Süddeutsche Zeitung

Montenegro:"Wer will dann hier noch Urlaub machen?"

Das junge Land an der südlichen Adria wirbt mit unberührter Natur. Doch idyllische Buchten sind bedroht durch Korruption und Vetternwirtschaft.

Von Brigitte Kramer

Wenn man mit Dušan Varda die Küste entlangfährt, muss man sich Zeit nehmen. In vielen Orten kennt er jemanden. Er grüßt, bleibt auf der Straße stehen, hält Schwätzchen. Viele seiner Bekannten sympathisieren mit Vardas Sache: Der 50-Jährige ist Umweltaktivist, Taucher, Filmemacher. Angeblich kennt niemand Montenegros 300 Kilometer lange Küste besser als er. Genau deshalb ist Varda besorgt. "Die Regierung bemerkt anscheinend nicht, dass wir immer weniger Strände und immer mehr Beton haben", sagt Varda, "sie denkt wohl, unsere Küste ist endlos."

Tatsächlich misst sie in Luftlinie nur etwa 100 Kilometer. Hier will das junge Land sein Geld verdienen. Erst 2006 hat sich Montenegro aus dem Staatenbund mit Serbien gelöst, in Jugoslawien war die kleine, dünn besiedelte Region eine der ärmsten. Montenegro ist hauptsächlich von unzugänglichen Bergen überzogen. Alle Hoffnungen liegen deshalb auf dem schmalen Streifen zwischen Meer und Gebirge: Er erstreckt sich zwischen der tiefen Bucht von Kotor an der nördlichen Landesgrenze zu Kroatien und einem zwölf Kilometer langen Naturstrand an der albanischen Grenze im Süden. Dort mündet der Fluss Buna ins Meer und bildet ein flaches Delta.

Sechs Gemeinden gibt es an der Küste, mit kleineren Orten, dem Touristenstädtchen Budva, dem hübschen Ort Petrovac und der Hafenstadt Bar. Hier liegt die sogenannte Montenegrinische Riviera mit langen Sand- und Kiesstränden, die teilweise von dichten Wäldern gesäumt und nur vom Meer aus zu erreichen sind. An den karstigen Steilküsten werfen Kiefern ihre Schatten auf transparentes, türkisblaues Wasser, vielerorts ist der seichte Meeresboden noch von meterhohen, sehr alten Seegraswiesen bedeckt. Kleinere Buchten, Höhlen, ein paar Inseln und Halbinseln geben der Küste ein abwechslungsreiches Profil. "Hier wird gerade um jeden Meter gefeilscht", sagt Varda auf der Terrasse seines Hauses in Sutomore. Die Großeltern haben es in den 1960er-Jahren gekauft. Er breitet eine Landkarte aus und zeigt auf den zentralen Küstenabschnitt des Landes. Sutomore liegt mitten drin. Links nebenan hat Varda eine Baustelle, das Wasser vor seiner Veranda verfärbt sich gerade gelb. "Das müsste man mal untersuchen lassen", sagt er nachdenklich.

In der Saline, in der früher Zugvögel rasteten, soll jetzt ein Resort entstehen

Die Hauptstadt Podgorica liegt hinter den Bergen. Dort tut die Regierung herzlich wenig, um die Naturschönheit und die Artenvielfalt der Küste zu erhalten. Dabei definiert sich Montenegro in der Verfassung als ökologischer Staat. Es gibt kein einziges Meeresschutzgebiet. Dynamitfischer treiben ungestraft ihr Unwesen. Die Abwässer des Landes fließen ungeklärt ins Meer. Montenegro hat knapp 650 000 Einwohner und drei größere Städte. Und das Feuchtgebiet der ehemaligen Saline von Ulcinj ist ausgetrocknet. Wo früher Zugvögel rasteten, soll jetzt ein Resort entstehen.

Wenn man mit Dušan Varda die Küste entlangfährt, hört man immer wieder dieselben Geschichten von Buchten, die an Investoren aus Russland, Ägypten oder den Vereinigten Arabischen Emiraten verkauft wurden. Yachthäfen, Villen, Hotelanlagen, Ferienwohnungen sollen entstehen oder existieren schon. Manche Unternehmer stellen sich Montenegro als das "Dubai von Südosteuropa" vor, andere werben mit "Tourismus auf höchstem Niveau". Doch nicht alle Vorhaben enden so wie auf den Hochglanzprospekten angekündigt.

Vardas Freund Đorđe Gregović lebt in einer Bucht bei Petrovac. Er zeigt Besuchern gerne das Hotel "As", "die berühmteste Umweltsünde Montenegros" wie er sagt, und "unser Denkmal für die Korruption". Sie steht in Perazića Do. Eine steile, nur zur Hälfte fertiggestellte Serpentinenstraße führt in die enge Bucht bei Petrovac. Ein russischer Investor habe hier "monatelang" die Steilküste gesprengt, erzählt Gregović, um dem riesigen Hotel Platz zu machen. Es wurde nie fertig. Der Investor ist weg, die Rohbauruine verfällt. 20 Etagen, Hunderte Zimmer mit unverglasten Fenstern zum Meer. Sie wirken wie Zahnlücken. Isoliermaterial liegt auf dem Kiesstrand herum. "Das war alles ein großes Geheimnis," sagt Gregović, "am Ende ist nur eine Null geblieben."

Im vergangenen Jahr hat er hier im Rahmen seines Online-Projekts "Museum of Corruption" ein Video gedreht, mit Künstlern und Studenten aus der Hauptstadt. Das Gebäude hatte er mit einem Absperrband umwickelt, auf das er das Wort "illegal" gedruckt hatte. Den Film hat er im Internet verbreitet. "Die einzige Art, um Aufmerksamkeit zu bekommen und etwas zu verändern", sagt er. Er hat Kontakte zu Aktivisten in Rumänien, in Mazedonien, in der Ukraine und auch in Portugal, Dänemark und Südafrika aufgebaut.

In der Nachbarbucht ist es nicht so weit gekommen. Der Queen's Beach hat "beeindruckende geologische Formationen und große Artenvielfalt über und unter Wasser", sagt Dušan Varda. Hier sollte Montenegros erstes Meeresschutzgebiet entstehen. Er hatte im Auftrag des Ministeriums für Bauplanung und Umwelt die Bucht untersucht und als besonders schützenswert eingestuft. Ein großer Fehler, wie er heute weiß. Kurze Zeit später war die Bucht Bauland. Ein arabischer Investor kam, der den Strand kaufen, eine Straße legen und einen Sporthafen und Hotels mit 50 000 Betten bauen wollte. Im Ministerium kam es zu Streit, die politische Diskussion drehte sich bald nicht mehr um den Schutzstatus, sondern nur noch um den Preis, für den man das Gelände verkaufen sollte. "Am Ende gab der Investor auf", sagt Varda, "die Sache wurde ihm zu kompliziert."

Aus seinen Fehlern hat Varda gelernt. Heute arbeitet er mit seiner NGO MedCem nicht mehr für die Regierung. "Immer, wenn wir einen Landstrich als besonders wertvoll beschrieben hatten, wurde er später zum Verkauf angeboten." Angesichts der "düsteren Lage" haben sich Varda und andere Umweltschützer Hilfe von außen geholt. Seit zwei Jahren gibt es den Verband One Adriatic, in dem sich die Anrainer Italien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Albanien zusammengeschlossen haben und derzeit vor allem Informationen austauschen. "Für mehr fehlen uns die Mittel", sagt Varda. Es geht um Küstenschutz und die sukzessive Verbauung der Küste, nach Italien und Kroatien nun auch in Montenegro, Albanien zieht nach. Von Erfolgen, wie sie die italienische NGO Legambiente feiert, kann Varda nur träumen. Sie organisiert Demos mit 60 000 Teilnehmern. An der montenegrinischen Küste leben weniger als 100 000 Menschen, "und die trauen sich nicht, ihre Meinung frei zu äußern", so Varda. Sie seien abhängig von irgendwem, fühlten sich verpflichtet, dem Arbeitgeber, einem Verwandten. In der Hauptstadt Podgorica im Hinterland regiert seit 27 Jahren Milo Ðukanović, derzeit als Präsident, zuvor jahrelang als Premierminister. Das Machtgeflecht um ihn und seine Familie ist eng. "Viele Küstengemeinden sind gegen Umweltzerstörung", sagt Varda, "aber sie werden nicht einmal informiert."

Die Aktivistin ist in Deutschland aufgewachsen. Jetzt kämpft sie für den Ort, den sie liebt

Im Süden hält Zenepa Lika die Stellung. Aufgewachsen ist sie in Köln, doch vor ein paar Jahren zog die 48-jährige Architektin nach Ulcinj, dem Heimatort ihrer Eltern. Vor dem Jugoslawienkrieg waren hier viele deutsche Urlauber, viele Einheimische sprechen nicht nur Montenegrinisch und Albanisch, sondern auch Deutsch. "Ich wollte hier etwas bewegen", sagt sie, "ich liebe diesen Ort." Nachdem sie Dusan herzlich begrüßt und ihn nach Neuigkeiten befragt hat, geht sie mit ihm auf die Stadtmauer oberhalb der kleinen Bucht von Ulcinj. Das Wasser hier galt jahrzehntelang als das klarste der ganzen Adria. Heute ist der Strand immer wieder wegen organischer Verschmutzung gesperrt.

Zenepa Lika lässt den Blick über die Küste schweifen und erzählt. Zwei Jahre lang war sie Vizebürgermeisterin. "Ich war die Lauteste, dann wurde ich nicht mehr gewählt." Kurz darauf hat sie die Umweltgruppe "Dr. Martin Schneider-Jacoby Association" gegründet, zum Schutz und zur Revitalisierung der Saline. Sie war eine wichtige Station auf der Adria-Flugroute, 60 Prozent aller europäischen Zugvögel machten dort halt, erzählt Lika. Dann wurde 2014 die Salzgewinnung eingestellt, die Wasserbecken wurden getrocknet, das Land billig verkauft, an eine Investmentgesellschaft, deren Vorsitzender Ðukanović nahesteht. Er wollte dort ein Öko-Resort bauen.

Auch Lika arbeitet vor allem mit dem Internet, sammelt Unterschriften auf der Webseite savesalina.net. "Die Leute vor Ort sagen mir immer: Was regst du dich auf, wenn es eh schon beschlossene Sache ist?" In ihrem Kampf um die Saline bekam Lika Unterstützung von der vormaligen deutschen Botschafterin Gudrun Steinacker - und scheint tatsächlich etwas erreicht zu haben. Auf Druck der EU wurde das Bauprojekt vorerst gestoppt.

Europa ist für Montenegros Umweltschützer ein Hoffnungsträger. Seit 2010 verhandelt das Land über seinen Beitritt, das Kapitel 27, Umwelt und Klimawandel, ist das größte und schwierigste. Der im Frühjahr erschienene Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission erinnert daran, dass vor allem bei der Müll- und Wasserwirtschaft und im Umweltschutz noch "erhebliche Bemühungen notwendig sind". Bei der Bewältigung dieser Aufgaben bestätigt der Bericht dem Land "fehlende Verwaltungskapazitäten auf nationaler und lokaler Ebene".

Milica Kandić weiß, wovon die Rede ist. Gerade mal zwei Inspektoren sind für die Kontrolle der gesamten Küste zuständig, dafür steht ihnen ein Boot der Polizei zur Verfügung. Die 25-jährige Biologin arbeitet in der NGO Green Home. Sie hat mit Dušan Varda den ökologischen Wert der Küstengebiete erfasst und dazu extra tauchen gelernt. "Überall sieht man die kahlen Stellen von den Dynamitfischern", sagt sie in ihrem Büro in Podgorica, "das muss endlich aufhören". Kandić ist trotz allem optimistisch. Denn will Montenegro in die EU, muss das Land bis 2020 mindestens zehn Prozent seiner Küste geschützt haben. Leider würden derzeit noch Tatsachen geschaffen und viele Bauprojekte ausgeschrieben, beklagt sie, "damit am Ende vor allem schwer zugängliche Küstenabschnitte zum Schutz übrig bleiben". Kandić wundert sich über die Kurzsichtigkeit ihrer Regierung. "Wenn wir so weitermachen, wer will dann hier noch Urlaub machen?"

Reiseinformationen

Kontakt zu den Naturschützern: Dušan Varda hat die Webadresse www.medcem.org, die Salinen-Aktivisten um Zenepa Likas Organisation "Dr. Martin Schneider-Jacoby Association" sind über www.savesalina.net zu erreichen. Milica Kandić von der NGO Green Home: www.greenhome.co.me

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SZ vom 26.07.2018/edi
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