Müllentsorgung im Urlaub:Trennungsschmerz

Wer eine Ferienwohnung bucht, weiß manchmal nicht genau, worauf er sich einlässt - und ob er den Müll-Vorschriften der Vermieter gewachsen ist. Plötzlich ergeben sich ganz neue Fragen bei der Urlaubsgestaltung, zum Beispiel: In welchen Müll gehört die Wurstpelle?

Michael Winter

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Urlaub in der Ferienwohnung kann anstrengend werden - wenn die Touristen bei der Mülltrennung nicht mehr durchblicken.

(Foto: dpa)

Wir hatten beide die Nase voll von Sterneherbergen mit Sterneküchen, in denen schon zum Frühstück die Augenschlitze vom Anblick dümpelnder Weißwurstkarpfen, vom Blick auf Flöße aus Lachsröllchen, auf Gipfel aus Schalentieren und auf Steaklandschaften und Käsecitys gewaltsam geweitet werden und man natürlich nicht widerstehen kann, sodass noch vor dem Tagesprogramm der Kreislaufkollaps droht. Wie viel besser würde es uns gehen, wenn wir die Zutaten zu unseren Mahlzeiten auch im Urlaub wie zu Hause selbst besorgen und gemütlich in der eigenen Küche zubereiten könnten. Diese Chance bekommt man in einer Ferienwohnung.

Die über das Internet gebuchte war riesig, mit Balkons und schöner Bergsicht, modern und gemütlich eingerichtet. Sie lag in einem jahrhundertealten Bauernhaus. Das Bad war vom Design her vergleichbar mit einem Fünfsternehotel. Die Küche verfügte über Mikrowelle, Herd, Kühlschrank und Spülmaschine. Es war an alles gedacht.

An ALLES! Die Wirtin wies uns auf einen Raum im Parterre hin, in dem sich fünf Tonnen mit Aufschriften für gelesene Zeitungen, altes Brot, Flaschen, Metall und Papier befanden. In einem Regal waren die Straßen- und Wanderschuhe abzustellen und durch die Hausschuhe zu ersetzen, die wir natürlich nicht hatten. Wir hatten auch keine Wanderstiefel.

Hinter dem Haus zeigte uns die Wirtin einen Schrank aus Waschbetonwänden, in dem zwei Mülleimer untergebracht waren. Einer für Plastikabfälle und einer für Restmüll. Dahinter standen Fahrräder zu unserer Verfügung, und der Hinweis der Wirtin, dass wir möglichst unser Auto auf dem Parkplatz hinterm Haus stehen lassen sollten, klang nicht wie eine lockere Empfehlung.

In der Küche stand ein grüner Kasten. In den sollten wir unseren Biomüll kippen und ihn bei Bedarf auf dem Komposthaufen hinter den Bäumen am Fluss ausschütten. Es waren also acht Behälter, in die wir die Reste unseres täglichen Bedarfs zu entsorgen hatten. Für die Zwischenlagerung in der Küche standen neben dem grünen fünf weitere Kästen mit Aufschrift zur Verfügung.

Umweltschutz fängt mit Gumminoppen an

Zuerst fielen uns die Noppen aus durchsichtigem Gummi auf, die genau dort an der Wand hinter der Toilette klebten, wo der Deckel der Klobrille beim Aufprall ein hässliches Tellern verursacht hätte. Wir fanden diese Noppen überall in der Wohnung, wo etwas hätte aufeinanderstoßen können, und rieten, im Bett liegend, wo das sonst noch sein könnte. Immer wenn eine Idee geäußert wurde, sprang einer auf und schaute nach. Die Lebenspartnerin hatte zwölf, ich neun Treffer.

Es stand hinter allen Einrichtungen vom Fahrrad über die Mülleimer bis zu den Noppen eine Moral der Schonung, die uns in die Seele kroch und unsere Resistenz gegenüber der Umwelt aufweichte wie ein Stück Pappe in einem Laugenbad. Wir waren in ein liebliches Alpental gereist, dessen prekäre biologische und klimatische Balance zu erhalten, wenn nicht zu stärken, man dem Gast auftrug. Dahinter war die Botschaft zu merken: Gott ist die Natur, und wider sie zu handeln ist Sünde. Wolf oder Lamm. Wir begannen, uns sündig zu fühlen. Agnus Dei. Jawohl. Zum Lamm sollst du werden, anstatt auf dem Planeten herumzutrampeln.

Aber als wir später mit der Seilbahn den Berg hinauffuhren, sahen wir oben am fast abgetauten Gletscher die Schneekanonen für die kommende Skisaison bereitstehen. Macht euch die Erde untertan.

Der Feind ist die Verpackungsindustrie

Wir gingen im Haus fast nur noch auf Zehenspitzen. Eigentlich hätten wir die Verpackungen unserer Lebensmittel als Dessert verschlucken müssen, um reine Abfallbeutel zu hinterlassen und spurenlos zu verschwinden. Wir erkannten, dass unsere Gegenwart in den von uns angemieteten Räumen ein ständiges Aufräumen erforderte, das sich einem kriminaltechnisch definierten "spurenlos" um einige Stufen näherte. Allerdings entlastete uns die Erkenntnis der Forensik, dass es in dieser Welt keine Spurenlosigkeit gibt.

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Wer anfängt, Müll zu trennen, erkennt: Die Verpackungsindustrie ist der natürliche Feind der Müllentsorgung.

(Foto: dpa)

Wie kann es unter diesen Umständen der Mensch wagen, überhaupt auf der Welt zu leben? Wie können wir uns erlauben, jeden Schritt, den wir tun, hinter uns unverwischt zu lassen? Schweben wäre eine Lösung, knapp über dem Boden, natürlich ohne Motor und immerwährend, asiatischen Geistern gleich, dazu Manna kauen, das vom Himmel fällt und sicher nicht in Folie verschweißt und mit Verfallsdatum versehen ist.

Wir erkannten, dass unser Feind nicht Iran ist oder Diktatoren von China bis Syrien oder Bankenrowdys von der Wall Street bis zur City of London, sondern die Verpackungsindustrie. Warum können wir nicht alles, was wir zum Leben brauchen, auf die bloße Hand bekommen oder wie buddhistische Mönche in eine kleine Lackschüssel?

Die Probleme begannen nach der ersten Mahlzeit. Es gab Reste vom Einkaufen, Verpackungen aus allen möglichen Materialien. Es gab Überreste vom Kochen: Eierschalen, Abgeschältes von Kartoffeln, geputztem Gemüse und Obst, leere Flaschen mit Schraubverschlüssen aus Metall, Plastiktüten, Papier, gelesene Zeitungen, Wurstpellen, Knochen.

Wohin mit den ausgekochten Teeblättern?

Zuerst war das Problem mit den ausgekochten Teeblättern zu lösen. Den Darjeeling aus garantiert kontrolliertem, arbeitsmoralisch unverdächtigem und biologisch einwandfreiem Anbau hatten wir dabei. Wohin aber mit den Teeblättern im Sieb? Zweifellos Biomüll. Schlägt man die feuchten Krümel in die hohle Hand und wirft sie dann wie einen nicht zusammenknetbaren Schneeball in den grünen Kasten, mit dem Ergebnis, dass das meiste daneben fällt? Nein, wir klopften das Teesieb auf zwei doppelt gelegten Küchenkreppabschnitten aus und wickelten den Inhalt mit dem sich grünbräunlich durchnässenden Papier ein, in der Annahme, dass das Tuch aus einer Art Zellstoff bestand und biologisch abbaubar sei.

Dann ging es um die Wurstpelle. Zuerst aber kam die Frage auf, ob Fleischreste, Knochen gar von Schweinshaxen, Milchlammschultern oder halbe Hühnerbrustkörbe, die auf einem Komposthaufen landen durften, nicht nachkommende Vegetarierinnen und Vegetarier erschrecken und verekeln würden? Wir entschieden uns für die Provokation und gruben die Knochenreste nicht unter.

Damit war aber die Frage der Wurstpelle noch nicht geklärt.

War die Hülle, in die man die Hirschsalami gepresst hatte, aus Plastik oder aus Darm? Wir kauten zum Test darauf herum, und es stellte sich heraus, dass die Wursthaut in den Müll für Kunststoffe gehörte. Im Wurstzipfel steckte noch etwas von dem Inhalt. Den hätten wir mit dem Messer herauskratzen und essen können. Es war nicht unsere Art, Wurstzipfel zu reinigen, indem man das Brät aus der Pelle sog. Ohne diese Maßnahme ergab sich aber ein ernstes Problem. Gehörte der Zipfel in den Bio- oder in den Plastikmüll?

Besenrein kann nur ein Anfang sein

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Mülltrennung scheint für den Befüller dieser Abfalltonne ein Fremdwort zu sein. Plastik, Papier, Glas, Lebensmittelreste - und alles zusammen!

(Foto: dpa)

Man muss die Probleme nur aufspalten bis zu ihren Atomen, um daraus sokratische Fragen zu entwickeln. Wie ist rückstandloses Essen möglich? Rückstandloses Putzen, Wandern, Bergsteigen, rückstandsloses Bäumefällen, Häuserbauen, Straßenanlegen, Autofahren, Fliegen, Rinderzüchten, Duschen, Atmen?

Vielleicht gibt es einfache Antworten. Ein alter Bauer kam uns am Ende einer Wanderung aus seinem Haus entgegen. Wir grüßten, und er fragte uns, ob wir Äpfel haben wollten. Wir wollten keine. Niemand will mehr Äpfel vom Baum, sagte er, sie misstrauen der Natur, nehmen die Äpfel aus den Körben im Supermarkt. Wir nickten. Dann schaute er besorgt auf unsere Schuhe und sagte, dass wir damit nicht auf die Berge gehen könnten. Stadtschuhe. Die Fremden sehe man damit ja kaum noch.

Wir erzählten ihm, dass wir nur Spazierwege in ebenem Gelände machen würden. Da legten sich endlich die Falten auf seiner Stirn. Ihr schaut euch die Berge von unten an, stellte er fest, und dann fahrt ihr mit dem Lift rauf und schaut von oben ins Tal hinab. Wir nickten verlegen. Er drückte uns die Hände. Das habe ich mein Leben lang so gemacht. Berge zu besteigen sei respektlos, sagte er, wie das Baden im Meer. Heute seien die Menschen im Höhenwahn: babylonische Türme, Mount Everest, Mond, Mars. Das Ergebnis: Leichen und überall Müll.

Darf Verdauung sein?

Die Vormittage vergingen mit Aufräumen, die Tage wurden kürzer. Für den eigentlichen Zweck des Wanderurlaubs blieb immer weniger Zeit. Wir merkten bald, dass die Idee, die Teekrümel in Papier einzuwickeln und zusammengekugelt in den Biomüll zu werfen, falsch war. Wir hockten uns also um den grünen Kasten, den wir auf den Balkon gestellt hatten, weil er in der Küche zu müffeln begann, packten die Teekrümel wieder aus und gaben das Papier in die Zwischenlagerung für den Papiermüll.

Und das war eigentlich das Hauptproblem: die Zwischenlagerung. Man wollte nicht jeden Müllgang treppab und hinters Haus einzeln tun. Also wurden Plastiktüten vom Supermarkt zur Vorsortierung angelegt, die mehr Fassungsvermögen als die bereitgestellten Kästen hatten. Bald war die Küche vollgestellt mit Plastiktüten voll mit getrenntem Müll.

Natürlich hatten wir Vorsorge für die Tischdecke auf dem Esstisch getroffen. Wir hatten sie gefaltet und in den Schrank gelegt, um Flecken zu vermeiden. Ebenso geschont wurden Küchenschürzen. Dafür bekleckerten wir Blusen und Hemden. Wir entleerten die Tüten mit dem vorsortierten Müll nachts - und so leise wie möglich, weil wir nicht dabei erwischt werden wollten, mit Straßenschuhen auf dem Treppenteppich zu den Mülleimern hinunterzugehen. Die Welt vor seiner Anwesenheit zu schonen ist eine komplizierte Aufgabe. Darf Verdauung sein?

Die Unendlichkeit des Aufräumens

Das Aufräumen bei der Abreise war wie eine mathematische Infinitesimalität. Die hatte Leibniz definiert, und jedem Schüler war sie in der Oberstufe mühsam unverstanden geblieben, außer denen, die sich später als Mathematiker durchschlugen. In der Infinitesimalrechnung konnte man Kurven mit einer Annäherung im Unendlichen an die Nullachse des kartesischen Koordinatensystems darstellen. Die Kurve näherte sich immer mehr der Achse, berührte sie aber nie, außer im Unendlichen. Übertrug man dieses Phänomen auf das Aufräumen, ergab sich dabei das alte Problem, dass etwas Wegzuräumendes oder Wegzuputzendes - Dreck, Abfälle und Staub - immer mehr weniger, aber nie endlich restlos wurde. Das Infinitesimale bedeutet beim Aufräumen und Saubermachen ein FAST. Daran verzweifeln nicht nur schwäbische Hausfrauen beim Straßenkehren.

Besenrein ist nur ein Anfang. Das wahre Ziel wäre Keimfreiheit.

Wie kann man ein Alpental keimfrei hinterlassen, als sei es ein Operationstisch? Bei unserer Abreise steckten wir die Reste von zu beseitigenden Abfällen in die Hosentaschen und warfen sie später aus dem Autofenster. Eine brutale Art, Mathematik und Moral zu enttäuschen.

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