Kolumne: Hin und weg:Sieg des Auspuffs

Kolumne: Hin und weg: Dem einen gefällt's, dem anderen dröhnt es in den Ohren: Viele Motorräder sind zu laut.

Dem einen gefällt's, dem anderen dröhnt es in den Ohren: Viele Motorräder sind zu laut.

(Foto: imago images/Panthermedia)

Viele Motorräder sind lauter als Presslufthämmer. In Frankreich gibt es Lärmblitzer, in Deutschland darf weiter gerast und gedröhnt werden.

Glosse von Joachim Becker

Als das Fernweh erfunden wurde, wollte noch niemand faul am Strand liegen. Was die Menschen lockte, waren fremde Kulturen, heroische Landschaften - und der rasende Fortschritt der modernen Städte. Elektrische Rolltreppen führten hinunter zur Pariser Métro, notierte der Baedeker-Reiseführer aufgeregt vor hundert Jahren, und über die mit Holz gepflasterten Boulevards bretterten neben Pferdedroschken immer mehr Automobile. Alles eilte, hupte und knatterte aus kaum gedämmten Explosionsmotoren - was ein Höllenspektakel.

Als die motorisierten Räder laufen lernten, konnten sich nur wenige die Privilegien dieser neuen Zeit leisten. Auch wenn die ersten Autos, Schnellzüge und Flugzeuge für Aufregung sorgten, wurde ihr Lärm meist als Pulsschlag einer besseren Zukunft begrüßt. Schon 1909 hatte Tommaso Marinetti die neue Schönheit der Geschwindigkeit im Manifest des Futurismus gefeiert. Er bejubelte Rennwagen mit explosivem Atem, stampfende Lokomotiven und Flugzeuge, "deren Propeller wie eine Fahne im Winde knattert und Beifall zu klatschen scheint wie eine begeisterte Menge".

Alles im Namen des Fortschritts: Wer hätte vor hundert Jahren geglaubt, dass heute mehr als eine Milliarde Autos und fast so viele motorisierte Zweiräder über den Planeten rasen? Einige wenige hatten wohl schon so eine Ahnung: 1904 wurde der Deutsche Lärmschutzverband gegründet, 1906 kam die Gesellschaft zur Vermeidung von unnötigem Lärm in New York hinzu, gefolgt von einem Londoner Komitee zur Bekämpfung des Straßenlärms zwei Jahre später. Doch der Siegeszug des Auspuffs ließ sich nicht stoppen.

Nicht zuletzt in der Freizeitmobilität findet diese Tradition der jubilierenden Krachmeierei ihr modernes Echo. Weshalb es in den Alpen so schön ist? Wegen der vielen Tunnel, in denen die Sportauspuff-Fanfaren lostrompeten können. In den engen Tälern und hoch droben auf den Pässen knallt, sprotzt und brabbelt es allenthalben. Was am Lockdown in der Pandemie so irritierend wirkte, war die plötzliche Stille in Städten und auf den Landstraßen. Unheimlich.

Heuer ist das Trommeln der hochgezüchteten Motoren zum Frühlingsanfang wieder überall zu hören. Wer gar keinen Spaß versteht, ist die Deutsche Umwelthilfe. Zum Tag des Lärms am 26. April verloste sie Messgeräte gegen die Schallbelästigung durch Motorräder und Sportwagen. "Die meisten Motorräder sind so laut wie eine Motorsäge oder ein Presslufthammer - leider nicht nur einige wenige", hatte Thomas Marwein, der Lärmschutzbeauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg, bei einer ähnlichen Mess-Kampagne schon vor zwei Jahren festgestellt: Motorradlärm sei eine große Zumutung für Anwohner und Erholungssuchende.

Klarer Fall von Perspektivenwechsel: Nicht mehr die wilde Jagd der Fortschrittsmeute steht im Fokus, sondern die Zurückbleibenden und Ruhebedürftigen, die allerdings mit 70 Prozent die Mehrheit ausmachen. Trotzdem sperrt sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nicht nur gegen Tempolimits, sondern auch gegen die Einführung von Lärmblitzern nach französischem Vorbild. Anders als bei herkömmlichen Blitzer-Fotos ist die Suche nach einem Lärm-Deliquenten nicht so einfach. Geräusche überlagern sich und werden reflektiert. Jeder Motorradfahrer kennt diesen Echo-Effekt aus den Bergen. Deshalb gibt sich die Branche mit ihren lautstarken Klappenauspuffen gelassen: Soll erst mal jemand die eigentliche Schallquelle in einer Gruppe von Motorradfahrern ausfindig machen. Roarrr.

Kolumne: Hin und weg: Der Autor freut sich auf den Sommer, auf lautstarke Motorrad-Ausflügler freut er sich nicht.

Der Autor freut sich auf den Sommer, auf lautstarke Motorrad-Ausflügler freut er sich nicht.

(Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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