Nach der Rekordsaison:Mount Everest, ein lebensgefährliches Disneyland?

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Mount Everest in der Abendsonne

Auf dem Weg zum Basislager des Mount Everest in Nepal, das Ziel vor Augen.

(Foto: Daniel Prudek - stock.adobe.com)

Mehr Bergsteiger als je zuvor erreichen den Gipfel, auch dank billigerer Anbieter und neuer Techniken. Doch der Ansturm auf den höchsten Berg der Welt bleibt nicht ohne Folgen. Und nicht alle kehren zurück.

Von Nadine Regel

Es war die Saison der Rekorde am Mount Everest. Auch Eduard Wagner hatte vor, dort einen persönlichen Rekord aufzustellen: Der erfahrene Münchner Bergsteiger wollte so hoch wie möglich kommen ohne Sauerstoff, am besten ganz nach oben, wie einst Reinhold Messner. Ein ehrgeiziger Plan, der auf 8300 Metern scheiterte: 548 Meter unter dem Gipfel musste sich Wagner geschlagen geben. "Ich war langsamer als die Fließgeschwindigkeit eines Gletschers", sagt der 40-Jährige.

Also streifte er sich doch eine Maske über. Mit dem Sauerstoff sei er dann zum Gipfel gestiegen, "als ob mich auf einmal jemand von hinten angeschoben hätte". Eduard Wagner war Teil einer "Flash-Expedition", der kürzesten kommerziellen Expedition, die jemals auf den Everest gestiegen ist.

Dafür hatte sich Wagner acht Wochen vor der Abreise jede Nacht zuhause in ein Zelt gelegt, das ihn durch den reduzierten Sauerstoffgehalt so schlafen ließ wie im hohen Himalaya. Hinzu kam Training in Höhenkammern. So hat er für die tatsächliche Expedition am Berg nur vier Wochen gebraucht, sonst dauert sie zwei Monate. Und während andere üblicherweise zur Gewöhnung an die Höhe mehrmals vom Basiscamp zu den Hochlagern auf und ab steigen müssen, war Wagner nur einmal auf 7000 Metern Höhe und daher wesentlich seltener den Gefahren am Berg ausgesetzt. Künftig will Veranstalter Lukas Furtenbach möglichst ganz auf diesen Zwischenschritt verzichten und direkt vom Basislager auf den Gipfel durchsteigen.

Akklimatisierung daheim und schneller rauf - dieses neue Konzept könnte das Höhenbergsteigen verändern. Und mehr Menschen auf den Everest bringen. Noch mehr.

Mit Prothesen auf den Berg, dank Oberstem Gerichtshof

Die "Flash-Expedition" reiht sich ein in die diesjährige Erfolgssaison am Mount Everest, dem mit 8848 Metern höchsten Berg und Sehnsuchtsort der Welt. Bei ungewöhnlich milden Temperaturen erreichten an elf Gipfeltagen im Mai 715 Bergsteiger ihr Ziel, mehr als jemals zuvor: 476 von der Südseite und 239 von der Nordseite, darunter der Nepalese Kami Rita Sherpa. Er stand zum 22. Mal auf dem Gipfel und stellte damit einen neuen Rekord auf. Und Ani Lhakpa Sherpa brach mit ihrer neunten erfolgreichen Besteigung des Everest ihre eigene Bestmarke, keine andere Frau stand häufiger dort oben.

Der 70-jährige Chinese Xia Boyu bestieg den Berg mit zwei Beinprothesen, was ihm die nepalesische Regierung erst erlaubte, nachdem er sich mit einem Appell an den nepalesischen Obersten Gerichtshof gewandt hatte. Das zuvor mühsam erarbeitete Gesetz, das Solobesteigungen sowie Gipfelversuche von Blinden oder Amputierten untersagte, wurde damit zu Fall gebracht. Seine Beine mussten dem Chinesen 1975 abgenommen werden - nach Erfrierungen am Mount Everest.

Doch egal wie kompakt die Vorbereitungen inzwischen sein können, die Expedition ist lebensgefährlich: Auch diese Saison starben fünf Menschen. Unter ihnen der Japaner Nobukazu Kuriki, der zum achten Mal versuchte, den Gipfel zu erreichen. 2012 verlor er dabei neun seiner Finger.

Flash-Expeditionen könnten die Falschen anziehen

Trotz allem sagt Alan Arnette, einer der wichtigsten Everest-Chronisten und selbst erfolgreicher Höhenbergsteiger: Die Sicherheitssituation am Berg hat sich verbessert, wegen genauerer Wettervorhersagen, einer höheren Betreuungsquote der Ausländer durch Lastenträger und Begleiter vom Volk der Sherpa sowie durch die Verwendung von mehr zusätzlichem Sauerstoff.

Die Idee der Vorakklimatisierung und Flash-Expeditionen jedoch sieht Arnette kritisch: Davon könnten sich die Falschen angesprochen fühlen. Jene mit wenig Zeit, viel Geld - Anbieter Furtenbach verlangt für seine Flash-Expedition 95 000 Euro - und möglicherweise keinerlei Bergerfahrung. Es eröffne den Mount Everest für Menschen, die sonst niemals dort sein würden, weil sie nicht zwei Monate am Stück dort bleiben wollen. "Ich empfinde das als respektlos gegenüber dem Everest", sagt Arnette. Es entweihe das Bergsteigen als sportliche Disziplin.

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