Nachgefragt:Woher kommt die Reiselust?

Es geht scheinbar nicht anders: Warum wir alle Jahre wieder tun, was wir tun müssen - in den Urlaub fahren.

Hans Gasser

Die Deutschen sind fanatische Auslandsreisende. Wie lässt sich diese Reiselust historisch erklären? Hasso Spode hat das Historische Archiv zum Tourismus an der Freien Universität Berlin aufgebaut und zahlreiche Bücher zur Geschichte des Reisens geschrieben. Er findet, die Deutschen stünden mit ihrer Reiselust gar nicht allein.

Strand auf Mahe (Seychellen), Pixelio
(Foto: Foto: Pixelio)

SZ: Ist die deutsche Reiselust wirklich so einzigartig auf der Welt?

Hasso Spode: Nein. Eigentlich sind ja die Briten die Reiseweltmeister. Urlaubsreisen sind eine Folge hoch entwickelter Industriegesellschaften. Und weil die Briten die ersten waren mit der Industrialisierung, waren sie auch die ersten Touristen, also Reisende um des Reisens willen. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben die Deutschen die Briten überholt, was die Auslandsreisen betrifft. Doch die Reiseintensität von fast 75 Prozent der Bevölkerung, die ist auch in anderen Industrieländern in etwa so hoch, das ist nichts besonders Deutsches.

SZ: Woher kommt es, dass den Deutschen die Urlaubsreise wichtiger ist als Lebensmittel oder Kleidung?

Spode: Um 1900 sind ja nur rund 10Prozent der Bevölkerung, also das wohlhabende Bürgertum gereist. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen bemerkten die anderen 90 Prozent ein Defizit und wollten auch dazugehören. In diese Marktlücke drängten sich ausgerechnet die Nationalsozialisten mit den Kraft durch Freude-Programmen. Nach dem zweiten Weltkrieg waren es dann das Wirtschaftswunder und die Kaufkraft, die die Deutschen zu Reiseweltmeistern machten. Urlaubsreisen machen zu können, bedeutete, es geschafft zu haben.

SZ: Haben die Reisemotive früherer Reisender noch etwas zu tun mit den heutigen Motiven?

Spode: Die tieferen Motive gründen immer noch in einem romantischen Impuls. Man wollte damals, um 1800, etwas Natürliches, Authentisches sehen, was man in den urbanen Zentren verloren glaubte: Den unverdorbenen Alpenbewohner, den Eselskarren, das Fischerdorf. Wenn man sich ansieht, was die Menschen heute im Urlaub fotografieren, dann sind es immer noch diese Dinge, und seien sie auch inszeniert von der Kurverwaltung.

SZ: Man kann sich gegen alles versichern, Abenteuer ausgeschlossen?

Spode: Bis in die 1960er-Jahre konnte man sich sogar gegen Regentage versichern. Auch die ersten Touristen haben nur Gegenden bereist, die als sicher galten. Man konnte sich sogar gegen Postkutschenüberfälle versichern. Der Tourismus basiert ja auf dem Freiheitsversprechen und der garantierten Sicherheit.

SZ: Gibt es Völker bei denen Auslandsurlaub keine Rolle spielt?

Spode: Durchaus. Von den Franzosen reist nur ein Viertel ins Ausland, in Deutschland sind es mehr als zwei Drittel. Die Deutschen und auch die Briten sind viel polyglotter und mutiger. Und die Amerikaner haben ohnehin nicht das große Bedürfnis, ins Ausland zu reisen. Nur die Avantgarde fährt nach Europa. Dass Urlaub in Amerika nicht den Stellenwert hat wie bei uns, liegt auch daran, dass es keine große organisierte Arbeiterbewegung gab. Die Vorstellung gemeinschaftlicher Teilhabe an den Genüssen existiert so nicht. Wenn, dann muss man es individuell schaffen, so ist die Devise.

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