Mitten in Absurdistan:Wenn Tanja Kanzlerin wär'

In der Berliner S-Bahn träumen zwei Freundinnen von der großen Politik. Das Geheimnis einer ursprünglichen Garküche im indonesischen Yogyakarta ist ein weißes Wunderpulver - das Besuchern allzu bekannt vorkommt. Und die Landungsbrücken in Hamburg haben für Eltern ihre Unschuld verloren.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt

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Quelle: SZ

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In der Berliner S-Bahn träumen zwei Freundinnen von der großen Politik. Das Geheimnis einer ursprünglichen Garküche im indonesischen Yogyakarta ist ein weißes Wunderpulver - das Besuchern allzu bekannt vorkommt. Und die Landungsbrücken in Hamburg haben für Eltern ihre Unschuld verloren. SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt.

Mitten in ... Yogyakarta

Die Garküche steht strategisch günstig, genau vor der Markthalle. Durchs Tor sind Frauen hinter Gemüsebergen zu erkennen. Ein Teil ihres Angebots wandert draußen direkt in den Wok. Hochgefühl beim Bestellen, so wie hier sollte Fastfood überall sein. Kurze Wege vom Markt auf den Teller, Geschmacksvielfalt statt genormter Kettenrestaurants. Kleine Essensstände bieten Bratreis an, Satay-Spießchen, frittierte Bananen. Dieser hier hat sich auf Bakso spezialisiert, Fleischklößchensuppe, angeblich war sie Barack Obamas Lieblingsgericht, als der als kleiner Junge in Indonesien lebte. Nudeln in die Schale, Frühlingszwiebeln, Fleischbällchen, Brühe und Sambal-Soße. Dann streut der Koch noch eine Prise weißes Wunderpulver darüber. Er würzt damit alle Speisen, sagt er, und zeigt ein Tütchen vor: Mononatriumglutamat aus Japan.

Christoph Heinlein, SZ vom 30./31. Mai 2014

S-Bahn Berlin

Quelle: Soeren Stache/dpa

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Mitten in ... Berlin

Die S5 ruckzuckelt zum Hackeschen Markt. Auf der Sitzgruppe nebenan haben sich gerade Tanja und Katrin erkannt, es gibt offenbar einiges zu besprechen beim dem Wiedersehen. Tanja: "Wie jeht et Yvonne?" Katrin: "Yvonne? Der jeht's jut, in der Geschlossenen, die wird jetzt uff Lithium umjestellt. Mit Christian is ja aber ooch nich mehr..." Tanja, auf ihr Telefon zeigend: "Wie viele Namen ick allein unter C stehen habe. Christin, drei Mal, Christian,..." Katrin, aus dem Fenster auf werdende Neubauten schauend: "Alles leer! Bestimmt für die Ausländer, aber wir können doch nich Gott und die Welt aufnehmen." Tanja: "Lass mich mal ne Regierung gründen, dann herrscht Zuch!" Die S-Bahn zuckelt weiter, und da denkt man jetzt lieber nicht drüber nach, wie das wäre: in einem Land zu leben, dass von Kanzlerin Tanja regiert wird.

Cornelius Pollmer, SZ vom 30./31. Mai 2014

Federal Forces Occupy Mare Favela Complex

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Es ist doch immer auch beruhigend, wenn sich im Leben nicht zu viel ändert. An diesem Terminal des Flughafens Galeão von Rio de Janeiro hängen wie seit unserem ersten Besuch in den Achtzigern die Decken so tief, dass große Menschen sich sicher den Kopf anhauen. Die Rolltreppen quietschen, und die Gepäckbänder ächzen. Von Umbau keine Spur. Auf der Fahrt in die Stadt geht es mitten durchs chaotische Zentrum, weil sinnigerweise kurz vor der Fußball-WM die Ringautobahn Perimetral abgebaut wurde. Dafür hat die Sonne gerade den Nieselregen vertrieben, es leuchten die Strände und das Meer. Vor unserer Unterkunft stehen nach wie vor Militärpolizisten, weil um die Ecke eine Favela beginnt, und weil der Staat vor Armenvierteln Angst hat. Wir werden also gut bewacht, wenn die WM am 12. Juni höchstwahrscheinlich los geht.

Peter Burghardt, SZ vom 30./31. Mai 2014

Regen in Hamburg

Quelle: dpa

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Mitten in ... Hamburg

Tagelang war es das große Gesprächsthema auf dem Spielplatz: "An den Landungsbrücken ist ein Mädchen ins Wasser gefallen, hast Du das gehört?" Emilie hieß sie, fünf Jahre alt. Sie spielte an der Kante, während ihre Eltern nach der Stadtbesichtigung nebenan im Fischrestaurant saßen. Plötzlich rutschte sie ab und fiel ins Hafenbecken, wo schaumiges Wasser immer so scheinbar träge umherschwappt. Man würde sein Kind notfalls wieder rausziehen können, dachte man immer. Doch Emilie verschwand binnen Sekunden, die Strömung sog sie unter die Pontons. Ihr Vater sprang hinterher, vergeblich. Erst nach 30 Minuten fand sie die Feuerwehr. Das war Ende April. Jetzt, ein kleines Wunder: "Hast Du gehört, das Mädchen ist aus dem Koma erwacht!" - "Gott sei Dank!" Man wird sein Kind nie mehr herumhüpfen lassen, am Hafen.

Marc Widmann, SZ vom 30./31. Mai 2014

People rest as they wait to buy Olympic tickets at a ticket office in Beijing

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Peking

Der Gully läuft schon wieder über. Anruf beim Straßenkomitee. Es klingelt. Und klingelt. Und klingelt. Irgendwann nimmt einer ab. Geraschel, Knacksen, dann als Lebenszeichen ein abgehacktes "A!" Wir erklären uns. Nachdenkliche Stille. Dann ein Flüstern: "Da müsst ihr das Nachbarschaftskomitee anrufen." Na gut, das untersteht doch dem Straßenkomitee, dürften wir bitte die Telefonnummer haben? "Mmmmh ..." Pause. "Das ist grad schlecht." Wieso denn? "Ich seh' nichts." Hä? Schnaufen. "Die ruhen sich hier alle aus." Ja und? "Gut, ich such mal." Geraschel. Dann: "Tut mir leid, ich seh' wirklich nichts. Hier ist es so dunkel." Im Ernst? Der andere, fast empört: "Soll ich etwa das Licht anmachen?" Ein Blick auf die Uhr: Viertel vor zwei, nachmittags. Beijing, Beijing, the city that always sleeps.

Kai Strittmatter, SZ vom 24./25. Mai 2014

Fregatte Niedersachsen

Quelle: Ingo Wagner/dpa

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Mitten in ... London

Mittags am Themse-Ufer vor dem Tower of London. Die goldbetressten Kanoniere der King's Troop Royal Horse Artillery beziehen Position. Am anderen Ufer liegt die deutsche Fregatte Niedersachsen. Entlang ihrer Reling steht die Besatzung aufgereiht, auch ihre Uniformen recht flott. Der Anlass ist feierlich: Vor 300 Jahren bestieg im Hannoveraner Georg I. erstmals ein deutscher Monarch den britischen Thron. Punkt zwölf beginnt das Schiff, seine Kanonen abzufeuern, 21 Schuss Salut. Dann befiehlt der Parade Commander, die zeremoniellen Schüsse zu erwidern. Die polierten 13-Pfünder der Horse Artillery böllern, dass dem Betrachter fast die Hose wegfliegt; eine Kanone schickt einen hübschen Rauchring über den Fluss. Erstaunlich friedliche Erfahrung: Deutsche schießen, Briten schießen - und am Ende klatschen die Touristen.

Alexander Menden, SZ vom 24./25. Mai 2014

NANA MOUSKOURI IN FRANKFURTS ALTER OPER

Quelle: DPA

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Mitten in ... München

Mit ihr hatte in dieser Nacht niemand gerechnet. Ist sie es wirklich? Schnell das Smartphone gezückt, ein Bildervergleich. Tatsächlich: In der Münchner Bar steht Nana Mouskouri, die griechische Schlagersängerin, als Überraschungsgast. Die schulterlangen Haare sind immer noch tiefschwarz, natürlich fehlen auch die markante Brille und das Wallegewand nicht. Sie greift zum Mikrofon, singt die ersten paar Takte, bald grölen die jungen Leute vor ihr textsicher mit, die übrigen Gäste klatschen. Keck zwinkert sie dem FC-Bayern-Fan am Nebentisch zu. Und der grinst zurück. Auch mit 80 Jahren kann sie die Menge noch begeistern. Aber nicht etwa mit "Weiße Rosen aus Athen". Was Nana Mouskouri und das Publikum da so inbrünstig schmettern, stammt von Helene Fischer und geht so: "Atemloooooos - durch die Nacht."

Carolin Gasteiger, SZ vom 24./25. Mai 2014

Cutty Sark

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Wien

Diese Wiener sind ausgesprochen unheimliche Wesen. Eigentlich tun sie nur so, als würden sie in unserer Welt leben. In Wahrheit aber spielt sich ihre Existenz in einem Lichtjahre entfernten Universum ab. Und wenn man das erst einmal kapiert hat, findet man hier nichts und niemanden mehr seltsam. Nicht die imperialen Tortenkreationen, nicht das ewige Burgtheater, nicht den Kaffee, die alten Knochen in der Kapuzinergruft oder gar den Opernball. Und sicher auch nicht diesen Mann, der da durch die Wollzeile beim Stephansdom gelaufen kommt. Er trägt einen Vier-Mast-Großsegler unterm Arm. Tags drauf spaziert er über den Naschmarkt, das sperrige Schiffsmodell ist selbstverständlich wieder dabei. Gassi-Gehen mit einem Windjammer. Ja richtig: Österreich war einmal eine große Seefahrernation, und gleich hinter Villach lag Triest.

Jutta Czeguhn, SZ vom 24./25. Mai 2014

A worker sweeps water off a street at the Central Business District in Beijing

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Peking

Chinesen bohnern zu Hause, dass jede schwäbische Hausfrau vor Neid erblassen müsste. Vor der Haustür allerdings lassen sie es lässiger angehen. Neulich drang aus dem Gully bei uns mal wieder der zähe Schlick, der sehr nach den Suppen riecht, die in der Nudelküche nebenan gekocht werden. Aussehen tut das Zeug allerdings eher nach Ölteppich im Golf von Mexiko. Ölteppich mit Akne. Gäbe es Möwen in Peking, sie würden vor unserer Haustür kläglich verenden. Es gibt hier allerdings nur uns, und wir versuchen jeden Morgen mit einem Dreisprung, unser Gefieder zu retten. Meist gelingt das ganz gut, nur manchmal tritt eines unserer mit Schulranzen beladenen Kinder daneben und gleitet langsam, fast in Zeitlupe, hinein in den Modder. Das hilflose Flügelzucken, der resignierte Blick. Ölpest, man kennt das aus dem Fernsehen.

Kai Strittmatter, SZ vom 17./18. Mai 2014

Pope Francis applauds during a meeting with teachers and students from Italian Catholic schools in St. Peter's Square at the Vatican

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Buenos Aires

Wer manchmal mit dem Fahrrad durch Buenos Aires fährt, sieht die tollsten Dinge. Man wird auf dem Radweg zwar gelegentlich von Motorrädern überholt, weil sich auf der Straße daneben die Autos stauen, und weicht Mülltonnen und Fußgängern aus. Radwege sind Rennstrecke, Promenade und Abstellplatz. Aber kürzlich entdeckte ich einen interessanten Obst-und-Gemüse-Laden: Er nennt sich "Habemus papa" und steht in der Straße Austria im Barrio Norte. "Habemos papam" haben wir auch, der Papst Franziskus stammt ja von hier, weshalb an vereinzelten Fenstern noch gelb-weiße Banner des Vatikans hängen, meistens neben der himmelblau-weißen Flagge Argentiniens. Papa heißt außer Papst jedoch auch Kartoffel, das Kilo weißer Kartoffeln in dem Laden kostet 14 Pesos, 1,30 Euro, und schwarzer Kartoffeln 9 Pesos, 82 Cents.

Peter Burghardt, SZ vom 17./18. Mai 2014

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Quelle: Anoek de Groot/AFP

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Mitten in ... Amsterdam

Ein schwäbisches Rentnerpaar spaziert durch das Rotlichtviertel, sie entlang der Schaufenster, er entlang der Gracht. Sie interessiert sich für die nackten Damen hinter den Scheiben; er für das dreckige Wasser im Kanal. "Jetzt gugg doch a mal", sagt sie. Er guckt aber bloß aufs Wasser. Die Frau stellt sich direkt vor ein Fenster und fotografiert eine dralle Brünette. Zwei Mal, drei Mal. Und Querformat. Die Brünette klopft wütend von innen gegen die Scheibe: "No photo!" Die Schwäbin klopft von außen freundlich zurück. Dann reißt ihr ein tätowierter Muskelberg das Handy aus der Hand. Die Frau packt den Berg sofort am Kragen, sie redet mit ihm wie mit einem Hund: "Gib's wieder her! Du gibst sofort das Telefon her!" Der Türsteher gehorcht völlig verdutzt. Die Frau sagt: "Na also." Zehn Meter weiter verschwindet ihr Ehemann in der Menge.

Roman Deininger, SZ vom 16./17. Mai 2014

Hund auf Stuhl

Quelle: Stephanie Pilick/dpa

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Mitten in ... Berlin

"Fräulein Dickes" heißt das Café am Prenzlauer Berg, es erfüllt alle Erwartungen. Die junge Bedienung, die kein Wort Deutsch spricht, nimmt die Bestellung auf; ihre Bewegungen sind von aufreizender Langsamkeit. Kennt die sich aus im Torten-Business? Auch der bärtige Kollege, der hinten in der schmalen Küche die vollwertigen Feinkosthäppchen komponiert, glotzt ständig auf die hölzerne Tafel, offenbar ist auch er neu hier. Die Cappuccino-Mamis und die Touristen stehen Schlange vor der Kasse, aber alle behalten die Nerven: Die elegische Schöne hat eine beruhigende Wirkung. Frage: Was ist hier los? Die Antwort kommt im reinsten Londonerisch: Leider befinde sich die Chefin im Hundekrankenhaus, weil ihr Liebling gebissen wurde, von einem echten Straßenköter. Und das Fräulein Dickes muss ja irgendwie weiterleben. Ach, Berlin.

Christian Mayer, SZ vom 17./18. Mai 2014

Angelenos feiern Gedenktag Cinco De Mayo

Quelle: Kevork Djansezian/AFP

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Mitten in ... Los Angeles

"Happy Cinco de Mayo" ruft die Frau mit der riesigen Rose im Haar, sie klatscht in die Hände und bittet zum Tanz. Natürlich macht der Deutsche mit, schwingt die steifen Hüften inmitten feuriger Lateinamerikaner. Die Menschen tanzen, singen, kreischen in der Olvera Street an diesem Tag, an dem die Mexikaner der Schlacht bei Puebla am 5. Mai 1862 gedenken. Und niemanden stört, dass dies erst der 4. Mai ist. Überhaupt nehmen es die Angelenos nicht so genau mit dem Termin, wenn es um Feiertage anderer Nationen geht. Wichtig ist das Lebensgefühl. Den irischen St. Patrick's Days, offiziell der 17. März, begossen sie bereits zwei Tage vorher. Der Deutsche freut sich nun aufs Oktoberfest, das im Alpine Village gefeiert wird, wenn der Trubel in München längst vorüber ist. Übrigens wird dann ein Mal pro Stunde zum Ententanz aufgefordert.

Jürgen Schmieder, SZ vom 10./11. Mai 2014

Jenny Jugo als Lorelei

Quelle: Scherl

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Mitten in ... Deutschland

Zwischen Koblenz und Mainz reist man zweifellos auf der schönsten Bahnstrecke Deutschlands. Prächtige Burgruinen, romantische Dörfchen, malerische Weinberge und der mythische Felsen "Loreley" zieren das Ufer-Panorama entlang des Unesco-Welterbes Mittelrheintal. Eine junge Japanerin im Intercity-Großraumwagen sitzt in Fahrtrichtung links direkt am Fenster. Aber hat keine Augen für die überwältigende Landschaft. Schaut auf ihrem iPad ausgerechnet den Hollywoodstreifen "Up in the Air": George Clooney zelebriert es, als Vielflieger meilenweit über der Erde zu reisen und das wirkliche Leben so weit wie möglich von sich fernzuhalten. Also bitte, wenn schon Filmschauen auf der Bahnstrecke zwischen Koblenz und Mainz, dann empfehlen wir dringend die Dokumentation: "Unesco Welterbe Oberes Mittelrheintal".

Ulrich Hartmann, SZ vom 10./11. Mai 2014

Frau balanciert eine Schale Orangen auf ihrem Kopf.

Quelle: Goran Tomasevic/Reuters

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Mitten in ... Konankro

Chapeau, Madame! In der Hauptstadt der Elfenbeinküste hat man Frauen gesehen, die ganze Gas-Container auf dem Kopf balancierten, schwere Dinger aus Eisen, bestimmt 30 Kilo. Und dabei diese Haltung! Aufrecht, stolz, das ist wohl die Folge von so einer Kopffracht, der Gang wird zugleich geschmeidig. Kein Wunder, dass Laufsteg-Models in aller Welt so trainieren: mit Büchern auf dem Kopf. Die Arme: frei. Das Sommerkleid: zerknittert nicht. Auf der staubigen Dorfstraße zwischen Konankro und Kongokro, im Hinterland der Cote d'Ivoire, nun der Beweis, dass Eleganz nicht nur ein zufälliges Nebenprodukt dieser Art des Tragens ist. Auf dem Kopf der jungen Dame: ein Handtäschchen, sonst nichts. Helles, weiches Leder mit silberfarbenen Applikationen am Riemen. Könnte man vielleicht auch anders tragen. Aber warum sollte man?

Ronen Steinke, SZ vom 10./11. Mai 2014

St. Wendel Ritterturnier

Quelle: Ralph Orlowski/Getty Images

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Mitten in ... Meersburg

Die Meersburg durchwabern strenge Gerüche. Hier am Bodensee, in der ältesten bewohnten Burg Deutschlands, trifft sich alle paar Wochen eine sogenannte Söldnertruppe. Man lässt das Mittelalter hochleben, stülpt sich Hauben aus Leinen über, schlurft in Schnabelschuhen durch die Mauern, lagert im muffeligen Gemeinschaftsgewölbe. In der alten Burgküche brodelt Undefinierbares im Riesentopf - das Mittelalter war nichts für zarte Nasen. Für empfindsame Gemüter auch nicht. Es gibt hier einen Folterkeller und ein grausames Hungerverlies, doch die Tyrannei der Fürstbischöfe ist für diesen Trupp nicht so drastisch wie das, was sich draußen vor dem Burggraben abspielt: Der Typ in Ritterrüstung ist aufgeregt - soll er einen Strafzettel in Kauf nehmen oder alle drei Stunden im Kettenhemd zum Parkautomaten rumpeln?

Ulrike Heidenreich, SZ vom 10./11. Mai 2014

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Knockenstiff

Die Siedlung im Wald von Ohio ist zu klein für ein Ortsschild. Deshalb die Frage: "Ist das hier Knockemstiff?" - "Ja ... und?", erwidert ein Mann. Seine Augen scheinen zu fragen, ob man eins auf die Fresse will. Hier wurde 1954 der Schriftsteller Donald Ray Pollock geboren, der nach vielen Jahren als Arbeiter in Schlacht- und Papierfabriken zu schreiben begann. Hier spielen seine Geschichten: düsterer Blutrausch, schlichte Menschen, getrieben von Gewalt, Angst, Glaube, Wahnsinn. Bei meinem Besuch weisen Frauen ihre Männer auf das Auto mit dem fremden Kennzeichen hin. Scharfe Hunde toben in Zwingern. Müll türmt sich vor den Häusern. Immerhin, eine junge Frau lässt sich auf ein Gespräch über Pollocks Geschichten ein. "Ich hab' ein paar Seiten gelesen", sagt sie über sein fiktives Werk. "Es stimmt aber gar nicht alles, was drinsteht."

Johannes Boie, SZ vom 3./4. Mai 2014

Michael Bully Herbig

Quelle: SZ

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Mitten in ... Wien

Am Dienstag hat Michael "Bully" Herbig hier lesen müssen, dass er Hollywood kopiert habe. Dazu hatten wir zwei Fotos gezeigt: zum einen das Oscar-Selfie vom März, samt Weltstars; zum anderen ein Bild von Herbig, wie er auf der Verleihung eines österreichischen Filmpreises ein ähnliches Foto zu machen sucht - nur dass sich für sein Selfie weniger glamouröse und weniger frohe Promis versammeln. Nun hat uns Herbig ebenjenes Foto geschickt, das in dieser Szene entstanden war. Herbig schreibt dazu sehr nett, dass Hollywood das Selfie ja nicht erfunden habe. Er mache solche Bilder seit 25 Jahren, er nenne sie halt anders, Gaudi-Fotos nämlich. Und sie hätten da in Wien sehr wohl Spaß gehabt, siehe Foto. Ist tatsächlich ein schönes Selfie geworden, trotz der irren Belichtung. Kurz und gut: Der Leser hat Recht. Wie immer.

Martin Wittmann, SZ vom 3./4. Mai 2014

Familie, 1932

Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo

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Mitten in ... München

Montagabend, halb zwölf, der Spätdienst ist zu Ende. Das Fahrrad, mit dem ich nach Hause fahren will, ist weg. Verdammt, ich hätte es an den Fahrradständer ketten sollen. Verdammt, es wurde erst vor ein paar Tagen neu überholt. Mist. Mist. Mist. Zu Fuß nach Hause, auf dem Weg halte ich ein Auto an, einen Corsa, darin vier 18-jährige Jungs. Sie seien auf dem Weg zum Billard, sagen sie. Ein bisschen was getrunken haben sie wohl schon, der Fahrer immerhin scheint nüchtern zu sein. Ich erzähle ihm von dem gestohlenen Fahrrad, "lila mit auffälligen, grünen Pedalen". Es wird still im Auto. "Scheiße, das haben wir heute Morgen verkauft", kommt es von der Rückbank. Kurze Stille, dann lachen alle laut los. An der nächsten Kreuzung lassen sie mich raus - und fahren so schnell weg, dass ich keine Chance habe, mir ihr Kennzeichen zu merken.

Charlotte Theile, SZ vom 3./4. Mai 2014

FC Bayern München - SpVgg Greuther Fürth

Quelle: dpa

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Mitten in ... Azilal

Eigentlich waren wir vorgewarnt: Schon nach ein paar Kilometern in Marokko sehen wir die ersten Polizisten am Straßenrand. Die Laserpistole ist in diesem Land im Dauereinsatz. Selbst der Reiseführer schreibt darüber. Also stets brav den Blick auf den Tacho. Doch als der Lkw vor uns sich allzu mühsam über die löchrige Teerstraße vor Azilal quält, geben wir Gas - prompt empfangen uns Uniformierte. Ob wir die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht gesehen hätten? Aber natürlich. Warum wir dann fast 20 km/h zu schnell fahren? Und überhaupt: Wo wir herkommen? Entnervt antworten wir: München. Der Polizist strahlt: "Sweinschteiger?" Die 300 Dirham Strafe sind vergessen, wir können fahren. Eine Woche später, auf dem Weg nach Ait-Ben-Haddou, hilft dann nichts mehr. Kein Wunder: Die Polizisten sind Dortmund-Fans.

Laura Weißmüller, SZ vom 3./4. Mai 2014

Radfahrer

Quelle: dpa

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Mitten in ... Tel Aviv

Zum Interview mit einem israelischen General hatte ich das Dienstfahrrad an einem Laternenpfahl vor dem Verteidigungsministerium geparkt. Als ich nach einer Stunde zurückkam, war gerade ein Lastwagen darüber gerollt. Auch ein Panzer hätte mein Hinterrad kaum schlimmer zurichten können. Doch der Fahrer hoch oben in seiner Kabine zeigte sich unbeeindruckt, schenkte mir nicht mehr als ein müdes Lächeln und wollte nicht einmal aussteigen, um sich den Schaden anzuschauen. Als ich gerade so weit war, aus diesem Anlass meine pazifistische Grundeinstellung zu überdenken, kam mir die Armee zur Hilfe. Der langgediente Presse-Offizier kam des Weges, sah mich, sah das Fahrrad - und blickte den Fahrer streng an. Angesichts der Uniform nahm der sogleich Haltung an. Natürlich wird der Schaden nun in voller Höhe erstattet.

Peter Münch, SZ vom 26./27. April 2014

Kreditkarten

Quelle: dpa

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Mitten in ... Oslo

In Skandinavien kommt man ohne Bargeld ziemlich weit. Gezahlt wird mit EC-Karte, auch wenn's nur Kaugummis am Kiosk sind. Oder eben die Toilette am Bahnhof in Oslo; da helfen Münzen gar nicht weiter. Stattdessen muss man die Kreditkarte durch den Schlitz unter der Klinke ziehen und hoffen, dass die Tür aufgeht. Blöd nur, wenn sie es nicht tut und die Schlange immer länger wird. Ich lasse die nächste Kartenbesitzerin ihr Glück versuchen. Kein Erfolg. Und die nächste: nichts. Eine nach der anderen verschwindet unverrichteter Dinge, auch ich gehe. Das Café nebenan ist gut besucht. Eine Bedienung quetscht sich vorbei. "Toilette?", fragt sie gleich freundlich. Ich nicke erstaunt, sie deutet in eine Ecke. Dort sehe ich bekannte Gesichter: Die Kreditkarten-Schlange vom Bahnhof steht jetzt hier an. Es geht doch nichts über eine manuelle Klotür.

Silke Bigalke, SZ vom 26./27. April 2014

Anzug Krawatte

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Am Maximiliansplatz, Innenstadt. Froh, einen Parkplatz gefunden zu haben. Hält neben mir ein SUV, ein Mietwagen. Fenster heruntergelassen. "Scusi", sagt der Mann, braun gebrannt, strahlendes Lächeln. Zur Autobahn will er, nach Mailand. Nichts leichter als das: zur Kreuzung, dann einfach den blauen Schildern nach. "Ah, Autobahnen haben hier blaue Schilder. Perfetto." Der Mann fährt nicht weiter. Autos stauen sich. Er strahlt noch immer. Ob ich Alta Moda schätze. Klar, natürlich. Oh, er hatte gerade eine Schau im Bayerischen Hof. 52, schätze er, sei meine Größe. Die ersten Autofahrer hupen, rauschen mit aufjaulendem Motor vorbei. Ob ich einen Anzug anprobieren wolle. Auf dem Altstadtring hat mir noch niemand Alta Moda angeboten. Dann schüttle ich den Kopf. Ich kneife. Der Mann fährt ab. Schade eigentlich.

Reymer Klüver, SZ vom 26./27. April 2014

Werbeplakat Schweiz Wein

Quelle: Wolfgang Koydl

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Mitten in ... Zürich

Die Schweizer verstehen sich nicht nur auf Schokolade und Käse, sie produzieren auch gute Weine. Kaum ein Kanton zwischen Genf und Schaffhausen, in dem nicht Reben wachsen. Auch im Zürcher Oberland gedeihen gute Tropfen, allen voran der Räuschling. Ebenfalls recht gut sind die Eidgenossen in Werbung und Design. Schweizer Agenturen machen weltweit von sich reden, wobei keine Verbindung zwischen Weinkonsum und Kreativität hergestellt werden soll. Nur die Gestalter eines Plakats, das derzeit für Weinproben bei Zürcher Winzern wirbt, dürften ein wenig zu tief ins Glas geblickt haben. Ein Abstecher in einen Weinkeller wird hier gleichgesetzt mit einem Marsch in ein aufgeklapptes Krokodilmaul. Was wollen uns die Werber damit sagen? Dass der Wein uns alle umbringt? Da hilft nur ein kleines Räuschling-Räuschli.

Wolfgang Koydl, SZ vom 26./27. April 2014

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Quelle: Johannes Eisele/AFP

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Mitten in ... Kairo

Wenn es dunkel wird, verwandelt sich das alte Börsenviertel in ein großes Freiluft-Café. Und wenn Champions-League-Spieltag ist, regieren hier die Fans des FC Barcelona. Die starke Entwicklung der Bayern ist den jungen Ägyptern nicht entgangen, ihre Liebe gilt aber Messi und Co. Nach langem Suchen findet sich ein Teehaus, dessen Besitzer versichert, heute das Spiel der Bayern gegen Manchester United zu zeigen. Während der Vorberichterstattung nuckeln die Gäste desinteressiert an ihren Wasserpfeifen, als Philipp Lahm zum Münzwurf für die Seitenwahl schreitet, murren sie. Der Besitzer lässt abstimmen, welches Spiel gezeigt werden soll. Atlético Madrid gegen FC Barcelona: 38 Stimmen. FC Bayern gegen Manchester United: zwei Stimmen. Das Aufkeimen der demokratischen Kultur in Ägypten, es hat auch seine Schattenseiten.

Moritz Baumstieger, SZ vom 12./13. April 2014

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Chengdu

An einer Kreuzung in Chengdu. Rechts funkelt der Louis-Vuitton-Laden, gegenüber blinkt Dior. Der Freund am Steuer sagt, er kenne eine Sekretärin mit einem Gehalt von 2000 Yuan (umgerechnet 240 Euro), die habe sich soeben eine Louis-Vuitton-Tasche gekauft. "Eine echte." Er schüttelt den Kopf. "So sind wir Chinesen. Dabei denken bei ihr sowieso alle, dass sie ein Fake trägt." Die Bekannte auf der Rückbank fällt ein, erzählt von der Pekinger Krankenschwester, die ihr einst auftrug, aus Europa eine Gucci-Tasche mitzubringen. "Ich sagte ihr: Spar dir das Geld, du fährst doch eh mit der U-Bahn zur Arbeit. Was willst du da mit einer Gucci-Tasche?" Und, nahm sie sich das zu Herzen? "In gewisser Weise schon: Als ich aus Europa zurückkam, hatte sie sich ein Auto gekauft, ein gebrauchtes. Mit ihrem letzten Geld. Extra für die Tasche."

Kai Strittmatter, SZ vom 12./13. April 2014

Polizist verfolgt einen Mann während eines Streiks in San Francisco, 1934

Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo

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Mitten in ... München

Sicher wie ein Dorf sei München, sagt der Innenminister. Fade wie ein Dorf, sagen Berliner Freunde. Beides gelogen. Ein Donnerstagabend: Fahrt mit dem Bus ans andere Ende der Stadt, zu einem Freund auf ein Gläschen. Kaum in der Wohnung, stehen vier Uniformierte und sechs schneidige Kriminaler an der Tür, suchen einen blonden Mann. Der habe nahe der Starthaltestelle einen Laden überfallen, man habe dann den Bus verfolgt. "Hände hoch!" Es folgt die Suche nach der Beute, auch in der Gastgeberwohnung. "Was haben Sie die letzten Stunden gemacht?" Antwort: Abendessen mit dem hessischen Schulminister, die TV-Serie "Dahoam is Dahoam" (ohne Zeugen), Gang zum Bus. Die heiße Spur erkaltet: zur Tatzeit kein Alibi, doch keine Beute, zudem Schwüre auf die Gesetzestreue. Eine Oma aus dem Haus ermittelt gar mit. Keine Festnahme am Ende. Vorerst?

Johann Osel, SZ vom 12./13. April 2014

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Dresden

Vater und Sohn tragen den gleichen Namen, aber während der Jüngere gern von der Öffentlichkeit vergessen würde, erinnert an den Alten schon jetzt nur noch dieses Schild: Cornelius-Gurlitt-Straße, Dresdner Süden. Der alte Gurlitt begründete die Denkmalpflege in Sachsen, das muss man wissen, seine Straße verrät es einem nicht. Fassaden in gewagten Farben, dazwischen Baulücken. Für eine wurde vor Kurzem unter der Chiffre 35011 ein neuer Partner gesucht, im Immobilienteil der Sächsischen Zeitung. Das Grundstück befinde sich in "ruhiger Wohnlage", 610 qm, Mindestgebot 43.000 Euro. Das sind ordentliche Werte in der Bau-Boomtown Dresden. Aber was hilft es, wenn der Schatten von Schwabing bis nach Sachsen reicht? Bei dem Baugrund, so stand es in der Anzeige, handele es sich um eine "Altlastenverdachtsfläche".

Cornelius Pollmer, SZ vom 12./14. April 2014

"Mitten in" samt Detailfoto von dem Ungetüm (bzw. von der Kommandozentrale)

Quelle: Strittmatter

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Mitten in ... Taipeh

Meine Toilette lebt. Also die in meinem Hotel. Ich kam ins Bad, da öffnete sie surrend ihre Klappe. Wir starrten uns beide an. Ich sie mit großen Augen, sie mich mit aufgesperrtem Maul, so als wollte sie mich gleich verschlucken. Als ich mich setzte, fing sie an zu gurgeln. Ich erstarrte. Plötzlich wurde es wunderschön warm. Ich entspannte mich. Irgendwann ging es ans Spülen. Bloß wie? An der Wand ein Kommandoterminal. 18 Knöpfe, Touchscreen. Airbuscockpit. Ich angelte mir die Gebrauchsanweisung. "Toilet functions". Zwei Seiten. Hm. "Forward wash"? "Back wash"? Oder doch "Nozzle clean"? Ich drückte "Wisdom electricity saving", das klang beruhigend. Immerhin: Sie schluckte mich nicht. Als ich das Bad verließ, drehte ich mich verstohlen um. Ich wollte sehen, ob sie mir vielleicht folgte. Sie schnurrte, tat, als schlafe sie.

Kai Strittmatter, SZ vom 5./6. April 2014

Wetter App

Quelle: SZ

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Mitten in ... Riederalp

Skiurlaub, packen, Verstauungskrise. Diesmal wird es besonders eng, denn Freunde und Verwandte haben gewarnt: Konstant zweistellige Minusgrade hätte das Wallis zu bieten, zieht euch warm an. Die Wetter-App auf dem Smartphone zeigt beständig zwischen minus 14 und minus 18 Grad. Ab wann gibt es eigentlich kältefrei? In den Bergen dann herrlicher Sonnenschein, das Thermometer verkriecht sich nur wenig unter null, Tiefstwert minus fünf Grad. Lange Unterhosen und Windstopper bleiben im Schrank. Die Wirtsleute haben die Auflösung. "Die messen oben auf der Jungfrau, in 4000 Metern Höhe", sagt der Herbergsvater. Ungläubiges Kopfschütteln, wir befinden uns in Südlage, 1900 Meter über null. "Ich habe schon bei denen in Kalifornien angerufen, aber die wollen das nicht ändern. Für die ist die ganze Schweiz nur ein Fleck."

Werner Bartens, SZ vom 5./6. April 2014

Low clouds hover over the Los Angeles downtown skyline in Los Angeles

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Los Angeles

Großer Auflauf am Abend vor einer Galerie in Downtown Los Angeles. Vor ein paar Jahren herrschte hier nach Sonnenuntergang Lebensgefahr, jetzt gehört das Stadtzentrum zu den hippsten Stadtteilen. In der Galerie werden Fotos von Leee Black Childers ausgestellt, dem ehemaligen Assistenten von Andy Warhol. Nur zu sehen bekommt man die Fotos von Junkies, Punks, Dragqueens und Studio-54-Gästen nicht, eine scheinbar unendliche Schlange hat sich vor dem Eingang gebildet. Ein Mann im Rollstuhl fährt die Schlange der missmutig Wartenden ab, er steuert auf den Hipster hinter mir zu und fragt: "Warum lächelst du nicht?" Der junge Mann zischt: "Ich habe nichts zu lächeln, ich steh' in der Schlange, wie du siehst." Der Rollstuhl-Mann gibt nicht auf: "Schau mich an", sagt er. "Ich hätte Grund, nicht zu lächeln. Aber ich tu's trotzdem."

Thorsten Schmitz, SZ vom 5./6. April 2014

DCODE MUSIC FESTIVAL

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... München

Das größte Schlachtfeld im Kampf gegen das Sich-alt-Fühlen ist das Rockkonzert: Je weiter hinten man dort steht, desto älter fühlt man sich, nicht andersherum. Etwa bei Franz Ferdinand, einer Band, die für Mittdreißiger das ist, was U2 für Fünfzigjährige sind oder die Stones für Leute, die den echten Franz Ferdinand noch kennenlernen durften. Hinten an der Bar stehen die Fußwipper mit Geheimratsecken, vor der Bühne springen die Jungen. Zum Glück gibt es die Zeitmaschine Bier. Langsam trinken wir uns zurück ins Studium und damit nach vorne. Dort hüpfen wir wie einst, zweimal, dreimal - bis der Freund das Gesicht unter der hohen Stirn verzieht: das rechte Außenband zwickt. Rückzug an die traurige Bar, wo die Humpelnden auf die Alten treffen. Die wippen übrigens immer noch mit dem Fuß, und das beneidenswert schmerzfrei.

Martin Wittmann, SZ vom 5./6. April 2014

© SZ/hann
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