Myanmar:Lebendige Fototapete auf dem See

Myanmar: Die Einbeinfischer vom Inle-See gibt es tatsächlich. Die meisten leben heute allerdings nicht mehr vom Fischfang, sondern vom Tourismus.

Die Einbeinfischer vom Inle-See gibt es tatsächlich. Die meisten leben heute allerdings nicht mehr vom Fischfang, sondern vom Tourismus.

(Foto: Robert Harding/mauritius images)

Seit der politischen Öffnung boomt der Tourismus in Myanmar - und die Korruption. Am Inle-See wird offensichtlich, was dies für Mensch und Natur bedeutet.

Von Jonathan Ponstingl

Am Pier in Nyaung Shwe schmerzt der Lärm in den Ohren. Ein unaufhörlicher Strom aus Longtail-Booten schiebt sich an einem Betonvorsprung vorbei und nimmt Touristen auf. Braune Boote treiben im ebenso braunen Wasser, Benzingeruch wabert durch die angrenzende Straße. Touristenführer und Bootskapitäne rufen einander lautstark zu, verteilen ihre zumeist aus dem Westen stammenden Touristen auf die Boote.

Auf dem Inle-See in Myanmar boomt der Tourismus. Der See im Shan-Staat, dem größten von 15 Bundesländern Myanmars, ist neben den Tempeln von Bagan und den Städten Yangon und Mandalay wichtiges Ziel auf der klassischen Route durch das Land. Seit das Militär 2011 damit begonnen hat, seinen Bürgern demokratische Freiräume zu geben, kommen stetig mehr Touristen. Waren es 2010 noch knapp 800 000 Besucher, kamen 2015 bereits 4,7 Millionen. Doch Myanmar hat kaum Erfahrung mit den Ausländern, die in bisher wenig besuchte Gebiete reisen.

In Orten wie Nyaung Shwe, dem Tor zum Inle-See, herrscht denn auch Goldgräberstimmung. In dem einstigen Fischerdorf wachsen Betonklötze in die Höhe - die Hotels sind Vorboten des Massentourismus. Das ist von der Politik so gewollt. Kaum ein anderer Wirtschaftszweig bietet Entwicklungsländern einen schnelleren Zufluss von Devisen. Menschen wie Thiha Saw befürchten allerdings, dass die Entwicklung zu schnell geht. Saw hat früher selbst Touristen auf den See hinausgefahren, jetzt hat er sein Boot an seinen Bruder übergeben und arbeitet als Wanderführer. Auf dem See ist es ihm zu anstrengend geworden. "Der Tourismus verändert die Menschen", sagt Saw und berichtet vom Neid derjenigen, die aus dem Tourismus kein Kapital schlagen können.

Für David hingegen ist der See das Paradies. Mit seinen blondierten Haaren - Justin Bieber ist in Myanmar eine große Nummer - ist er schwer zu übersehen. Über dem traditionellen Longyi trägt er ein Sweatshirt mit "Chelsea-London"-Aufdruck. Vor ihm schiebt sich eine gigantische Geldmaschinerie über den Fluss. David besitzt eine eigene Bootsfirma und heißt eigentlich Ko Thu Hla. Mit 27 Jahren ist er ebenso jung wie seine Steuermänner. Fünf Gäste passen in ein Boot, 17 Euro pro Boot und Tag verlangen die Anbieter. Ein Steuermann bekommt zehn Prozent der Tageseinnahmen - also 1,70 Euro. Das ist selbst für Myanmar kein guter Tageslohn.

Hotels und Restaurants leiten ihre Abwässer direkt in den See

Sobald jeder Passagier seinen Platz gefunden hat, steuern die Kapitäne auf den Kanal hinaus, der Nyaung Shwe mit dem See verbindet. An der Mündung wartet die erste Attraktion des Tages: die Einbeinfischer. Sie balancieren auf einem Bein am Heck des Bootes, das andere Bein umklammert ein Ruder, mit dem sie das Boot steuern. Auf diese Weise haben sie beide Hände frei für die kegelförmigen Bambusnetze, mit denen sie heimische Inle-Karpfen fangen. Durch die Technik sind die Einbeinfischer vom Inle-See weltberühmt geworden. Die Touristen freuen sich über den Anblick der Fischer, die hier noch so authentisch ihrer Arbeit nachgehen - zumindest wirkt es so. Tatsächlich werden die Fischer, die für die Touristen mit hochgehalten Körben fürs Foto posieren, von der größten Bootsgesellschaft auf dem See bezahlt. Der einzige Fisch, den sie für Nahaufnahmen hochheben, sieht verdächtig nach Plastik aus. Anfassen darf man ihn nicht.

Mittlerweile ist der Inle-Karpfen vom Aussterben bedroht, eine invasive Art verdrängt ihn. Zudem verschmutzt die zunehmende Zahl der Dieselmotoren das Wasser. Viele Restaurants und Hotels leiten ihre Abwässer direkt in den See. Den durch den Tourismus vermehrt anfallenden Müll entsorgen sie einfach hinter den Gebäuden und bedrohen so nicht nur den Inle-Karpfen, sondern das gesamte Ökosystem. Im Ost- und Südteil des Sees werfen Fischer noch Netze aus - allerdings sind die bei Weitem nicht so fotogen wie die Körbe. Dafür wesentlich effektiver. Die verbliebenen Einbeinfischer würden ohne die Touristen anderen Beschäftigungen nachgehen oder wären arbeitslos. Die traditionellen Bambuskörbe wären auf dem See vermutlich nicht mehr zu sehen. Hinter den Einbeinfischern steuern die Boote auf die schwimmenden Gärten zu, in denen die auf dem See lebenden Intha Tomaten, Gurken und Bohnen anbauen. Doch Schiffsdiesel-Abgase, Müll und Pestizide machen nicht gerade Lust aufs Gemüse.

Die klassische Route der Bootsführer geht zu Silberschmieden, Bambusschnitzern, in eine Werkstätte für burmesische Zigaretten und eine Weberei, in der auf traditionelle Weise Lotus und Seide zu kunstvollen Produkten verarbeitet werden. Auch das ist ein Stück weit Farce, die meisten Souvenirs in den angrenzenden Läden werden von großen Unternehmen in Myanmar und China hergestellt. Nur ein Bruchteil wird tatsächlich auf dem See gefertigt. Aber all das ist eben auch Handwerkskunst, die schon am Aussterben war. Maschinell hergestellte Fabrikware ist deutlich günstiger zu haben. Insbesondere die Jugend interessiert sich nicht mehr für traditionelles Handwerk. Wozu sich die Mühe machen, umständlich Faden für Faden über den Webstuhl zu jagen, wenn sich anderswo deutlich mehr Geld verdienen lässt? Dann kamen die Touristen, und auf einen Schlag hatte traditionelle Handwerkskunst einen ökonomischen Wert. Besucher kommen gerne her und bestaunen Töpfer, Bootsbauer und Lackmaler bei der Arbeit.

"Niemand hier hat Langzeitpläne"

Auf dem Berg bei Thiha Saw knallt die Sonne ohne Unterlass vom Himmel. Schatten gibt es kaum, die meisten Gewächse ragen gerade mal über die Hüfte. Der Shan-Staat ist so etwas wie die Markthalle Myanmars. Auf dem Weg den Berg hinauf deutet Thiha Saw auf Felder mit Auberginen, Drachenfrüchten, Bananen, Mais, Chili, Papayas, Avocados und Tabakpflanzen. Schatten spendet ein kleines Dorf der Pa-O, einer der ethnischen Gruppen rund um den Inle-See. Die Touristen werden freundlich empfangen. Mit einem Bambusrohr hilft Thiha Saw dem Gastgeber, das Feuer unter der Aluschale anzufachen, wendet den Reis, schneidet frisches Gemüse von den umliegenden Feldern hinein und fächert eine frische Papaya für den Nachtisch auf.

"Wenn die touristische Entwicklung am See zu schnell geht, machen wir viel kaputt", warnt Thiha Saw. Eine Woche zuvor ist ein Belgier aus seinem Hostel gerannt, nur mit Unterwäsche bekleidet und betrunken. Die Polizei sammelte ihn ein, als er gerade versuchte, einen Motorroller zu stehlen. Ein Bürger Myanmars würde wohl hinter Gittern landen. "Einen Ausländer können wir dafür aber nicht ins Gefängnis stecken. Das würde große Probleme verursachen." Die Polizei entschied sich für den diplomatischen Weg und entließ den Belgier nach einer Nacht. Die lokale Bevölkerung fragt nun: "Weshalb gelten für Ausländer andere, bessere Gesetze als für uns?"

Für viele Einheimische wird die Stadt zu teuer

David sieht die positiven Seiten des Tourismus. "Tourismus bringt Arbeitsplätze. Und viele Menschen konnten sich eine eigene Existenz aufbauen." 2012 gab es in Nyaung Shwe 17 Hotels, inzwischen sind es mehr als 100. Die Kehrseite: Die Landpreise sind stark gestiegen, viele Einheimische können es sich nicht mehr leisten, in der Stadt zu leben und ziehen hinaus.

Wer heute noch nach Nyaung Shwe übersiedelt, will vor allem eines: Geld machen. Und das kann auch funktionieren. Die Hoteliers suchen nach Personal, die jungen Leute verdienen im Service deutlich mehr als in der Landwirtschaft. Nur wirft diese Verschiebung Probleme auf: Im Sommer, zur Regenzeit, kommt der Tourismus in vielen Gegenden Myanmars praktisch zum Erliegen. Die Hotels stellen ihr Personal so gut wie nie für zwölf Monate an. Und jede Veränderung der politischen Situation kann sich natürlich auch negativ auf den Tourismus auswirken. Von der Vertreibung der Rohingya, der muslimischen Minderheit aus dem Bundesstaat Rakhine, bekommt man zwar im Land selbst kaum etwas mit. Doch der Tourismussektor ist stark davon betroffen, die derzeitige Saison in Rakhine entsprechend schwach. Deutsche Reiseveranstalter rechnen mit einem leichten Rückgang der Buchungen für Myanmar. "Die Nachfrage 2018 liegt aktuell deutlich zweistellig unter dem Vorjahreszeitraum", sagt etwa Frano Ilic, Sprecher des Reiseveranstalters Studiosus. "Das führen wir zu einem sehr großen Teil auf die Berichterstattung rund um die Rohingya zurück."

Auch Khant Ko gehört zu den Profiteuren des Tourismus. Er besitzt ein Luxushotel und ist einer der wenigen Einheimischen, die mit dem Tourismus wirklich viel Geld verdienen. Für gewöhnlich stammen die Investoren aus Yangon oder aus dem Ausland. Die wenigsten aus der Region um den Inle-See haben genügend Geld und Einfluss, um ein teures Hotel zu eröffnen. Khant Ko möchte seiner Heimat etwas zurückgeben, sagt er. So engagiere er sich dafür, dass das Personal gut ausgebildet werde, bemühe sich, seinen Angestellten Englischunterricht zu ermöglichen. "Niemand hier hat Langzeitpläne. Jeder hat nur das Hier und Jetzt im Blick", kritisiert Khant Ko. Er heißt eigentlich anders. Seinen richtigen Namen möchte er nicht veröffentlichen - "Aus Misstrauen! Das ist ein Überbleibsel aus der Militärdiktatur. Bei uns heißt es nicht Know-how, sondern Know-who", so der Hotelier. Die Hotellerie ist ein gutes Beispiel dafür. In Nyaung Shwe darf nicht höher als vier Stockwerke gebaut werden - eigentlich. Viele Hotelbesitzer bauen trotzdem bis in den sechsten Stock und eröffnen dann ohne Lizenz. Auf die Umsetzung der Gesetze wird wenig geachtet, Korruption ist weit verbreitet. Die Kontrolle obliegt dem Tourismusministerium in der Hauptstadt Naypyidaw, eine eigene Behörde für den Inle-See existiert zwar, hat aber kein Personal.

Für die vielen Angestellten im Tourismus bleibt der neue Wirtschaftszweig dennoch ein Segen. "Ich kann Englisch lernen und erfahre viel über andere Länder. Mein Leben hat sich verbessert", sagt etwa Aung Aung, der Rezeptionist in einem Hotel ist. Myanmar war jahrzehntelang ein abgeschottetes Land. Informationen von außerhalb gab es kaum. Heute dienen die sozialen Medien als Hauptinformationsquelle, viele Reiseleiter bitten ihre Gäste um gemeinsame Fotos und erfragen Kontaktdaten. Viele Bürger Myanmars freuen sich, endlich Teil haben zu können am Weltgeschehen. Den Tourismus sehen sie als Heilsbringer. Dafür muss die eigene Kultur vielleicht ein Stück weit angepasst werden. Doch das stört sie nicht. Sie betrachten das eher als Teil eines landesweiten Modernisierungsprozesses. Das sieht auch Thiha Saw so - mit Vorbehalt: "Tourismus bedeutet für die meisten Menschen hier Fortschritt. Wir müssen ihn aber verantwortungsbewusst angehen."

Reiseinformationen

Anreise: Emirates fliegt über Dubai ab 868 Euro nach Yangon und zurück, www.emirates.com; von Yangon mit einem Inlandsflug nach Heho und weiter per Taxi oder in einer abenteuerlichen, zehnstündigen Zugfahrt zum Inle-See.

Trekking: Tagestouren rund um den Inle-See kann jedes Hotel vermitteln. Eine Dreitagestour von Kalaw nach Nyaung Shwe haben etwa Ever Smile und Sam's Trekking ab 25 Euro pro Person im Programm. Gewandert wird durch die Wildnis, geschlafen in einfachen Hütten, www.eversmiletrekking.wordpress.com

Unterkunft: Etwas außerhalb von Nyaung Shwe liegt das Sanctum Inle Resort, ein Boutiquehotel mit Spa-Bereich, DZ ab 155 Euro pro Nacht, www.sanctum-inle-resort.com

Weitere Auskünfte: www.myanmar.travel

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