues Codewort zugeschickt, im seit 2010 bestehenden Jerry Thomas nur 200 Meter weiter wird die Geheimhaltung noch stärker zelebriert.

Durch diese dunkle Gasse muss er kommen: Draußen Altstadtflair, im Jerry Thomas empfängt einen das New York der zwanziger Jahre. (Foto: Philipp Crone)

Das goldene Klingelschild in einer winzigen Nebengasse trägt die Aufschrift "Prof. Jerrj Thomas". Das Schild rutscht zur Seite, Augen werden dahinter sichtbar. "Das Passwort?" Das hat man sich auf der Webseite durch das Lösen eines Rätsels erarbeitet.

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Drinnen empfängt einen das New York der zwanziger Jahre. Streng genommen ist das nicht ganz richtig, denn Jerry Thomas, der 1832 geboren wurde und in New York zum ersten modernen Barkeeper in der ersten modernen Bar wurde, lebte 100 Jahre früher. Aber sonst stimmt hier alles, die Mustertapete, Kerzen, Tischlampen, Vitrinen, ein Piano und Regalecken mit alten Bildern. Barkeeper mit Hut, Bart und Weste. Und mit einer großen Auswahl möglichst ursprünglicher Spirituosen.

Der Bargast 2014 trinkt moderne Drinks, und die sind retro. Ins Glas kommt beispielsweise Bourbon, hergestellt wie im 18. Jahrhundert, oder Wermut. Auch dieser Trend ist nicht auf Rom beschränkt. Aber im Jerry Thomas wird er wunderbar vorgelebt.

Im Klub Jerry Thomas (Foto: Philipp Crone)

Und wenn nicht alt, dann wenigstens selbst gemacht. Wie etwa der Cue Delight Sour im Jerry Thomas für zehn Euro - mit Rum, Vanillesirup, Limettensaft, Ingwer und Gurke. Dazu ein Bergamott-Bitter. Der Chef des Jerry Thomas, Alessandro Procoli, ist 42 Jahre alt und schon seit Jahrzehnten im römischen Nachtleben unterwegs. "Das Angebot ist heute spielerischer, individueller und breiter als früher", sagt er. "Die Leute legen mehr Wert auf Qualität, bei den Drinks und beim Ambiente."

Wenn es bei Procoli im Speakeasy klingelt, dann hört das jeder Gast, und so soll das auch sein. Der Herr im Karosakko neben dem Piano gibt den entspannten Zigarillo-Zieher und nippt nur ab und zu an seinem House Manhattan (Rye Whiskey, dazu Wermut und ein Bitter aus den Abruzzen). Die Bedienung bietet mit Samthandschuhen Zigaretten aus dem Silberetui an, viele der Angestellten sind Schauspieler. So lässt sich vielleicht erklären, dass man durch den seichten Dixieland-Tonteppich, die Einrichtung und die kräftigen Cocktails ein wenig in Zeiten eintaucht, zu denen eigentlich alles möglich war und nicht alles eigentlich unmöglich.

Kioske sind zu Freiluftbars mit DJ-Beschallung geworden, für die vielen lauen Abende

Viel Neues ist in Rom auch tagsüber zu sehen. Die Diversifizierung der Lokale ist so ausgeprägt, dass man nicht mehr wie früher einfach in ein Viertel marschiert und dort zu suchen beginnt, sondern die It-Orte über die Stadt verteilt sind. Etwa das Brunch-Boot Baja, das auf dem Tiber schunkelt. Hier kann man beim Frischkäsebagel den Ruderern zusehen.

Oder das Veranda, das im Kinofilm "La Grande Bellezza" zu sehen ist, wenn die von der Dekadenz gelangweilte Hauptfigur zur Ablenkung eine Tabledancerin ausführt. Natürlich ist es in einem historischen Gewölbe untergebracht, gleich beim Vatikan, dazu hat es aber aktuelle Preise und amerikanischen Kaffee. Weitere Treffpunkte der Jüngeren sind die Kioske.

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Vor dem Papageno steht ein Chiosco, der demnächst nachts auch mit einem DJ bestückt wird. Freilichtbars sind das, gedimmte Draußenklubs mit Musik in Zimmerlautstärke für die vielen lauen Abende. Wie auch das Kiosk Tram Depot an der Via Marmorata beim Testaccio oder der Kiosk an der Ponte Milvio. Lieber dort den Aperitiv nehmen als in Trastevere. Vielleicht ins Etabli, einem Abendstarter mit feiner Getränkekarte, oder ins Il Fico, beide nahe der Piazza Navona.

Ein Muss ist der frühmorgendliche Snack. Döner in Berlin, Wurst in Wien, Cornetto in Rom - das gehört zur Tradition. Zum Beispiel im Dolce Notte im Testaccio. Da wird am Sonntagmorgen um vier Uhr zäh um die letzte (die erste?) Telefonnummer des Abends gekämpft, mit Puderzucker im Vollbart und Schokoflecken auf dem Lederschuh. Damit endet die Nacht, verspielt, versteckt und zum Schluss noch ein bisschen versüßt.

© SZ vom 17.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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