Süddeutsche Zeitung

Nachhaltiges Reisen:"Für den Urlaub geben wir uns eine Ausnahmegenehmigung"

Tourismusforscher Wolfgang Günther erklärt, warum Vorsätze und Verhalten so weit auseinanderklaffen, wenn es um nachhaltiges Reisen geht - und worin die Chance liegt.

Interview von Irene Helmes

Im Januar und Februar organisieren besonders viele Deutschen ihre Urlaubsreisen für das Jahr. Aber werden sie dabei auf Nachhaltigkeit achten? Die Grundlagenstudie "Nachhaltige Urlaubsreisen: Bewusstseins- und Nachfrageentwicklung" kam kürzlich zu "ernüchternden Ergebnissen". Demnach gaben 2019 in repräsentativen Befragungen nur vier Prozent der Deutschen an, Nachhaltigkeit sei zuletzt ausschlaggebend bei ihrer Entscheidung für eine Reise gewesen - obwohl 56 Prozent das eigentlich wichtig fanden. Wolfgang Günther hat die Studie des Instituts für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT) mitverfasst und sieht in diesen Widersprüchen sogar Potenzial.

SZ: Woran liegt es, dass gerade bei Urlaubsreisen selten gute Vorsätze umgesetzt werden?

Wolfgang Günther: Man reist, um sich selbst Gutes zu tun - und nicht der Umwelt. Man möchte es sich schön machen, Freude am Leben haben, dem Jahr einen Höhepunkt geben. Wenn es dafür nötig ist, mit Vorsätzen zu brechen, tun wir das: Für den Urlaub geben wir uns eine Ausnahmegenehmigung. Man macht einen Urlaub nicht weil, sondern obwohl man sich nachhaltig verhalten will.

Wie stark klaffen Einstellung und Verhalten deutscher Urlauber konkret auseinander?

Ganze 56 Prozent sagen, sie möchten nachhaltig verreisen. Doch wenn man genauer fragt, reduziert sich die Zahl wesentlich. Für 23 Prozent war es bei der tatsächlichen Reiseplanung zuletzt ein Aspekt unter mehreren, aber ausschlaggebend nur für vier Prozent - eine große Lücke.

Wie werden diese Widersprüche innerlich wegargumentiert?

Die Menschen sagen: Ich möchte eigentlich nachhaltig reisen. Aber dieser Urlaub soll am Meer sein, an einem ganz bestimmten Ort, weil er auf Bildern so hübsch aussieht. Es soll Wlan in der Ferienwohnung geben, ich finde keinen Bus zu den Ausflugszielen und brauche also doch ein Mietauto. Der Wunsch nach Nachhaltigkeit ist einer unter sehr vielen, die man an ein Urlaubsziel hat - und hat am Ende oft nur noch geringe Bedeutung.

Ein Test der Buchungsplattform Booking.com hat ergeben, dass Kunden sich von Hotels mit der Kennzeichnung "eco-friendly" sogar eher abschrecken ließen.

Das stimmt, wir haben dazu auch eine Studie gemacht. Befragte unterstellten umweltzertifizierten Unterkünften oft, dass sie teurer seien. Reisende wägen ab: Was finanzielle Kosten betrifft, aber auch die Mühe, Angebote zu finden - oder wenn es um Abstriche geht, weil zum Beispiel nur im Nachbarort des Wunschziels eine zertifizierte Unterkunft buchbar ist. In der anderen Waagschale liegen die erwarteten Vorteile einer nachhaltigen Reise - etwa ein besonders schönes Hotel oder Prestigegewinn im persönlichen Umfeld. Oder es kann einem einfach ein gutes warmes Gefühl geben, sich "richtig" und verantwortlich zu verhalten. Es geht letztlich um eine mehr gefühlte als gedachte Entscheidung.

Gibt es Unterschiede zwischen Alt und Jung, Besser- und Geringverdienern?

Nachhaltig reisen wollen eigentlich alle, besonders Menschen mit höherer Bildung und höherem Einkommen. Gleichzeitig sind aber genau sie bei den Flug- und Fernreisen ganz vorne mit dabei, weil sie das Geld haben.

In Ihrer Studie ist die Rede von Einstellungsunterschieden je nach gewähltem Reiseziel.

Zum Beispiel fanden Deutsche, die zuletzt in Österreich oder Skandinavien waren, Nachhaltigkeit zu 38 beziehungsweise sogar 48 Prozent besonders wichtig. Bei US-Besuchern taten das nur acht Prozent, bei Ägypten-Urlaubern zwölf Prozent. Menschen rechtfertigen gerne das, was sie tun, rückwärts über ihre Einstellungen. Ein Vielflieger findet Flüge eher nicht so schlimm. Umgekehrt kann jemand mit Flugangst leichter sagen, er verzichte gerne darauf. Und jemand, der schon immer in Österreich auf einem Bauernhof urlaubt, kann gut erklären, er tue das wegen der Nachhaltigkeit - was ja stimmen mag.

Sie weisen darauf hin, dass immer mehr und weiter geflogen, aber nicht mehr Zeit am Urlaubsort verbracht wird.

Ja, es gibt immer mehr Mobilitätsaufwand pro Urlaubstag. Das ist also schlechter geworden, obwohl es die Klimadiskussion nicht erst seit vergangenem Jahr und Fridays for Future gibt.

Was muss passieren, damit mehr Deutsche ihr Reiseverhalten ändern?

Es geht immer um Kosten und Nutzen. Nachhaltigkeit muss im Vergleich zu gewohnten Reisen günstiger werden, etwa durch CO₂-Bepreisung. Aber nicht nur die Politik, auch die Branche kann viel tun. Wenn man immer wieder daran erinnert wird, dass nachhaltiges Reisen eine tolle Sache ist, dass es Spaß macht, dann gibt das den Leuten einen Schubs. Es muss leicht sein, nachhaltiger zu reisen. Es macht einen Unterschied, ob es in einem Prospekt irgendwo im Kleingedruckten steht oder offensiv zum Thema wird. Es ist auch eine Frage von Unternehmensstrategien, welches Entscheidungsumfeld für Kunden geschaffen wird. Und besonders bei den vielen Menschen, die gerne ökologisch und sozial verträglich reisen wollen, wie gesagt der größere Teil der Bevölkerung, gibt es da Ansatzpunkte.

Trotz der "ernüchternden Ergebnisse" der Studie sehen Sie also Chancen?

Wenn man diese 56 Prozent sieht und die vier Prozent daneben, denkt man natürlich, das geht doch völlig in die falsche Richtung. Aber auch wenn die entsprechenden Buchungen noch so gering sind, bedeutet die hohe Zustimmung zur Nachhaltigkeit hohes Potenzial. Wenn den Leuten alles komplett egal wäre, würde man sich zwar weniger über ihr gegenteiliges Verhalten wundern. Aber dann lägen darin auch nicht so große Möglichkeiten.

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