Süddeutsche Zeitung

Myanmar:Selbstbestimmte Sehenswürdigkeit

Die Padaung-Frauen in Myanmar strecken traditionell ihren Hals mit Ringen. Das macht sie für Touristen zum beliebten Fotomotiv. Wer sie besuchen darf, wollen sie aber selbst entscheiden.

Von Dieter Wulf

Kommt man am Flughafen in Loikaw an, scheint es, als sei die halbe Stadt auf den Beinen. Ankunft und Abflug des einzigen Fliegers aus Yangon, der früheren Hauptstadt von Myanmar, sind ein riesiges Ereignis. Europäer sind hier immer noch die Ausnahme. Guides und Fahrer finden ihre touristische Kundschaft mühelos. Wenn die Reisenden wegfahren, versinkt der kleine Provinzflughafen bis zum nächsten Tag wieder in seinen Dornröschenschlaf.

Loikaw ist die Provinzhauptstadt von Kayah im Osten des Landes. Jahrzehntelang war Myanmar eine abgeschottete, für Ausländer fast unerreichbare Diktatur. Seit seiner langsamen politischen Öffnung vor einigen Jahren ist es ein beliebtes Ziel für Kulturtouristen. Im Vergleich zum benachbarten Thailand sind die Gästezahlen aber immer noch sehr gering. 2016 besuchten lediglich 6500 Ausländer die Provinz Kayah. Myanmar-Touristen zieht es vorrangig in andere Regionen, nach Mandalay, nach Bagan, der historischen Königsstadt, oder zum Inle-See mit seinen berühmten schwimmenden Gärten. Dort kann man schon jetzt, nach nur wenigen Jahren, erkennen, wie der Tourismus das Leben der Einheimischen stört und die Umwelt schädigt.

Ein bisher relativ unerschlossenes Ziel ist dagegen Loikaw. Von dort geht es auf die Suche nach den Langhalsfrauen. Traditionelle Gemeinschaften, deren Erkennungszeichen die massiven Halsketten ihrer Frauen sind. So massiv, dass ihre Hälse gestreckt erscheinen. Seit einigen Hundert Jahren, genau weiß das niemand, tragen die Frauen der Padaung diesen massiven Halsschmuck aus Messing. Einige Quellen erzählen von einem mystischen Drachen, dem man so huldigen wollte. Andere von ganz praktischen Gründen, etwa um sich vor dem Nackenbiss der Tiger zu schützen. So oder so sind die Frauen gute Fotomotive für die hier jetzt entstehende Tourismusbranche.

In den Neunzigerjahren waren viele Padaung über die nahe Grenze nach Thailand geflohen, um den Kämpfen zwischen Rebellen und Militärs zu entkommen. Dort entdeckte man schnell ihr touristisches Potenzial, kasernierte die Frauen in Dörfern ein, die sie nicht verlassen durften. Gegen eine geringe Monatspauschale mussten sie für Kameras der Touristen posieren. Ein Menschenzoo.

Drei Jahre lang sprachen UN-Vertreter mit den Padaung über verträglichen Tourismus

Nachdem etliche Rebellengruppen vor einigen Jahren mit der Regierung in Myanmar Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet hatten, kamen viele der Padaung zurück in ihre entlegenen Dörfer mitten im Urwald. Wie aber verhindert man, dass hier nicht eine ähnliche Ausbeutung stattfindet? Die Lösung soll "Inclusive Tourism" bringen, Tourismus, der nicht den großen Anbietern die Taschen füllt, sondern die Bewohner beteiligt. Das zumindest ist die Idee des International Trade Center (ITC), das als Handelsorganisation der Vereinten Nationen in Entwicklungsländern kleine Firmen unterstützt. Über drei Jahre hinweg sprachen Vertreter des ITC mit Dorfbewohnern, Regierungsverantwortlichen und Tourismusmanagern.

Pascal Khoo Thwe ist der lokale Berater des Projekts, und niemand wäre geeigneter, die Gäste durch das Land zu führen. Seine eigene Geschichte ist so beeindruckend und gleichzeitig erschütternd wie das ganze in vieler Hinsicht zerrissene Land. Er stammt von hier, und noch seine Großmutter trug den Messingschmuck um den Hals. Als Student floh er Ende der Achtzigerjahre wie Tausende andere ins Ausland, als das Regime Studentenproteste niederschlug. Tausende junge Menschen starben.

Über Thailand schaffte es Pascal Khoo Thwe bis nach England, wo er englische Literatur studierte. Durch Zufall entdeckte er dort in Archiven das Bild seiner Großmutter, die in den 1930er-Jahren als "Giraffenfrau" in englischen Zirkussen hatte auftreten müssen. 2002 schrieb er über sich und sein Land den autobiografischen Roman "From the Land of Green Ghosts". Längst im Westen etabliert und angekommen, lebte er doch eigentlich immer noch in der Welt seiner Vorfahren. "Ich war verloren im Individualismus des Westens", schrieb er damals. "Verloren in der Welt der Moderne." Da verwundert es nicht, dass er gleich 2012, als erste Anzeichen einer politischen Öffnung erkennbar wurden, zurückkam in das Land seiner Vorfahren. Mit ihm also geht es nach Pan Pet, ein Dorf der Padaung. Es ist eines von nur etwa einem Dutzend Dörfern im Bundesstaat Kayah, das man als Tourist momentan besuchen darf.

Myanmar ist ein Vielvölkerstaat, mit mehr als 135 Ethnien und noch mehr unterschiedlichen Sprachen. In Deutschland wird momentan fast ausschließlich über die Vertreibungen der Rohingya im Westen des Landes berichtet. Derzeit ist das der bei weitem blutigste Konflikt in Myanmar. Aber neben den dortigen Rebellen gibt es im ganzen Land etwa 20 weitere Rebellenarmeen, meist an den Landesgrenzen. Einige haben einen Waffenstillstand unterschrieben, andere nicht. Und viele Regionen sind vermint. In Kayah merkt man von all dem nichts. Etwa anderthalb Stunden dauert die Fahrt von Loikaw durch eine beeindruckende Berglandschaft. Aus Straßen werden Wege. Die rumpligen Pfade, die dann kommen, leuchten im Rot der Erde hier.

Im Dorf begrüßt die Fremden Mg Tha, ein junger Mann um die zwanzig, der die Besucher herumführt. Er lebt hier und kennt jeden. Lange hätten die Organisatoren des Projekts sich mit den Dorfbewohnern beraten, sagt er. "Wollen wir Touristen? Wenn ja, was wollen wir zeigen? Und wer ist bereit dazu?"

Mg Tha erzählt auch über den Glauben der Bewohner. Einige seien Katholiken, manche Buddhisten, die meisten glaubten an Geister, die in den riesigen Bäumen am Dorfrand leben sollen. Vorbei geht es an den Totempfählen, an denen die Dorfgemeinschaft einmal im Jahr diese Geister zu beschwichtigen versuche. Mg Tha lacht, aber mit manchen dieser Geister, sagt er, sei nicht zu spaßen.

Natürlich wird er genauso für die Führung durchs Dorf bezahlt, wie die 30-jährige Kom U Long, die schon mit dem Essen wartet. Hühnchen mit Reis, begleitet von den Ausländern unbekannten Kräutern und Gemüsesorten, die Kom U Long im Urwald gesammelt hat. Sie trägt keine Ringe um den Hals. Ihre sechsjährige Tochter springt um uns herum. Was würde sie sagen, wenn ihre Tochter jetzt auch solche Ringe anziehen wollte? "Ich würde ihr erklären", sagt sie, "dass es sehr unangenehm und auch schmerzhaft ist. Wenn sie es aber trotzdem unbedingt wollte, dann würde ich die Ringe bestellen."

Junge Mädchen werden von den Eltern nicht zum Tragen des Halsschmucks gedrängt

Bevor früher die Mädchen mit fünf, sechs Jahren ihre ersten Ringe bekamen, wurde ihr Hals mit einer Salbe aus Honig, Hundefett und Kokosmilch eingerieben. Dabei sind es eigentlich keine Ringe, vielmehr ist es eine durchgehende Spirale, die erst über den Kopf gezogen und dann eng angepasst wird. Alle zwei Jahre wird die Spirale dann erweitert, bis zur Hochzeit. Im Erwachsenenalter hat die Halsspirale dann etwa 25 Windungen und wiegt etwa 15 Kilo. Auch wenn es den Anschein hat, dass dadurch der Hals gedehnt wird, sind es tatsächlich die Schulterblätter, die nach unten gedrückt und deformiert werden. Erst dadurch entsteht der Eindruck eines langen Halses.

"Ich glaube, dass die Tradition erhalten bleibt", sagt Pascal Khoo Thwe, "nicht nur, aber auch wegen des Tourismus." Jüngere Mädchen würden von den Eltern nicht gedrängt oder gezwungen. Im Dorf hier sind es vor allem ältere Frauen, die den Halsschmuck tragen.

Mg Tha bringt die Fremden zu Muc Ae. Die 58-Jährige sitzt auf der Veranda und trägt einen besonders windungsreichen Halsschmuck. Sie freut sich sichtlich über den Besuch. "Ich bin sehr stolz, dass ich euch unsere Tradition zeigen kann", sagt sie. Sie bekommt etwas Geld dafür. Ihr Mann ist schon lange tot, um sie herum wuseln Kinder und Enkel. In einer Ecke steht eine kleine Gitarre. Ob sie die spiele? Ja, ihr Enkel habe ihr die gebaut, sagt sie und greift sich das Instrument. Ein wunderbar lyrischer Gesang. Das Lied, erklärt Mg Tha später, habe sie selbst geschrieben. Es erzählt von ihrem Volk. Davon, dass viele fliehen mussten, aber ihre Wurzeln immer hier blieben.

Vermutlich würden Touristen es auch alleine bis in dieses Dorf schaffen. Man könnte sich in Loikaw ein Taxi nehmen. Aber dann hätte man den Frauen wohl nur von weitem zuwinken können, hätte ein paar Fotos gemacht, wie ein Großwildjäger. Dank des Projekts aber werden Türen geöffnet, man trifft Menschen, die von sich und ihrem Leben erzählen.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Reiseinformationen

Anreise: Flug z. B. ab München nach Yangon mit Singapore Airlines, mit Zwischenstopp in Singapur ab 850 Euro; mit Myanmar Airways nach Loikaw ab 170 Euro.

Unterkunft: DZ in der Loikaw Lodge ab 75 Euro, www.loikawlodge.com Anbieter des Inclusive-Tourism-Projekts: z. B. Amazing Kayah, www.amazingkayahtravel.com, oder Hauser Exkursionen im Rahmen der Reise Myanmar aktiv erleben, www.hauser-exkursionen.de

Allgemeine Informationen: www.myanmar.travel , International Trade Center der UN: http://www.intracen.org

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SZ vom 11.01.2018/lia
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