Mitten in Absurdistan:Patsch, nur ein Fahrradunfall

In einem Lüneburger Café werden überraschend präzise Diagnosen gestellt. In Abu Dhabi gibt es zum Nationalfeiertag Pinguine aus Madagaskar und in Raisting warten Sex & Drugs & Blumenkohl.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt

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Mitten in... Raisting

Quelle: Stephan Handel/SZ

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Mitten in ... Raisting

Der Weg zum Weltruhm ist ein weiter; er hat die Band Stabil aus München heute nach Raisting geführt, Kulturlokal "Ibiza" im menschenleeren Gewerbegebiet. Die Stimmung der Musiker wird auch von der Speisekarte nicht gehoben, denn die ist vegetarisch - Sex & Drugs & Blumenkohl. Dann tauchen zehn junge Männer aus einer nahen Flüchtlingsunterkunft auf und bitten, keinen Eintritt bezahlen zu müssen. Die Band ist davon nicht begeistert, der Eintritt ist ihre Gage. Ist aber auch schon wurscht. Als das Konzert beginnt, sind die jungen Männer sofort auf der Tanzfläche und gehen nicht mehr runter. Nach zwei Stunden wird jeder Musiker von einem schweißnassen Neu-Fan herzlichst umarmt: Das sei ihr schönster Abend seit Langem gewesen. Der Weg zum Weltruhm ist weit. Aber manchmal ist's in Raisting auch nicht schlecht.

Stephan Handel

SZ vom 19. Dezember 2014

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Lüneburg

"Fahrradunfall?", fragt der Tischnachbar im Café. "Ja, genau, Fahrradunfall." Blöde Geschichte, nicht der Rede wert, aber sie hat mir ein paar unübersehbare Wunden ins Gesicht gestempelt: eine größere am Kinn und eine kleinere an der Nasenspitze, die besonders doof aussieht. Fahrradunfall, tja. Schön wär's, wenn die Wunden woanders herkämen, zum Beispiel von einer heldenhaften Prügelei für jemanden in Not oder von irgendeiner kühnen Rettungsaktion. Aber nein: Fahrradunfall. Verletzt ohne Einwirkung des Gegners, würde man beim Fußball sagen. Bisschen in Gedanken gewesen, die Bordsteinkante übersehen. Patsch. Seither leuchten rot die Bremsspuren. Etwas seltsam ist es trotzdem, dass der Herr im Café sie sofort richtig eingeordnet hat. Er kann das erklären, kaputte Körper sind sein Fachgebiet: "Ich bin Gerichtsmediziner."

Thomas Hahn

SZ vom 19. Dezember 2014

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Abu Dhabi

Nationalfeiertag in den Vereinigten Arabischen Emiraten: Autocorso und Fähnchenschwenken entlang der Strandpromenade von Abu Dhabi. Viele nutzen den arbeitsfreien Tag auch zu einem Besuch der Yas Mall. Das Einkaufszentrum an der Formel-1-Rennstrecke hat gerade erst eröffnet. Es ist 20 Mal so groß wie das größte Einkaufszentrum in Deutschland, das Centro in Oberhausen. Vieles in der Yas Mall ist "coming soon", die "Schneewelt" etwa. Geöffnet ist schon das 4-D-Kino im Moviecenter mit seinen 20 Sälen. Es läuft: "Die Pinguine aus Madagaskar". Wilde Verfolgungsjagden, 200 Zuschauer auf rüttelnden Stühlen. Der Leinwand-Orkan bläst aus kleinen Winddüsen in den Kopfstützen. Es gibt sogar Wassernebel. Der lässt sich abstellen, mit einer Taste auf der Armlehne. Doch wer drückt die, hier, mitten im Wüstenland? Niemand.

Michael Kuntz

SZ vom 19. Dezember 2014

Kinder schreiben Wunschzettel ans Christkind

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Zwei Tage vor seinem achten Geburtstag und neun Tage vor Heiligabend geht das Mädchen mit seiner Mutter durchs Münchner Universitätsklinikum Großhadern. Gelangweilt tapert es die endlosen Gänge in dem Raumschiff-artigen Riesenbau entlang. Immer neue Türen tun sich rechts und links auf. Hektische Ärzte. Wartende Patienten. Mitten im Gang steht ein Krankenbett, in dem eine gebrechliche alte Dame liegt. Zu den Abwechslungen während dieses Spaziergangs im tageslichtlosen Betongrau gehört es, die Schilder mit den langen Namen darauf zu lesen. Transplantationszentrum steht da, Nuklearmedizin, Patienteninformationsbüro. Plötzlich erhellt sich der Blick der Siebenjährigen: Mit so etwas Großartigem hatte sie an diesem wenig freundlichen Ort wirklich nicht gerechnet. "Ein Kinderwunschzentrum!", ruft sie begeistert.

Christina Berndt

SZ vom 19. Dezember 2014

An armed pro-Russian separatist sits in a bus after a rally in Donetsk

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Luhansk

Im Hotel Druschba (Freundschaft) ist lange niemand mehr abgestiegen, seit Krieg herrscht zwischen der Luhansker Volksrepublik und Kiew. Außerdem hatte die ostukrainische Stadt zwei Monate lang weder Strom noch Licht, und ausländische Gäste kommen auch höchst selten, es sei denn, sie haben einen russischen Pass. Jetzt aber ist Besuch aus dem Westen da. Im leeren Speisesaal funkelt die Discokugel grüne Lichter an die Wand, ein alternder Sänger, der sich selbst am Laptop begleitet, trällert Schmusepop, die Kellnerin serviert russischen Borschtsch und russischen Hering. Um 23 Uhr ist Schluss, militärische Sperrstunde, wer jetzt noch auf der Straße erwischt wird, wird eingesperrt und muss tagelang gemeinnützige Arbeit leisten. Dann doch lieber das Hotelbett, Sowjetstyle: samt Etagenfrau und nicht abstellbarer Dauerheizung.

Cathrin Kahlweit

SZ vom 12. Dezember 2014

Euter von Kühen sind während einer Züchterschau in Leer zu sehen

Quelle: Ingo Wagner/dpa

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Mitten in ... Steinbach am Wald

Sitzen ein fränkischer Brauer, ein fränkischer Bauer und zwei Wanderer aus Niedersachsen in einer fränkischen Wirtschaft. Sagt der Bauer: "Norddeutschland? Kenn i. Hobb i Connägschns." Der Brauer, der den Bauern lange kennt, hebt die Augenbrauen. Dochdoch, erklärt der Bauer und bestellt die dritte Runde Schnaps zum Bier. Er habe da immer seine Schwarzbunten gekauft, in Ostfriesland. "Warum?", fragt der Brauer. Das sei ja weit weg. Weil, sagt der Bauer, die Schwarzbunten mehr Milch gegeben hätten. Also früher. Später habe das Braunvieh dann aufgeholt, und deshalb kaufe er seine Rinder heute nur noch im Süden. Die Runde nickt, dann kommt der Schnaps. Der Brauer will ansetzen, da fällt ihm etwas ein. "Dann hosd doch gor ka Connägschns mehr", sagt er. "Fresse", sagt der Bauer. "Prost", sagt der Brauer. Schön hier.

Marc Felix Serrao

SZ vom 12. Dezember 2014

Schwan besucht hessische SPD

Quelle: dpa

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Mitten in ... Berlin

Vor vier Minuten hätte der rote Flieger nach München abheben sollen, aber noch steht er im Berliner Nieselregen. Innen erleben die Passagiere eine Lektion in Sachen Politikerstress. Gesine Schwan, Sozialdemokratin, rauscht durch die vollbesetzten Gänge, rotes Kostüm, hochgesteckte Gesine-Schwan-Locken. Sie setzt sich auf den letzten freien Platz, entschuldigt sich freundlich für die Verspätung, nach links, rechts, vorne und hinten. "Total mit Rita Süssmuth verquatscht." Der Flieger rollt los, Schwan schiebt eine randlose Brille auf ihre Nase, zieht einen Stapel Papier aus ihrer Handtasche, einen Stift, und beginnt, schnelle Notizen zu machen. Die Maschine hebt ab und rumpelt durch die graue Wolkendecke. Gesine Schwan blickt auf. Entsetzter Blick zum rechten Sitznachbarn: "Sagen Sie, wir fliegen schon nach München, oder?"

Laura Hertreiter

SZ vom 12. Dezember 2014

Mitten in Absurdistan Paris, dpa

Quelle: dpa

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Mitten in ... Paris

Man hört sie um drei Ecken, wohlig wabert der Klang der Stimmen über den Gang der Metro-Station. Je näher man kommt, desto mehr Instrumente nimmt man wahr: Gitarre und Kontrabass, Akkordeon, Zymbal, Klarinette. Jeden Tag spielen die sieben Männer von Cabaret Slave im Pariser Untergrund auf, am liebsten in den weitläufigen Katakomben von Concorde oder Châtelet, den größten Umschlagplätzen. Sieben Mann brauchen viel Platz und sehr viele Mitmenschen, die ab und an eine Münze übrig haben. Nun stimmen sie "Kalinka" an, den russischen Gassenhauer. Wir bleiben stehen. Fjodor, der achte Mann, bietet eine CD an: "20 Euro für 20 Chansons, sehr billig." Radebrechend erklärt Fjodor, sie hätten früher viel mehr russische Weisen gespielt. "Nicht mehr! Denn wir sind aus Ukraine, Sie verstehen?" Oh ja. Wir verstehen.

Christian Wernicke

SZ vom 12. Dezember 2014

buenosaires

Quelle: oh

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Mitten in ... Buenos Aires

Man darf das nicht persönlich nehmen, es ist alles gut gemeint. Argentinier gehören zu den freundlichsten Menschen der Welt und sind in dieser Beziehung trotz gelegentlicher Finanzprobleme als Vorbild zu betrachten. Angesprochen wird man in der Regel als wahlweise "loco", das heißt Verrückter. Oder "flaco", Schmaler. Oder "boludo", Trottel. Manchmal ist das sogar zutreffend. Unser Sohn wiederum wird gewöhnlich "gordo" genannt, Dicker, obwohl er wie seine Mutter flaco ist. "Che, y el gordo?" Hey, was macht der Kleine? Oder: "Braucht der Dicke einen Kinderstuhl?", fragt die nette Bedienung. "Gordo" ist der Kosename für Kinder. Manchmal auch für Erwachsene, als "la gorda" gerne für Ehefrauen. Wir werden das vermissen im Norden. Denn bald verabschieden sich die dicken schmalen verrückten Trottel aus Buenos Aires.

Peter Burghardt

SZ vom 5. Dezember 2014

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Quelle: Imago Stock&People

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Mitten in ... München

Den Freddy kenne ich noch aus der Schule, danach haben sich unsere Wege nie wirklich getrennt. Nur bewältigen wir sie mittlerweile sehr unterschiedlich: ich mit Schuhen, er ohne. Er geht barfuß auf Partys, spielt barfuß Trompete, hat barfuß geheiratet. Sommers radeln wir die gleiche Strecke zur Arbeit. Seit einigen, eigentlich sehr vielen Wochen aber nehme ich das Wetter als billige Entschuldigung, um mit dem Auto zu fahren. Natürlich fühle ich bei jedem Tritt aufs Gas CO₂-Schuld. So auch an diesem Morgen, an dem ich den Freddy in der Kälte strampeln sehe. "Wenn es jetzt noch kälter wird, kann ich dich mitnehmen", rufe ich ihm durchs geöffnete Autofenster zu. Er winkt ab: "Wenn es jetzt noch kälter wird, zieh ich mir halt Schuhe an." Niemand kann beschuhten Autofahrern ein so schlechtes Gewissen machen wie ein Barfußradler.

Martin Wittmann

SZ vom 5. Dezember 2014

Nguyen Phu Trong

Quelle: AP

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Mitten in ... Moskau

Der Weihnachtsmarkt müht sich redlich, etwas Wärme auf den Roten Platz zu bringen. Ist aber schwierig. Das Thermometer zeigt minus zwölf Grad, der Wind weht eisig, der Rubel fällt, das Visum läuft bald ab. Gegenüber von Eislaufbahn und Budenzauber: Stalins Grab. Tiefgefroren vor der Kremlmauer. Soll man nun am Weihnachtsmarkt einen Punsch trinken gehen? Oder runter, ins Lenin-Mausoleum? Neben Stalin jedenfalls ist's deutlich zu kalt. Zusammen mit ein paar alten Russen zwängt sich der Besucher durch die Einlasskontrolle. Ein erster Uniformierter mahnt zum Warten. Oh, wie kalt. Ein zweiter zieht ihm die Mütze vom Kopf. So kalt. Der dritte befiehlt ihm, die Hände aus der Jacke zu nehmen. Brrr. Dann: Lenin, einbalsamiert. Temperatur: Plus sieben Grad. Hier kann man sich aufwärmen. Eine echte Empfehlung: Lenin statt Punsch.

Martin Zips

SZ vom 5. Dezember 2014

Restaurant "Orangha" in München, 2013

Quelle: Robert Haas

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Mitten in ... Berlin

Elternabend. In Deutschland der Ort, an dem Detailfragen (Wann geht die Tigerenten-Gruppe raus, welcher Vater macht dieses Jahr den Weihnachtsmann?) stets in Grundsatzdiskussionen über Erziehung ausarten, die nicht unter vier Stunden dauern. Während man also wieder zu zwanzigst im Stuhlkreis auf Kinderhockern hin und her rutscht und hofft, dass man den Abend diesmal halbwegs schmerzlos übersteht, kommt in der kleinen Kindertagesstätte in Berlin-Charlottenburg eine Französisch sprechende Mutter an. Sie stellt zwei Flaschen Rotwein zwischen die Teller mit den Biokeksen und erläutert die Herkunft von einem Weingut in Languedoc-Roussillon. Dann öffnet sie die beiden Flaschen und sagt: "Eine ist für euch, eine für mich." Französische Mütter haben den deutschen einfach in so vielen Dingen etwas voraus.

Verena Mayer

SZ vom 5. Dezember 2014

65. Geburtstag Niki Lauda

Quelle: dpa

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Mitten in ... Iguala

Wer einsteigt, wird erst mal abgetastet. Auf Waffen. Es geht von Chilpancingo nach Iguala in Mexiko, wo kürzlich Studenten und weitere Zivilisten von Polizisten und Rauschgiftdealern massakriert wurden. Auch sie fuhren mit so einem Bus, und natürlich ist einem das Thema während so einer Fahrt in Gedanken stets präsent. Und was kommt jetzt? Ein Horrorfilm? Auf den Bildschirmen mexikanischer Busse wird gerne sehr laute Action gezeigt, aber auf der Fahrt in diese aktuelle Zentrale des Drogenkrieges sieht man: "Rush". Den Film über Niki Lauda, gespielt von Daniel Brühl. Der Fahrer nimmt die Kurvenstraße durch Schluchten, vorbei an Rapsfeldern und Armeekontrollen; die gewöhnliche Strecke blockieren Demonstranten. Zwischendurch der Blick auf den Fernseher: Gerade verbrennt sich Lauda/Brühl bei seinem Unfall das Gesicht.

Peter Burghardt

SZ vom 28. November 2014

Karwendel, Gebirge, Alpen

Quelle: Reuter

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Mitten in ... Mittenwald

Aufstieg von Mittenwald zur westlichen Karwendelspitze, Stunde vier. Neben unserer Herrengruppe rastet eine schöne Frau und leiht sich die Karte aus. Sie stammt aus Brasilien, erzählt sie, und ist erstmals in Bayerns Bergen, "wonderful". Da klingelt ihr Handy. Sie spricht hinein: "Hallo? Oh, my baby! Wo bist du? Aha, aha. Dein armer Kopf. Nein, ruh dich doch aus . . . das macht doch nichts." Ihr Freund. Er wollte mit ihr auf den Berg, fand sich aber in der Früh nicht wie verabredet an der Talstation ein. Also ging sie allein. Offenbar ist er am Vorabend im Kreise der Kumpane so böse versackt, dass er nicht transportfähig ist. Die gestammelten Entschuldigungen beendet sie mit den Worten: "Ich denke einfach an dich, sweetheart." Und geht frohgemut weiter. Wir sehen uns an: Die absolut verständnisvolle Frau, ja, es gibt sie wirklich.

Joachim Käppner

SZ vom 28. November 2014

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Quelle: Jürgen Schmieder

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Mitten in ... Los Angeles

Es schneit niemals in Südkalifornien, klar. Der örtliche Wetterdienst hat kürzlich eine Kaltwetterwarnung herausgegeben - weil das Thermometer weniger als zehn Grad angezeigt hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Menschen auf die Freuden verzichten müssen, für die nur Schneeflocken sorgen können. Südlich des Flughafens wird am Strand seit vielen Jahren im November ein zehn Meter hoher und 40 Meter langer Sandwall aufgeschüttet. Offiziell, damit bei einem Unwetter (nun ja) die Wellen gebremst werden. Doch stattdessen packen Kinder ihre Surfbretter, Bodyboards oder auch Deckel von Mülleimern und rodeln hinunter. Sitzend, liegend, gerne stehend: In Los Angeles nennen sie das "Wintersport". Die Rodler sind dann allerdings verwundert, dass eine deutsche Familie unbedingt eine Sprungschanze bauen will. Tja: Kalifornier eben.

Jürgen Schmieder

SZ vom 28. November 2014

A young baseball fan makes sure there's not a kernel of popcorn left as she watches the Cubs play the Diamondbacks during their MLB National League baseball game in Phoenix

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... München

Den ganzen Tag lang kaum etwas gegessen. Deshalb biege ich vor dem Kinobesuch schnell noch einmal ab, kaufe mir eine Butterbreze. Im Multiplex eröffnet mir ein Ordner nach einer Rucksackinspektion allerdings unwirsch, mit dem fremden Essen könne ich nicht in den Saal. "Wir sind ein gastronomischer Betrieb", lautet seine Erklärung. Meinen Wutanfall ignoriert er gekonnt. Also ab in eine Schamecke neben dem Einlass, die Breze reingestopft, sehr befriedigend. Grummelnd in den vollen Saal gesetzt. Links von mir: Nacho-Mampfer mit stinkender Sauce. Rechts: knisternde Popcorn-Konsumenten. Und direkt hinter mir ein Gast, der - wenn er nicht gerade klirrende Bierflaschen aus seiner Plastiktüte rausraschelt - ständig nach Nüssen wühlt, die er lautstark entkernt. Aber was beklage ich mich? Ist ja ein gastronomischer Betrieb.

Milan Pavlovic

SZ vom 28. November 2014

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Quelle: Johan Ordonez/AFP

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Mitten in ... Santa Elena

Ein Busbahnhof in Guatemala. Nirgendwo Touristen, dafür überall Polizisten, die an provisorisch hingebauten Ständen die Aufmerksamkeit der Tortilla-Verkäuferinnen suchen. Einer mit Maschinengewehr verlässt den Posten vor dem Geldautomat, raus aus der Mittagssonne, hin zu den Frauen. Mittag, das heißt Stillstand. Der Bus kommt wohl erst in drei bis fünf Stunden. Macht etwa 150 Seiten Jonathan Franzen und ein paar Zigaretten. Ich drehe gerade die dritte, als plötzlich ein Polizist vor mir steht und etwas von "marihuana" murmelt. Er sieht nicht gerade antiautoritär aus. Angst pocht in meiner Brust, ich schmeiße die Zigarette weg, halte ihm den Tabak ins Gesicht, alles ein Missverständnis, rufe ich, nur Tabak, wirklich, in Alemania raucht man das so. Der Polizist lacht: "Ich dachte nur, dass wir zusammen einen rauchen."

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 21. November 2014

Matthew McConaughey

Quelle: AP

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Mitten in ... München

Ist die Gravitation wirklich eine geometrische Eigenschaft der gekrümmten vierdimensionalen Raumzeit? Kann ein bemanntes Raumschiff durch ein Wurmloch fliegen? Gibt es intelligentes außerirdisches Leben? Das sind Fragen, die man gerne mal in Ruhe mit Stephen Hawking besprechen würde - aber nicht so gerne mit seinem Sitznachbarn im Kino. Doch Filme wie "Interstellar" ziehen Nerds an wie ein Schwarzes Loch die Materie. Die Sitzreihen um einen herum sind voll besetzt mit Ingenieuren, Physikstudenten und anderen Besserwissern, die während des Films ununterbrochen über die wissenschaftliche Korrektheit der Story debattieren. Wenn Wurmlöcher tatsächlich existieren - könnten diese Nervensägen dann bitte darin verschwinden und in einer anderen Dimension weiter fachsimpeln? Nein, geht leider nicht. Total unrealistisch.

Titus Arnu

SZ vom 21. November 2014

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Kairo

Kairo hat kaum Grün oder Platz zur Erholung. Ägypter, die es sich leisten können, verbringen ihre Freizeit also in Clubs - großen Sportanlagen mit Restaurants und Cafés, die fürstliche Beiträge nehmen. Im Stadtteil Doqqi liegt der prestigeträchtige Shooting Club, gegründet 1938 durch königliches Dekret. Hier kann man unüberhörbar dem Schießsport frönen. Paff, Paff! Dann prasseln Schrotkügelchen auf die Blechdächer, die dem Parkplatz Schatten spenden. Tontaubenschießen, denkt man. "Shooting area", sagt der Mitarbeiter und führt aufs Gelände, das an ein Grillrestaurant grenzt. Der Schütze legt an. Paff, Paff! Es zerspringt aber kein Ton - stattdessen fällt eine Taube flatternd zu Boden. Ob er die Vögel brate, will man vom Kellner wissen; Taube gegrillt gehört hier zu den Spezialitäten. Sein perplexer Blick heißt wohl eher: nein.

Paul-Anton Krüger

SZ vom 21. November 2014

Bettlerin im Weihnachtstrubel

Quelle: Gero Breloer/dpa

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Mitten in ... Berlin

Die Frau ist ein medizinisches Wunder. Seit fünf Jahren sitzt sie mit ihrem Akkordeon auf der Friedrichsbrücke, die zur Museumsinsel führt, bei null Grad im Winter und bei 30 Grad im Sommer. Immer sitzt sie auf einem Campingstuhl in Brückenmitte, um acht, 14 und um 19 Uhr, lächelt, spielt. Und zwar: Seit fünf Jahren dasselbe Lied. Es macht mich wahnsinnig. Ich kann es summen, aber der Titel will mir nicht einfallen. Einmal habe ich ihr Akkordeonspiel aufgenommen mit dem Handy und habe den Walzer 20 Leuten vorgespielt. Alle kannten das Lied, niemand dessen Titel. Vor ein paar Tagen steige ich vom Rad und gehe auf die Frau zu. "Seit fünf Jahren spielen Sie das Lied. Wie heißt es?" Die Frau, eine Rumänin, reißt die Augen auf - und korrigiert mich: "Seit fünf Jahren? Seit sechs Jahren spiele ich das Lied!" Und, wie heißt es? "Weiß nicht."

Thorsten Schmitz

SZ vom 21. November 2014

Vogelschau

Quelle: DAH

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Mitten in ... Istanbul

Mein Zeitungshändler hat einen Kakadu, in einem Käfig neben der Kasse. Jüngst stand der Mann vor seinem Laden und stocherte mit einem Besen in die Luft. Der Vogel saß auf einen Baum. Nun gibt es in Istanbul ziemlich viele Straßenkatzen, denen fast nichts entgeht. Schon spurtete ein getigertes Exemplar den Baumstamm hinauf. Der Kakadu, sofort panisch, flatterte auf die andere Straßenseite auf einen noch höheren Ast. Besenschwingend hechtete der Händler hinterher, nicht auf die hupenden Autos achtend. Dann nahm der Mann, was er fand, um nach oben zu gelangen: einen Einkaufswagen, Obstkisten, Bretter. Die Zuschauer fürchteten schon mehr um das Leben des Mannes als um das des Vogels. Alles ging gut. Jetzt hört man im Laden wieder das Liebesgeflüster der beiden: Geligeli, sagt der Händler. Krkr, antwortet der Kakadu.

Christiane Schlötzer

SZ vom 13. November 2014

Dinner for one Szenenfotos

Quelle: NDR/Annemarie Aldag

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Mitten in ... Buenos Aires

Der Kellner von "Dinner for one" ist weg. Ich schwöre es, er bediente bis vor Kurzem in einem unserer Lieblingslokale in Buenos Aires. Restaurant Hermann, Avenida Santa Fe, Ecke Gurruchaga - im Stadtteil Palermo, gegenüber vom Botanischen Garten. Er sah aus wie Freddie Frinton und bewegte sich auch so. Zu den wenigen Unterschieden gehörte der Umstand, dass er zur schwarzen Fliege ein weißes Jackett trug, spanisch sprach und meist mehr Gäste versorgte als Miss Sophie. Außerdem schlurfte er über einen Boden ohne Tigerfell. Gegen Mitternacht setzte sich der argentinische Butler an einen Tisch und trank gemütlich Rotwein und Cola. Er war noch deutlich älter als die Kneipe, was etwas heißen will. Jetzt ist er verschwunden, hoffentlich in Pension. Zurück bleiben die Poster von Neuschwanstein und vom Bodensee an der Wand.

Peter Burghardt

SZ vom 13. November 2014

Shopping in Berlin

Quelle: dpa

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Mitten in ... Frankfurt

U-Bahn-Station Dom/Römer, später Abend. Zwei Damen, beide nicht mehr die Jüngsten und schwer bepackt, erklimmen die teuflisch hohen Treppen. Es wird geschnauft. Vier junge Männer, deren Familien aus Ländern stammen, in denen das Meer warm und die Olivenbäume alt sind, nehmen die Stiegen im Laufschritt. Und haben noch genug Luft für lautstarke Konversation. Zu ihren harmlosesten Äußerungen zählt noch, dass sie den Deutschen am liebsten die Ohren abschneiden würden. Die Damen schauen sorgenvoll. Dann sind die Teenager verschwunden. Zum Glück. Getrappel auf der Treppe, die vier kommen zurück. Niemand sonst ist in der Nähe. Eine Dame zückt schon ihr Handy. Die Kerle sind zu allem fähig. Stimmt, das sind sie: "Wir tragen euch die Taschen hoch", sagt einer. "Unsere Omas würden das allein auch nicht schaffen."

Susanne Höll

SZ vom 13. November 2014

Tabletten

Quelle: Emily Wabitsch/dpa

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Mitten in ... Zürich

Vor einigen Tagen lag eine unspektakuläre Schachtel in meinem Briefkasten. Sollte das Kernkraftwerk Beznau, vierzig Kilometer entfernt, angegriffen werden oder spontan in Flammen aufgehen, kann sie mein Leben retten. Die zwölf Kaliumiodidtabletten, geschickt von der Schweizer Armee, schützen die Schilddrüse vor radioaktivem Iod. Fünf Millionen Schweizer erhalten gerade eine Packung. Vor Fukushima bekamen nur jene Tabletten, die bis zu 20 Kilometer von einem Kraftwerk entfernt wohnen. Nun ist der Radius 50 Kilometer groß. Die Pillen sind gratis und kommen mit strikten Auflagen: Ich darf sie erst nehmen, wenn mit Sirenen oder über Radio dazu aufgefordert wird. Am nächsten Tag ein weiterer Brief, der in panischem Ton vor Atom-Unfällen warnt. Was das soll? Eine gut platzierte PR-Aktion von Greenpeace. Das Ende ist nah.

Charlotte Theile

SZ vom 13. November 2014

Tag der offenen Tür in Stasi-Gedenkstätte

Quelle: dpa

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Mitten in ... Washington

Es klopft. Vor der Tür steht das mexikanische Zimmermädchen mit einem Stapel eingeschweißter dicker Seiten. Ob wir denn schon das neue Hotelverzeichnis hätten, will es wissen. Ja, haben wir, danke auch. Aber da wir schon so freundlich gefragt werden, nehmen wir es gleich zur Hand, blättern zwischen Frühstückszeiten, Room- und Babysittingservice, Notfallnummern, Wäsche-Abholdienst, Restaurantempfehlungen und U-Bahn-Fahrplänen. Ganz hinten sind die Listen mit den Internationalen Telefonvorwahlen. Und was steht da zwischen Gabon und Greece? Die German Democratic Republic (East), mit korrekter Vorwahl, also der 37. Gleich darunter die Federal Republic (West) Germany, Vorwahl 49. Mag die DDR auch vor einem Vierteljahrhundert untergegangen sein, hier in der Hauptstadt des Kapitalismus existiert sie weiter, frisch gedruckt.

Viola Schenz

SZ vom 7. November 2014

Kettensäge

Quelle: iStockphoto

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Mitten in ... Derbyshire

Die Herbstsonne taucht das Chatsworth House in goldenen Nachmittagsschein. Das barocke Herrenhaus in Derbyshire in England ist voll mit Kunstwerken, Himmelbetten und Silberservicen, draußen im Park plätschert ein künstlicher Wasserfall. Dieses Landschloss ist der Inbegriff englischer Hochherrschaftlichkeit, schließlich wurde es einst in Erwartung des Besuchs von König William III. gebaut, der aber leider nie kam. Heute kommen dafür Touristen, gefühlte 70 Prozent davon aus China, die saftige Eintrittspreise zahlen, um etwas vom Abglanz alten Adels abzubekommen. Doch plötzlich durchbricht den Vogelsang im Park das Kreischen einer Kettensäge, vermischt mit dem Kreischen einer Frau in Todesangst. Was nach Notfall klingt, stellt sich als Lautsprechertest für eine Halloween-Party am Abend heraus. Der Duke of Devonshire muss eben sehen, wie er sein Landhaus finanziert - und wenn's ein Chatsworth Chainsaw Massacre ist.

Alexander Menden

SZ vom 7. November 2014

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Quelle: Stephan Rumpf

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Mitten in ... Stuttgart

Hallo Stuttgart, hier ist der Neue! Ich versuche, mich den Nachbarn vorzustellen. An vier Türen geklingelt, keine Antwort. An der fünften und letzten Tür auf meiner Etage werde ich von einem schwenkbaren Spion abgetastet; dann höre ich einen tiefen Seufzer, und Schritte, die sich schlurfend entfernen. Am nächsten Morgen werfe ich die Tür zur eigenen Wohnung zu, von außen, beide Schlüssel drinnen. Der Mann vom Schlüsseldienst heißt Attila, ein Hüne. Er blickt sich grimmig um, knetet seine Pranken, holt Hammer und Winkeleisen aus dem Werkzeugkasten. Zwei Schläge genügen. Vom vereinbarten Preis lasst er mir 20 Euro nach, tief befriedigt vom Öffnen einer dieser soliden schwäbischen Türen. Neu in Stuttgart, und allein? Ich nicke. Er könne mir Orte in dieser Stadt zeigen, brummt Attila, wo Männern alle Türe offen stehen.

Josef Kelnberger

SZ vom 7. November 2014

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Quelle: Kesu - Fotolia

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Mitten in ... New York

Kann Fast Food gesund und ökologisch korrekt sein? Scheint so. Eine New Yorker Schnellrestaurant-Kette hat sich auf Bioprodukte spezialisiert, die meisten Zutaten stammen angeblich aus der Region. Es gibt Vollkorn-Croissants, aufgeschäumte Sojamilch und vegane Burger. Auf Wunsch sind die Speisen fast frei von allem. Laktosefrei. Glutenfrei. Fleischfrei. Cholesterinfrei. Zuckerfrei. Nur nicht plastikfrei. Das Sandwich wird dick umwickelt, erst mit Papier, zusätzlich Alufolie zum Warmhalten, und dann alles rein in eine Plastiktüte. Dazu noch Plastikbesteck. Wie passt das zum Superfrisch-Alles-Bio-Konzept? Jetzt bloß nicht den Öko-Besserwisser raushängen lassen. Lieber frage ich höflich: "Kann ich das bitte auf einem Teller haben?" Verblüffter Blick, professionelle Reaktion: "Kein Problem, Sir." Der Verkäufer reicht mir einen Teller. Er ist aus Plastik.

Titus Arnu

SZ vom 7. November 2014

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