Und jetzt beginnt es schon wieder zu regnen, ganz sanft, ganz sachte, als ob da oben jemand mit einem Wasserzerstäuber für Orchideen zugange ist. Eine Böe schüttelt die Bäume, Blätter segeln langsam hinunter auf die Tische, in Pendelschwüngen zur Musik der Band, Sonny Cunhas "My Waikiki Mermaid", geschrieben 1903. Ein Blatt landet genau vor Mamos Füßen.
Es war einmal im All: 1988 kleidete sich die Crew des Spaceshuttles Discovery ungewohnt bunt - auf einem gleichnamigen Schiff hatte James Cook 1778 Hawaii entdeckt.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)Sie schaut es an und hebt es auf und betrachtet es lange. Dann steckt sie es ein. Vorne am Steg der Marina ächzen die Masten der ankernden Segelschiffe.
Der La Mariana Sailing Club ist die letzte echte Tiki-Bar in Honolulu und vielleicht sogar in ganz Hawaii: Hafenkneipeninterieur aus den Sechzigern, Götzenfiguren aus Holz und Cocktailbecher aus Plastik, dazu Lavalampen und Kellner in weißen Hosen mit Schlag und Bügelfalten, eigentlich dürfte es so etwas überhaupt nicht mehr geben.
Der Club liegt in einer abgelegenen Sackgasse am Rande eines hässlichen Industriegebietes; Touristen verirren sich eher selten hierher. Es sei denn, sie sind von Einheimischen geschickt worden. Oder mit einer Einheimischen hier. Mamo Howell ist, wenn man das so sagen darf, ein Stück echtes Hawaii. Sie war Hulatänzerin und Schönheitskönigin und 1952 das erste hawaiianische Model auf den Laufstegen von New York und Paris. Schon damals hat sie begonnen, ihr Wissen über Mode in Form zu bringen.
Vor mehr als einem halben Jahrhundert entwarf sie ihre ersten Designs für Hawaiis berühmte Aloha Wear - so werden Hawaiihemden in ihrer Heimat genannt. Heute ist Mamo Howell längst eine der bekanntesten Designerinnen des Inselstaates. Anders gesagt: Man kann durchaus behaupten, dass Mamo Howell Ahnung von Hawaiihemden hat. Und ihr deshalb glauben, wenn sie hinüber zur Bühne schaut und sagt: "Die Musiker tragen Imitate aus China."
So ist das auf Hawaii natürlich überall: Kaum irgendwo steckt noch wirklich Hawaii drin, wo Hawaii drauf steht. Hier auf Oahu beispielsweise, der Insel mit den meisten Touristen und dementsprechendem Rummel, gehören die schönsten Hotels und die exklusivsten Einkaufszentren längst japanischen Investoren. Die Restaurants in Honolulu, in denen man bis vor wenigen Jahren noch traditionelle Inselküche serviert bekam, servieren jetzt "burger made in paradise" und ähnlichen Nonsens.
Und wenn nach Einbruch der Nacht die grün bewachsenen Vulkanhügel am Horizont im Dunkel verschwunden sind, unterscheidet sich Hawaiis berühmtestes Stadtviertel Waikiki kaum noch von den uniformen Shopping- und Ausgehmeilen in Los Angeles oder Miami. Inklusive der johlenden Collegestudenten. Inklusive der ewig gleichen Kaffee-, Fastfood- und Donut-Ketten. Und inklusive einer beeindruckenden Zahl schrecklich designter Hawaiihemden.
Die beiden Passanten gerade eben hatten giftgrüne an, auf denen etwas abgebildet war, dass stark an kopulierende Dinosaurier erinnerte. Mamo Howell sieht ihnen kommentarlos nach. Sie kommt nicht oft hierher, vielleicht auch deshalb scheint ihr das alles ein wenig zu viel zu sein. Vor einem Laden mit Hawaiihemden bleibt sie stehen und schaut auf aufgedruckte Schatzkisten, Rumflaschen und Seeräuber in Johnny-Depp-Optik.
"Was hat denn das mit unserer Kultur zu tun?", fragt sie, und dann fragt sie das den vielleicht 20-jährigen Verkäufer. Der Verkäufer zuckt mit den Schultern. "Yo, den vierten Teil von 'Fluch der Karibik' noch nicht gesehen?"
Mamo Howell entwirft Hawaii-Hemden für Hawaiianer. Wer hier geboren und aufgewachsen ist, würde sich niemals mit Hulatänzerinnen und Kokospalmen am Leib erwischen lassen, sagt sie, von Dinosauriern ganz zu schweigen.