Mythos Hawaiihemd:50.000 Dollar für echt guten Stoff

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Kopulierende Saurier, kokette Tänzerinnen und knallbunter Kitsch - das würden traditionsbewusste Hawaiianer niemals tragen. Statt auf Polyester-Desaster setzen sie auf klassische Motive und machen das Hawaiihemd zur lohnenden Wertanlage.

Stefan Nink

Und jetzt beginnt es schon wieder zu regnen, ganz sanft, ganz sachte, als ob da oben jemand mit einem Wasserzerstäuber für Orchideen zugange ist. Eine Böe schüttelt die Bäume, Blätter segeln langsam hinunter auf die Tische, in Pendelschwüngen zur Musik der Band, Sonny Cunhas "My Waikiki Mermaid", geschrieben 1903. Ein Blatt landet genau vor Mamos Füßen.

Es war einmal im All: 1988 kleidete sich die Crew des Spaceshuttles Discovery ungewohnt bunt - auf einem gleichnamigen Schiff hatte James Cook 1778 Hawaii entdeckt. (Foto: ASSOCIATED PRESS)

Sie schaut es an und hebt es auf und betrachtet es lange. Dann steckt sie es ein. Vorne am Steg der Marina ächzen die Masten der ankernden Segelschiffe.

Der La Mariana Sailing Club ist die letzte echte Tiki-Bar in Honolulu und vielleicht sogar in ganz Hawaii: Hafenkneipeninterieur aus den Sechzigern, Götzenfiguren aus Holz und Cocktailbecher aus Plastik, dazu Lavalampen und Kellner in weißen Hosen mit Schlag und Bügelfalten, eigentlich dürfte es so etwas überhaupt nicht mehr geben.

Der Club liegt in einer abgelegenen Sackgasse am Rande eines hässlichen Industriegebietes; Touristen verirren sich eher selten hierher. Es sei denn, sie sind von Einheimischen geschickt worden. Oder mit einer Einheimischen hier. Mamo Howell ist, wenn man das so sagen darf, ein Stück echtes Hawaii. Sie war Hulatänzerin und Schönheitskönigin und 1952 das erste hawaiianische Model auf den Laufstegen von New York und Paris. Schon damals hat sie begonnen, ihr Wissen über Mode in Form zu bringen.

Vor mehr als einem halben Jahrhundert entwarf sie ihre ersten Designs für Hawaiis berühmte Aloha Wear - so werden Hawaiihemden in ihrer Heimat genannt. Heute ist Mamo Howell längst eine der bekanntesten Designerinnen des Inselstaates. Anders gesagt: Man kann durchaus behaupten, dass Mamo Howell Ahnung von Hawaiihemden hat. Und ihr deshalb glauben, wenn sie hinüber zur Bühne schaut und sagt: "Die Musiker tragen Imitate aus China."

So ist das auf Hawaii natürlich überall: Kaum irgendwo steckt noch wirklich Hawaii drin, wo Hawaii drauf steht. Hier auf Oahu beispielsweise, der Insel mit den meisten Touristen und dementsprechendem Rummel, gehören die schönsten Hotels und die exklusivsten Einkaufszentren längst japanischen Investoren. Die Restaurants in Honolulu, in denen man bis vor wenigen Jahren noch traditionelle Inselküche serviert bekam, servieren jetzt "burger made in paradise" und ähnlichen Nonsens.

Und wenn nach Einbruch der Nacht die grün bewachsenen Vulkanhügel am Horizont im Dunkel verschwunden sind, unterscheidet sich Hawaiis berühmtestes Stadtviertel Waikiki kaum noch von den uniformen Shopping- und Ausgehmeilen in Los Angeles oder Miami. Inklusive der johlenden Collegestudenten. Inklusive der ewig gleichen Kaffee-, Fastfood- und Donut-Ketten. Und inklusive einer beeindruckenden Zahl schrecklich designter Hawaiihemden.

Die beiden Passanten gerade eben hatten giftgrüne an, auf denen etwas abgebildet war, dass stark an kopulierende Dinosaurier erinnerte. Mamo Howell sieht ihnen kommentarlos nach. Sie kommt nicht oft hierher, vielleicht auch deshalb scheint ihr das alles ein wenig zu viel zu sein. Vor einem Laden mit Hawaiihemden bleibt sie stehen und schaut auf aufgedruckte Schatzkisten, Rumflaschen und Seeräuber in Johnny-Depp-Optik.

"Was hat denn das mit unserer Kultur zu tun?", fragt sie, und dann fragt sie das den vielleicht 20-jährigen Verkäufer. Der Verkäufer zuckt mit den Schultern. "Yo, den vierten Teil von 'Fluch der Karibik' noch nicht gesehen?"

Mamo Howell entwirft Hawaii-Hemden für Hawaiianer. Wer hier geboren und aufgewachsen ist, würde sich niemals mit Hulatänzerinnen und Kokospalmen am Leib erwischen lassen, sagt sie, von Dinosauriern ganz zu schweigen.

Ihre Motive und Muster basieren auf traditionellen Darstellungen von Blüten und Pflanzen; für Mamo Howell ist ein Hawaiihemd etwas, auf dem man ein Stück Naturgeschichte studieren kann. Ein ovales Muster mit feinen Spitzen? Symbolisiert die Frucht des Brotbaums. Ein rotes mit gewundenen Enden? Eine Hibiskusblüte. Und das hier? Ylang-Ylang.

Hawaii-Hemden der günstigeren Kategorie warten auf Käufer. (Foto: iStockphoto)

Es gab eine Zeit, da konnte jeder auf den Inseln diese Motive erkennen. Aber heute werden diese Dinge nicht mehr an den Schulen gelehrt, und in den Familien sind sie auch nicht mehr wichtig. Die hawaiianische Sprache habe man vor etlichen Jahren mit großem Aufwand vor dem Aussterben bewahrt, abstrakte Muster aber hätten keine Lobby. "In zehn oder 20 Jahren ist das Wissen vollends verloren. Meine Generation hat abends im Garten von den Großeltern erzählt bekommen, wie die Götter den Menschen die Blumen brachten."

Wie die Blumen auf diese Inseln mitten in den Wasserweiten des Pazifiks gelangten, ist wissenschaftlich detailliert geklärt - wer aber wann genau das erste Hawaiihemd geschneidert hat: Das weiß man selbst im Museum nicht. Das Bishop Museum am Stadtrand von Honolulu ist das schönste des Archipels und der bedeutendste Hort der hawaiianischen Kultur. Wer etwas über die Ursprünge des Hawaiihemdes wissen möchte, braucht hier nur einen regnerischen Nachmittag verbringen.

Dann erfährt er, dass das Hawaiihemd ein Produkt ist, an dem die unterschiedlichsten Einwanderergruppen mitgewirkt haben. Die abstrakten Blüten- und Blumenmuster stammen vom tahitianischen Pareo, einer Art Südsee-Sarong, die Schnitte von den Arbeitshemden chinesischer Plantagenarbeiter, die Berg-, Wasserfall- und Kirschblüten-Motive von japanischen Kimonos. Doch, das stimmt schon: Das Hawaiihemd ist tatsächlich Ausdruck des insularen Miteinanders, auf das die hawaiianische Identität beruht und auf das man hier stolz ist.

Irgendwer brachte dann die eine Kleidungskultur mit der anderen zusammen. Um 1930 muss das gewesen sein, bald danach jedenfalls konnten Urlauber Hawaiihemden bei ihrer Ankunft ordern und vor dem Rückflug abholen. Die goldene Ära der Shirts aber war die Zeit ab Ende der vierziger Jahre.

Damals kam eine verbesserte Viskosefaser auf den Markt - und mit ihr all jene Motive, die die Hawaiishirts bis heute prägen. Haarsträubende Kreationen in schreienden Farben, Fischer mit Netzen, Ananas, Surfer, Unterwasserwelten. Hollywood entdeckte den Trend, Big Jim McLain, John Wayne, Montgomery Clift und Frank Sinatra in "Verdammt in alle Ewigkeit" - alles Hawaiihemdenträger. Und Elvis natürlich! Seit Ende der Sechziger war das Hawaiihemd die übliche Geschäftskleidung in Ämtern, Banken und Büros.

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Und was ist ein typisches Aloha-Shirt? Da gibt es keine Definition. Oder 120, je nachdem, wen man fragt. Fest steht: Wenn man ein Hawaiihemd sieht, erkennt man es. Und wenn David Bailey eines sieht, dann kann er gleich noch die folgenden Daten aufsagen: Herstellungsjahr, Designer, geschätzte Zahl noch vorhandener Exemplare und - direkt daraus folgend - den Marktwert.

Und natürlich, ob es sich nicht doch um eine Fälschung handelt. Bailey gilt als der erfahrenste Hawaiihemd-Experte der Inseln, seit mehr als 30 Jahren beschäftigt er sich mit kaum etwas anderem. 15.000 Exemplare und ein merkwürdiger Geruch hängen in seinem Laden im Schatten von Honolulus Diamond Head. Die meisten Hemden kosten zwischen 20 und 59 Dollar.

Solche Stücke kaufen Besucher, die Wert darauf legen, ein richtiges Hawaiihemd mit nach Hause zu nehmen und keinen Polyesterramsch aus Waikikis Souvenirläden.

In den Schränken liegen allerdings auch etliche Shirts, die vierstellige Beträge kosten - und deren Preisschilder Bailey in regelmäßigen Abständen nach oben korrigiert. Man kann hier durchaus 50.000 Dollar ausgeben und dennoch bloß mit zwei Einkaufstaschen aus dem Laden gehen, so wie ein japanischer Sammler vor ein paar Wochen. In den vergangenen Jahrzehnten habe es keine bessere Wertanlage gegeben als alte Hawaiihemden, behauptet Bailey, die Preise für historische Shirts seien um jährlich zwölf Prozent gestiegen, "das hat man mit keinem Aktienportfolio der Welt geschafft!"

Dann sagt er noch, dass er jemanden kenne, der 1990 Hemden für 500 Dollar gekauft und kürzlich für 600.000 verkauft habe. Er erzählt es so, dass nicht ganz sicher ist, ob dieser Hemdenhändler wirklich eine andere Person ist. Und was machen Sammler mit diesen teuren Originalen?

Ein Drittel ende gerahmt hinter Bartheken oder an den Wänden von Vorstandsetagen. Das zweite Drittel wird wohl tatsächlich getragen. Und die anderen? "Werden in Vakuumverpackungen verschweißt und in Schubladen weggeschlossen. Als reine Wertanlage."

(Foto: SZ-Grafik)

Wertanlage? "Das Hawaiihemd ist ein Symbol des Wohlwollens gegenüber Menschen anderen ethnischen Ursprungs." Mamo Howell lächelt. Der Satz ist nicht von ihr, sie hat ihn nur gelesen, im Bishop Museum, in einer Ausstellung über die Wurzeln der pazifischen Kultur. Sie ist über 80, die Augen sind nicht mehr so gut, aber ein paar Jahre möchte sie mit neuen Designs noch dazu beitragen, ein Stück altes Hawaii zu bewahren.

Es gibt noch immer so viel zu entdecken! Manchmal, sagt sie, gehe sie spazieren, und der Wind wehe ihr ein Blatt vor die Füße, eines, das sie bislang noch nicht gesehen oder nur übersehen habe. Das steckt sie dann ein. Man weiß ja nie.

Informationen

Mamo Howells Hawaiihemden gibt es in den großen Shoppingmalls auf Hawaii und in ihrem eigenen Geschäft in Honolulus Ward Warehouse, 1050 Ala Moana Boulevard.

Bailey's Antiques & Aloha Shirts liegt am anderen Ende von Honolulu, 517 Kapahulu Avenue.

Bishop Museum: 1525 Bernice Street.

Der 1957 eröffnete La Mariana Sailing Club: 50 Sand Island Access Road.

© SZ vom 18.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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