Mitten in Absurdistan:Usain wartet nicht auf den Bus

Der Bürgermeister von Buenos Aires läuft zu Hochform auf, wenn es teuer und idiotisch wird. Weshalb unser Autor ein hübsches Sümmchen für Usain Bolt zahlen musste. Unaufgeregter geht es zu Weihnachten in Nazareth zu - und in Meißen sowieso.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt.

30 Bilder

Usain Bolt competes against a bus in Buenos Aires

Quelle: dpa

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Mitten in ... Buenos Aires

Unser Bürgermeister läuft zu Hochform auf, wenn es teuer und idiotisch wird. Kürzlich ließ er den jamaikanischen Sprinter Usain Bolt auf der Avenida 9 de Julio im Zentrum von Buenos Aires rennen, und zwar gegen einen Stadtbus der Linie 59. Es gewann: der Olympiasieger. Seinem Gegner versagte beim Anfahren das Automatikgetriebe, was regelmäßige Nutzer nicht wunderte.

Gekostet hat der Blödsinn vier Millionen Pesos. Das entspricht etwa 460.000 Euro, also 13.000 Euro für jeden von Bolts 35 Schritten. Und weil die Schnapsideen des Mauricio Macri (so heißt unser Bürgermeister) irgendwie bezahlt werden müssen, wurde nun mein Auto abgeschleppt. Es stand ganz okay in der Sommerhitze, wie ich fand. Trotzdem musste ich es für 350 Pesos auf einem Kran-Parkplatz abholen. Also, 350 Pesos für Bolt gehen auf mich.

Peter Burghardt, SZ vom 28./29.12.2013

Jubiläumsausstellung 300 Jahre Manufaktur Meissen

Quelle: dpa

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Mitten in ... Meißen

Frau Ramona ist die Ruhe in Person. Die vielen Asiaten, die ihr zusehen, hier, in der Schauwerkstatt der Meißener Porzellanmanufaktur, würden sagen: ein weiblicher Buddha. Nur ist die gelassene Frau Ramona sehr schlank. Seit 38 Jahren bemalt sie Teller und Tassen mit Farben, die erst das Feuer zum Leuchten bringt, die gehütet werden seit 300 Jahren. Die "36 Hauptblumen" kann sie im Schlaf: jedes Veilchenblatt, jeden Dorn, auch die Stängel der Akelei.

Sagt eine Frau: "Das können die Chinesen aber mal nicht nachmachen!" Frau Ramona lächelt, und ohne den Blick von ihrem Teller zu lassen, sagt sie leise: "Isch denge schon, dass grode die Menschen im ostosiodischn Raum mit groser Hochochtung auf unsre Orbeit schaun." Die Asiaten in der Werkstatt lächeln auch, und nicken heftig, obwohl sie, ganz sicher, nichts verstanden haben.

Renate Meinhof, SZ vom 28./29.12.2013

Santa Claus Coca Cola 1937

Quelle: thecoca-colacompany.com

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Mitten in ... Nazareth

An Weihnachten nach Nazareth zu fahren ist ungefähr so, wie in die Allianz Arena zu gehen, wenn der FC Bayern ein Auswärtsspiel hat. Zwar ist das Christkind gemeinhin als "Jesus von Nazareth" bekannt, doch zum Geburtstag spielt die Musik eindeutig in Bethlehem - und das ist wörtlich zu nehmen, weil die Stille Nacht dort mit Umzügen und Trommelwirbel nach Art des rheinischen Karnevals gefeiert wird.

Ruhe ist dafür in Nazareth zu finden: weil ja sonst nichts los ist. Selbst in die Verkündigungskirche, die zu anderen Zeiten regelrecht belagert wirkt, haben sich an Weihnachten wohl nur jene Pilger verirrt, die im Lukas-Evangelium Kapitel 2, Vers 1 bis 20 übersehen haben. Ein paar von ihnen immerhin haben zur Feier des Tages rote Mützen aufgesetzt - wie sie draußen Santa Claus trägt auf dem riesigen Werbeplakat von Coca Cola.

Peter Münch, SZ vom 28./29.12.2013

ÖSTERREICHS BRAUNBÄREN ERWACHEN AUS  WINTERSCHLAF

Quelle: DPA

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Mitten in ... Brasov

2008 wurde ein Tourist getötet, zerfleischt, um genau zu sein. Ein anderes Mal traf es drei Männer, die von der Kneipe nach Hause wankten und mit dem lustigen braunen Tier an der Mülltonne spielen wollten. Mehr als 8000 Bären leben in den Karpaten. In Brașov, Transsilvanien, schleichen sie manchmal sogar nachts ums Rathaus, plündern Mülltonnen, jagen Kinder.

Die Jepilor-Stradă am Rande der Stadt sei der beste Ort zum "Bearspotting", raunt man uns im Hostel zu. Mitternacht sei die perfekte Zeit. Dort wacht die Polizei, Touristen werden weggeschickt. Doch wir haben ein Auto mit rumänischem Kennzeichen, bleiben unentdeckt. Die Stunden vergehen.

Gegen drei Uhr morgens rennen Straßenhunde bellend in den Wald. Dann wieder nichts. Wir werfen Salami auf die Straße. Trinken Ursus-Bier. Warten. Der Bär kommt nicht.

Charlotte Theile, SZ vom 21./22.12.2013

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Quelle: DB

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Mitten in ... München

Vier Tage vor dem großen Tag kommt eine E-Mail von der Bahn. Unter der Überschrift "Drei Fragen für ein Lächeln zu Ihrem Geburtstag" wird eine Überraschung angekündigt, wenn man Lieblingskuchen und Lieblingsziel angibt. Das klingt vielversprechend. Zum Geburtstag die nächste Mail. Sie verspricht ein "ganz persönliches Geschenk". Die Erwartung steigt. Vielleicht eine Freifahrt nach Paris? Schnell ist die Mail geöffnet.

Es erscheint: eine "Faltvorlage für Ihren eigenen Geburtstags-ICE".

Wie bitte? "Falten Sie die Klebeflächen und verteilen Sie den Kleber dünn", fordert die Anleitung das Geburtstagskind - einen Mann in den Vierzigern - auf. Zum Schluss ein P.S.: "Da es uns nicht möglich ist, eine Torte per E-Mail zu schicken, haben wir ein Rezept für einen Geburtstagskuchen angehängt." Deutsche Bahn: deprimierender Betrieb.

Marc Hoch, SZ vom 21./22.12.2013

FRANCE-TRAVEL-TRANSPORT-TRAIN-METRO-STRIKE

Quelle: AFP

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Mitten in ... Paris

Die Metro ist der große Gleichmacher von Paris. Die alte Dame im Pelz, der Malocher im Anorak, der Manager mit Smartphone im edlen Zwirn - alle fahren sie, weil oben der Stau regiert, am frühen Abend unterirdisch nach Hause. Egalité!

Im rumpelnden Wagen der Linie 10 sitzt auch eine dunkle Schönheit, sie zieht verstohlene Blicke auf sich. Hohe Stiefel, Nylon, kurzer Rock, enges tiefrotes Thermoshirt. Auch die großen Augen eines vierjährigen Bengels wandern das Wunder staunend ab.

Die junge Frau lächelt, beugt sich herab, gibt dem Verehrer einen Kuss auf die Wange.

Während er, tätowiert von feuerrotem Lippenstift, zurück zu den Eltern huscht, schreitet sie zur Tür. Das Fenster dient ihr im dunklen Tunnel als Spiegel, noch einmal zieht sie sich die Lippen nach. Endstation, sie schwebt davon. Nach oben, auf die Straße, zur Nachtarbeit.

Christian Wernicke, SZ vom 21./22.12.2013

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Istanbul

Ob auch die Delfine das hören? Dieses Pfeifen und Zischen. Delfine haben doch so empfindliche Ohren. Aber wer weiß, was aus dieser Röhre dringt, 60 Meter tief unten im Bosporus, durch die wir jetzt in einem nagelneuen U-Bahn-Kasten jagen, in den Ohren den Singsang des tiefsten Unterseetunnels.

Auf den Rekord sind sie hier ja so stolz. Einem Istanbuler Freund ist das nicht geheuer, er hat sich im letzten Moment gedrückt. Kann einem ja auch mulmig werden beim Abstieg in der Station Sirkeci, gefühlt drei Mal so tief wie München Marienplatz. Und genauso voll! Diese Istanbuler sind furchtlos, strömen ohne Mucks in die Röhre. Blick auf die Uhr, wusch, drei Minuten, schon ist man in Asien.

Doch irgendwas fehlt bei dieser Hast. Das Gefühl, einen anderen Kontinent zu betreten. Zurück bin ich mit dem Schiff gefahren. War wunderschön.

Christiane Schlötzer, SZ vom 21./22.12.2013

Tokyo Skytree

Quelle: dpa

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Mitten in ... Tokio

Still ist es im steingepflasterten Tempelgeviert auf dem kleinen Hügel, mitten im Regierungsviertel von Tokio. Das Dauerrauschen der Stadt? Weit, weit weg. Ein Mann tritt vorn an eine Glocke, die wie eine erstarrte Gebetsfahne vom hölzernen Dach des Shinto-Schreins hängt. Scheppernd schlägt er den Klöppel gegen das Metall, klatscht zwei Mal in die Hände, verharrt kurz, verbeugt sich schweigend. Auf einmal dreht er sich um, er muss sich beobachtet gefühlt haben. "Wir rufen die Götter", sagt er lächelnd auf Englisch, "wir begrüßen sie mit Beifall und bitten sie, Zorn und Wut von uns zu nehmen." Dann neigt er noch einmal sein Haupt. Beim Verlassen des Schreins überlege ich kurz - dann verbeuge ich mich auch in Richtung der Götter. Irgendwie fühle ich mich jetzt ruhiger, als ich wieder hinaustrete in die brodelnde Stadt.

Reymer Klüver, SZ vom 14./15. Dezember 2013

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Hamburg

Unter gar keinen Umständen darf man jetzt unsouverän reagieren, egal ob man sich gerade das T-Shirt durchgeschwitzt hat beim ausverkauften Konzert der australischen Band The Cat Empire, egal wie laut man nach Zugaben gerufen haben mag. Als alles vorbei ist, man steht gerade für ein letztes Bier an, da dreht sich in der Schlange vor einem ein kleiner Dicker um: der Sänger der Band. Schnell senkt man den Blick. Zeit gewinnen. Souveräne Reaktion überlegen. Andere erkennen ihn jetzt auch. Gucken mich an. Aber machen es mir vorsichtshalber nach. Minuten vergehen. Wahrscheinlich könnte der Sänger, Harry James Angus, jetzt im Backstage-Bereich so viel Gratisbier bekommen, wie er tragen kann, ganz ohne minutenlanges, wortloses Schlangestehen. Aber klar, da könnte er auch nie so herrlich auf Tuchfühlung gehen mit the Germans.

Ronen Steinke, SZ vom 14./15. Dezember 2013

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Quelle: SZ

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Mitten in ... London

Der stets erstaunliche G. wartete am wie immer überfüllten Oxford Circus, wo ich ihn sogleich erspähte, da er der einzige Mensch war, der nicht wie ein Tourist aussah. Mit einer nachlässigen Geste teilte er die Menge, und wir schlenderten rüber ins Red Lion, einen Innenstadt-Pub, der ausschließlich Biere der Samuel-Smith-Brauerei ausschenkt. Es sind 35 Sam-Smith-Pubs in London verstreut. Die Legende besagt, dass es Menschen gibt, die innerhalb eines Tages in jedem einzelnen ein Bier getrunken und so die Sam-Smith-Challenge gemeistert haben. Neben uns an der Theke stand ein Mann mittleren Alters, der ein Gespräch über Fußball anzettelte. G. interessiert sich nicht für Fußball. Also fragte der Mann mich, welchem Verein mein Herz gehöre. Ich sagte es ihm. Er schaute mich mitleidig an, bestellte drei Bier und sagte: "Auf Uwe Seeler."

Christian Zaschke, SZ vom 14./15. Dezember 2013

Inside An Orange SA Mobile Phone Store And Retail Economy In Toulouse

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... Hanoi

In Vietnam beginnt die Hochzeits-Hochsaison. Das liegt auch am Wetter. Es ist angenehm kühl geworden, nur noch 25 Grad in Hanoi. Man sieht Touristen in Shorts, T-Shirts und Flipflops - und daneben Einheimische in Daunenjacken. Es sei denn, sie sind, die zu einer der vielen Hochzeiten eingeladen sind, sehen aus, als hätte sie jemand aus einem Hochzeitsmode-Katalog ausgeschnitten. Die Wege rund um den Hoan-Kiem-See im Zentrum Hanois verwandeln sich in ein Fotostudio, denn wichtiger als die Hochzeit selbst ist das Hochzeitsfoto. Auf Platz drei der Lieblingsmotive in diesem Jahr: Hochzeitspaar auf der Parkbank, verträumt auf den See schauend. Platz zwei: Arm in Arm auf der Treppe vor der Oper. Aktueller Spitzenreiter: sitzend vor dem Eingang der örtlichen Louis-Vuitton-Filiale. Die Betreiber des Luxusladens fühlen sich geehrt. Solange die Fotosession dauert (Schminken, Licht setzen, Posen verändern - das kann dauern), bleibt die Tür für Kunden geschlossen.

Titus Arnu, SZ vom 7./8. Dezember 2013

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Sotschi

Vier Uhr morgens, im Flughafen von Sotschi. Vor mir am Abfertigungsschalter für den frühen Flug nach Istanbul steht ein Mann aus Großbritannien, auf seinem Rucksack steht: "UK Team Sochi 2014 Olympics". Die Dame am Schalter hat Schwierigkeiten mit seinem Ticket, fragt in atemberaubend holprigem Englisch: "Where you buy?" Dann findet sie doch sein Ticket im Computer. In der Sicherheitsschleuse steht der Mann wieder vor mir. Eine Beamtin mit versteinertem Gesicht raunzt ihn auf Russisch an. Als sie begreift, dass er sie nicht versteht, schießt ein Wort aus ihr heraus: "Passport!" Dann duscht sie mich in ihrem Kasernenhofton. Warum sie so unfreundlich sei, frage ich. Sie antwortet auf Russisch. Ein anderer Reisender übersetzt: "Wenn es Ihnen hier nicht gefällt, brauchen Sie auch nicht wiederzukommen."

Thorsten Schmitz, SZ vom 7./8. Dezember 2013

Brasilien 2014 - Gruppen-Auslosung

Quelle: dpa

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Mitten in ... Costa do Sauípe

Bahias Kokosstraße ist ideal für Spazierfahrten wie diese: zur WM-Auslosung in Costa do Sauípe. Palmen, Dünen, Strand, Meer - alles da an der dschungelgesäumten Estrada do Coco. Man muss außer auf die Fifa und die Polizei nur auf die exotischen Tiere aufpassen, es gibt entsprechende Warnschilder (vor den Tieren). Einmal bremsen wir gerade noch rechtzeitig, als ein leguanartiges Geschöpf den heißen Asphalt kreuzt. Jederzeit könnte auch eine Riesenschildkröte des Weges kommen. Das merkwürdigste Wesen aber wartet am Ziel und ist gerade zum WM-Maskottchen berufen worden. Es heißt Fuleco und gehört angeblich zur Familie der Gürteltiere. Anders als sein bizarrer deutscher Vorgänger Goleo trägt Fuleco zwar eine Hose, und seine Stirn ist mit Fußballleder bestückt. Aber im Vergleich zu dieser Kreatur sah sogar Goleo gut aus.

Peter Burghardt, SZ vom 7./8. Dezember 2013

Nikolaus in Goslar

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Der Perlacher Forst. Ein klirrend kalter, verschneiter Morgen. Der Nikolaus stapft durchs Unterholz, leider kann er nicht viel erkennen, die weißen Haare unter der Mitra hängen tief ins Gesicht, aber da drüben am Brunnen warten zum Glück schon die Kindergartenkinder und sind voller Vorfreude. Der Nikolaus waltet seines Amtes; er holt das goldene Buch aus dem Sack und fängt an zu erzählen: dass die Kinder meist folgsam und hilfsbereit waren in diesem Jahr, vor allem der David, die Valerie und so weiter. Kurze Pause. Ein Mädchen schaut den Nikolaus erst ungläubig an, dann verwandelt sich ihr Blick in Irritation und Entsetzen. Auch der Nikolaus ist peinlich berührt, versucht sich aber nichts anmerken zu lassen und macht weiter im Programm. Alle lauschen gebannt, doch die Vierjährige hat jetzt die Nase voll: "Papa, das bist doch du!"

Christian Mayer, SZ von 7./8. Dezember 2013

Schaffner bei Fahrkartenkontrolle

Quelle: dpa

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Mitten in ... Essen

Ein freundlicher Schaffner im Regionalzug: "Guten Morgen, wie geht es Ihnen?" - Gut, und selbst? - "Ach, ich mach' das Beste draus." Bis drei Frauen die Routine stören: "Mister, we need your help!" - "Aha", sagt der Schaffner, "falsche Fahrkarte." - "We are from China", erklärt die Wortführerin, "we go to Amsterdam." Dann folgt eine komplizierte Geschichte, sie hat mit dem Essener Hauptbahnhof zu tun, der gerade teilgesperrt ist, Bergbauschäden. Der Schaffner hört lange zu. Und sagt dann: "Isch spresch kein Englisch. Werd' isch in diesem Leben auch nisch mehr lernen." In Duisburg hieven die Frauen schrankgroße Koffer aus dem Zug. "Ihr sollt doch nicht immer die Schwiegermutter mitnehmen", ruft der Schaffner. Alle lachen. Obwohl das ein Witz in einer Sprache war, die die Chinesinnen in diesem Leben nicht mehr lernen werden.

Claudio Catuogno, SZ vom 30. November/1. Dezember 2013

Toilette Toilettenpapier

Quelle: dpa

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Mitten in ... Goma

Klo verstopft, schöne Bescherung. In Deutschland würde man es jetzt mit Abflussfrei versuchen. Aber in Goma im Ostkongo? Der Hausmeister weiß Rat und zaubert ein Kilo weißes Pulver herbei. Chemie pur. "Das hilft immer", sagt er und schüttet es in die Toilette. Die braune Soße blubbert und brodelt. Sie läuft aber nicht ab, sondern über. Was bleibt einem übrig? Putzen, dann schnell ins Büro. Am Abend ist das Problem bestimmt gelöst. Und tatsächlich, die Toilette läuft nicht mehr über. Sie fehlt gänzlich. Wo das gute Stück stand, klafft nur noch ein Loch im Boden. War es der Hausmeister? Der Gestank aus der Sickergrube steht dem Geruch frischer Gülle jedenfalls in nichts nach. Und jetzt? Jetzt hilft nur eins: sich regelmäßig beim Nachbarn zur Badezimmerbesichtigung einladen. Oder doch einfach nur ab hinter den Busch.

Judith Raupp, SZ vom 30. November/1. Dezember 2013

Smartphone

Quelle: Oliver Berg/dpa

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Mitten in ... Abu Gosch

Zur Mittagszeit ist das Restaurant gut gefüllt. Nach Abu Gosch kommen die Leute aus Jerusalem und Tel Aviv, um den hierzulande weltberühmten Hummus zu essen. Grüppchen und Paare sitzen an den Tischen - und plötzlich klingelt ein Handy. Panisch greift ein Gast in seine Hosentasche und bringt das Telefon zum Verstummen. Ein kurzer Blick, Erleichterung, der Kellner hat's nicht gemerkt. Denn im Abu-Gosch-Restaurant gibt es eine neue Regel: Wer beim Essen sein Handy ausschaltet, bekommt 50 Prozent Rabatt auf die Rechnung. Seitdem unterhalten sich die Gäste tatsächlich wieder miteinander, keiner quatscht etwas in die Welt hinaus, keiner checkt seine Mails. Der Wirt sieht das als Beitrag zur Esskultur, und wenn man die Bedienung fragt, wie lange sie das durchhalten wollen, dann lacht sie und sagt: "Bis wir pleite sind."

Peter Münch, SZ vom 30. November/1. Dezember 2013

Harold Lloyd in "Harolds liebe Schwiegermama", 1924

Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo

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Mitten in ... Paris

Eine Demo, ein Weihnachtsmarkt - das reicht, den Stadtverkehr komplett lahmzulegen. Als sich ein Kleinwagen jetzt auch noch frech vor einen Bus drängelt, platzt dem Großlenker der Kragen. Mit voller Absicht steuert er sein tonnenschweres Gefährt gegen das Auto. Der Kleinwagenfahrer steigt aus, ein Riesenkratzer prangt auf seiner Seitentür. Kreidebleich faselt er etwas von "Polizei". Da dreht der Busfahrer den Spieß rasch um. "Ah, Polizei?", schreit er theatralisch auf der Straße. "Klar. Ich rufe dir die Polizei! Wir warten hier ja sowieso! Da können wir auch gleich auf die Polizei warten." Plötzlich fließt der Verkehr wieder. Nur der Bus blockiert noch alles. Vom Dauergehupe unter Druck gesetzt, gibt der Autofahrer schließlich auf, verschwindet in die nächste Seitenstraße. Der Busfahrer triumphiert: "In Frankreich löst sich alles wie von selbst!"

Martin Zips, SZ vom 30. November/1. Dezember 2013

Fußballfan Frankreich

Quelle: AFP

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Mitten in ... Paris

Die Équipe tricolore kickt gegen die Ukraine. Es geht um alles: um die Ehre, um die Qualifikation zur Fußball-WM. Die Stimmung in der "Taverne des Korrigans", einer Fan-Spelunke, schäumt über zur Halbzeit: 2:0, ein Tor fehlt noch. Draußen, bei einer Zigarette, fachsimpeln die Fans. "Heute sind unsere Blauen mal toll", schwärmt Patrick, der junge Kaufmann, "aber mit euren Deutschen können sie nicht mithalten." Yannick, der Student mit den wilden Locken, nickt: "Schweinsteiger, Götze, die Klasse haben wir nicht!" 20 Minuten und zwei Bier später: 3:0! Yannick jubelt, "das ist ja heute wie anno 14-18!" Wie im Ersten Weltkrieg? "Ja, heute schlagen wir jeden!" Sie schmettern die Marseillaise, beim Schlusspfiff zieht Yannick in den Zweiten Weltkrieg: "Toll, wie 39-45!" Der Deutsche stutzt, der Franzose lacht: "Kein Problem, 2014 gewinnt ihr!"

Christian Wernicke, SZ vom 23./24. November 2013

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... München

Party im Haus der Kunst. Der Anlass: für viele egal. Wichtig: irgendwas mit Kunst. Weshalb man im Foyer Menschen mit knallbunten Strickmützen, bauchfreien Pullovern und überlangen Mänteln sieht. Sie trinken Flaschenbier und werden von Modebloggern umkreist, die ja gern dort sind, wo Gäste wissen, welche Frisur zu ihren Schuhen passt. Auf dem Klo: mehr kichrige Aufregung. "Original von 1937" informiert ein DIN-A4-Blatt. "Guck mal, hier haben schon Nazis gekackt!", sagt ein Mützenmädchen zum anderen. Vor ihnen am Waschbecken sortiert eine der wenigen Anwesenden, auf die das Wort Dame passt, ihre Frisur. Sie zieht eine in Form gebürstete Augenbraue hoch: "Das trifft auf 90 Prozent der Toiletten in der BRD zu." Als sie weg ist: Schweigen. Passiert ja selten genug, dass jemand an so einem Ort etwas Wahres sagt.

Nadia Pantel, SZ vom 23./24. November 2013

Rio de Janeiro Brasilien

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Ein Samstag an der Copacabana. Auf der berühmten schwarz-weiß gepflasterten Promenade tummeln sich Müßiggänger, Händler, Sportler und Familien. Der Anblick ist eine Zigarette wert. Kurz vor dem zweiten Rettungsturm schnippt man die Kippe aufs Pflaster. Aus dem Nichts treten zwei Uniformierte heran. Ja bitte? "Die Zigarette", sagt der Jüngere. Um den rechten Oberarm trägt er eine Binde mit der Aufschrift "lixo zero" - null Müll. Ein neues Programm der Stadt, erklärt er. Seit September ist es verboten, Müll auf öffentlichen Plätzen, Straßen, Gehwegen zu entsorgen. Dass man das als Deutscher nicht wusste, hört er sich höflich an. "In Deutschland darf man das doch auch nicht", sagt er. "Doch, eigentlich schon." Er lächelt ungläubig. Und notiert die Personalien für den Strafzettel: umgerechnet 50 Euro. Sauber. Teures Pflaster.

Konstantin Kaip, SZ vom 23./24. November 2013

Frau Telefon Badewanne

Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo

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Mitten in ... Rom

Eines Morgens war die Leitung tot. Kein Telefon, kein Internet im Büro. Desaster. Die Dame von der Telefongesellschaft, zu der ich wechseln wollte, hatte geschworen, das würde nicht passieren. Nun war ich im Niemandsland zwischen zwei Providern, das erkannte ich in den vielen Stunden am Handy in Warteschleifen von Callcentern, bei Verhandlungen im Telefonladen. Keiner würde mir helfen. Nicht der Kurier, der das Modem liefern sollte, nicht die neue Telefonfirma, nicht die alte. Wer schuld war? Ich, weil ich auf diese Billig-Offerte hereingefallen war. Dafür büßte ich nun in Kafkanistan. Ich wollte zur alten Firma zurück, aber es hieß, dazu müsse ich bei der neuen erst ankommen. Aber wie? Mich rettete die Pressestelle, binnen Stunden. Nur weil ich Journalistin bin. Italiener finden das normal: "Ohne besonderen Kontakt überlebt hier keiner."

Andrea Bachstein, SZ vom 23./24. November 2013

Dopingkontrolleur

Quelle: Claus Schunk

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Mitten in ... Zürich

Im Interregio von Zürich nach Zug: Eine Geschäftsfrau steigt ein, sie telefoniert, während sie hereinkommt, und sie wird noch telefonieren, wenn sie in Zug aussteigt. Sie spricht ein sehr klares Englisch, und sie spricht sehr laut. Es fallen Worte wie Fifa, Doping und Geld, bitte, wer würde da nicht zuhören? Sie organisiert die Doping-Kontrollen bei der WM 2014 in Brasilien und sie hat mit ihrem Gesprächspartner drei Dinge zu klären: Erstens, dass es im Moment nicht um Geld geht. Dieses Thema wird erst im Februar kommen, "you know". Zweitens, dass die Ergebnisse der Dopingproben jeweils innerhalb von 48 Stunden vorliegen müssen. Sie spricht sehr eindringlich, sie hört sich an, als leiste sie echte Überzeugungs-, zumindest aber Aufklärungsarbeit. Und sie sagt drittens, dass die Medien vorläufig nichts erfahren dürfen.

Detlef Esslinger, SZ vom 16./17. November 2013

Weihnachts-Süßwaren

Quelle: Oliver Berg/dpa

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Mitten in ... Tel Aviv

Jedes Jahr im November verlangt es mein innerer Festtagskalender, der sogenannte Spiro-Rhythmus, nun langsam in Weihnachtsstimmung zu kommen. Doch gerade im Heiligen Land ist das gar nicht einfach. Klar, in Bethlehem schnitzen sie schon wieder wie wild an den Krippenfiguren, und in Nazareth rollt ein Pilgerbus nach dem anderen an. Aber in Tel Aviv, bei 28 Grad im Schatten? Keine Tanne, nirgends, dafür Palmen im Wind. Bei den Nachbarn werden gerade die Chanukka-Leuchter rausgekramt, das jüdische Lichterfest steht vor der Tür. Nur an Weihnachten denkt hier kein Mensch - außer den Betreibern des russischen Supermarkts um die Ecke. Über den Weinflaschen im Sonderangebot haben sie gerade ein ganzes Regal freigeräumt für Schokoladen-Weihnachtsmänner. Und direkt daneben stehen schon die Osterhasen.

Peter Münch, SZ vom 16./17. November 2013

Duschkopf

Quelle: dpa/dpaweb

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Mitten in ... München

Ein Kaufhaus in der Innenstadt. Hier, in der Duschkopf-Abteilung, wird man ausgezeichnet beraten. Mein Blick schweift über eine Wand voller Köpfe und Modellnamen. Mainz, Madeira, Stuttgart, Borkum, Dubai. Lieber nicht noch einmal Nizza, ging bei der ersten Dusche entzwei. Gerade als mein Auge bei K wie Korfu landet, sagt die Verkäuferin: "Ich würde Ihnen das Modell Köln empfehlen." Prima, denke ich, und entgegne: "Das passt, schließlich stamme ich ja aus Köln." Die Dame lächelt und ergänzt: "Das Modell hat fünf Jahre Garantie", was ein wenig untypisch ist für irgendwas, das mit Köln zu tun hat. Bald werde ich darauf zurückkommen, denn schon beim ersten Einsatz ist etwas lose, es klingt, als krabbele ein großes Insekt durch das Teil. Könnte natürlich auch damit zusammenhängen, dass Münchner Duschen für Köln einfach nicht geeignet sind.

Milan Pavlovic, SZ vom 16./17. November

Martinszug in Dresden

Quelle: dpa

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Mitten in ... London

Der Blick vom Hügel des Royal Greenwich Observatory ist phantastisch, gerade in der Abenddämmerung. Vor einem, auf der anderen Seite der Themse, die glitzernden Lichter der Bankentürme im Hochhausviertel Canary Wharf, links dann, in der Ferne, Londons Innenstadt mit einigen weiteren Hochhäusern und der beleuchteten Tower Bridge. Direkt am Fuße des Hügels steht das Queen's House. Aus diesem Schloss marschiert an diesem Abend eine Blechbläser-Band, gefolgt von einer Gruppe mit Laternen. Seltsam. Also runter vom Hügel, hin zum Schloss. Beim Näherkommen reift die Erkenntnis: Die Laternenträger sind Kinder. Könnte eine Art Martinsumzug sein. Aber seit wann gibt es die in Großbritannien? Und wieso sprechen die Kinder deutsch? Ein Kind klärt auf: Es ist der Martinsumzug einer Deutschen Schule in London.

Björn Finke, SZ vom 16./17. November 2013

Sahnetorte

Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Berlin

Eine Supermarkt-Bäckerei in Kreuzberg, es ist verkaufsoffener Sonntag. Die Verkäuferin beginnt aufzuräumen, gleich ist Feierabend. Sie schaufelt Brötchen und Brote in eine durchsichtige riesige Plastiktüte, in der bereits Müll liegt. Den Sack gibt sie einem Mitarbeiter. Ob das frische Brote und Brötchen sind? Sie scheint darauf gewartet zu haben, dass mal jemand sie darauf anspricht. "Ganz furchtbar", sagt sie, "immer gegen Feierabend blutet mir das Herz. Wir müssen alles wegschmeißen, was nicht verkauft werden kann." Auch die unberührten Sahnetorten? "Die auch." Den Müllsack gebe sie dem Mitarbeiter, "weil ich das nicht kann, das Ganze auch noch in die Mülltone werfen". Ich bezahle mein Brot und verlasse den Supermarkt. Ein Obdachloser sitzt am Eingang, er bettelt um Geld mit einem Schild, auf dem steht: "Ich habe Hunger."

Thorsten Schmitz, SZ vom 9./10. November 2013

Stephen Hawking

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Cambridge

Tolle Geschichten weiß Ian, der Mann vom Tourist Office in Cambridge, zu erzählen. Von der traurigen Anne Boleyn, die erst ein College stiftete und dann ihren Kopf verlor. Von Lord Byron, der sich als Student anstelle eines verbotenen Hundes einen Bären hielt. Oder vom Bilderstürmer Cromwell, der die Fenster der Kapelle des King's College nur deshalb nicht zerschlagen ließ, weil seine Soldaten sonst gefroren hätten. Das alles berichtet Ian, als im Mittelgang der Kapelle ein Prozessionszug naht. Vorneweg, leise surrend unter dem hohen Gewölbe, ein elektrischer Rollstuhl, dahinter ein Gefolge von stillen Helfern. Im Rollstuhl eine verkrümmte Gestalt, sein Gesicht indes sofort erkennbar an den hellwachen Augen. Ian bricht mitten im Satz ab, dann flüstert er uns leise den Namen des berühmtesten lebenden Geistes der Uni zu: Stephen Hawking.

Reymer Klüver, SZ vom 9./10. November 2013

Pakete Laufband

Quelle: iStockphoto

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Mitten in ... Buenos Aires

Ach, Argentinien. Diese Woche, Mittwoch: Tag der Banken, alle Banken zu. Donnerstag: Tag der Kiosk-Leute, alle Zeitungskioske zu. Dann kam ein Paket aus Deutschland, abzuholen beim internationalen Postamt. Im Briefkasten lag das Formular. Ich ging mit dem Papier zum Schalter und zog zwischen Menschenmassen eine Nummer. Nach zirka einer Stunde wurde meine Nummer aufgerufen. Ich zahlte Gebühr und bekam ein Stück Formular mit neuer Nummer, achtstellig. Und wartete im nächsten Raum neben anderen Verzweifelten, bis jemand zwischen Hunderten anderer Nummern meine Nummer brüllte. Gut zuhören! Es dauerte zwei Stunden. Nächster Raum. Man suchte und fand die Kiste. Wo ist die Rechnung?, fragte der Zöllner. Keine Ahnung. Nimm' das Paket, sprach er. Ich trug es in den Regen, wo es keine freien Taxis gab.

Peter Burghardt, SZ vom 9./10. November 2013

S-Bahn München

Quelle: Frank Leonhardt/dpa

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Mitten in ... München

Die S-Bahn hält am Rosenheimer Platz. Türen auf, das Gedränge beginnt. Auf dem Bahnsteig eine chinesische Kleinfamilie, Vater mit Kinderwagen und Sohn von vielleicht sechs Jahren. Zurückbleiben, tönt es aus dem Lautsprecher. Schnell schiebt Papa den Kleinen noch in den Zug, doch kaum ist er drin, schließen die Türen. Große Kinderaugen versuchen zu verstehen, was der wild fuchtelnde Vater draußen sagen will. Die S-Bahn fährt los. Wir machen uns auf das Schlimmste gefasst, Tränen, Schreikrampf, aber der Kleine starrt stoisch zu Boden. Ich frage ihn, ob er Deutsch versteht. Er erwidert mit zarter Stimme: "Ich soll an der nächsten Station aussteigen." Zur Sicherheit steige ich mit aus, wir warten schweigend. Und tatsächlich, im nächsten Zug rauschen Vater und Baby heran. Bei der Wiedervereinigung gibt's danndoch ein paar feuchte Augen.

Gabi Klein, SZ vom 9./10. November 2013

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