Montagnola im Tessin:Viele Wege führen zu Hesse

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Hier berauschte sich der Schriftsteller an seiner Einsamkeit, schrieb "Siddharta", und bekämpfte seine Depressionen. Auch 50 Jahre nach seinem Tod weht der Geist Hermann Hesses durch Montagnola. Eine Spurensuche.

Werner Bloch

Manchmal tut es ganz schön weh, Hermann Hesse zu lesen. Zum Beispiel an einem verregneten, mürrischen Sommertag. Da wirkt manches fast zynisch - etwa die Beschreibung des ersten Sommers, den Hesse im Tessin verbringt: "Als Gnade vom Himmel kam dazu ein Sommer, wie ich nur wenige erlebt habe, von einer Kraft und Glut, einer Lockung und Strahlung, die mich mitnahm und durchdrang wie schwerer Wein. Die glühenden Tage wanderte ich durch die Dörfer und Kastanienwälder, saß auf dem Klappstühlchen und versuchte, mit Wasserfarben etwas von dem flutenden Zauber aufzubewahren; . . . die warmen Nächte versuchte ich, mit Worten das Lied dieses ungeheuren Sommers zu singen." Da berauscht sich ein Mann an seiner Einsamkeit und einer Natur, die ihn emporträgt, der er seine Höhen aber auch immer wieder abringen muss.

Hermann Hesse im Tessin

Auf den Spuren von Hermann Hesse: In Montagnola in der Südschweiz ist der vor 50 Jahren verstorbene Schriftsteller noch immer allgegenwärtig.

(Foto: dpa-tmn)

Da ist Hesse, ein Jahr nach dem Ersten Weltkrieg, gerade in Montagnola gelandet, einem Dörfchen oberhalb des Luganer Sees, im südlichen Zipfel der Schweiz. Der wie ein Schatz gefundene Sommer im Tessin ist für Hesse viel mehr als eine Jahreszeit. Er ist Feier, Triumph, Gottesdienst, es ist der innere Sommer, den Hesse sucht, um seine Depressionen auszubrennen und die Schübe von Verzagtheit, die ihn immer wieder heimsuchen.

Kaum eingetroffen, stürzt sich Hesse ins Schreiben. In kurzer Zeit entstehen "Klingsors letzter Sommer", "Siddharta", "Narziß und Goldmund". Das Tessin wird Hesse nicht völlig gesund machen. Aber es wird ihm erträumte Heimat und "ersehntes Asyl". Ohne die Landschaft, ohne die Auseinandersetzung mit seinem neuen Zuhause wäre Hermann Hesse nicht der geworden, den wir kennen.

1919 befindet sich Hesse an einem Krisenpunkt, wie so oft in seinem Leben. Gerade hat er seine Frau Mia und seine drei Kinder verlassen: "Ich war jetzt ein kleiner abgebrannter Literat, ein abgerissener und etwas verdächtiger Fremder, der von Milch und Reis und Makkaroni lebte, seine alten Anzüge bis zum Ausfransen auftrug und im Herbst sein Abendessen in Form von Kastanien aus dem Wald heimbrachte." Das ist der Steppenwolf am Luganer See, Robinsons Landung in der Südschweiz.

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