Musicals in Hamburg:Träumt weiter

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"Der König der Löwen" lief in Hamburg schon, als die Elbphilharmonie lediglich eine verrückte Idee war. (Foto: Johan Persson)

Vor der Pandemie nahmen in den großen Musical-Theatern jährlich so viele Besucher Platz wie Hamburg Einwohner hat. Nun feiern Veranstalter und Fans die Wiederkehr der großen Shows. Was bringt die neue Saison?

Von Till Briegleb, Hamburg

Lauscht man Gesprächen im Foyer von Musical-Theatern, bemerkt man ein spezielles Publikum. Musical-Gäste sind Theaterbesucher mit Fan-Herz. Und viele sind echte Experten für diese Schnittmenge aus Oper und Popkonzert. Schonungslos werden hier die Musicals mit grünen Helden, "Wicked" und "Shrek", verglichen, wird von Zweitbesetzungen geschwärmt, die eigentlich die erste sein sollten.

Es wird von Shows in anderen Städten berichtet, über Kulissen und Effekte gefachsimpelt, und manchmal sehr ätzend geurteilt über Misslungenes. Auch wie Nachfahren der Zirkusbesucher, die nach Zauber und Illusionen dürsten, wirken diese Getreuen des Musicals. Manche von ihnen verkleiden sich sogar mit Hexenhütchen oder Löwenmähne. Und kommen immer wieder. Kamen, muss man für die letzten Monate sagen. Aber diese freudlose Zeit hat ja jetzt ein Ende.

Neustart auf den Bühnen

Schritt für Schritt werden die vier großen Musical-Theater an der Elbe, in denen vor der Pandemie so viele Besucher jährlich Platz nahmen, wie Hamburg Einwohner hat, erneut in Betrieb genommen. Nach der Premiere von "Wicked" als rundum modernisierte Neuinszenierung am 9. September nimmt Deutschlands Marktführer für musikalisches Volkstheater, Stage Entertainment, seine anderen Produktion wieder auf.

"Der König der Löwen", der vor 20 Jahre in seinem gelben Zelt auf der südlichen Elbseite Deutschlandpremiere feierte, also zu einem Zeitpunkt, als die Elbphilharmonie gegenüber lediglich eine verrückte Idee war, ist noch lange nicht abgespielt. Ab dieser Woche wird das mit Abstand erfolgreichste Musical überhaupt, das rund um den Globus bisher über acht Milliarden Dollar eingespielt hat, auch an der Waterkant wieder musikalische Dschungelatmosphäre verbreiten. Und das Tina Turner-Musical im Operettenhaus auf der Reeperbahn startet ab 8. Oktober in seinen Soul-Winter.

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(Foto: imago/imagebroker)

Im Stage Theater an der Elbe, einem der vier großen Musical-Häuser der Stadt, war es lange still.

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(Foto: Stage Entertainment)

Von November an wird die "Eiskönigin" unter dem spiegelnden Helm des Theaters an der Elbe aufgeführt.

Anfang November hat dann Disneys "Eiskönigin" Deutschlandpremiere unter dem spiegelnden Helm des Theaters an der Elbe, das 2017 mit dem "Wunder von Bern" eingeweiht wurde. Das nach dem Animationsfilm "Die Eiskönigin - Völlig unverfroren" entwickelte Broadway-Musical, das dort vor drei Jahren uraufgeführt wurde, ist eine opulent choreografierte Adaption von Hans Christian Andersens Märchen "Die Schneekönigin", konzipiert für Freunde eher traditioneller Traumfabrikation. Die Ausstattung ist eine amerikanische Glamourversion historischen Operettengeschmacks, die Inszenierung ein Weihnachtsmärchen fürs ganze Jahr.

Ein Musiktheaterstück mit ganz anderem Zuschnitt sollte eigentlich auch diesen Herbst Premiere feiern, musste aber wegen der bekannten Ansteckungskrankheit auf 2022 verschoben werden: "Hamilton". Der Stoff über einen Gründungsvater der USA, der vielleicht in Deutschland thematisch nicht ganz so leicht andocken wird, wurde von Lin-Manuel Miranda als Hip-Hop-Musical mit drei Mal so viel Wort wie jede gängige Produktion komponiert. "Hamilton" hatte 2015 am Off-Broadway in New York Premiere. Von dort startete es hochdekoriert mit Grammy- und Tony-Awards im großen Rahmen durch. Und mit dem Slogan "Ein Stück Revolution kommt nach Hamburg" löst es im September nächsten Jahres "Tina" ab, während das Abba-Musical "Mamma Mia", das bereits 2002 bis 2007 in Hamburg lief, zum gleichen Zeitpunkt auf "Wicked" folgt.

Ein "Mamma Mia" auf die Krise

Für Musical-Theater schufen die Lockdowns eine ungleich schwierigere Situation als für die subventionierten Bühnen, besonders, wenn die Haupteigentümer gar nicht in Deutschland sitzen. Obwohl die Stage Theater in Hamburg, Berlin und Stuttgart durch die pandemischen Schließungen Umsatzeinbußen von 500 Millionen Euro aufzuweisen hatten, war lange ungewiss, ob sie als Subunternehmen des US-amerikanischen Medienriesen Advance in Deutschland Hilfen erhalten dürfen. Doch das Reich der Träume konnte sich retten, dank Kurzarbeit für die 1500 Mitarbeiter, einem Gesellschafterkredit der Mutterfirma - und der Fans ihres Genres.

Denn etwa 600 000 Kartenbesitzer ließen sich nach den Absagen ihrer Aufführungen die Tickets nicht erstatten, sondern ins Ungewisse umbuchen. Wenn jetzt langsam die rund 3300 Shows, die Stage pro Jahr zeigt, wieder anrollen, dann muss die Treue natürlich erst einmal eingelöst werden. Und der Strom der Besucher baut sich laut Unternehmenssprecher Stephan Jaekel eher "kaskadisch" auf. Noch immer sind viele Gäste unsicher in Bezug auf große Publikumsveranstaltungen, obwohl die Stage-Theater Klimaanlagen einsetzen, mit denen man "26 Flugzeuge" belüften könne, wie Jaekel stolz erklärt. Doch die Unklarheit über die Zugangsregelungen machen Besucher zögerlich.

2G oder 3G - eine Existenzfrage

Der Hamburger Senat verlangt für 3G-Veranstaltungen, dass Säle im Schachbrettmuster mit gleich vielen freien wie besetzten Plätzen belegt werden - und dass Maske am Platz getragen wird. Diese 50-prozentige Auslastung ist für große Unternehmen wie die Stage noch die kostspielige Regel, um niemand auszuschließen. Das Ende kostenloser Corona-Tests wird die Bereitschaft von Ungeimpften aber vermutlich deutlich senken, zu der Theaterkarte für 60 bis 100 Euro auch noch einen teuren Test beim Arzt einzuholen. 2G wird sich vermutlich auch hier bald durchsetzen.

Auch schräge Unterhaltung auf kleineren Bühnen gehört zur Hamburger Musical-Szene, etwa im Schmidt Theater auf dem Spielbudenplatz. (Foto: imago images/xim.gs)

Für kleinere Privatveranstalter wie die Schmidt's-Tivoli-Gruppe auf der Reeperbahn war 3G nie eine ökonomische Perspektive. Die schillernden Bühnen für schräge Unterhaltung, die mit dem St. Pauli-Musical "Die heiße Ecke" weiter einen Evergreen im Programm haben, der seit 2003 bereits 2,5 Millionen Karten verkaufte, brauchen in ihren kleinen Sälen volle Auslastung. Deshalb wurde schon früh annonciert, dass für das Schmidt's seit 5. Oktober nur noch Geimpfte und Genesene zugelassen sind.

Konkurrenz belebt das Geschäft

Gesungen wird in Hamburg mittlerweile überall. Sicherlich sind die Bühnen des Schmidt's, dessen Urzelle am 8.8.1988 von Corny Littmann gegründet wurde, als freche Alternative zum Konzerngeschäft der zweite wesentliche Grund, warum Hamburg als Deutschlands Musical-Hauptstadt gilt. Für Kinder, Verliebte und Besoffene wird hier gleichermaßen unverschämt gesungen wie zotig schnell gesabbelt. Obwohl Humor die Kernbotschaft ist (nicht Jedermanns, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen), ist Musik hier doch meist Spaßes Bruder (und Schwester). Neuster Streich: die "sensationelle Sensationsshow Schmidt's Ritz" über Varieté in den Zwanzigern. Mit viel Swing-Musik und einigen "bildungsfernen" Rampensäuen.

Aber auch an allen anderen Theatern der Stadt - von der Ausprobierbühne des Musical-Nachwuchses, dem First Stage Theater, bis zu den Staatstheatern - geben Singspiele Planungssicherheit für Publikumszuspruch. Wobei die Expertinnen und Experten aus den Foyers der Stage-Theater hier ein wenig vorsichtig (oder experimentierfreudig) sein sollten. Gerade bei Bühnen mit hohem Kulturanspruch meint "Musical" nicht das, was Andrew Lloyd Webber 1990 in Hamburg mal eingeführt hat. Selbst hervorragende musikalische Unterhaltung wie Clemens Sienknechts und Barbara Bürks Klassiker-Neuerzählungen "mit anderem Text und auch anderer Melodie" am Deutschen Schauspielhaus entwickeln ihre Gaudi in der ironischen Abgrenzung zum seriösen Musical. Aber auch das bildet ein spezielles Theaterpublikum mit Fan-Herz.

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