Nachgefragt:Olympia als Sandkastenspiel?

Wenn am Freitag die olympischen Stätten in Athen bespielt werden, ist Deutschlands jüngstes Olympiastadion bereits zum x-ten Mal wieder aufgebaut. Ein Interview mit dem Chef-Architekten.

Von Jan-Frederik Valentin

75 Künstler haben in Travemünde Modelle von Stadien, Sportlern und Maskottchen aus Sand errichtet, um die Geschichte der Spiele in der Neuzeit und im Altertum zu erzählen. Starker Regen und Wind verwandelten die "Sand World" jedoch Mitte Juli in eine Baustelle. Chefarchitekt Dave Willé reiste aus den Niederlanden an. Er behob die Schäden und sprach nebenbei über die politische Symbolik des Sandszenarios.

Cassius Clay

Olympischer Widerstandskämpfer: Cassius Clay alias Muhammad Ali

(Foto: Foto: Sandworld)

SZ: Was machen Sie da oben auf Muhammad Ali?

Willé: Die Skulptur hat ihr Profil verloren. Windstärke 7 hält der Sand aus, aber vergangene Nacht war er zu heftig. Deswegen sitze ich jetzt hier, um die Konturen zu festigen.

SZ: Mit Zement?

Willé: Nein. Wir brauchen nur Wasser und Sand. 10 000 Tonnen haben wir extra aus den Niederlanden herbringen lassen. Nur mit diesen eckigen und rauen Körnern können wir alle Modelle einigermaßen wirklichkeitsgetreu errichten.

SZ: Für welche Spiele steht Muhammad Ali?

Willé: Für Rom 1960: Seine Goldmedaille hat er später in den Ohio River geworfen, weil er als Schwarzer in den USA diskriminiert wurde.

SZ: Eine extrem politische Erinnerung an ein Sportereignis.

Willé: Ja, daran kommt man auch als Designer nicht vorbei. Es ist sehr schwer, die Dynamik sportlicher Aktionen mit Sand nachzustellen. Gesichter, hinter denen Geschichte steht, fallen leichter. Außerdem stand ja bei den Olympischen Spielen auch nur anfangs der Sport im Mittelpunkt, später die Politik, jetzt der Kommerz.

SZ: Weshalb in Travemünde ein schlichtes "Coca-Cola"-Boot die Spiele von Atlanta 1996 symbolisiert?

Willé: Fällt Ihnen zu den Wettkämpfen der neueren Zeit etwas Näherliegendes ein? Die Spiele von Atlanta und Sydney 2000 haben wir in ein Relief gepackt: Das Coca-Cola-Boot fährt vor dem Opernhaus ein. Ende der Vorstellung. Man darf allerdings nicht vergessen, dass die Coca Cola Company schon 1928 tausend Kästen nach Amsterdam schickte, um die Sportler zu versorgen - und für sich selbst zu werben.

Olympia als Sandkastenspiel?

SZ: Trotzdem haben Sie für jene Zeiten nostalgischere Bilder: Menschen beim Tauziehen oder eine Entenfamilie am Fluss. War Olympia früher besser?

Willé: Würde ich nicht sagen. Schließlich gab es bis zum Zweiten Weltkrieg bei vielen Spielen neben komischen auch befremdliche Neuerungen: 1904 wurden in St. Louis zum Beispiel nebenbei so genannte "Anthropologietage" abgehalten. Verschiedene Volksstämme traten in Wettbewerben wie Pferdeklettern oder Bogenschießen gegeneinander an. Ziel war es, die Überlegenheit der weißen Rasse hervorzukehren. Auch Frauen wurden lange diskriminiert: Sie durften 1896 in Athen gar nicht und 1900 in Paris nur im Tennis und Golf teilnehmen.

Natürlich erzählen wir mit unseren Skulpturen aber auch gern von den kuriosen Ereignissen: vom Wettbewerb im Seilziehen etwa, der 1908 in London eingeführt wurde. Oder vom Ringer-Finale im Schwergewicht 1912 in Stockholm: Es wurde nach neun Stunden abgebrochen, weil die Kämpfer zu erschöpft waren. Beide erhielten nur Silber.

SZ: Und die Enten?

Willé: 1928 in Amsterdam gab der amerikanische Ruderer Bobby Pearce im Viertelfinale seine Führung auf, um eine Entenfamilie passieren zu lassen. Er kam trotzdem ins Halbfinale und wurde fortan vom Publikum gefeiert.

SZ: Ihre Lieblingsskulptur?

Willé: Ich will keine einzelne hervorheben. Der Bau der Sand World war selbst ein Ereignis von fast olympischen Ausmaßen. Skulpteure aus 13 Ländern waren am Werk, jeder mit seinem eigenen Stil. Aber auf jeden Fall sind die Enten heiter geraten - verglichen mit dem, was danach kam.

SZ: Berlin 1936?

Willé: Die Sand World zieht Hunderttausende Touristen an. Die sollen sich ruhig auch mit den übelsten Seiten der Olympischen Spiele auseinander setzen. Wir haben deshalb den schwarzen Amerikaner Jesse Owens, einen vierfachen Olympiasieger, mit seinen Medaillen groß im Vordergrund platziert. Dahinter das Publikum mit Hitler in der Mitte, das ihm den Rücken zudreht. Das ist wohl noch eine harmlose Interpretation der Ereignisse.

SZ: Auch die Skulptur "München 1972" ist zu einem - wenngleich schönen - Mahnmal geraten.

Willé: Wenn Sie versuchen, jedes Austragungsjahr der Olympischen Spiele in eine Form zu passen, dann bleibt bei München nun mal leider der palästinensische Terrorangriff im Olympiadorf. Aber die Boykott-Spiele von Moskau 1980 und Los Angeles 1984 geben ebenfalls kein gutes Bild ab. Und für Seoul 1988 steht eine Skulptur des gedopten Sprinters Ben Johnson. Auch wenn meine erste Assoziation beim Thema "Olympia" eine übergroße Sandstatue des neunmaligen Goldmedaillengewinners Carl Lewis war, ist die Sand World nicht zu einer reinen Werbeveranstaltung für die Spiele der Neuzeit geraten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: