Stadtentwicklung in Russland:Moskau, bist du's?

Stadtentwicklung in Russland: Fußgänger im August während Renovierungsarbieten vor einem Wandbild in Moskau.

Fußgänger im August während Renovierungsarbieten vor einem Wandbild in Moskau.

(Foto: AFP)

Da fährt man in den Sommerurlaub - und erkennt bei der Rückkehr die eigene Stadt nicht mehr. So geht es momentan vielen Russen, denn die Heinzelmännchen waren da.

Von Julian Hans

Einige Traditionen aus dem Leben der Zaren, Fürsten und Großgrundbesitzer sind auch 100 Jahre nach der Oktoberrevolution noch in der russischen Gesellschaft lebendig. Dazu gehört, dass man den Sommer auf seinem Landsitz verbringt und sich erst im September wieder in seiner städtischen Residenz einfindet. Moskauer, die den Urlaub auf ihren Datschen, an türkischen Stränden oder in Miami verbracht haben, erkennen dieser Tage ihre Heimatstadt nicht wieder.

Der Bürgermeister hat in ihrer Abwesenheit dem Zentrum ein neues Gesicht verpasst. Mehr als 80 Straßen, 30 Parks und 3000 Hinterhöfe wurden renoviert. Es gibt 20 Kilometer neue Fahrradwege und erstmals Ampeln für Radfahrer, mehr als 300 davon ließ die Stadt montieren. Dafür wurden Fahrbahnen verengt und Trottoirs verbreitert, damit die Leute ihre Autos lieber zu Hause lassen, statt damit die Innenstadt zu verstopfen.

Wohl niemals zuvor war das Erholungsgefälle so krass

Es wirkt, als hätten fleißige Heinzelmännchen während der Abwesenheit der Bürger die Stadt stellenweise neu gebaut: neuer Asphalt, neue Kanalisation, neue Laternen, neue Fassaden und neue Fassadenbeleuchtung, neue Traufröhren, neue Straßenschilder, neue Grünstreifen und Parks.

Die Heinzelmännchen sprachen in diesem Fall Usbekisch und Armenisch; junge Männer aus Zentralasien und dem Kaukasus, die in Scharen in der Erde wühlten und in ihren orangenen Arbeitswesten aus der Entfernung wirkten wie Sanddorn in der Betonwüste. Die Westen waren offenbar die einzige Arbeitskleidung, die sie gestellt bekamen, denn oft sah man sie in kurzen Hosen und nur mit Badelatschen an den Füßen zentnerschwere Granitplatten wuchten. Wohl niemals zuvor war das Erholungsgefälle zwischen denen, die in den Ferien verreist waren, und den Daheimgebliebenen so krass wie in diesem Jahr.

Denn um das gewaltige Pensum in den frostfreien Monaten zwischen Mai und September zu bewältigen, wurde rund um die Uhr gearbeitet: Erst brachten die Presslufthämmer die Anwohner um den Schlaf, dann kreischten die Steinsägen, mit denen die armdicken Granitplatten für die Bürgersteige in Form gebracht wurden, dann donnerten Rüttler durch die Sommernächte, die Asphalt und Gehwegplatten fest pressten.

Bevor der erste Schnee fällt

Mittlerweile ist das Projekt in eine ruhigere Phase eingetreten: Auf den Grünstreifen wird neuer Rasen ausgerollt - gerade noch rechtzeitig zum Wochenende, wenn Moskau mit Konzerten und Straßenfesten seinen 870. Geburtstag begeht. Mit etwas Glück wird das frische Grün noch drei oder vier Wochen zu sehen sein, bevor der erste Schnee fällt.

Natürlich hat so eine Rundumerneuerung ihren Preis: Mehr als 600 Millionen Euro hat die Stadt für die Renovierung ausgegeben, dazu kommen noch einmal mehr als 700 Millionen für Grünanlagen und Parks. Allein diese Summe übersteige den Gesamthaushalt jeder anderen russischen Stadt mit Ausnahme von Sankt Petersburg, hat die Zeitung Wedomosti berechnet. Zum Geburtstag kann man sich schon mal was leisten. Zumal die russische Hauptstadt sich damit gleich für zwei weitere Anlässe im nächsten Jahr herausputzt: Im März ist Präsidentschaftswahl und im Juni Fußball-Weltmeisterschaft.

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