Süddeutsche Zeitung

Mount Everest:Gefährliches Höhenfieber

2015 ist das erste Jahr seit 1974, in dem kein Mensch auf dem Gipfel des Everest stand. In der kommenden Saison könnte der Andrang größer sein als je zuvor. Weitere Unglücke sind nur eine Frage der Zeit.

Von Dominik Prantl

Zuletzt musste auch Nobukazu Kuriki kapitulieren; etwa 700 Meter unterhalb des Gipfels entschied er sich wegen Wind und Schneefall zur Umkehr. Der an neun Fingern amputierte Japaner war damit nicht nur der erste und auch letzte Bergsteiger, der in der traditionell eher weniger gefragten Herbstsaison am Mount Everest einen einigermaßen ernsthaften Besteigungsversuch gestartet hatte. Er wäre, nachdem das Erdbeben in Nepal die Frühjahrssaison jäh beendet hatte, 2015 auch der einzige Mensch auf dem höchsten Punkt der Erde gewesen. So bleibt der Everest in diesem Jahr ohne Gipfelerfolg. Erstmals seit 1974.

Die einjährige Auszeit - die sich auf fast alle Achttausender erstreckt - bedeutet aber wohl weniger eine Zäsur im Everest-Bergsteigen als nur die Ruhe vor dem nächsten Gipfelsturm. Der ist schon alleine deshalb zu erwarten, weil auch die Saison 2014 wegen einer Lawine und des Streiks der Sherpas für bessere Arbeitsbedingungen abgebrochen wurde. Die damals ausgehändigten Genehmigungen sind bis 2017 gültig. Die Permits von diesem Jahr werden trotz des Erdbebens hingegen nicht verlängert.

Statistisch gesehen gibt es einen Toten bei 25 erfolgreichen Besteigungen

Betrachtet man zudem die Chronologie des Everest, so hat den kollektiven Höhenrausch bislang noch kein Unglück bremsen können - weder die durch Buch und Film weltbekannte 1996er-Tragödie (siehe Grafik) noch der Tod von David Sharp im Jahr 2006. Dutzende Bergsteiger überließen damals den sterbenden Kollegen seinem Schicksal, um ihren Aufstieg fortzusetzen.

Doch selbst von den offensichtlichen Gefahren lassen sich viele nicht abschrecken. Das hängt auch damit zusammen, dass sich das Risiko - so zynisch das klingen mag - in einem für Höhenbergsteiger akzeptablen Bereich hält. Statistisch gesehen gibt es einen Toten bei 25 erfolgreichen Gipfelbesteigungen. Bei der Annapurna (8091 m) kommt ein Toter auf drei erfolgreiche Besteigungen. Zudem ist die Erfolgsquote am Everest hoch, weil die Ausrüstung immer besser wird. Manche Anbieter bringen mehr als 80 Prozent ihrer Kunden auf den Gipfel.

Vor allem aber ist der welthöchste Berg schlicht lukrativ - als Devisenquelle vor Ort wie auch als Krönung im Programm ausländischer Agenturen und Bergreiseveranstalter. Auch bekannte Bergschulen im deutschsprachigen Alpenraum wie Amical Alpin aus Oberstdorf oder Kobler & Partner in der Schweiz haben den Everest für die kommende Saison im Angebot, allerdings über die vom Erdbeben kaum betroffene tibetische Seite im Norden.

Kari Kobler, Geschäftsführer von Kobler & Partner, glaubt, dass ihm ein Teil der Konkurrenz folgen wird: "Es wird sich wieder etwas stärker vom Süden auf die Nordseite des Berges verlagern." Er rechnet damit, dass die Hälfte der Aspiranten künftig die Nordseite wählen wird. Die deutsche Bergsteigerin Billi Bierling, die etwa die Hälfte des Jahres in Nepal verbringt und an der maßgeblichen Expeditions-Datenbank Himalayan Database mitwirkt, sagt ebenfalls: "Wenn jemand auf den Everest steigen will, dann tut er das auch, trotz potenzieller Gefahr. Ich sehe aber, dass Menschen nun eher an die Nordseite gehen."

In den vergangenen Jahren war die Route über die Südseite zwar der gefragtere, aber auch der gefährlichere Weg. Der Aufstieg führt unter anderem durch den Khumbu-Eisbruch, an dem 2014 eine Lawine 16 Sherpas in den Tod riss. Auch die durch das Erdbeben ausgelösten Schneemassen gingen ins Basislager auf der Südseite ab.

Deutschlands bekanntester Höhenbergsteiger Ralf Dujmovits prophezeit: "Es werden weiterhin große Unfälle passieren. Und es wird eher noch mehr Tote geben." Als Grund sieht er keineswegs Ausnahmeerscheinungen wie das Erdbeben im Frühjahr, sondern einen Anstieg von Eislawinen, bedingt durch die globale Erwärmung. "Als ich 1989 erstmals am Everest war, ist einmal pro Saison eine Lawine in den Eisbruch gedonnert. Inzwischen passiert das fast täglich." Warum dennoch viele Anbieter ihre Kunden und Sherpas den Gefahren der Südseite aussetzen? Dujmovits meint: "Es ist wahrscheinlich noch nicht genug passiert." Er war früher selbst als Expeditionsleiter tätig.

Die Tour kostet Zehntausende Euro

Gleichzeitig weiß Dujmovits als Ehrenbotschafter für den Tourismus in Nepal auch um die touristische Bedeutung des Berges: "Im Vergleich zum Everest kannst du alle anderen Achttausender knicken", sagt er. Wurde beispielsweise der benachbarte Lhotse bisher überhaupt erst 604-mal bestiegen, schafft der Everest diesen Wert in einer einzigen guten Saison.

Und mögen 500 Gipfelstürmer als Zahl nicht wirklich imponieren, so sind die Höhenbergsteiger - ähnlich wie die umstrittenen Jagdtouristen in Afrika - für das Land doch von enormem Wert. 11 000 US-Dollar kassiert das nepalesische Tourismus-Ministerium alleine als Besteigungsgebühr pro Person auf der Südroute. Diese Tour kostet bei der deutschen Agentur Summit Climb als Komplettpaket 35 500 Euro. Für die Besteigung von Tibet aus verlangen Kobler & Partner an die 51 000 Euro; sie beschäftigen pro Kunde drei Helfer vor Ort.

Ob der Everest an Reiz verloren hat? Dujmovits, der auf allen Achttausendern stand und nur am Everest die Hilfe von Flaschensauerstoff benötigte, möchte "den Berg schon noch einmal ohne Sauerstoff packen". Und Kari Kobler sagt: "Für nächstes Jahr sind wir schon gut gebucht."

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Quelle:
SZ vom 05.11.2015
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