Mitten in Absurdistan:Sommermärchen in der Mitternachtssonne

Island glüht bei zwölf Grad vor EM-Begeisterung. Und aus der bayerischen Provinz kommt ein Paar in die Münchner S-Bahn, das trotz Kuhglocke Orientierungshilfe braucht.

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S-Bahn München

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Die bayerische Provinz hat dieses Paar offenbar in die Münchner S-Bahn geworfen, vorbereitet auf die Fahrt ist es nicht. Der Mann - in Tracht und mit einer Kuhglocke am Handgelenk - und seine mitreisende Dame haben keine Fahrkarte. Unsicher und sehr laut denkend schaut er auf den Streckenplan, fragt die Umsitzenden, ob sich ein Ticket noch lohne bis zum Hauptbahnhof. Ein kerniger Mann sagt: "Des kostet euch 120 Euro, wenn's erwischt werds." Er empfiehlt: in Trudering aussteigen, ein Ticket kaufen und dann weiter mit der U-Bahn. Das Paar bleibt unsicher, hakt nach, ob denn oft kontrolliert werde. Ja, sagen andere Passagiere: Oft. Der kernige Mann sagt nix, schüttelt den Kopf. Als das Paar unter dem Gebimmel der Kuhglocke aussteigt, grummelt er: "Wenn i ned grad Urlaub hätt, hättn's die 120 Euro glei zoin miassn."

Frank Nienhuysen

SZ vom 24. Juni 2016

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Quelle: AP

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Mitten in ... Keflavík

Die Fußball-EM ist schon am ersten Tag historisch für Island: Die "Strákarnir okkar", unsere Jungs, ringen im ersten EM-Spiel ihrer Geschichte Portugal ein 1:1 ab, gegen Rrrronall-ttó, wie er hier ausgesprochen wird. Das Land taumelt, Áfram Ísland, Island vor, der TV-Kommentator - bei jedem Ballkontakt dem Herzkasper nahe - kann nach 90 Minuten nur noch krächzen. Die Bestellung im Pub wird über den Tresen geröchelt; als der Ausgleichstreffer zum siebten Mal wiederholt wird, macht die Menge "Uuuuuuh!". Im Hinterhof spielen sie bald darauf aufgekratzt Beachvolleyball, in Shorts und Unterhemden. Die Mitternachtssonne scheint, die deutschen Besucher sitzen im wärmenden Fleece in der zwölf Grad kalten Luft. Dreht sich eine Frau mit Sonnenbrille um und ruft: "Isn't it amazing, the summer heat?" Sommermärchen auf Island.

Annette Zoch

SZ vom 24. Juni 2016

Eltern

Quelle: dpa

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Mitten in ... Zürich

Ein sonniger Tag an der Limmat, das erste Badewetter des Sommers. Fünf Jungs mit Balkan-Akzent im Schweizerdeutsch diskutieren über Frauen. "Ich sag's dir, Alter, ob du's glaubst oder nicht, die schönsten Frauen sind Mutter." Heftiger Widerspruch. "Du glaubst mir nicht? Ich kann's beweisen." Er zieht ein Shirt über, stellt sich an den Fußgängerweg und schaut herausfordernd. Zwei, drei Frauen lässt er vorbeilaufen, dann aber traut er sich. "Ey Schönheit! Bist du Mutter?" Die erste fängt an zu lachen und geht kopfschüttelnd weiter, die zweite nickt, fünfjährige Tochter. Auch die dritte Frau lacht und nickt, sie hole gerade ihre beiden Kinder aus der Betreuung ab. Die Jungs schnalzen beeindruckt mit der Zunge. Theorie bewiesen, die Diskussion aber geht weiter. "Ist doch auch voll der gute Anmachspruch, gleich fragen: Bist du Mutter. Oder?"

Charlotte Theile

SZ vom 24. Juni 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Kairo

Kleingeld ist ein knappes Gut in Kairo, davor warnt selbst der Reiseführer. Es gibt 1 Pfund (umgerechnet zehn Euro-Cent), 50 und 25 Piaster jeweils als Münzen, die aber werden wohl von einem schwarzen Loch geschluckt. Im Supermarkt bleibt der Kassierer schon mal mit entwaffnendem Lächeln ein paar Piaster schuldig, der Gemüsehändler verrechnet sie beim nächsten Einkauf, und Taxifahrer können nie herausgeben - vor allem wenn der Fahrgast Ausländer ist. Doch jetzt hat die Regierung Abhilfe geschaffen: Es gibt neue Scheine, einen grünen, der 50 Piaster wert ist, und einen blauen, 25 Piaster. 2,5 Cent also. Auch die Ein-Pfund-Note, der man nur noch auf dem Land begegnete, hat die Zentralbank neu aufgelegt. Der Supermarktkassierer gibt nun also freudestrahlend heraus: 4,25 Pfund Restgeld - in einem Stapel von 17 Scheinen.

Paul-Anton Krüger

SZ vom 24. Juni 2016

Funken mit Köpfchen: WLAN-Netze sicher teilen

Quelle: dpa-tmn

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Mitten in ... Le Mans

Anarchie! 60 mäßig junge Menschen treffen sich auf einem verlassenen Grundstück im französischen Le Mans; ein Wochenende kein Handynetz, dafür Livemusik mit Kontrabass und Geige. Die Deutschen und die Franzosen, sie verstehen sich: trinken Wein zum Frühstück, diskutieren über Brexit und EU, knutschen auf der Tanzfläche. Ja, gibt es was Schöneres? Ja, gibt es: in diesem wahrgewordenen Woodstock-Kinderbuch ein Zweibettzimmer zu bewohnen. Es ist das Zentrum der Macht, also: das Zimmer mit dem Wlan-Router. Türklopfen; der Gastgeber bittet, das Passwort nicht allzu vielen zu verraten, sonst bricht die Übertragung auf die EM-Leinwand zusammen. Und dann - hört es zwei Tage nicht auf zu klopfen; nur einen Zug buchen, nur diesen Song runterladen, bitte bitte, s'il vous plaît! Anarchie? Monarchie!

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 17. Juni 2016

Office Workers In The Business District As Confidence Slides Over China Slowdown

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... Hamburg

Es war ein langer Tag, und der Krawattenknoten sitzt schon schief, aber der Ärger im Büro nimmt kein Ende. Der Vater am Flughafen Fuhlsbüttel in Hamburg telefoniert am Abfluggate schon seit einer Stunde zu laut mit seinen Angestellten, die "clients" erwarten mehr, zu wenig "direct response", allgemein ist das "zu langsam, das ist nicht okay mit mir, no way". Plötzlich unterbricht er sein berufliches Telefonat, "sorry, incoming call", und hat offenbar sein Kind am Ohr. Noch mehr Ärger, eine schlechte Schulnote. Der Vater wird leiser, hört zu, nickt, stöhnt leise, warum machen alle immer nur Stress? Schließlich richtet er sich auf. Immer noch ganz der Problemlöser aus der Arbeitswelt, weiß er natürlich auch im Privatleben, was zu tun ist. "Es hilft nichts", sagt er seinem Kind, "du musst dich jetzt auf eine Timeline fürs Lernen committen."

Michael Ebert

SZ vom 17. Juni 2016

Bruck: Bibliothek Aumühle / Ausstellung + Modell Abenteuerspielplatz (ASP)

Quelle: SZ

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Mitten in ... Rom

Die Römer neigen dazu, laut und derb zu reden. Und alles radikal abzukürzen - ganze Silben, die Grundformen der Verben, die Vornamen. Bei den Namen ist die Radikalität am größten, eine wahre Metzgerei. Zum Beispiel unter Vätern von Fußballersöhnen im Stadion "Campo Roma", Stadtteil San Giovanni. Sergio ist Se, Fabio nur Fa, Paolo ist Pa, Sandro Sa. Geht schneller. Oliver, übrigens, ist O. "Oh, O!" steht für: "Oliver, da bist du ja!" Nur Angelo bleibt Angelo, immer. Wäre ja auch ein Frevel, wenn ein Engel, ein Angelo, gestutzt würde. Angelo ist aber eben auch der Vater des Mittelstürmers. Der ist zwei Meter groß, ein Turm da vorne, eine Garantie, 14 Tore allein in der Rückrunde der Meisterschaft. Man konnte auch schon hören, wie der Vater "Signor Angelo" genannt wurde, Herr Angelo. Im Sommer trainieren wir den Torschuss, in famiglia.

Oliver Meiler

SZ vom 17. Juni 2016

File photo illustration of Swiss franc currency in a cash drawer in Bern

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Zürich

Ein traditionsreiches Caféhaus, unweit der teuren Bahnhofstraße. Heller Steinboden, ein langer Tresen aus dunklem Holz, dahinter wandhohe Spiegel. Unter der Decke ein Art-Déco-Leuchter. Das "La Stanza" ist ein wunderbarer Ort für eine Kaffeepause. Ob denn auch Euros akzeptiert werden, fragt der Tages-Reisende. "Ja, eins zu eins", antwortet der Barmann, also ein Franken für einen Euro. Okay, der Wechselkurs ist gerade eins zu 1,1. Also einen Cappuccino, bitte. "Gerne, das macht fünf Franken." Ein 20-Euro-Schein wechselt den Besitzer. Das Rückgeld besteht aus 15 Franken. Äh, könnten Sie auch Euro herausgeben? "Nein, leider nicht." Also habe ich gerade 20 Euro in Franken gewechselt? "Nun ja", sagt der Barmann, "Sie können auch vier Cappuccinos dafür bekommen." In Finanzfragen macht den Schweizern eben niemand etwas vor.

Patrick Illinger

SZ vom 17. Juni 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Dresden

Dresden-Dobritz gehört zu jenen Stadtteilen, in die man sich als Nicht-Dobritzer eher selten verirrt. Zufällige S-Bahn-Vorbeifahrt an einem Samstag, Blick auf ein Abrisshaus: Nanu, dort in den Fenstern, da steht doch nicht etwa? Tage später, gezielte Wiederhinfahrt: Doch, da steht ja immer noch "DEUTSCHLAND ERWACHE", einfach so, im öffentlichen Raum. Die Unschuldsvermutung plädiert für Tucholsky, der begründete Verdacht für ein SA-Zitat. Man wünscht sich, Dobritz würde erwachen und mit Schrubber und Chemiekeule zum Frühjahrsputz anrücken. Stattdessen haben sich zumindest ein paar Linke der Buchstaben angenommen. Ein paar haben sie in ähnlich leuchtendem Weiß hinzugefügt ("Nazi Kiez"), dem "ERWACHE" haben sie zwei genommen, das W und das erste E. Zwischenergebnis: Treffer, Dobritz versenkt.

Cornelius Pollmer

SZ vom 10. Juni 2016

Parkhaus, 2008

Quelle: Stephan Rumpf

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Mitten in ... Zagreb

Der Parkhaus-Albtraum: an der Ausfahrtsschranke beim Bezahlen mit der Kreditkarte wedeln, dann den Mann im Häuschen sagen hören, no, only cash. Euro? No, only Kuna. Die letzten Kuna aber wurden soeben ausgegeben. Kopfschütteln. Hilflosigkeit. Wut. Schwitzen. Die Autos dahinter werden mehr, alle haben gut hörbare Hupen. Der Parkhauswächter winkt den anderen zu: Zurückfahren! Der Hintermann setzt zurück, es rumst. Der Hintermann steigt aus, schimpft, das Hupen wird lauter, und nirgendwo ein Loch zum Verschwinden. Ein zweiter Parkhauswächter kommt: der Retter. Er lotst die anderen durch die Einfahrtsschranke hinaus, und während die Ehefrau einen Geldautomaten sucht, kommt er auf den dämlichen deutschen Touristen zu und - ist betroffen. Ach, ihm tue das ja auch leid, dass sie in Kroatien keinen Euro hätten.

Michael Neudecker

SZ vom 10. Juni 2016

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Quelle: Behrouz Mehri/AFP

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Mitten in ... Isfahan

Ein Kuss wäre hier schon gefährlich. Die Polizei parkt direkt am Eingang zur Brücke, eine Mahnung an Liebende und solche, die es hier werden könnten: Nach iranischem Gesetz dürfen unverheiratete Paare sich nicht näherkommen. Die historische Si-o-se-Brücke mit ihren 33 Bögen ist kunstvoll erleuchtet, dort treffen sich jede Nacht die Flirtwilligen. Unten am Wasser bilden die vielen Bögen der Brücke kleine windgeschützte Separees aus noch sonnenwarmem Stein. Den Zugang versperrt nur ein einsamer Sittenpolizist, von dem man indes sagen kann, dass er im Sinne seines Amtes besonders die hohe Sitte der iranischen Höflichkeit aufrechterhält. "Verehrter Herr!", ruft er einem der vielen Jugendlichen hinterher, die links und rechts von ihm ungehindert durchschlüpfen können. "Kommen Sie bitte zurück! Es ist gefährlich dort."

Ronen Steinke

SZ vom 10. Juni 2016

MUSIQUE-OPERA-DANSE

Quelle: Bertrand Guay/AFP

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Mitten in ... Paris

Noch lächelt die Japanerin, straff eingeschnürt in ihren Gala-Kimono. Mit vielen Verbeugungen reicht sie der Platzanweiserin im Théâtre des Champs Élysées ihr Billett. "Alors, madame, le strapontin", sagt diese und deutet zum Rand von Parkettreihe neun: dem Notsitz. Die Japanerin nickt höflich, rührt sich aber nicht vom Fleck, hält der Saalkraft ihr Ticket hin. Mittlerweile staut es sich hinter den beiden, andere Besucher wollen zu ihren Plätzen. Die Anweiserin dirigiert die Asiatin sanft in Richtung Strapontin und klappt routiniert den Sitz auf. So elegant wie es ihre Origami-Robe zulässt, faltet sich die Japanerin hinein - und erstarrt. Sie hat die hinterhältige Eigenschaft dieser Strapontins erfasst: Sie klappen sofort zusammen, wenn man auch nur leicht die Pobacke hebt. Selbst bei japanischen Teezeremonien sitzt es sich bequemer.

Jutta Czeguhn

SZ vom 10. Juni 2016

RUDIS TAGESSHOW RUDIS TAGESSHOW Die witzigsten Nachrichten der Welt die schönsten Sketche die frec

Quelle: imago/United Archives

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Mitten in ... Teheran

29 Jahre vor der Böhmermann-Affäre hat sich einmal Rudi Carrell einen Spaß mit dem iranischen Revolutionsführer Ayatollah Chomeini gemacht. Der Sketch ging so: Chomeini, in Gewand und Turban, betritt die Bühne. Seine Fans kreischen. Es fliegen BHs und Schlüpfer. Damals reagierte Irans Regime erdoğanesk und warf das deutsche Goethe-Institut aus dem Land. Jetzt möchten die Deutschen wiederkommen, halten freundliche Reden in einem Raum der Uni Teheran. Das Deutschlandlied erschallt, laut wie eine Explosion. Auf der Leinwand flattert Schwarz-Rot-Gold. Links und rechts davon haben sie Ayatollah-Bilder aufgehängt, Chomeini und seinen Nachfolger Chamenei. Zur Musik springen die Offiziellen auf wie Klappmesser. Danach: Applaus. So viel Unterwäsche kann man gar nicht tragen, wie man jetzt gerade werfen möchte.

Ronen Steinke

SZ vom 3. Juni 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... München

Treffen mit einem syrischen Schriftsteller. Ein Stipendium, sagt er, habe gerade sein Leben gerettet und ihn nach München gebracht. Und was macht er nun so den ganzen Tag? "Lesen und schreiben." Wie in Syrien. Es gibt nichts Schöneres als Lesen. Wenn nur der Krieg nicht wäre. Er habe sein Leben lang so viel gelesen, dass er sogar vergessen habe, "eine Familie zu gründen", sagt der Dichter Fouad Yazji und lacht. Daher habe er sich zuletzt auch nur noch um seine 80-jährige Mutter kümmern müssen, die aus ihrer Wohnung in Damaskus in ein syrisches Bergdorf geflohen sei, mittellos. "Da gibt es nichts, kein fließendes Wasser, kaum etwas zu essen, es ist kalt. Ich habe mir große Sorgen gemacht." Und jetzt? Yazji zeigt ein Foto, das ihm seine Mutter aus ihrem Berg-Exil aufs Smartphone geschickt hat. Und siehe da: Sie liest.

Christiane Schlötzer

SZ vom 3. Juni 2016

A young girl runs along the beach after sunset in Leicadia

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Los Angeles

Wer als Deutscher plötzlich am kalifornischen Strand wohnt, der hat den Vorteil, dass er plötzlich viele Freunde hat: Der Typ, der einen in der Schule regelmäßig verprügelt hat, schwärmt am Telefon von alten Zeiten und droht mit Besuch. Der schrullige Kollege, der einen in München weitgehend ignoriert hat, schaut zum Test sämtlicher kalifornischer Weinsorten vorbei. Selbst ein einstiger Fußballstar taucht plötzlich zum Bier auf. All die Menschen versichern einem natürlich, dass man es doch ganz gut getroffen hat im Leben. Nur ein Besuch aus dem bayerischen Heimatdorf holt einen in die Realität zurück. Der Typ motzt über Bier und Burger, den Sand in der Badehose und die nervige Sonne, die hier immer scheint. Er sei jetzt froh, dass er wieder heimdürfe, sagt er zum Schluss. Aber schon nächstes Jahr, da komme er gerne wieder vorbei.

Jürgen Schmieder

SZ vom 3. Juni 2016

Brennerautobahn A22 seoh08396

Quelle: imago/Südtirolfoto

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Mitten in ... Sterzing

Rückreise aus dem Pfingsturlaub in Italien. Etwas Stau bei Bologna, ein wenig stockender Verkehr bei Verona, maulende Kinder, der übliche Wahnsinn. An der Mautstation bei Sterzing wird nun abgerechnet. Die Familie ist bei Florenz auf die Autostrada gefahren, das kostet. Der Vater wird hektisch. Wo ist der verdammte Geldbeutel? Der fünfjährige Sohn beobachtet genau. Gerade fasziniert ihn alles, was mit Geld zu tun hat. Gerne kontrolliert er, wie viel in den Geldbeuteln der Eltern steckt, und verkündet dann, wer "am mehrsten" hat. "Wie viel musst du bezahlen?", fragt er. Fast 40 Euro kostet die Autobahnquälerei. Der Vater fischt ein paar Scheine aus dem Geldbeutel und fummelt sie in den Automaten. "So viele Scheine", freut sich der kleine Kapitalistensohn. "Papa, du bist der Scheinreichste!" Scheinreich, ja, das trifft es genau.

Sebastian Herrmann

SZ vom 3. Juni 2016

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Memmingen

Am Allgäu-Airport Memmingen hat ein Mann mit Übergewicht zu kämpfen: Bei Russlands neuer Billigfluggesellschaft "Pobeda" ("Sieg") darf man nur zehn Kilo Gepäck aufgeben. Die Anzeige am Check-in zeigt zwölf Kilo, die Dame am Schalter ist streng. Schwer atmend hebt der Fluggast den Koffer wieder vom Gepäckband. Er trägt schon zwei Sakkos übereinander, um Gewicht zu sparen. Dann holt er aus dem Koffer: zwei, drei, vier Dosen Diätpulver, das angeblich die perfekte Bikini- und Badehosenfigur ermöglicht - man kennt das ja, vom lustigen Mops-Werbefilm direkt vor der Tagesschau. In Russland ist das Zeug noch nicht so verbreitet, deshalb die Vorratshaltung. Als die großen Dosen im Handgepäck verstaut sind, zeigt die Waage einen Wert nur noch knapp über der erlaubten Marke. So schnell kann man überflüssige Pfunde loswerden.

Julian Hans

SZ vom 27. Mai 2016

'Dream City' Constructed In Erbil

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Erbil

Der Fahrer des Minibusses ist im Hauptberuf Kämpfer bei den Peschmerga, was so viel wie "Die dem Tod ins Auge sehen" heißt. Während seines Fronturlaubs arbeitet er als Chauffeur. Militärische Erfahrung kann hier nicht schaden: Wir sind in Irakisch-Kurdistan, der IS ist bedrohlich nahe. Der Fahrer ist ein harter Bursche, tagelang verzieht er keine Miene. Singende Deutsche auf der Rückbank? Er bleibt cool. An der Kreuzung kein Durchkommen auf die richtige Fahrbahn? Egal, dann geht's halt im Gegenverkehr weiter. Er lächelt nicht einmal, als die Soldaten am Checkpoint alle Frauen zur Kontrolle aus dem Bus holen - um sie dann mit verlegenem Grinsen wieder hineinzubitten. Nur einmal gerät der Kämpfer aus der Fassung. Zum Abschied bekommt er ein Geschenk. Ein Griff, dünne Ärmchen - es ist: ein Kopfmassagegerät.

Luisa Seeling

SZ vom 27. Mai 2016

Großstadtdschungel Berlin

Quelle: Gregor Fischer/dpa

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Mitten in ... Allensbach

Allensbach ist einer der herrlichsten Orte am Bodensee, und wenn man den Blick übers spiegelglatte Wasser bis zur Insel Reichenau schweifen lässt, könnte man vor Rührung weinen. Aber die Krönung ist der Wild- und Freizeitpark Bodanrück mitten im Wald. Natürlich kauft man wie alle anderen hier erst mal eine Schachtel Tierfutter, um damit die Rehe und Zwergziegen anzulocken. Allerdings sind die Bewohner dieser Streichelzoo-Idylle dermaßen verwöhnt, dass sie kein einziges Knabberstäbchen mehr fressen wollen, auch die Wildschweine legen eine widerborstige Saturiertheit an den Tag. Denen geht's einfach zu gut. Also steckt sich die zwölfjährige Tochter das kostbare Veganfutter selbst in den Mund. Es knirscht beim Kauen, aber sie würgt es schließlich runter. "Lecker", ruft sie. Das süße Leben in Allensbach hat halt seinen Preis.

Christian Mayer

SZ vom 27. Mai 2016

Luxembourg City

Quelle: Benh Lieu Song/CC BY-SA 3.0

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Mitten in ... Luxemburg

In einem Hauseingang liegt ein Mann, offenbar ein Obdachloser. Es ist ein kalter, sonniger Morgen. Der Schlafsack des Mannes ist grasgrün. Tritt man aus dem Hauseingang und geht nach links, kommt man zum Hauptbahnhof, an dem der Mann vor einigen Tagen vielleicht ankam. Dort werden sehr kleine Kaffeeportionen eingeschenkt. Geht man nach rechts, gelangt man ins Herz der Stadt mit dem großherzöglichen Palast und dem auf- und abmarschierenden Vorzeige-Soldaten davor, mit all den Gerichtsgebäuden und den Finanzmenschen in ihren Büros: Luxemburger Betriebsamkeit. Der Obdachlose sagt "Bonjour". Er hätte gerne einen Schluck vom Kaffee. Er trinkt ihn liegend. Blinzelt eine kleine Ewigkeit in die kalte Sonne. Schweigt. "Pologne", sagt er dann. "Homme. Travail." Polen. Mann. Arbeit. Er legt sich wieder schlafen.

Tim Neshitov

SZ vom 27. Mai 2016

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Quelle: Imago

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Mitten in ... Zürich

Die Zürcher Langstrasse ist ein Biotop, wie man es in der Schweiz selten findet. An den Hauswänden lehnen mittags schon Prostituierte, ältere Männer schlurfen ins Sexkino. Jüngere fahren mit dem Sportwagen auf und ab - oder pflügen mit weißem Rennrad durch die Szenerie. Dazwischen ein Backpacker Hostel. "Excuse us!" Zwei junge Frauen lächeln um die Wette. Dem Akzent nach kommen sie aus dem Rheinland, aber sie sind im Ausland, also: Englisch. "We are looking for a supermarket." Ich deute auf das Geschäft hinter ihnen: breites Angebot, Markenprodukte, eine Art Schweizer Edeka. Sie schütteln besorgt den Kopf. "No, I mean, a real supermarket. A cheap one!" Auf Deutsch erkläre ich den Weg zum Discounter. Wieder ein strahlendes Lächeln. "Das ist jetzt echt unsere Rettung!" Die 500-Euro-Sonnenbrille glitzert in der Sonne.

Charlotte Theile

SZ vom 20. Mai 2016

Barack und Michelle Obama küssen sich 2012

Quelle: Jonathan Ernst/Reuters

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Mitten in ... Los Angeles

Es gibt in amerikanischen Sportstadien die schöne Tradition, während einer der vielen Spielpausen auf der Anzeigetafel die Zuschauer einzublenden und sie zum Küssen aufzufordern. Das kann ein Pärchen sein, aber auch die Oma mit dem Enkel oder ein Typ mit seinem Bier. Manchmal erlauben sich die Kameraleute auch einen Spaß und filmen zwei Menschen, die garantiert nicht zusammengehören. Das alles passiert nicht nur bei den Partien der Lakers, sondern auch bei Baseballspielen des Amateurvereins. Da erscheint also, während man gerade Hotdogs kauft, die eigene Ehefrau auf der Leinwand und wird zum Knutschen mit dem Sitznachbarn aufgefordert. Dieser will den Irrtum auflösen, doch da wird er schon geküsst. Freilich zementiert das die ohnehin vorherrschende Meinung im Dorf, dass sie spinnen, diese Europäer.

Jürgen Schmieder

SZ vom 20. Mai 2016

Eurovision 2016

Quelle: Michael Campanella/Getty Images

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Mitten in ... Stockholm

Eurovision Song Contest, Finale in Stockholm. Für die mehr als tausend Journalisten gibt es eine eigene Halle, lange Arbeitstische, große Leinwände. Die Presse teilt sich in zwei Gruppen. Die eine feiert lautstark jeden Song. Die andere, also unsere Gruppe, muss berichten und wirkt nicht gerade wie eine Fankurve. Mit am Tisch: ein Belgier, der genervt Videobilder von halbnackten Fans in Union-Jack-Unterhosen schneidet. Das Finale interessiert ihn wenig, er schaut selten hoch. Bis ein Zusammenschnitt schwedischer Musikgeschichte läuft, alles seit "Waterloo": "It Must Have Been Love", "The Final Countdown", "All That She Wants", irgendwas von Avicii. Der Belgier starrt auf die Leinwand. "Echt, das war alles mal beim ESC?" Plötzlich ist er ganz da. Nein, aber lassen wir ihm doch die Illusion, dass dieser Kitsch-Contest vielleicht doch ganz cool ist.

Silke Bigalke

SZ vom 20. Mai 2016

Adele Performs At Hallenstadion, Zurich

Quelle: Philipp Schmidli/Getty Images

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Mitten in ... Verona

Adele singt in der Arena von Verona. Rückblickend mag der Kartenkauf (69 Euro) wie ein Coup wirken. Angesichts der Schwarzmarktpreise und der Jubelkritiken auf ihrer Tournee. Doch uns war das nicht klar. Wir hatten es letztes Jahr einfach versucht, es dann fast vergessen und nicht mal eine Übernachtung gebucht. Das war wohl naiv. "Tss, tss, ausgebucht seit Monaten, Adele kommt", sagt die erste Vermieterin am Telefon. "Alles voll wegen Aadeeeelllll!", trompetet auch der sechste Hotelbesitzer. "Verticken Sie doch die Karten und fliegen Sie dafür in die Karibik", witzelt die elfte Vermieterin. Die zwölfte hat ein freies Touristen-Apartment. Zwei Nächte zu 600 Euro. "Es ist ja sooo ein besonderes Wochenende", flötet sie. Wir werden nun wohl weit außerhalb wohnen. Womöglich ist auch das naiv. Mit den Taxifahrern haben wir noch nicht verhandelt.

Marten Rolff

SZ vom 20. Mai 2016

Wider Image: Ferry Victims' Cherished Bedrooms

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Melbourne

Melbourne ist teuer. Ein Glück, dass man bei Freunden übernachten kann. Die superlockeren, supernetten Australier bieten dem Gast nicht die Couch an, sondern das gemütlichere Bett ihres Sohnes, der ausnahmsweise bei ihnen schlafen darf. Nun steht aber noch ein zweites Bett im Kinderzimmer, die dreijährige Tochter schläft bereits darin. Aber nicht friedlich. Sie wälzt sich, schnarcht, rotzt, stößt sich an der Wand, zupft an der Windel, spricht im Schlaf. Man selbst kauert im Bett daneben, schlaflos und in Dauerangst, das Mädchen könnte aufwachen und sich vor dem kaum bekannten Mann mit Akzent erschrecken. Am folgenden Tag fragen die Eltern den gereizten Gast nach dem Jetlag. Man knurrt indifferent, in Gedanken schon beim geplanten Gegenbesuch in München. Ein Schlafplatz sollte sich finden lassen, meine lieben Freunde.

Martin Wittmann

SZ vom 13. Mai 2016

Hundeblick

Quelle: dpa

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Mitten in ... Hamburg

Grillen in Hamburg in der Nähe der Alster. Der 14 Monate alte Sohn will nicht warten, bis das Grillgut perfekt angekokelt ist. Er wackelt auf eine Gruppe Trinker zu, die sich streiten. Einer der Männer schreit und fuchtelt mit seiner Bierdose in der Hand vor dem Gesicht einer Frau herum. Sie brüllt zurück. Worum es in der Auseinandersetzung geht? Das ist nicht zu verstehen, die zwei klingen, als seien ihre Stimmbänder schon lange zerfasert und ausgefranst. Der kleine Sohn hat die zwei Schoßhündchen entdeckt, die zwischen den Trinkern sitzen.

"Da!" Er zeigt auf die Tiere und läuft auf sie zu. "Da!" "Ja, das sind Hunde", murmelt der Vater in Abwehrhaltung. "Sag' doch Wauwau, dann freut sich dein Junge mehr", der eben noch brüllende Trinker mit der Raufaser-Stimme klingt nun weich und klar. Die übrigen Säufer nicken stumm.

Sebastian Herrmann

SZ vom 13. Mai 2016

ASB-Rettungsfahrzeug

Quelle: Robert Haas

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Mitten in ... München

Die Mandeln schmerzen, irgendetwas stimmt nicht. Also zum Doktor. Aber: Feiertag. Die Bereitschaftspraxis München West im Klinikum Pasing ist am schnellsten zu erreichen. Kaum jemand da, spricht für eine kurze Wartezeit - Glück gehabt. Nach ein paar Minuten kommt eine Arzthelferin aus dem Behandlungsraum. Die Mediziner brauchen Unterstützung aus ihrer Klinik, sie greift zum Telefon. "Wir haben einen Notfall! Vorhofflimmern, dem Mann geht's nicht gut! Es muss schnell jemand kommen . . . Aha . . . Okay . . . Dann rufe ich dort an." Sie wählt ein zweites Mal.

Gleiche Satzabfolge. Dann noch mal. Schließlich: "Das ist nicht Ihr Ernst, oder?" Der Arzt streckt seinen Kopf aus dem Behandlungszimmer: "Was ist denn? Kommt endlich jemand?" Die Arzthelferin schaut konsterniert. "Sie haben gesagt, ich soll den Notarzt rufen."

Anna Dreher

SZ vom 13. Mai 2016

S-Bahn in München, 2016

Quelle: Claus Schunk/Claus Schunk

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Mitten in ... Ratangarh

Ein Kiosk am staubigen Straßenrand. Hagere Männer sitzen auf Hockern und rühren in Metallbechern. Teepause in der nordindischen Provinz. Neben dem Holzverschlag steht ein rostiger Käfig, in dem sich zwei Dutzend Hühner drängen. Zusammengezwängt stecken sie die Hälse durch die Gitterstäbe, sie sehen mächtig zerzaust aus. Und wenn man nun einfach mal das Türchen öffnete? Wären sie dann jemals wieder einzufangen?

Dann bringt der Wirt ein paar Kekse an den Tisch. Und siehe da: Ein anderes, männliches Federvieh kommt plötzlich herbeigestürzt, im bunten Kleid und bestens genährt. Gierig pickt der Gockel nach den Krümeln, so dass man es jetzt doch wissen will: "Warum läuft er hier frei herum - und die Damen da drüben nicht?" Der Teekäufer starrt entgeistert. Vielleicht hat seinem Gast die Sonne doch zu stark zugesetzt.

Arne Perras

SZ vom 13. Mai 2016

S-Bahn in München, 2016

Quelle: Claus Schunk/Claus Schunk

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Mitten in ... München

Beinahe hätte das Mädchen die Bahn erwischt: gerade, als es piept und sich die Türen schließen, langt es noch dazwischen. Ein dünner Arm hängt da jetzt. Zu dünn für Sensoren, so es die überhaupt gibt in dieser S-Bahn, eine von den ganz neuen. Die Tür geht nicht wieder auf. Vielleicht 16 Jahre alt ist die Besitzerin des Armes, die da hinterm Fenster am Bahnsteig steht und ungläubig schaut. Fürs Aufstemmen ist es zu spät: Der Zug ruckelt an. Nun denn, bleibt nichts anderes: Ein kräftiger Zug an der Notbremse. Die Türen gehen auf, das Mädchen läuft wortlos in den Wagen. Nach ein paar Minuten kommt die Lokführerin, stinksauer: "Wer hat die Notbremse gezogen?!" Ich, ein Fahrgast hing in der Tür. Bestürzung? Pah! Ihr habe das System keine Störung angezeigt, motzt sie. Was ist schon ein dünnes Ärmchen im Vergleich zum System der Bahn.

Max Hägler

SZ vom 6. Mai 2016

AVM setzt Maßstäbe am Breitbandanschluss - Premiere für neue FRITZ!Box

Quelle: obs

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Mitten in ... Wadi Musa

20 Minuten in Jordanien, der erste Streit. "Deine Frau?", fragt der Taxifahrer meinen besten Kumpel und deutet auf die Rückbank. "Nein", sagt der. "Ja", sage ich. Mashdi, so heißt der Taxifahrer, fragt weiter: "Also nur Freunde?" "Ja", sagt der Kumpel. "Nein", sage ich. Mashdi hört auf zu fragen, verteilt Zigaretten, holt Kaffee, lässt uns streiten. Ich: "Wir hatten doch abgemacht, dass wir verheiratet sind." Er: "Sei nicht immer so paranoid." Mashdi blickt stoisch auf die Straße und fährt den Mann mit der bescheuerten Shorts und die Frau mit dem bescheuerten Kopftuch bis nach Wadi Musa, ein Städtchen in den Bergen. Wie unser Hotel heiße? "Valentine Inn", sagt mein Kumpel. "Valentine Inn?", sage ich. Auf dem Hotelschild kuscheln zwei Herzen. Gelächter. Mashdi muss schnell los, er sagt nur noch: "Ich wünsche euch alles Gute."

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 6. Mai 2016

AVM setzt Maßstäbe am Breitbandanschluss - Premiere für neue FRITZ!Box

Quelle: obs

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Mitten in ... Hamburg

Eine Übernachtung bei Freunden, zur Begrüßung gewittern die Höflichkeiten. Danke, dass wir hier sein dür. . . ach was, toll, dass ihr . . . ein Handtuch? Oh, das wär' natürlich . . . und fühlt euch wie zu Hause, wirklich! Alles ist geklärt, dann folgt noch die Schlüsselübergabe. Der hier ist für die Tür - und der hier fürs Wlan. 87AfG9xz. Man fühlt sich nun wirklich wie zu Hause, also ab zum Sitzeckensmalltalk. Tobi erzählt von Amazon Prime und davon, dass der Videodienst auf Basis des Geschauten immer mehr und bessere Vorschläge unterbreite, was ihm, Tobi, denn noch gefallen könne. Interessant, vielleicht dürfe man ja am Abend auch mal reinklicken und was gucken? Tobis Gastgeberlächeln verfliegt. Amazon Prime offenbart, wo die Freundschaft endet: "Lieber nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Du machst mir meinen Algorithmus kaputt."

Cornelius Pollmer

SZ vom 6. Mai 2016

© SZ/edi
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