Mythos heile Alpenwelt:Natürlich lebt hier das Heidi!
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Jeder kennt Heidi, das berühmteste Bergmädchen der Welt. Zehntausende Touristen reisen jedes Jahr ins Schweizer Maienfeld, um auf den Spuren der Roman- und Serienheldin zu wandeln. Und treffen auf Originale, die es so gar nicht geben kann.
"Wo ist Heidi?" Tausende von Kilometern sind sie gereist. Mit Flugzeugen bis in die Schweiz und dann mit Bussen durch das Sarganserland nach Maienfeld im Kanton Graubünden. Zuletzt noch ein 90-Minuten-Fußmarsch zur grünen Heidialp vor den grauen Riesenfelsen.
Aber da ist kein Mädchen mit Zöpfen und großen Augen. Weit und breit nur Kühe. Gut, dass wenigstens der Alpöhi Auskunft geben kann: "Ja, das Heidi, das musste nochmal zur Tante nach Frankfurt, da hinten in Deutschland."
Meist sei die Frage ein Scherz, sagt Markus Zindel. Der 52-jährige Landwirt und Zigarrenraucher ist der offizielle Hirte der Heidialp auf dem 1111 Meter hohen Ochsenberg. Und damit der amtierende Alpöhi, der Opa des berühmtesten Bergmädels der Welt. "Aber es kommt vor, dass jemand meint, das Heidi sei echt. Da hilft der Hinweis auf Frankfurt."
Die Heidi-Bücher, Heile-Welt-Bibel und Wanderführer
Wer hierher wandert, kennt die beiden Heidi-Bücher der Schweizer Schriftstellerin Johanna Spyri, die von1827 bis 1901 lebte. Sie lassen sich als Heile-Welt-Bibel lesen und auch als Wanderführer: "Vom freundlichen Dorfe Maienfeld führt ein Fußweg durch grüne, baumreiche Fluren bis zum Fuße der Höhen, die von dieser Seite groß und ernst auf das Tal niederschauen."
Mehr als 50 Millionen mal und in mehr als 50 Sprachen sind die "Heidi"-Romane verkauft worden, seit 1879 der erste Band im Verlag F. A. Perthes im thüringischen Gotha erschien.
Oft ist das Schicksal von Geißenpeters bester Freundin zudem verfilmt worden: Nach dem Tod ihrer Eltern wächst Heidi bei ihrem Großvater auf - dem Alpöhi, beziehungsweise Alm-Öhi wie dieser in der deutschen Erstausgabe genannt wird. Als ihre Tante Dete sie nach Frankfurt holt, wird ihr Heimweh so groß, dass sie wieder auf die Alp muss. Dorthin folgt ihr Klara, die an den Rollstuhl gefesselte Frankfurter Freundin. Und dann das Wunder: Die Gelähmte lernt das Gehen.
Zum internationalen Kultstatus trug die 52-teilige japanische Zeichentrickserie "Alpenmädchen Heidi" bei, die ab 1974 zu einem der größten globalen TV-Hits wurde. Auch auf ihren Spuren wandeln heute rings um Maienfeld jährlich Zehntausende Heidi-Fans.
Mehrere Gemeinden schlossen sich zum "Heidiland" zusammen
"So richtig ging das hier aber erst los, als man vor 17 Jahren mit der professionellen Vermarktung begann", erzählt der Heidialp-Hirt. 1997 schlossen sich Gemeinden rings um die Buch-Schauplätze zur "Ferienregion Heidiland" zusammen.
Der Erfolg ist so überwältigend, dass "Heidiland" außerhalb der Schweiz zu einem - nicht immer schmeichelhaft gemeinten - Synonym für die Bergwelt der Eidgenossenschaft wurde. Tatsächlich heißt so aber nur die Region zwischen Maienfeld, Sargans, Bad Ragaz und Weesen/Walensee kurz vor dem Fürstentum Liechtenstein. Hier ist der Heidiismus einfach unausweichlich.
Den Höhepunkt erreicht er in einem schönen Flecken der Rheintalregion, den Spyri als "Dörfli" zum Heimatort ihrer Heldin erkor. Wie an anderen Heidi-Stätten wird auch hier mit erstaunlicher Chuzpe der Eindruck erweckt, das Mädchen wäre eine historische Gestalt.
"Willkommen in in Heidis Heimat", liest man auf Postern. "Denn nirgends auf der Welt ist Heidis Aura und Persönlichkeit spürbarer als im authentischen Heididorf mit dem Original-Heidihaus", verspricht der offizielle Flyer.
Das Haus, einst von Walser Siedlern errichtet, ist malerisch. Dass Heidi nie darin gewohnt haben kann, hält Touristen nicht davon ab, sich vor dem Eingangsschild fotografieren zu lassen: "Heidi's House - The Original".
Der wirkliche Ortsname ist Rofels. Seine Handvoll Einwohner verdient bestens am Bergmädchenrummel. "Und von abends bis morgens haben wir ja auch unsere Ruhe", sagt eine ältere Frau. Gleich neben dem kleinen Streichelziegenzoo zeigt der Heidi-Shop, was eine Vermarktungsmaschine zu leisten vermag.
Alpine und mentale Schweizer Landschaft
Auf die Heidialp hingegen verschlägt es weit weniger Spyri-Jünger, weshalb die kleine Hütte mit dem herrlichen Ausblick auf Kühe, Berge und Rheintal im Vergleich einer Oase der Ruhe gleicht.
Hier lässt sich der Erklärungsversuch des Genfer Autors Jean-Micael Wissmer für den Rummel noch am ehesten nachvollziehen: "Heidi wird geschätzt, weil das Mädchen Empfindsamkeit für die Natur symbolisierte, als noch niemand davon sprach", sagte er Swissinfo.
Heidi gehöre gleich zwei Schweizer Landschaften an, zitierte das Newsportal den Regisseur Gérard Demierre, der ein Heidi-Theaterstück inszenierte: "der alpinen und der mentalen". Und längst auch einer dritten, möchte man hinzufügen: der monetären.