Murcia:Die Blauen und die Weißen

Traditionelle katholische Riten, Phönizier-Kultur und atemberaubende Naturwelten prägen das Leben in der spanischen Provinz Murcia.

Von Monika Maier-Albang

In Lorca muss man sich entscheiden. Entweder man ist blau oder weiß. Ein Dazwischen in Pastell gibt es nicht. Fragt man Philippe, den Taxifahrer, mit welcher Farbe er es hält, starrt der mit tellergroßen Augen zurück. "Natürlich blau."

Murcia

An der Costa de Águilas

(Foto: Foto: José L. Montero/Región de Murcia)

Es geht hier in Lorca, einer kleinen Stadt im Westen der spanischen Provinz Murcia, nicht um Fußball. Es geht um viel Elementareres: um den Glauben. Zumindest sieht es Philippe so, und deshalb zerrt es an seiner Ehre, wenn man ihn den Weißen zurechnet.

Die verehren die traurige Jungfrau, "Virgen de la Amargura". Die Blauen halten zur schmerzhaften Muttergottes, "de los Dolores".

Jedes Jahr an Ostern ist die ganze Stadt auf den Beinen. 1000 verkleidete Menschen, 200 geschmückte Pferde. Cleopatra, König David, Nero und römische Gladiatoren ziehen durch die Straßen. Inzwischen hat man die Tradition aus dem 19. Jahrhundert derart verfeinert, dass so ziemlich jeder auftritt, der irgendwie ins biblische Geschehen passt.

Fleisch am Karfreitag

Um immer neue Gewänder fertigen zu lassen, setzen sechs Bruderschaften das ganze Jahr über Geld und Einfluss ein. Ist es dann endlich so weit, sind die Zuschauer der einen Straßenseite blau gekleidet. Die auf der anderen weiß. Die Blauen versuchen die Weißen niederzuschreien. Und andersherum.

Der Vatikan erlaubt den Bewohnern der Stadt Lorca sogar, am Karfreitag Fleisch zu essen. Schließlich ist diese Prozession Schwerstarbeit.

Früher, sagt Philippe, hätte nie ein Blauer eine Weiße geheiratet. Heute sehe man das nicht mehr so eng in Lorca. Wahrscheinlich, weil niemand mehr so genau weiß, warum sich die zwei Parteien anfeinden. Nicht einmal die Stadtführerin kann das plausibel erklären.

Der kämpferische Katholizismus mag ein Erbe aus dem späten 15. Jahrhundert sein, als die Mauren aus dieser Gegend vertrieben wurden. Heute spielen findige Tourismusmanager mit der Geschichte. In der "Sonnenfestung" nahe Lorca hat man aus den wenigen Resten einer Burgruine ein multimediales Museum gemacht.

Einstimmung aufs Mittelalter

Die Reise ins Fortaleza Del Sol beginnt in einer Zeitmaschine. Zur Einstimmung aufs Mittelalter werden an die Wand und auf den Boden der Kabine Bilder projiziert. Kaum ist der Besucher im Freien, steht ihm ein Wächter mit angelegter Armbrust gegenüber. Seine Befragung ginge in Deutschland kaum als politisch korrekt durch: "Christian or Muslim?" Die Antwort fällt leicht.

Auch über der Provinzhauptstadt Murcia thront auf dem Monte Agudo ein monumentaler Christus. Zu Füßen des "scharfen Berges" siecht eine maurische Burgfeste. Attraktionen wie die Alhambra in Granada, die Giralda in Sevilla - ein über 90 Meter hohes, ehemaliges Minarett - finden sich in der Region Murcia nicht.

Als eine der letzten Bastionen vor der Rückeroberung, der Reconquista von 1492, wurde mit den Muslimen auch ihre Kunst ausgelöscht. Erst Jahrhunderte später fand man den arabischen Stil wieder schön.

Das Casino von Murcia etwa betritt man durch eine mit Ornamenten verzierte Halle. Was wie Holz aussieht, ist buntes Plastik aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Wie das ganze Casino, gebaut als Treffpunkt für die bürgerlichen Herren der Stadt, eine einzige Kopie ist: Im Jugendstil-Damenraum schwirren Frauen mit Schmetterlingsflügeln über den Himmel, die Wände des barocken Tanzsaals zieren Brokatvorhänge.

Zum Kaffee ließen sich die Herrn neben Marmorbüsten nieder und fühlten sich wie in Pompeji. Heute feiert jedes Paar aus Murcia, das etwas auf sich hält, seine Hochzeit in diesem Gebäude.

Atem beraubender Duft

Wer in Spanien Natur sucht, ist in der Region Murcia gut aufgehoben. Über Kilometer ziehen sich die Zitronen-, Tomaten-, Artischockenplantagen - teils unter Plastik - an den Straßen vorbei. Bewässert wird mit Hilfe von Aquädukten, die in Betonbassins münden. Vom Flugzeug aus wirkt die Landschaft deshalb wie mit Swimmingpools übersät.

Im Mai stehen die Zitrusfrüchte in voller Blüte. Der Duft ist Atem beraubend. Die Besucher ziehen ihn mit tiefen Zügen ein. Die Arbeiter, die täglich neun Stunden bei brütender Hitze mit Körben auf dem Rücken die Ernte einholen, können sich daran nicht mehr erfreuen.

Noch sind es vor allem Marokkaner, die auf den Feldern stehen. Doch mehr und mehr werden sie von Erntehelfern aus Ecuador verdrängt. Die Latinos gelten als vertrauenswürdiger: Sie bringen ihre Familie mit, sprechen spanisch und sind Katholiken.

Die Blauen und die Weißen

Auf dem Bau helfen Polen und Russen. Gastarbeiter, die es sich leisten können, ziehen in die Innenstädte. Während spanische Familien ihr Glück in Neubauten außerhalb der Städte suchen.

So entstehen am Rand der 400.000-Einwohner-Stadt Murcia, deren Ursprung in phönizische Zeit zurückreicht, seit ein paar Jahren gleichförmige Satellitensiedlungen. Der Traum vom eigenen Heim endet entweder im sechsten Stock mit Balkon oder im Reihenhausstil.

Zum Ausgleich wird am Wochenende ein Ausflug zum Klettern in die Berge im Hinterland Murcias, wo es noch Luchse, Adler und Mufflons gibt, gerade bei jungen Spaniern immer beliebter.

Kilometerlange Unberührtheit

Das Gros der einheimischen wie ausländischen Urlauber verbringt den Sommer aber an der Küste, die hier Costa Calida heißt, was so viel wie "warm und gemütlich" bedeutet.

Wer sich beeilt, kann im Westen der Provinz zwischen Aguilas und Mazarron noch einen 80 Kilometer langen, fast unberührten Strand finden. In fünf, sechs Jahren sollen laut örtlicher Tourismusbehörde dort zahlreiche Hotelanlagen stehen.

Allerdings mit der Auflage, dass nicht höher als zwei Stockwerke und nicht direkt an den Strand gebaut werden darf. Man scheint gelernt zu haben von La Manga, dem "Ärmel". Der schmale Streifen Land trennt Europas größtes Binnenmeer, das Mar Menor, vom Mittelmeer. Könnte der Ärmel sich schütteln, fielen hunderte Hochhäuser von ihm ab.

Im Sommer ist das Mar Menor so voll, dass sich die Boote stauen "wie auf einer Autobahn", sagt Segellehrer Javier Jimenez. Doch in der Vor- und Nachsaison, wenn der Sand am Meeresboden nicht aufgewirbelt wird, schillert das flache Wasser bis zum Strand gelblich-türkis.

In der Mitte der beiden Meere

Ganz im Norden des Binnenmeeres, bei San Pedro del Pinatar, erheben sich am Ufer Salzberge, die im Abendlicht rötlich glänzen. Ein paar Meter weiter reiben Menschen ihren Körper mit dunklem Schlamm ein: Darin enthaltenes Magnesium, Kalzium, Natrium, Brom, Jod und Fluor soll gegen Arthritis und Rheuma helfen.

Auch Flamingos leben noch in der Lagune, deren Salzgehalt mit 60 Gramm pro Liter weit über dem des Mittelmeeres liegt. Früher habe das Mar Menor ein eigenes Ökosystem gehabt, sagt die Ozeanographin Amelia Canovas vom Besucherzentrum in Cabo de Palos.

Doch seit in den siebziger Jahren ein künstlicher Durchgang angelegt wurde, mischt sich das Wasser beider Meere. Algen, Quallen und Raubfische wanderten ein. Vor allem letztere sind eine Bedrohung für die ruhigen Seepferdchen, eine der Attraktionen des Mar Menor.

Barrakudaschwärme und Wale

Die Küste außerhalb der Manga ist aber immer noch ein Paradies für Taucher. Am südlichen Teil des Binnenmeeres, in Cabo de Palos, reiht sich eine Tauchschule an die andere. Das Wasser ist in dieser Küstenregion besonders nähr- und sauerstoffreich.

Mit etwas Glück sehen die Taucher nicht nur Barrakudaschwärme, Rochen und Delphine, sondern auch Wale auf der Durchreise. Besonders beliebt ist dieser Küstenstreifen bei Tauchern auch deshalb, weil hier viele Wracks von Schiffen liegen, denen die Felsen knapp unter der Wasseroberfläche zum Verhängnis wurden.

Das letzte Boot sank am 2. August 1906 vor Cabo de Palos: Die Sirio war auf dem Weg von Genua nach Südamerika und hatte Auswanderer an Bord. 440 Menschen fanden den Tod.

Die Blauen und die Weißen

Informationen

Anreise: Mit Iberia nach Alicante über Madrid oder Barcelona ab 190 Euro ohne Gebühren

Weitere Auskünfte: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 63, 10707 Berlin, Tel.: 030/882 65-43, Fax: /882 66 61, E-Mail: berlin@tourspain.es, Internet: www.spain.info oder die Region Murcia im Internet: www.murciaturistica.es

Bildunterschrift: Es ist eine altchristliche Tradition in Murcia, auch Gotteshäuser in den Farben Weiß und Blau zu streichen. Mittlerweile nutzen die Tourismusprofis die alten Bräuche für spektakuläre Feste und Museen. Die Sonnenfestung nahe Lorca zum Beispiel beherbergt ein multimediales Museum zur Geschichte der Provinz. Fotos: FA Murcia

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