Süddeutsche Zeitung

Nachhaltig reisen:Wer reist wirklich grün?

"Ich würde ja gerne ökologisch korrekt Urlaub machen, aber ..." Unzählige Zertifikate sollen Urlaubern helfen, nachhaltige Reisen zu finden. Nur: Welche sagen wirklich etwas aus?

Von Christian Döbber

Wie in einem Bollywood-Film machen Touristen im südindischen Bundesstaat Karnataka Urlaub. Sie tanzen mit Einheimischen in bunten Kleidern, helfen ihnen bei der Feldarbeit und schmusen zwischendurch mit zahmen Elefanten. Mit solchen Bildern wirbt das Orange County Luxury Resort auf seiner Internetseite. Die Fünf-Sterne-Lodge gewann den Nachhaltigkeitspreis World Legacy Award der National Geographic Society - nicht nur für ihre wasser- und energiesparende Technologie. Das Haus reflektiere bei der Unterhaltung seiner Gäste in besonderem Maße "den Geist des Landes", heißt es in der Urteilsbegründung.

Immer mehr Deutsche können sich vorstellen, so oder so ähnlich Urlaub zu machen, sagt eine Studie der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR). Demnach ist für rund ein Drittel der Befragten die ökologische Verträglichkeit ihres Urlaubs wichtig, 38 Prozent wollen sozialverträglich verreisen. Und 42 Prozent der Deutschen wünschen sich, dass sich die Reiseveranstalter vor Ort für den Umwelt- und Artenschutz oder für Bildungsprojekte engagieren. "Beim Reisen hat ein Bewusstseinswandel stattgefunden - zumindest in bildungsnahen Schichten", sagt Hartmut Rein, Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Ähnlich wie in Ernährungsfragen seien viele Menschen reflektierter und selbstkritischer geworden, was ihr Reiseverhalten betrifft. Doch nur die wenigsten setzen ihren Wunsch, nachhaltig zu verreisen, auch in die Tat um. Zwischen hehrem Anspruch und Wirklichkeit gibt es "eine deutliche Diskrepanz", heißt es in der FUR-Studie.

Das liege nicht so sehr am Preis, sagt Rein. "Für eine ökologisch, sozial und kulturell nachhaltige Reise muss man nicht unbedingt mehr Geld ausgeben." Zwar sind vor allem nachhaltige Fernreisen meist im Luxussegment angesiedelt. Die Fünf-Sterne-Öko-Lodge in Südindien ist ein gutes Beispiel. Doch ein Fahrradurlaub in Mecklenburg-Vorpommern hinterlässt einen noch viel geringeren ökologischen Fußabdruck und ist obendrein erschwinglich.

Das Problem ist vielmehr: Viele Reisende sind überfordert, wenn sie eine nachhaltige Reise buchen wollen. Jeder Zweite findet keine Angebote, die zu den individuellen Urlaubsvorstellungen passen. Jeder Fünfte bemängelt die fehlende Beratung im Reisebüro. "Die Hürden liegen im Bereich der Information und Kommunikation", vermerkt die Studie der FUR. Und selbst wenn ein passendes Angebot gefunden wurde, die Veranstalter können viel versprechen; aber wer überprüft das? "Für den Reisenden ist es sehr schwer, selbst zu erkennen, ob der geplante Urlaub seinen Ansprüchen genügt", sagt Rein.

Nicht zu fliegen wäre das Beste. Wenn das nicht geht, kann man CO₂ mit Geld kompensieren

Die Nachhaltigkeit der Anreise lässt sich zwar noch selbst bewerten. Flüge sind meist am umweltschädlichsten. Nicht-Fliegen wäre am besten. Wenn das nicht geht, gibt es im Netz sogenannte Klima-Kompensationsagenturen wie Myclimate oder Atmosfair. Auf deren Webseiten geben Reisende ihre Flugdaten ein und erfahren, wie viel sie zahlen müssten, um die durch ihren Flug verursachten CO₂-Emissionen zu kompensieren. Mit den freiwilligen Kompensationen werden CO₂-Einsparungsprojekte wie etwa die Umstellung von Kerosin- auf Solarkocher in Indien unterstützt. Für eine Reise in die südindische Lodge mit Flügen von München via Frankfurt nach Bangalore und zurück wird laut Atmosfair ein Klimaschutzbeitrag von 138 Euro fällig. Solche Kompensationen macht nicht mal ein Prozent der Urlauber.

Im Reiseland ist das wesentlich komplexer. Wie viel Strom und Wasser ein Hotel verbraucht, wohin der Müll entsorgt wird und ob die Angestellten fair entlohnt werden, lässt sich für den Reisenden vor der Buchung kaum erkennen. Dafür gibt es Siegel und Zertifikate - die allerdings zuhauf. Weltweit werden in der Touristikbranche mehr als 140 solcher Öko-Labels vergeben. Problematisch ist, dass sie Nachhaltigkeit meist unterschiedlich definieren. Viele Gütesiegel berücksichtigen nur die ökologischen Folgen des Tourismus und lassen soziale Aspekte völlig außer Acht. Auch "besiegeln" sich Reiseveranstalter bisweilen selbst - ohne unabhängige Prüfung und nur für den grünen Anstrich. Hartmut Rein nennt das "Siegeldschungel". "Es herrscht keinerlei Vergleichbarkeit. Der Verbraucher wird von der Flut von Siegeln mehr verwirrt als aufgeklärt."

Als Richtschnur gilt in der Branche das CSR-Siegel der gemeinnützigen Gesellschaft Tour Cert. Für die 130 im Forum Anders Reisen zusammengeschlossenen Reiseveranstalter ist es verpflichtender Standard. Die Kriterien für eine Mitgliedschaft sind streng. Urlaubslänge, Reisezeit und Entfernung müssen in einem vertretbaren Verhältnis zueinander stehen. Kurzflugreisen dürfen gar nicht angeboten werden. Die Menschen, die in den Zielländern für die Veranstalter arbeiten, müssen fair entlohnt werden. Ein unabhängiger Gutachter prüft regelmäßig, ob die Vorgaben eingehalten werden.

Nicht ganz so streng, aber doch ambitioniert engagieren sich auch einige Branchenriesen. Tui beispielsweise vergibt den "Umwelt-Champion". Die Hotels müssten mehr leisten, als nur Energiesparlampen und wassersparende WC-Spülungen einzubauen, um sich im Katalog mit der goldenen Trophäe schmücken zu dürfen, sagt Harald Zeiss, Nachhaltigkeitsmanager von Tui Deutschland. "Voraussetzung ist ein international gültiges Nachhaltigkeitszertifikat wie beispielsweise Travelife." Auch werde die Gästemeinung zur Umweltleistung der Hotels bei der Vergabe des "Umwelt- Champion" berücksichtigt.

Das Engagement der großen Reiseveranstalter hält Tourismusforscher Hartmut Rein nicht für aufrichtig. "Man will eine steigende Nachfrage bedienen und zertifiziert sich einfach selbst." Damit der Wunsch vieler Menschen, nachhaltig zu verreisen, auch öfter in die Tat umgesetzt wird, benötige man dringend einen einheitlichen Zertifizierungsstandard, sagt Rein. "Mit dem Bio-Siegel hat das ja auch geklappt."

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SZ vom 10.03.2016
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