Mountainbiken in Alaska:Fressen auf Rädern

Anchorage, Alaska

Die Landschaften in Anchorage, Alaska, laden zum Radfahren ein - doch es ist Vorsicht geboten.

(Foto: Caleb Foster - Fotolia)

Droht Mountainbikern in Mitteleuropa nur der Kampf mit Wanderern, lauern in Alaska streitlustige Bären. In der wilden Landschaft rund um Anchorage gilt es, nicht zur Beute zu werden.

Von Sebastian Herrmann

Mountainbiker stehen ja in ständiger Konkurrenz zu anderen Lebewesen. Zum Beispiel zu Wanderern. Die regen sich gerne über diese Rüpel auf Rädern auf, die rücksichtslos über schmale Pfade schießen. Treffen diese Outdoor-Kombattanten in den Wander- und Radlrevieren Mitteleuropas aufeinander, zicken sie sich gegenseitig an, beschimpfen einander ein wenig und gehen dann ihrer Wege. Fast handelt es sich bei diesen Treffen um ein Ritual, man findet sich gegenseitig blöd - und dann ist es auch wieder gut. Wer aber in Alaska auf ein Mountainbike steigt, der sollte sich für Treffen mit Lebewesen bewaffnen, die weder Funktionswäsche noch Nordic-Walking-Stöcke tragen. Wanderer braucht der Radler nicht abzuwehren, die sind in Alaska alle so freundlich, als wären sie alte Bekannte. Nein, es handelt sich um ernsthafte Konkurrenz: Bären und Elche.

Die Waffen der Wahl sind Glocken und Pfefferspray. Die Anti-Bären-Klingel wird an der Lenkerstange des Mountainbikes befestigt und bimmelt vor sich hin, während die Stollenreifen über den Upper Russian Lakes Trail rumpeln. Der ausgeschilderte Wanderweg führt auf der Kenai-Halbinsel südlich von Anchorage durch eine Landschaft, die wirkt, als hätte sie einst der freundliche Fernsehmaler Bob Ross gestaltet. Bäche, Berge, Bäume, Hütten an Seeufern, an denen Ruderboote liegen, sowie allerlei liebliche Landschaftselemente mehr. Hinter den Gipfeln kriecht das Eis der Gletscher die Hänge hinab, am Himmel kreisen Weißkopfseeadler - eine Gegend wie eine Kitschpostkarte.

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Nur die Glocke am Lenker bimmelt als Mahnung und Warnung. Die Bären sollen wissen, dass da ein paar Radler kommen. Die Tiere, so lautet die Erklärung, hassen es, überrascht zu werden. Als umsichtiger Mountainbiker kündigt man sich also an wie die Kuh auf der Alm. Die Reaktion eines erschrockenen Bären könnte nämlich die eines übellaunigen europäischen Wanderers um einiges an Wucht übertreffen.

"Immer auf die Beine zielen"

Für den Fall der Fälle hat Janice Tower Pfefferspray für den Gast aus Europa mitgebracht. Die zierliche Frau mit japanischen Wurzeln kennt wahrscheinlich jeden, der sich zwischen Anchorage und dem Polarkreis jemals auf einen Fahrradsattel gesetzt hat. An diesem Tag führt sie eine Gruppe von zwölf Radlern über die Trails - immer etwas schneller und immer etwas geschickter als der Rest der Glocken-Karawane. Wo andere absteigen, fährt sie einfach weiter.

"Du musst auf die Beine zielen", sagt Janice, "das Pfefferspray steigt nach oben." Die meisten in der Gruppe haben die Spraydose an einem der Tragegurte ihres Rucksacks befestigt. Das Anti-Bären-Mittel soll griffbereit sein, es will ja im Ernstfall niemand erst im Rucksack kramen müssen. Auf dem Upper Russian Lakes Trail lässt sich an diesem Tag jedoch kein Bär blicken. Nur die Produkte ihrer Verdauung liegen recht zahlreich auf dem Pfad - so zahlreich sogar, dass das zu zwei Schlüssen verleitet: Entweder betrachten die Tiere den Wanderweg als Toilette. Oder hier leben wirklich sehr viele Bären. "Im Juli stehen die hier an den Flüssen und fischen die Lachse raus, die zum Laichen kommen", sagt Janice. Und dann, so versichern die einheimischen Mountainbiker, seien die Bären so vollgefressen und zufrieden, dass man ihnen gemütlich beim Fischen zusehen könne.

Bestimmt kommt ein Pick-up

Im Hochsommer birgt das für bärenaffine Radtouristen nur das Problem, dass der Pfad an manchen Stellen zugewuchert ist. Die Vegetation in Alaska versteht es, den kurzen Sommer zu nutzen. Die Pflanzen eilen regelrecht aus dem Boden heraus, an vielen Stellen ist der Russian Lakes Trail dann dicht eingewachsen. Auch ohne Gestrüpp bietet der Weg einige Herausforderungen für Mountainbiker - so wie die meisten ausgeschilderten Wanderwege auf der Kenai-Halbinsel und den Küstenbergen am Meeresarm Turnagain Pike südlich von Anchorage.

Die nötigen fahrtechnischen Fähigkeiten lassen sich in Anchorage auffrischen. In der Stadt haben Janice Tower und ihre Gruppe, die Single Track Advocates, in zwei Parks Trails für Mountainbiker angelegt. Der Kincaid-Park liegt direkt neben dem Flughafen, aus der Innenstadt führt ein geteerter Weg entlang der Küste dorthin. An diesem Tony Knowles Coastal Trail treffen sich Jogger, Inlineskater, Radler und andere Hobbysportler. Kurz vor dem Park führt der Weg direkt am Ende der Startbahn des Flughafens vorbei. Etwa 15 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt donnern dort Frachtjumbos und Passagiermaschinen über einen hinweg. Dennoch bleibt das Gefühl präsent, sich in einer Wildnis zu bewegen, die einem aus Europa unbekannt ist: Zwischen den Bäumen neben dem geteerten Weg laufen die Elche.

Irre freundlich

Auch in den Hügeln des Kincaid-Parks kann es passieren, dass plötzlich eine Elchkuh mit ihrem Kalb aus dem Gebüsch tritt. Je nach Abstand zu den mächtigen Tieren ist das eine schöne oder eine Furcht einflößende Erfahrung: "Und? Hat dich ein Elch angegriffen?" In Anchorage gleicht diese Frage einer Begrüßungsformel unter Mountainbikern. Im Frühsommer verteidigen die Elchkühe ihre Kleinen mit großer Wucht. Manchmal ohne Vorwarnung, wie in einem Film aus dem Kincaid-Park auf Youtube: Da rennt eine Elchkuh plötzlich einen Radler über den Haufen. Die Anti-Bären-Glocke verwandelt sich im Kincaid-Park in eine Elchkuh-Warnglocke. Gleichzeitig erleichtert das Gebimmel die Fahrten auf den Trails, die Namen wie Toilet Bowl, Tower Power oder Boiling Alley tragen.

Die Pfade sind eng und deshalb manchmal unübersichtlich. Da ist es nicht die schlechteste Idee, andere Radler und Elche auf sich aufmerksam zu machen, während man durch überhöhte Kurven saust oder über Schanzen durch die bewaldeten Hügel fährt. Die Kincaid-Park-Singletrails sind perfekt ausgeschildert - und exakt auf die Bedürfnisse von Mountainbikern ausgelegt. Janice Tower und ihre Gruppe haben diesen Spielplatz für Radler von einem professionellen Trail-Bauer aus Fairbanks anlegen lassen; ein Nachmittag ist hier auf den Pfaden zwischen den Bäumen schnell vergangen. Das breite Grinsen verengt sich nur gelegentlich, weil die Räder aus dem Verleih in Downtown doch schon etwas morsch sind.

Eine andere Fahrt mit dem Mietrennrad verwandelt dieser Umstand in ein kleines Abenteuer. Alaska klingt zwar nach Schnee, Eis und Schotterpiste, doch tatsächlich eignet sich die Gegend um Anchorage perfekt, um lange Ausfahrten mit dem Rennrad zu unternehmen - zum Beispiel von Seward im Süden zurück in Richtung der größten Stadt des US-Bundesstaates. Die Alaska Railroad nimmt Räder mit, die Fahrt führt durch einsame Landschaften vorbei an Gletscherzungen, Bergen, Wäldern, Elchen und Adlern bis nach Seward nahe dem Kenai Fjords National Park. Der Weg zurück ist leicht zu finden: Es gibt nur eine große Straße, den Alaska Highway 9, der irgendwann zum Alaska Highway 1 wird. Der breite Standstreifen eignet sich gut als Reservat fürs Rennrad, und an vielen Abschnitten verläuft neben der Straße ein gut geteerter Radweg.

Informationen

Anreise: Flug nach Anchorage, z. B. mit Iceland Air über Reykjavik mit Stopover und Besuch der Blauen Lagune; weiter mit der Alaska Railroad, www.alaskarailroad.com.

Übernachtung: In Downtown Anchorage etwa im Historic Anchorage Hotel, www.historicanchoragehotel.com; in Seward in der Windsong Lodge, www.sewardwindsonglodge.com.

Fahrradverleih: Downtown Bicycle Rental in Anchorage, www.alaska-bike-rentals.com; neuere Räder für längere Touren gibt es mit etwas Glück bei Chain Reaction Cycles, www.chainreactioncycles.us, am besten im Voraus kontaktieren und nach kostengünstigen Demo-Bikes fragen.

Weitere Auskünfte: www.anchorage.net.

Bis Anchorage sind es etwa 200 Kilometer, doch an diesem Tag endet die Radfahrt nach 60 Kilometern. Das rechte Pedal des betagten Mietrennrads ist abgebrochen. Handyempfang gibt es auf diesem Abschnitt der Strecke keinen. Ein Abenteuer? Verloren in der Wildnis? Auf dem Highway fahren genug Autos vorbei - die meisten davon Pick-ups mit großer Ladefläche. Nach ein paar Minuten hält ein Rentner-Ehepaar an. Ob es ein Problem gibt? "Ja, das Pedal . . ." Und schon erzählen die beiden Geschichten. Von seiner Militärzeit in Mannheim in den sechziger Jahren, von der Tochter, die in der Nähe von Frankfurt arbeitet; von den Wintern in Florida; den Sommern in Alaska; vom Fischen an den Flüssen, gerade habe der Kerzenfisch Saison, der auch Hooligan genannt wird; und wo man denn hin müsse? Das Paar fährt den Pannenradler bis zum Hotel, ein Umweg, "ach, das machen wir gerne, wir haben Zeit". Die Menschen in Alaska sind so irre freundlich, dass man sich über ein abgebrochenes Pedal gar nicht richtig aufregen kann. Wahrscheinlich sind hier sogar die Bären und Elche entspannt.

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