Mitten in Absurdistan:Wehe, jemand zieht hier die Schuhe aus!

Roms Spanische Treppe leuchtet wieder - und der neue Glanz wird strengstens bewacht. In Wien dagegen trauert man der Zeit nach, als sich alle noch volllaufen ließen.

27 Bilder

Toskana - Abtei St. Antimo

Quelle: picture-alliance/ dpa

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Mitten in ... Sant'Antimo

Wer Sant' Antimo besucht, der tut das, weil er nicht will, dass sich dauernd alle Dinge ändern. Die romanische Kirche ist wunderherrlich und liegt noch dazu in einer der schönsten Landschaften der Welt, nämlich in der mittleren Toskana, nicht weit enfernt von Montalcino. In Sant' Antimo gab es seit Jahren Messen, in denen Augustiner-Mönche gregorianische Gesänge vortrugen. Selbst wenn man nicht katholisch ist, ist so eine Messe seelenerhebend und macht lebensdankbar. Nun aber, oh Graus, sind die Augustiner weg. Sie sind schon seit Monaten nicht mehr da, ein anderer Orden hat übernommen, mit zwei Mönchen nur. Einer war neulich im Krankenhaus, und der andere sagte abends um sechs in der Kirche, für sich allein könne er keine Messe zelebrieren. Man zog mit unerhobener Seele von dannen. Immerhin roch es draußen nach Lavendel.

Kurt Kister

SZ vom 7. Oktober 2016

DIE LINDENWIRTIN VOM DONAUSTRAND

Quelle: KPA

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Mitten in ... Wien

Abendrunde im Kollegenkreis; draußen ist es eiskalt, drinnen wärmt der Zweigelt die Seele. Die neuen Politiker im Land, lästert einer, sähen so spaßfrei aus, als tränken sie Mineralwasser mit dem Strohhalm. Früher sei es viel lustiger gewesen: Ein Ex-Kanzler stürzte bei Empfängen erst Bier, dann Wein herunter - und wenn er in Stimmung war, trank er auf der Straße neben seiner Limousine am offenen Kofferraum weiter, in dem immer eine Zweiliterflasche verstaut war. Ein anderer Kanzler wollte auf einer Dienstreise an die Hotelbar, aber die war zu; daraufhin musste die mitreisende Sekretärin die likörgefüllten Pralinen holen, die ihr der Gastgeber geschenkt hatte, sie einzeln aufbrechen und den Inhalt in ein Glas träufeln. Wohl bekomms. Vielleicht war die Welt ja leichter zu ertragen, als Politiker sich noch volllaufen ließen - und nicht joggten.

Cathrin Kahlweit

SZ vom 7. Oktober 2016

Wespe

Quelle: dpa

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Mitten in ... Hamburg

Es war kein gutes Jahr für die Wespen. Vielleicht hat sie eine tückische Krankheit dahingerafft, eine seltene Fäule ihre Nester zerfressen, vielleicht hatten sie keine Lust auszuschwärmen und einen wie sonst teuflisch zu ärgern. Jedenfalls schaffte es in diesem durchwachsenen Sommer kein einziges Miststück auf den Balkon. Und dann, Oktober schon, Einheitsfeiertagskuchennachmittag, kommt ein Spätling angebrummt, steif gefroren die Flügel im Wind, der ihn hochgetragen hat, hungrig und beutelüstern. Drohnengleich umkurvt er die Gesellschaft, sichert das Gelände, als wär's Afghanistan, rüttelt begehrlich über der Lübecker Nusstorte, brummt lauter und erinnert an all die Stiche in Kinderdaumen, -nacken, -füße. Aber dieses eine Exemplar ist ein Wunder, ein Pazifist, schwirrt auf und davon und stürzt sich kopfüber in die letzte Sonne.

Willi Winkler

SZ vom 7. Oktober 2016

Spanische Treppe in Rom

Quelle: dpa

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Mitten in ... Rom

Sie leuchtet wieder, die Spanische Treppe in Rom, besonders, wenn die Abendsonne Goldlicht über Marmor wie Touristen wirft. Das ist den großherzigen Nachfahren des Herrn Bulgari zu verdanken, die unten an der Treppe goldene, duftende und sonst wie schöne Dinge verkaufen; denen passte die verdreckte Treppe nicht mehr ins Ambiente. Darauf, dass sie sauber bleibt, achten nun Bulgaris Wächter, die aussehen wie Schiffsoffiziere ohne Schiff. Das ist löblich. Aber warum müssen die müden Touristen, die ihre Schuhe ausgezogen haben, wieder in dieselben schlüpfen? Weil Fußschweiß sich einbrennt? Weil Unbeschuhte und Barfüßer Herrn Bulgari ein Graus waren? "Ziehe deine Schuhe von den Füßen; denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden", sprach Gott zu Mose. An der Treppe heißt es hingegen: Schuhe an - frisch gereinigt!

Matthias Drobinski

SZ vom 7. Oktober 2016

Valle de los Caidos (The Valley of the Fallen) - Grab von Diktator Franco

Quelle: Philippe Desmazes/AFP

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Mitten im ... Valle de los Caídos

Noch nie gesehen, so etwas. Ein megalomanes, fensterloses Mausoleum, mitten im Wald. Die längste Basilika der Welt, von 20 000 Zwangsarbeitern in den Berg gehämmert. Oben drauf: ein 155 Meter hohes Betonkreuz. Alles zu Ehren des Diktators Franco, dessen Leiche sie ein paar Kilometer weiter, in der Königsgruft, nicht haben wollten. "Die Benediktiner feiern hier täglich einen Gottesdienst", sagt die Fremdenführerin. "Direkt neben seinem Grab." Gespenstische Stille. Nirgendwo eine erläuternde Tafel, aber im Souvenirshop bunte Mausoleums-Tellerchen. Faschisten-Nippes.

Unter der 50 Meter hohen Kuppel wartet eine Aufpasserin. Sicher hat sie nichts dagegen, wenn man mal kurz die frischen Blumen am Grab fotografiert. "No photos!", ruft sie mit bitterbösem Blick. "No!!" Hui, da ist man aber schnell wieder draußen, aus dem heiligen Berg.

Martin Zips

SZ vom 30.9.2016

Fleisch ohne Fleisch ist gefragt - Veggie-Metzger

Quelle: dpa

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Mitten in ... New York

Das Restaurant ist schick, rappelvoll und ziemlich teuer, aber was soll's, heute wollen wir prassen, außerdem soll es hier superleckeres Veggie-Slow-Food geben. Die Frau am Eingang prüft mit wichtiger Miene unsere Reservierung, eine andere führt uns zum Tisch. Wir bestellen - und geraten in eine Art Zeitraffer. Die Vorspeise ist ruckzuck da, irgendwas mit Grünkohl, wir kauen noch, als der Hauptgang kommt, Spargel, Tofu, köstlich, das Personal lässt uns nicht aus den Augen, es folgt das Dessert, schön slow im Ofen geschmorte Ananas - schon liegt die Mappe mit der Rechnung auf dem Tisch. "Whenever you're ready", sagt die Kellnerin und lächelt sehr freundlich. Als sie zum dritten Mal vor unserem Tisch steht, kapitulieren wir. Nach etwas mehr als einer Stunde hat uns der Slow-Food-Tempel wieder ausgespuckt. New York hat es eilig.

Luisa Seeling

SZ vom 30.9.2016

Hare-Krishna-Jünger singen ihr Maha Mantra, 2005

Quelle: CATH

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Mitten in ... Hamburg

An der Poststraße im Hamburger Zentrum wird sagenhaft musiziert, man braucht nur manchmal gute Nerven beziehungsweise Ohrenstöpsel oder geschlossene Fenster. Die Pressluftbohrer um die Ecke haben ihr Konzert fürs Erste beendet, aber gerade gab es hier einen beachtlichen Wettstreit der Tonmeister: Am benachbarten Glockenspiel, das mit wechselnden Gassenhauern aufhorchen lässt, erklang "Über den Wolken" von Reinhard Mey. In etwa gleichzeitig blies unter den Wolken ein Querflötist mehrmals die Klassiker "I did it my way" und "Champs- Élysées". Da fehlte eigentlich nur noch ein Panflötenorchester aus Peru. Dafür wurde bald ein Akkordeonmann mit einer französischen Weise vorstellig und dann ein Trio, das man lange nicht gehört hatte: Es trommelte, tanzte und sang "Hare Krishna". Schön, dass es die auch noch gibt!

Peter Burghardt

SZ vom 30.9.2016

Strandsandale

Quelle: dpa

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Mitten in ... Washington

Schön, dass die Kinder hier so schnell Englisch lernen. Die beiden Großen verstehen schon eine ganze Menge. Ein Dialog bei einer Fahrt durch die Stadt. Sohn 1: "Da, ein Laster, auf dem steht ,Veteran Compost'. Was ist das denn?" Sohn 2: "Und darunter steht ,from combat to compost'." Sohn 1: "Häh, wie - vom Nahkampf zum Kompost?" Sohn 2: "Das sind vielleicht Leute, die früher Soldaten waren und jetzt Kompost machen." Sohn 1: "Könnte aber auch sein, dass sie die Leichen vom Schlachtfeld einsammeln und dann die zu Kompost machen." Sohn 2: "Stell dir mal vor, die machen daraus Gummi, und daraus machen sie dann Flip-Flops." Wir haben dann beschlossen, bald mal bei Veteran Compost vorbeizufahren und einfach ein paar Säcke Blumenerde zu kaufen. Wenn es dort auch günstige Flip-Flops für die Jungs gibt, umso besser.

Hubert Wetzel

SZ vom 30.9.2016

Kakerlake

Quelle: dpa/dpaweb

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Mitten in ... San Francisco

Nein, der Chicken Caesar Salad sei natürlich ohne Chicken, hat die Bedienung gerade erklärt, mit einem Ton des Erstaunens: Das ist ein veganes Restaurant hier! Stimmt, das angesagteste in der sowieso angesagten Valencia Street. Wer hier isst, der achtet alle Tiere. Also gut, dann bitte erst einmal ein Bier, lokal gebraut. Nachdenklich blicken wir nochmals in die Karte. Da dreht sich die junge Frau vom Nachbartisch her.

Hosenanzug, strenger Blick, modisch-blasser Teint. Ein Stammgast, der uns in die Welt der Herbivoren einführen möchte? Nein, halt, eigentlich mustert sie eher die Wand - stimmt, da läuft etwas. Eine Kakerlake, daumenlang. Die Frau nimmt ihr Notizbuch vom Tisch, wickelt es in eine Serviette, holt aus. Und patsch. Dann knüllt sie die Serviette samt Inhalt zusammen, lässt den Papierball auf den Boden fallen. Und lächelt.

Max Hägler

SZ vom 23. September 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... München

S-Bahn Berg am Laim Richtung Innenstadt, kurz vorm Ausstieg am Marienplatz. Zwei cool gekleidete Jugendliche mit lässig nach hinten gedrehter Kappe lästern lautstark im typischen Jugendslang. Die Themen: Schule, Prominente und Bekannte. Man möchte abschalten und lieber nicht zuhören. Vergebens, die beiden sind zu laut. Plötzlich wird es ernst. Das Mädchen sagt verschwörerisch: "Weißt du eigentlich, dass der Dennis Aids hat?"

Ungläubiges Staunen. Selbst die stursten Mitfahrer werden plötzlich hellhörig. Der Junge: "Glaub' ich nicht! Doch nicht der Dennis! Der hat Aids?" Das Mädchen: "Doch, doch, der ist doch auch so'n Zappelphilipp!" Dem Jungen steht der Mund offen, man hofft, er klärt den Irrtum mit dem ADHS auf. Stattdessen: "Echt? Ist ja der Hammer!" Das Mädchen: "Wenn ich's dir sage! Ich schwöre! Auf Koran!"

Lars Langenau

SZ vom 23. September 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Thessaloniki

Der Flieger startet mit drei Stunden Verspätung, der Pilot ist erkennbar verärgert. Das habe man nun davon, informiert er die ebenso verärgerten Passagiere, wenn man bei der Tochterfirma einer Fluggesellschaft arbeite, die permanent spare, Personal abbaue und keine Piloten mehr auf Stand-by vorhalte, wenn ein Kollege ausfällt. Er jedenfalls habe gerade einen sehr langen Kontinentalflug hinter sich - und man könne sich leicht ausrechnen, wie wahrscheinlich es sei, dass die vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten wurden. "Jetzt sitze ich da und Sie auch", sagt er trocken, dann schaltet er die Lautsprecher aus und die Motoren an.

"Ist das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht?", fragt eine Passagierin. Mal sehen, sagt ein Sitznachbar: "Es heißt nicht mehr: mitgefangen, mitgehangen, sondern mitgefangen, mitgeflogen."

Cathrin Kahlweit

SZ vom 23. September 2016

Einkaufen

Quelle: Robert Schlesinger/dpa

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Mitten in ... Dresden

Menschenskepsis ist das eine, gerade in der Innenstadt. Das andere ist die eilige Schwingtür der Altmarkt-Galerie. Zur mit Mühe bewahrten Resthöflichkeit gehört nun mal der flüchtige Blick über die Schulter beim Verlassen eines Einkaufszentrums. Kommt da noch wer? Der Schulterblick geht nicht ins Leere. Eine Tatternde hat sich samt Gehhilfe an der Schwelle verkantet, mit anderen Worten: Hier warten leicht verdiente Karmapunkte. Ein Schritt zurück, darf ich Ihnen kurz? Aber gern. Freundlicher Dank, ein irgendwie vielschichtiger Blick. Die Alte passiert, und lässt einen zurück in der Falle. Eine gefühlte Hundertschaft ruckelt nun auf Krücken und an Rollatoren vorbei, der Treck nimmt kein Ende. Man bleibt natürlich stehen, und zwar mit nichts als Bewunderung für diesen teuflischen Pakt des Zufalls mit der Moralphilosophie.

Cornelius Pollmer

SZ vom 16. September 2016

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Tirana

Wir hätten gewarnt sein sollen: US-Tierschützer wählten den Zoo von Tirana unter "die sechs traurigsten" der Welt. "Wir wollen ja eine Neugestaltung, haben aber kein Geld", seufzt ein Mitarbeiter. Nachdem die letzte Löwin vor ein paar Jahren starb, umfasst der Bestand im Zoo der Hauptstadt Albaniens kaum mehr als 20 Tiere: Fünf große Braunbären, darunter zwei, die aus Restaurantkäfigen gerettet wurden, zwei Bärenjunge, deren Mutter erschossen wurde, drei Perlhühner mit einem größeren Käfig als dem für die drei Wölfe, ein Adler ohne Platz zum Fliegen, zwei Lamas, drei Strauße, eine Ziege und ein Schaf. Zudem ein Wasserbüffel ohne Wasserstelle - "also ein Landbüffel", sagen die Kinder. Dieser Zoo, so steht es treffend im Reiseführer, sei "nur etwas für Menschen, die nach letzten Argumenten suchen, um sich im Tierschutz zu engagieren".

Lars Langenau

SZ vom 16. September 2016

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Quelle: WOR

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MItten in ... Schäftlarn

Schäftlarn südlich von München ist derzeit am besten per Mountainbike zu erreichen. Wegen einer Baustelle ist die Ortsdurchfahrt komplett gesperrt. Eine Zumutung, finden viele Anwohner - und üben sich im zivilen Ungehorsam. Immer wieder haben Autos seither die Baustelle durchquert. Absperrungen, Verbotsschilder, Polizeikontrollen - nichts half gegen die Renitenz rüstiger SUV-Fahrer. Als die Straße gänzlich unpassierbar wurde, wichen die Autos auf den Radweg aus. Daraufhin platzierten die Bauarbeiter eine Dampfwalze und einen Steinhaufen so, dass nur noch ein Durchschlupf für Radler blieb. Na und? Die Geländewagen nahmen einfach den Weg durch den Straßengraben. Nächster Schritt: quer gestellter Bagger im Graben, Sperre auf der Straße, Walze auf dem Weg. Jetzt kurven die SUV durch den Wald. Der Kampf geht weiter.

Titus Arnu

SZ vom 16. September 2016

Brautpaar als Tortendekoration, 2009

Quelle: Stephan Rumpf

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Mitten in ... Erftstadt

Dorfhochzeit zwischen Köln und Eifel. Gefeiert wird beim Italiener, familiäre Atmosphäre, gutes Essen. Mit am Tisch sitzt eine Freundin der Braut. Seit Jahren arbeitet sie im Jugendcafé ein Dorf weiter, die Kids kommen da zum Quatschen hin und wenn sie Hilfe bei den Hausaufgaben brauchen. Von dort kennt sie auch den jungen Mann, der hier bedient. "Wie isses dir?", begrüßt er sie. "Jut, und selbst?" "Volles Haus." "Dann schenk ich mir mal selber nach", sagt sie scherzend. Es wird dunkel, Wunderkerzen brennen, Zeit für die Hochzeitstorte. Das Brautpaar schneidet Stücke heraus, da kommt der Kellner wieder an den Tisch. "Haste gesehen?", fragt er seine frühere Hausaufgaben-Helferin. Sie grinst. "Schlimm?", fragt er. "Nee", versichert sie kauend. Den Spruch auf der Torte kann jetzt eh niemand mehr lesen: Zum Hochzeit alles Gute.

Silke Bigalke

SZ vom 16. September 2016

Auktionshammer in der Hand von Auktionator Prof Dr Leo Gros bei der Frühjahrsversteigerung im Klos

Quelle: imago/suedraumfoto

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Mitten in ... Wien

Ein Abend der Kontraste: Im Arkadenhof des Rathauses feiert die FPÖ, Stargast ist Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer, die Menge jubelt, für Besucher in Tracht gibt es kostenlos Würstel und Bier. Im feinen Szechenyi-Palais, einige Straßen weiter, findet eine Party für den grünen Kandidaten Alexander Van der Bellen statt. An den Wänden teure Teppiche, viel linke Schickeria ist da, für die Kampagne wird Kunst versteigert. Stolze Summen werden aufgerufen, überall im aufgeheizten Saal reißen Sponsoren die Arme hoch, das Gebot steht bei 2500 Euro. Plötzlich sieht die SZ-Reporterin einen besonders netten Kollegen und winkt ihm zu. Dort drüben, ruft der Auktionator: 2700 Euro! Oh Gott, bitte nicht, Gelächter, und die laienhafte Frage: Kann man ein versehentlich abgegebenes Gebot zurücknehmen? Man kann, aber es ist blamabel.

Cathrin Kahlweit

SZ vom 9. September 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Jerusalem

Die häufigste Form des Kraftsports in der Jerusalemer Altstadt ist wohl seit jeher das Stemmen schwerer Holzbalken. Fromme Pilger laden sich das Kreuz auf und ziehen in der Nachfolge des Herrn die Via Dolorosa hinauf gen Golgatha. Verschnaufen können sie an den diversen Stationen des Kreuzweges, doch unweit der achten Station, wo einst Jesus zu den weinenden Frauen sprach, werden sie nun von Gewichthebern ganz anderer Art empfangen. Aus einem fensterlosen Gewölbe dringen Rap-Verse, bei denen sich manches auf Motherfucker reimt. Harte Bässe gibt es für harte Muskeln, schweißglänzende Burschen trainieren an modernen Foltergeräten. "No Pain, no Gain" lautet das passende Motto hier im "Champions"-Gym. Und der Schmerzensmann trägt auf seinem selbsterwählten Leidensweg knappe Höschen und Muscle Shirts dazu.

Peter Münch

SZ vom 9. September 2016

Arabische Speisen im Restaurant Schwarzreiter in München, 2016

Quelle: lukasbarth.com

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Mitten in ... Olching

Wie viel Syrer bleibt man nach einem Jahr in Deutschland, wie viel Deutscher wird man? Abdo, Emad, Mohammed und die anderen kamen im August 2015 in Olching, Landkreis Fürstenfeldbruck, an; Rouhia stieß im November dazu. Am Anfang, sozusagen in Phase eins, war es so: Du machtest eine Verabredung mit ihnen, zum Beispiel für 10 Uhr. Du warst pünktlich in ihrer Unterkunft. Und, was war? Sie schliefen. Später, in Phase zwei: Sie hatten begriffen, dass eine Uhrzeit in Deutschland nicht einfach so dahingesagt ist. Mit maximal einer halben Stunde Verspätung standen sie bereit. Und nun: Phase drei. Verabredung für 19 Uhr, Rouhia hat zum arabischen Abendessen eingeladen, aber du hängst noch in der S-Bahn fest. Um 19.11 Uhr schickt sie eine Whatsapp, ein bisschen besorgt, ein bisschen ungeduldig: "Everything is okay?"

Detlef Esslinger

SZ vom 9. September 2016

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Quelle: imago

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Mitten in ... Schiermonnikoog

Es ist ein stürmischer Tag auf der niederländischen Nordseeinsel. Jetzt schnell an den Strand, Wellen gucken. Und, auch wenn nicht gerade Badewetter ist, zur Sicherheit noch Handtuch und Badesachen ins Gepäck. Am Strand angekommen, sind die Wellen tatsächlich zu verführerisch. Wahnsinns-Brecher! Da muss man einfach rein. Auch eine ältere Niederländerin stürzt sich in die Brandung. Dafür, dass sonst kaum jemand im Wasser ist, badet sie sehr nahe, folgt ständig. Etwas merkwürdig ist das schon. Ist ihr vielleicht mulmig bei den hohen Wellen? Eher nicht: "So eine herrliche Brandung!", ruft sie herüber und strahlt. Auf dem Weg raus aus dem Wasser folgt sie immer noch. Und dann wird endlich klar, warum: "Dürfte ich vielleicht Ihr Handtuch haben, wenn Sie fertig sind? Ich habe keins dabei, aber die Wellen waren so schön."

Christina Berndt

SZ vom 9. September 2016

Unglückliche Kaiserin ein Glücksfall für Wien

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Wien

Wer das imperiale Wien erleben will, muss zum Schloss Schönbrunn. Dort ist alles darauf angelegt, den Glanz des verflossenen Habsburgerreichs zu verbreiten. Man schlendert durch die Räume der Kaiserfamilie, fährt mit der Kutsche durch den Park, und für Kinder gibt es einen Trakt, in dem lange Kleider, Fächer und Perücken ausliegen und man sich als Kaiserin Sisi verkleiden kann. Diesen Ort betritt nun eine Gruppe schwarz verschleierter Touristinnen. Wie gerade überall in Europa werden die Frauen misstrauisch beäugt. Doch dann hält sich die erste eine Prinzessinnenrobe vor das bodenlange schwarze Gewand, die zweite zieht sich eine Lockenperücke über den schwarzen Gesichtsschleier, und dann fotografieren sich alle mit den Umstehenden. Man mag vom Sisi-Kult halten, was man will - er bringt jedenfalls die Kulturen zusammen.

Verena Mayer

SZ vom 2. September 2016

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Quelle: AP

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Mitten in ... London

London, Oxford Street. Kein Meter Asphalt ist mehr zu sehen, ein Menschenstrom schiebt sich an den Geschäften vorbei, auf der Fahrbahn Stillstand, die roten Busse, die Taxen, die Elektro-Rikschas - sie alle kommen nur zentimeterweise voran. Wahrscheinlich ist nicht einmal in Delhi, Mumbai oder Peking die Atemluft giftiger. Auf dem Trottoir hat ein Mann eine Plastikdecke ausgebreitet, dort sitzt er und formt mit Messer und Pinsel einen Labrador aus feuchtem Sand. In den britischen Zeitungen und im Netz wird behauptet, dass die sand dogs ein dreister südosteuropäischer Fake seien. Die Straßenkünstler würden Plastikformen mit feuchtem Sand bepacken. An diesem Tag in der Oxford Street tritt eine Amerikanerin den Gegenbeweis an. In ihr Smartphone starrend, latscht sie auf den Hund, der in tausend Sandkörner zerbröselt.

Jutta Czeguhn

SZ vom 2. September 2016

Wettskandal Fußball

Quelle: Archivbild: dpa

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Mitten in ... Pejeng

Wayan kennt sich aus mit dem Federvieh. Er hat einen Blick dafür, welcher Hahn es schaffen könnte. Die schönsten und kräftigsten hat er schon aussortiert. Am Straßenrand stehen sie aufgereiht, eingesperrt in kleine Körbe aus Bast. "Das ist viel besser für sie", sagt der junge Balinese aus Pejeng. "Unter der Glocke kann ihnen nichts passieren." Aber ist es denn nicht so, dass sie am besten gedeihen, wenn sie herumflattern können und sich selbst ihre Würmer aus dem Boden picken? Ach, sagt Wayan, es lauern so viele Gefahren im Freien. Da sind die Autos, die sie überrollen könnten, bevor sie stark genug sind für die Kampfarena. Aber am meisten fürchtet er etwas anderes: Wehe, wenn seine Hähne zu viel Ablenkung erfahren. Wenn sie abschlaffen vor dem großen Kampf. Drüben im Gebüsch gackern schon die Hennen. Aber: keine Chance

Arne Perras

SZ vom 2. September 2016

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Quelle: Uli Deck/AFP

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Mitten in ... Karlsruhe

Nein, der Protest war früher nicht besser. Nur anders. 200 meist junge Menschen haben sich vor dem Bundesverfassungsgericht versammelt, Bürgerprotest gegen Ceta. Also Grundsatzkritik. Fundamentalopposition der Straße gegen eine investorenhörige Regierung. Eine Aktivistin hält eine blitzsaubere Rede, so korrekt, dass es fürs Europarechtsseminar gereicht hätte. Ein Sprecher dankt der Bundespolizei für die hervorragende Kooperation. "Und macht doch bitte hinten eine Gasse für Spaziergänger und Radfahrer frei." Nun der finale Akt: Die bedruckten Kisten mit den Vollmachten für die "größte Bürgerklage" werden - das sieht sehr nett aus - zu einer Art Protest-Scrabble aufgestapelt: 125 000 gegen Ceta. Aber Vorsicht, die Kisten sind schwer, warnt der fürsorgliche Sprecher. Bei Rückenproblemen bitte nicht mitschleppen.

Wolfgang Janisch

SZ vom 2. September 2016

AUT 2016 08 21 POLITIK VERANSTALTUNG TIROL TAG EUROPAEISCHES FORUM ALPBACH 2016 MIT EINWEIHUNG DES

Quelle: imago/Roland Mühlanger

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Mitten in ... Alpbach

Großartige Bergkulisse, bedrohliche Geranien-Idylle, willkommen in Tirol. Die Gesundheitsgespräche finden in perfekter Umgebung für klandestine Mauscheleien und medizinische Debatten statt. Auf dem Podium ein stattlicher Finne, Typ blonder Bergfex, er ist aber Orthopäde und Professor an der Uni Helsinki. Er spricht - ganz ungewohnt in Österreich - Klartext: Dass er es satt habe, wenn jede Krankheit zur Geschäftsidee wird, und statt Aufklärung nur der Lobbyismus blüht. Den Patienten werde immer noch jeder Unsinn angedreht, unnütze Knie-Spiegelungen boomen beispielsweise weiter. "Sie denken vermutlich, dass ich ein wenig frustriert bin", sagt der Arzt aus Finnland. "Aber das stimmt nicht. Ich bin sehr frustriert." Auf die Frage, was er dagegen mache, antwortet er mit einem traditionellen Rezept aus seiner Heimat: "Ich trinke."

Werner Bartens

SZ vom 26. August 2016

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Quelle: ASSOCIATED PRESS

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Mitten in ... Kopenhagen

Ankunft in Dänemark, dem Land, wo sie alles so wahnsinnig richtig machen. Glutenfreie Restaurants, riesige Fahrradwege, erholte Gesichter - ich habe Angst. Also erst mal Flughafen-Koffein, ich will ja mithalten. Ob es mir gut geht, will der Barista wissen. Schon. Ob ich einen Doppelshot wolle? Nein. Ob er "müde Frau" auf meinen Becher schreiben dürfe? Meinetwegen. Aber eigentlich hätte ich schon gerne Kaffee, keine Psychoanalyse. Draußen der nächste nette Mann, er will mein Handy, nur ganz kurz. Hmm, kann er nicht jemanden mit mehr Akku und dänischem Mobilfunkanbieter fragen? Er murmelt was von unfreundlichen Deutschen, lächelt aber sehr herzig. Und dann, ich habe gerade mein freundlichstes Gesicht aufgesetzt, rennt ein Mann vorbei und bewirft mich mit Mayonnaise-Töpfchen. Gut, hier kann ich sein.

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 26. August 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Jerusalem

Die elegante Mamilla-Fußgängerzone am Rande der Altstadt wird am Abend zum Jahrmarkt. Ballonverkäufer, Clowns und Straßenmusiker buhlen um die Gunst der Flaneure, doch einen wie ihn sieht man hier selten: Schwarzer Anzug, schwarzer Hut, Schläfenlocken bis zu den Schultern - normalerweise meiden doch die sitten-strengen Ultraorthodoxen solch weltlichen Spaßbetrieb. Josef Sikuret aber hat die Gitarre ausgepackt, den Verstärker aufgebaut und losgelegt. "Sultans of Swing", Dire Straits! Es folgen die Beatles, Pink Floyd, Bob Marley. Ein rockender Rabbi? Er wippt mit den Füßen, er lacht über die verwunderten Blicke, er spielt mit den blöden Vorurteilen. "Tagsüber studiere ich die Torah in einer Jeschiwa", erzählt er. Also doch! "Ich bin nämlich kein Musiker." War doch klar! "Eigentlich", sagt er, "bin ich Schauspieler."

Peter Münch

SZ vom 26. August 2016

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Quelle: Stephan Rumpf

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Mitten in ... München

Was sie wohl liest, die schlanke Dame mit dem blonden Haar, die tagein, tagaus, morgens und abends, immer wieder auf ihrem Fensterbrett im dritten Stock sitzt? Die Zigarette in der Linken, das Buch in der Rechten. Unten fährt am Vormittag die Müllabfuhr vorbei, am späten Abend schlendern ein paar junge Männer mit Wegbier in Richtung Isar. Nichts kann die Frau von ihrer Lektüre abbringen, nicht einmal die gelegentlichen Vollröhrer mit ihrem Porsche, der in der 30er-Zone im ersten Gang ausgeführt werden will. Die Frau sitzt da, und das einzige, was sich verändert, ist die Zahl der hellbraunen Röhrchen auf dem Fenstersims, zu einem kleinen Hügel zusammengeschoben. Der Buchscheitel wandert von links nach rechts. Irgendwann ist sie am Ende der Geschichte, der Kippenhügel wankt, und der Buch-Titel wird sichtbar: "Endlich Nichtraucher!"

Philipp Crone

SZ vom 26. August 2016

© SZ/ihe
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