Mountainbike-Trails:Oben bleiben

Mountainbike-Trails: Schön balancieren, Blick nach vorne, Steine nicht schräg anfahren, dann macht das Radeln auch auf schmalen Wegen Spaß.

Schön balancieren, Blick nach vorne, Steine nicht schräg anfahren, dann macht das Radeln auch auf schmalen Wegen Spaß.

(Foto: Frieder Blickle)

Im Ortlergebiet brauchen Radsportler Kondition. Ein kundiger Guide zeigt Wege jenseits des Autoverkehrs.

Von Johanna Pfund

Die Stilfser Bergbauern müssen vor den Zeiten der Motorisierung wahre Konditionswunder gewesen sein. Die Häuser des Ortes liegen etwas oberhalb der berühmten Passstraße auf 1300 Metern Höhe an einem Hang. Der ist so steil, dass die Häuser scheinbar übereinander an der Bergseite kleben und ein jedes freien Blick auf die Gletscher des Ortlers hat. Wiesen, Weiden, Wälder ziehen sich den steilen Hang hinauf zur Alm auf über 2000 Metern Höhe. "Man sagt, dass in Stilfs auch die Hühner Steigeisen tragen", sagt Bikeguide Eugen Wallnöfer und lacht. Vielleicht auch Steigeisen fürs Radl? Kurz vor der Oberen Stilfser Alm denkt man schon mal darüber nach.

Der Radguide ist eigentlich Parkranger, der eine Auszeit genommen hat

Dabei beginnt die Mountainbike-Tour ganz gemütlich auf einem leicht ansteigenden Wirtschaftsweg. Zuerst asphaltiert, denn er führt noch auf 1500 Metern Höhe an Höfen vorbei. Hühner sieht man keine, die These mit den Steigeisen lässt sich also an diesem Tag nicht belegen. "Jeder Hof hat das Recht auf eine Zufahrt", sagt Wallnöfer, der im Hauptberuf Ranger im Nationalpark Stilfserjoch ist. Momentan hat er eine Auszeit genommen und zeigt seinen Kunden, was man auf dem Rad im Ortlergebiet erleben kann.

Das ist ziemlich viel, je nach Schneelage. Im Sommer, wenn endlich der Schnee getaut ist, gibt es wunderschöne Touren vom Stilfserjoch hinunter, am Goldsee entlang. "Wer kann schon am Ortler biken, am Joch auf 2757 Metern Höhe starten und dann bis nach Prad runterfahren?", fragt Wallnöfer nicht ohne Stolz. Nun ja, die Radler, die später im Jahr kommen, denn noch ist das Stilfserjoch unter meterhohem Schnee begraben. Landschaftlich seien die Touren hier ein Genuss, findet Wallnöfer. Absolviert werden sie vor allem von Radlern, die technisch sauber fahren, die vorsichtig und mit Gefühl einen schmalen Weg am Hang entlangrollen wollen, erzählt der 45-jährige Guide. "Das ist auch der Typ Radfahrer, der in dieses Gelände passt", betont er. Sportler also, die Rücksicht auf die Natur und die Wanderer nehmen. Im Nationalpark ist Radeln auf den Straßen und Wirtschaftswegen erlaubt. Ansonsten ist es toleriert. Das ist in Wallnöfers Sinn: "Ich halte nichts von Verboten, ich bin eher für Gebote." Mit Rücksicht könnten Radler und Wanderer gut gemeinsam Wege nutzen.

Auch die Straße von Stilfs zur Alm hinauf mündet in einen schmalen Weg. Sattel runter, sagt der Guide, Federung und Dämpfer entsperren, Grundposition einnehmen. Lange Zeit muss man so nicht balancieren, ein Baum versperrt den Weg. Also das Rad hochgehoben und rüber bugsiert. Am Ende der Passage endet der Wald, eine noch graugrüne Weide zieht sich den Berg hinauf. Schafe schauen neugierig auf die Radfahrer. "Die gehen selbständig immer weiter den Berg hinauf, bis an die Schneegrenze", sagt Eugen Wallnöfer. Und wenn schon mal Radler vorbeikommen, dann schaut so ein Schaf gerne zu, wie diese sich den Berg hinaufquälen. Der Wirtschaftsweg wird plötzlich gefühlte 30 Prozent steil. Nur nicht absteigen, Eugen Wallnöfer empfiehlt, so lange zu treten, wie es geht. Das wäre der Steigeisenmoment fürs Rad. Aber es geht tatsächlich ohne.

Oben öffnet sich ein großartiger Blick auf einen noch mit Lawinenschnee gefüllten Kessel, der von Piz Sielva und Piz Chavalatsch (2763 Meter) begrenzt wird. Über die Gipfel verläuft schon die Grenze zur Schweiz. Unterhalb, am Rand des Halbrunds, liegt die Obere Stilfser Alm, die im Sommer bewirtschaftet ist. Derzeit ist außer Schafen und Murmeltieren, die laut pfeifend in ihren Löcher verschwinden, kein Lebewesen zu sehen. Darüber kreist ein großer Vogel. "Ein Bartgeier auf der Suche nach Aas in den Lawinenstrichen", sagt Wallnöfer. Nur einen Jungvogel ziehen sie auf, die Geier arbeiten ökonomisch. Das zweite Ei, das sie legen, ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, erzählt der Ranger. "Falls aus dem ersten Ei nichts schlüpft."

Das Radfahren wird so zur biologischen Lehrstunde. "Ich erkläre den Gästen auch gerne die Bäume, den Unterschied zwischen Fichte und Lärche zum Beispiel. Das probiere ich auf meinen Touren immer unterzubringen", sagt er. So kann er seine Kenntnisse als Förster und seine Begeisterung fürs Radeln verbinden. Die Kondition holt er sich auch als Nationalparkförster. Im Winter machen er und seine Kollegen Aufsichtsdienst mit Schneeschuhen und Tourenskiern.

Zurück zum Rad: Von der Alm geht es über die noch graubraune Wiese am Schneefeld entlang nach unten - immer Ausschau haltend nach den Löchern der Murmeltiere. Leider lässt sich keines mehr blicken. Weiter unten auf dem Wirtschaftsweg arbeiten einige Stilfser an einem Zaun. Sie seien die letzte Generation, die noch im Wald arbeite, behaupten sie. Die Jungen, die machten das nicht mehr. Ein kurzer Ratsch mit Wallnöfer, und dann geht es über den Weg mal mehr, mal weniger holprig nach unten. Zwei hübsche S-Kurven kurz vor Stilfs lassen wieder einmal an die Hühner und die Steigeisen denken.

Man kann die Stilfserjochstraße hinuntersausen - oder auf Pfaden abseits des Autoverkehrs

Jetzt könnte man auf der Stilfserjochstraße locker hinunterrauschen nach Prad. Aber: "Es ist doch viel schöner, weg von der Straße zu sein", sagt Wallnöfer. Das bedeutet einen kleinen Umweg über die Brücke, auf der gegenüberliegenden Hangseite geht es zunächst wieder auf einer Teerstraße zu einem der Höfe. Ein halb in den Büschen verstecktes Schild weist darauf hin, dass Radler, die nach Prad wollen, die Straße verlassen und den rechts abzweigenden Steig nutzen sollen. Ohne Eugen hätte man diesen Abbieger übersehen. Jetzt ist definitiv Radschieben angesagt. Nach zehn Minuten des Zerrens und Schiebens über Stock und Stein steht man wieder auf einer Teerstraße - und nun geht es wirklich schön nach unten Richtung Prad, immer mit Blick auf das Vinschgauer Haupttal, auf Glurns und das Kloster Marienberg bei Burgeis. Und beim Zurückschauen - auf den Ortler.

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