Nachhaltiger Tourismus am Rhein:Aktion Strom

Ein Schweizer will auf die Gefährdung des Rheins aufmerksam machen. Wo andere Leute nicht mal den großen Zeh eintauchen würden, schwimmt er von der Quelle im Kanton Graubünden bis zur Mündung im niederländischen Rotterdam.

Marlene Weiss

Wer den Rhein an seiner Mündung in die Nordsee betrachtet, bei Rotterdam, einem der größten Seehäfen der Welt, sieht vor lauter Containerterminals den Fluss nicht mehr. Etwas weiter flussaufwärts ist der Rhein eine Autobahn für Schiffe, begradigt, zugebaut und so viel befahren wie nur wenige Flüsse in Europa. Noch weiter südlich schlängelt er sich halbwegs romantisch an Loreley-Felsen und Weinbergen vorbei.

Schweizer will von der Quelle bis zur Mündung des Rheins schwimmen

Rund 1230 Kilometer will Ernst Bromeis den Rhein etappenweise hinunter schwimmen.

(Foto: Andrea Badrutt/dapd)

Zwischen Basel und dem Bodensee ist er endlich öfter Badefluss als Wasserstraße, vor dem Bodensee teils befestigt, teils Wildbach. Aber die Quelle? Hat der Rhein überhaupt eine Quelle?

Auf dem Weg zum Lai da Tuma (Tomasee), der den Titel Rheinquelle etwas unverdient trägt, liegt der Schnee zurzeit noch meterhoch - man braucht Tourenski. Auch der Rhein ist schneebedeckt, weshalb man ihn trockenen Fußes überqueren kann, ohne es richtig zu bemerken, wenn man mit Ernst Bromeis zu dem kleinen Bergsee im Schweizer Kanton Graubünden unterwegs ist. Der Extremschwimmer und selbsternannte Wasserbotschafter ist sozusagen auf Probetour zum See.

Denn von hier aus will der durchtrainierte 44-Jährige mit den kurzen grauen Haaren am 2. Mai nach Rotterdam starten. Schwimmend, wo es geht.

Nach einem letzten Aufstieg steht man an der Quelle und sieht nur eine weiße Fläche, umgeben von Beinahe-Dreitausendern. Der Winter ist lang in der Surselva, und das Wasser fließt unhörbar unter Skiern und Schnee ins Tal. Die Containerterminals in Rotterdam sind von hier 1232 Kilometer Flussstrecke und 2345 Höhenmeter entfernt, gefühlt einige Lichtjahre.

Es ist nicht der kürzeste und schon gar nicht der einfachste Weg zur Nordsee, aber mit Einfachheit hat es Ernst Bromeis noch nie gehabt. 2008 durchschwamm er für sein Projekt "Das blaue Wunder" 200 Seen in seinem Heimatkanton Graubünden, der hier im rätoromanischen Sprachraum klangvoll Grischun heißt. 2010 schwamm er durch die größten Seen der 26 Schweizer Kantone.

Und nun der Rhein - alles, um darauf aufmerksam zu machen, dass Wasser eine so kostbare wie endliche Ressource ist. Unterstützt wird er von Schweiz Tourismus, weil sich mit seiner Aktion gut für die Naturschönheiten des Landes werben lässt.

Milliardenprojekt für die touristische Erschließung

Bromeis kämpft für ein seltsames Element. Viel einfacher als Wasser geht es kaum; ein Teil Sauerstoff, zwei Teile Wasserstoff, fertig. Aber der Rest ist kompliziert. Wasser füllt die Ozeane, prägt das Klima, ist süß oder salzig, oft verschmutzt, mal im Überfluss da, mal bedrohlich knapp. Außerdem ist es ständig in Bewegung, darin passt es gut zu Bromeis, der das Stillsitzen trotz innerer Gelassenheit auch nicht erfunden hat.

Schweizer will von der Quelle bis zur Mündung des Rheins schwimmen

Dem Extremschwimmer und selbst ernannten Wasserbotschafter Bromeis setzt sich für die Bewahrung der Ressource Wasser ein.

(Foto: Andrea Badrutt/dapd)

Und so will er am nächsten Mittwoch wieder auf Skiern von Tschamut aus die 700 Höhenmeter zum Lai da Tuma gehen. Eigentlich hätte er dann gerne einen Schwimmkanal im Eis. Aber das wird nichts, sagt Bergführer Bruno Honegger, der mit aufgestiegen ist und jetzt mit Schaufel und Akku-Eisbohrer nach dem See sucht, als wäre das ganz normal: Unter dem Schnee ist zu viel Schmelzwasser, darunter zu viel Eis.

Es wird also nur ein größeres Loch zum Eintauchen geben, genug für ein Foto und ein Video. Nicht perfekt, aber Bromeis gibt sich zufrieden. Für das Eisbad wird er kurz in den Neoprenanzug wechseln, dann wieder auf Skiern abfahren. Weiter unten im Tal wird er rheinabwärts laufen. Vermutlich etwa bis Ilanz, wo der Gebirgsbach in die steile Rheinschlucht fließt. Spätestens ab dort wird geschwommen, etappenweise.

Zum Teil erstaunlich heil geblieben

Es ist ein verrücktes Projekt, aber in der stillen weißen Welt an der Rheinquelle klingt es plötzlich vernünftiger als das meiste, was sonst so geschieht. Die Surselva ist trotz sechs Skigebieten mit 535 Pistenkilometern wenigstens zum Teil erstaunlich heil geblieben. Noch sind nicht alle Berge verpistet, verkabelt und einbetoniert. Neben dem Skizirkus ist Platz für Tourengeher, Wanderer und Bergsteiger.

Auch die Weiler mit den Biobauernhöfen, schottischen Hochlandrindern und uralten dunklen Holzhäusern hat noch niemand so richtig zu Geld gemacht.

Das könnte sich bald ändern. Der ägyptische Investor Samih Sawiris arbeitet mit einem Milliardenprojekt an der touristischen Erschließung der Region Andermatt, jenseits des Oberalppasses im Nachbarkanton Uri. Für mehr als 100 Millionen Euro soll auch das Surselva-Skigebiet Sedrun am Rhein ausgebaut und mit Andermatt zusammengelegt werden. Anfang April hat Sawiris den beteiligten Bergbahnen ein Übernahmeangebot unterbreitet, nächstes Jahr soll Baubeginn sein.

Bei Sawiris' Großprojekt ist oft von wirtschaftlicher Entwicklung die Rede, von modernen Anlagen und Gesamtkonzepten. Das Projekt ist umstritten, aber es bekommt viel Zustimmung. Schließlich verspricht es Arbeit und Zukunft in einer Region, die längst dabei ist, vom Lauf der Dinge überholt zu werden. Um den Rhein geht es dabei nicht.

Der Leidensweg des Rheins

Schweiz Rhein Graubünden

Die Quelle des Rheins liegt in den Bergen des Schweizer Kanton Graubünden.

(Foto: SZ Grafik)

Ein Fehler, meint Ernst Bromeis. "Das ist doch alles ein Wettrüsten", sagt er grimmig bei der Abfahrt ins Tal. Statt immer größere, modernere Hotels, Pistenlandschaften und Beschneiungsanlagen zu bauen, die doch nie ausgelastet sind, sollte man sich ein Thema für eine Region überlegen, findet er, mit dem die Leute etwas anfangen können. Wasser zum Beispiel. Nach dem Rheinprojekt will er sich daran machen, in einem historischen Gebäude in Scuol ein Wasser-Bildungszentrum aufzubauen. Zu seinem projektbezogenen Ein-Mann-Unternehmen soll auch eine Stiftung "Das blaue Wunder" hinzukommen.

Ob das die Nachhaltigkeitstouristen scharenweise hertreiben wird? Nun ja. Aber dann denkt man doch unwillkürlich über Wasser nach, wenn man später ohne Ski rheinabwärts durchs Tal und die spektakulären Felsformationen in der Schlucht Ruinaulta wandert - dort, wo schon Frühling ist und der schneefreie, aber eiskalte Vorderrhein in der Aprilsonne plätschert, immer wieder verstärkt durch Schmelzwasserbäche, die vom Berg Richtung Tal eilen. Es sieht sehr romantisch aus.

Eigentlich beginnt für den Rhein schon hier der Leidensweg. Bei Sedrun, nur ein paar Kilometer nach der Quelle, steht das erste Wasserkraftwerk, mehr als zwei Dutzend sind es bis zum Elsass. Die Klimabilanz der Wasserkraft ist unschlagbar. Aber die natürliche Auenlandschaft, die auf saisonale Überflutung angewiesen ist, ist entlang des Rheins größtenteils zerstört, sie mag keine Regulierung. Die Kraftwerke am Oberrhein in Deutschland machen zudem den wiederangesiedelten Lachsen und anderen Fischen zu schaffen, die den Fluss zum Laichen hoch- und wieder herunterwandern.

Die Turbinen wird Ernst Bromeis umlaufen, ebenso wie die Stromschnellen. Für den Rest der teils wilden Strecke ist zu seiner Sicherheit ein Begleiter im Kajak dabei, und von der Schifffahrtsrinne wird er sich natürlich fernhalten - Bromeis hat drei Kinder und plant beileibe kein Selbstmordkommando.

Schwer einzuschätzen bleibt aber die Wasserqualität. Sie hat sich zwar seit dem katastrophalen Tiefpunkt in den siebziger Jahren deutlich verbessert, aber ab Basel bringt es der Fluss nur noch selten auf tadellose Wasserqualität; meist ist er mäßig belastet, streckenweise "kritisch"; wie das ein Schwimmermagen verträgt, ist offen.

Und dann ist da noch die heikle Sache mit der Quelle. Der Tomasee gilt aus historischen Gründen als Rheinquelle, und auch, weil das den Touristen gefällt. Aber geht man nach dem längsten Flusslauf, entspringt der Rhein im Tessin, einige Kilometer südlich des Tomasees auf der anderen Seite des Gotthardmassivs - jenseits der Nord-Süd-Wasserscheide.

Statt von dort Richtung Mittelmeer zu fließen, wie es sich gehört, fließt der Medelser Rhein parallel zum Alpenhauptkamm durch das Val Cadlimo, kratzt die Nordkurve am Lukmanierpass und erwischt bei Disentis den Vorderrhein.

Der Hauptkamm mag für Menschen und Wetter eine Barriere sein. Dem Rhein ist er offenbar herzlich egal.

Informationen

Anreise: Zur Rheinquelle mit der Bahn von München über Chur nach Sedrun oder Rueras und zurück ab 183 Euro. www.db.de; www.sbb.ch; www.rhb.ch

Unterkunft: Hotel Posta in Rueras, 7189 Sedrun/Rueras, Tel.: 0041 81 9491126, www.posta-rueras.ch, EZ ab 55 Euro.

Weitere Auskünfte: Projektinformationen unter www.dasblauewunder.ch sowie unter www.myswitzerland.com/blue; touristische Informationen unter: www.myswitzerland.com, www.surselva.info

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