Nachhaltiges Reisen:Island unter Strom

Islands Ringstraße, im Bild die schwarzen Klippen von Djúpivogur, kann man bei guter Planung auch im Elektroauto befahren.

Islands Ringstraße, im Bild die schwarzen Klippen von Djúpivogur, kann man bei guter Planung auch im Elektroauto befahren.

(Foto: Mauritius Images / Christina Sim)

Der Osten der Insel ist wild und nichts für schwache Nerven. Das gilt ganz besonders bei einer Reise mit dem Elektroauto.

Von Ingrid Brunner

Man hätte jetzt gerne Hammerhai-Augen, um mit einem weiteren Blickwinkel all die herbe Schönheit erfassen zu können. Auf der Straße 910 von Egilsstaðir hinauf nach Laugarfell breitet sich auf 835 Meter Höhe eine unfassbar weite Hochebene aus. Verwittertes, mit Flechten bewachsenes Geröll und Heide, die sich in Mulden duckt. Dazwischen glitzern im wechselnden Licht kleine Tümpel und Rinnsale.

Bloß ist für dieses Hammerpanorama im Moment so gar keine Zeit, stattdessen starrt man mit wachsender Panik auf die Batterieanzeige. Je länger und je steiler es bergauf geht, desto schneller schwindet die Reichweite des Elektroautos, wie Gletschereis in der Sonne. Jetzt sind da auch noch Schafe, mitten auf der Fahrbahn säugen sie ihre Jungen. Sie glotzen das nahende Fahrzeug an. Die Tiere nehmen ein Auto ohne Motorengeräusch offenbar nicht ernst. Da hilft nur Hupen. Schafft man es noch bis zum Gästehaus Laugarfell? Dort warten zwei Hot Pots, man könnte herrlich im Thermalwasser entspannen. Noch wichtiger: Dort wartet eine Ladestation.

Für Letztere hat Pálli gesorgt: Páll Guðmundur Ásgeirsson ist der Manager der einsamen Herberge. Sie liegt am Rand des Vatnajökull-Nationalparks, soeben zum Weltnaturerbe gekürt und Schauplatz einiger Szenen der Fernsehserie "Game of Thrones". Der Park ist 14 700 Quadratkilometer groß und bedeckt 14 Prozent der Fläche Islands. Die Ladestation mitten in der Leere des Hochlands ist Teil einer Kampagne der Region Ostisland, eine Infrastruktur für Elektroautos aufzubauen.

Ein naheliegender Gedanke auf einer Insel, die dank ihrer Geologie mit regenerativen Energien beschenkt ist und ihren Strom zu hundert Prozent aus Erdwärme und Wasserkraft gewinnt. Während Elektromobilität um die Hauptstadt Reykjavík schon recht gut eingeführt ist, kommt eine Reise im dünn besiedelten Osten einer kleinen Expedition gleich. Wer dort mit dem Elektroauto reist, sollte etwas Pioniergeist mitbringen - und die Route sorgfältig planen. Es ist ein wenig wie einst bei den Cowboys, die es auf ihrem Weg nach Westen immer von einem Wasserloch zum nächsten schaffen mussten, um Mensch und Pferd tränken zu können. Hier gilt es, zuverlässig von einer Ladestation zur nächsten zu kommen. Pálli sieht das locker, auch dass der Strom am Ladegerät abgestellt ist, was erst mal für einen weiteren Adrenalinschub sorgt. Er zuckt mit den Achseln und schaltet den Strom an: "Es kommen halt noch nicht so viele Leute mit E-Autos hier herauf", sagt er, "du bist die Dritte - in eineinhalb Jahren."

Jón Steinar Garðarsson Myrdal nickt verständnisvoll. "Range anxiety", Reichweitenangst also, sei ein verbreitetes Phänomen bei Menschen, die mit dem Elektroauto unterwegs sind. Er kümmert sich in der Tourismusregion Ostisland um nachhaltige Mobilität. Aktuell gibt es in Ostisland 13 Ladestationen. Die Region arbeitet aber gemeinsam mit dem Energieversorger On Power, der auch Ladechips und Ladekarten bereitstellt, daran, die Infrastruktur zu verbessern. Für dieses Jahr peile man 20 Stationen an. Aber Elektromobilität ist nur eine Facette der Strategie, mit der man den Tourismus in Island in die Zukunft führen will. Das Ziel seien "fossil free holidays", CO₂-neutrale Ferien.

Nachhaltiges Reisen, wie sich die Touristiker das für Ostisland vorstellen, bedeutet vor allem Entschleunigung. Letztere ergibt sich mit dem Elektroauto ganz zwangsläufig, wenn der Ladevorgang schon mal vier oder mehr Stunden beansprucht. Auch will man die Besucherströme lenken. Anders als an einigen Brennpunkten um die Hauptstadt, etwa am Golden Circle, hat Ostisland kein Problem mit Übertourismus und bietet noch jede Menge Entdeckerpotenzial. Zielgruppe seien Individualtouristen - statt Busladungen voller Menschen, die nur kurz aussteigen, fotografieren und wieder abfahren. "Wir wollen den Gästen unsere versteckten Perlen zeigen", sagt Pálli. Zum Beispiel auf dem "Waterfall Trail" in Laugarfell, auf dem man kaum Menschen trifft, dafür aber fünf Wasserfälle sieht - und bei guter Sicht den Berg Snæfell, für die Isländer die Königin der Berge.

Raues Land, kreative Menschen

Pálli und ein paar Freunde haben den Weg mit Stöcken markiert. Bei Schneetreiben (es ist Anfang Juli) zeigt er seine Lieblingsstelle am Faxi-Wasserfall. Dort treffen zwei Flüsse aufeinander, einer führt blaues Gletscher-, der andere grünlich-trübes Sedimentwasser. Gemeinsam stürzen sie in einen Canyon, der flankiert ist von gigantischen Basaltsäulen, die aufragen wie in einer gotischen Kathedrale. "Wir haben hier so viele Flüsse und Wasserfälle, dass wir nicht jedem einen Namen geben", sagt Pálli. Nur wichtige bekommen einen, wie etwa der Faxi, zu Deutsch Pferdeschwanz, der Kirkjufoss oder der Stuðlafoss.

Eine knappe Stunde zu Fuß oder zwei serpentinenreiche Autostunden entfernt liegt das Wilderness Center. Dort empfangen Denni Karlsson und seine Frau Arna Björg Wanderer mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen. Einen Ort am Ende der Straße nennt Karlsson die Gegend, "im Hinterhof haben wir die größte Wildnis Europas". Finnen und Schweden würden da vielleicht protestieren, aber wild und entrückt ist das Wilderness Center unbedingt. Und so weit von der Hauptstadt entfernt wie es nur geht in Island: circa 650 Kilometer und deutlich mehr als eine Tagesreise.

Mit seinen Gästen geht er reiten, Lachse angeln, wandern, Kajak fahren, Rentiere aufspüren. Karlsson ist Filmemacher, er hat in der Werbung und als Dokumentarfilmer gearbeitet. Seit vier Jahren betreiben er und seine Frau, eine Historikerin, das Wilderness Center, einen verlassenen Bauernhof. Soeben hat er einen Stall in ein rustikales Saunahäuschen umgebaut. Er nutzt gern alte Möbel, Altholz und gebrauchte Gegenstände. Eine Scheune wurde zum Observatorium umfunktioniert. Das Dach lässt sich hydraulisch öffnen, "dann sitzen die Gäste mit heißem Tee und in Felle gepackt im Freien und schauen in den Sternenhimmel". Ein anderes Haus wurde zum Museum: Dort erzählt eine animierte Ausstellung von den Menschen des Hochlands, ihrem Überlebenskampf in der rauen Natur.

Nachhaltiges Reisen: Egilsstaðir ist der wichtigste Ort in Ostisland: In diesem Haus am See Lagarfljót haust der Sage nach ein Ungeheuer.

Egilsstaðir ist der wichtigste Ort in Ostisland: In diesem Haus am See Lagarfljót haust der Sage nach ein Ungeheuer.

(Foto: Ingrid Brunner)

Dieses raue Land scheint Charaktere wie Pálli und Denni geradezu hervorzubringen. Typen, die ihr Ding machen, ohne lang auf staatliche Hilfe zu warten. Zum Beispiel Ívar Ingimarsson: Er war viele Jahre Profikicker in England, ist, wie er sagt, glücklich, wieder zu Hause in Egilsstaðir zu sein. "Ich wollte, dass meine Kinder in Island aufwachsen." Einen Teil des Geldes, das er als Profi verdient hat, hat er in zwei Pensionen gesteckt, einen anderen hat er zusammen mit ein paar Freunden in ein Thermalbad vor den Toren von Egilsstaðir investiert: Das Vök Baths eröffnet Ende Juli und soll die ostisländische Antwort auf die Blaue Lagune bei Reykjavík werden. Zwei Pools, gefüllt mit Thermalwasser, schwimmen im Urriðavatn-See, der Rest des architektonisch ambitionierten Baus ist in die Erde eingegraben. Das Bad sollte sich nahtlos in die Landschaft einfügen.

Nicht weit entfernt liegt der Hof Móðir Jörð - Mutter Erde. Dort betreiben Eymundur Magnússon und Eygló Björk Ólafsdóttir einen Biobauernhof. "Als wir 1983 anfingen, haben die Nachbarn über uns Witze gerissen", sagt Eymundur. Mittlerweile bauen sie an die hundert Sorten Gemüse an, essbare Blumen und Beeren. Und hundert Tonnen Gerste. Eymundurs Mission war es, eine alte, kälteresistente Gerstensorte, die früher in Island heimisch war, wieder einzuführen. Damit dies glückte, hat er mit Freunden sein gesamtes Anwesen mit Bäumen umpflanzt. "Das bringt gleich ein paar Grad mehr Wärme und es schützt den Boden vor Wind und Erosion." Anschließend pflanzte er einfach weiter. Circa eine Million Bäume sind es schon, Eymundur ist nun stolzer Waldbesitzer - auf der bis dato fast baumlosen Insel.

Nachhaltiges Reisen: Biobauern wie Eymundur Magnússon und Eygló Björk Ólafsdóttir bieten ihren Gästen vegane Kost.

Biobauern wie Eymundur Magnússon und Eygló Björk Ólafsdóttir bieten ihren Gästen vegane Kost.

(Foto: Ingrid Brunner)

Bekannt aber ist er als der Barley Man, der Gerstenmann, und als solcher serviert er seinen Übernachtungsgästen ein wohlschmeckendes Frühstück: Müsli, Pfannkuchen, Rhabarberkuchen, Brot, Cracker - alles auf Gerstenbasis. Mittags gibt es im Café, es ist übrigens der erste Holzbau Islands, der aus isländischem Holz errichtet wurde, ein veganes Büffet.

Auch Prins Póló schätzt Eymundurs Gerste. Prins Póló ist ebenfalls Biobauer, zugleich aber einer der populärsten Musiker Islands. Im Winter macht er Musik, im Sommer betreibt er seinen Hof und das dazugehörende Café Havarí mit Gästehaus. Prins Póló hat die erste vegane Grillwurst Islands entwickelt. Gäste kommen extra wegen ihr nach Havarí. Doch schon die Lage des Hofs lohnt eine Reise. Er liegt an einem der vielen, tief ins Land schneidenden Fjorde mit spektakulärer Küste zwischen Seyðisfjördur und Djúpivogur. Was all diese Orte eint: Sie liegen isoliert und sind nur über einen Pass erreichbar. Die Anreise im Stromer sollte demnach - siehe oben - gut geplant werden.

Die Einwohner spüren die Isolation, halten dagegen mit Fantasie, Kreativität und Kunstfestivals. In Seyðisfjördur etwa, wo zumindest einmal in der Woche die Fähre aus Dänemark ankommt, leben und arbeiten viele Künstler. Oder Reyðafjördur: Mit seinem malerischen Hafen, den Tafelbergen und dem urigen Hafenhotel Tægersen mit eigener Brauerei war das Dorf Drehort für die Kultserie "Fortitude". Djúpivogur mit seinen nur 475 Einwohnern wurde von Carlo Petrini, dem Begründer der Slow-Food-Bewegung, persönlich zur Cittaslow gekürt. Wobei: Wer hier ankommt, fragt sich nun wirklich, ob und wie man noch weiter herunterschalten kann. Nachdem die Fischfabrik dichtgemacht hatte, zogen viele Bewohner in die Hauptstadt. Deswegen hat der Künstler Sigurður Guðmundsson der Stadt die Freiluftskulptur Eggin í Gleðivik geschenkt: 34 gigantische Vogeleier symbolisieren die 34 in Island beheimateten Vogelarten. Djúpivogur ist der einzige Ort in Island, an dem sie alle vorkommen.

Auf der Rückreise von Djúpivogur nach Egilsstaðir, der größten Stadt Ostislands, hat man die Wahl zwischen dem langen Weg auf der Ringstraße an Fjorden entlang und einer Abkürzung über den spektakulären Öxi-Pass. Hat man es hinauf geschafft, ist alles gut: Bergab lädt die Bremsenergie die Batterie wieder auf.

Reiseinformationen

Anreise: mit Icelandair ab Berlin, Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf und München nach Reykjavík ab 500 Euro für Hin- und Rückflug. Passagiere mit Transatlantikflug können ohne Zusatzkosten einen Stopover bis zu 7 Tagen einlegen, www.icelandair.com. Ein Leihwagen, Typ VW E-Golf, kostet pro Woche ca. 600 Euro (200 Freikilometer/Tag) mit Ladechip, www.europcar.de

Unterkunft: Egilsstaðir: Lake Hotel am Lagarfljót-See, DZ ab 226 Euro. Laugarfell Highland Hostel, ab 125 Euro. Reydafjörður: Tægersen Guesthouse, DZ ab 171 Euro. Djúpivogur: Hótel Framtíð, DZ ab 119 Euro.

Restaurant: Nielsen, Egilsstaðir, Tjarnarbraut 1

Allgemeine Auskünfte: www.inspiredbyiceland.com, zu Ostisland www.east.is

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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