Mitten in Absurdistan:Las Vegas, die alte Hexe

Am Spieltisch in Vegas rutscht einem Mann der Verstand in die Hose. Und in Brüssel macht ein katastrophaler Haarschnitt am meisten Spaß.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt

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Las Vegas USA

Quelle: Marc Felix Serrao

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Mitten in ... Las Vegas

Der Nachbar am Roulettetisch hat eine Glückssträhne. Zwei Mal hintereinander kommt die grüne Doppelnull; ein Feld, das es in Europa nicht gibt und das den Vorteil der Bank erhöht. Der Amerikaner aber hat beide Male einen Haufen Jetons auf eben dieses Feld gesetzt und sitzt nun vor etwa 20 000 Dollar. Er brüllt. Die anderen Spieler brüllen. Dann trinken wir. Als ich ihm gerade raten will, JETZT aufzustehen und zu gehen, tauchen zwei sehr schöne Frauen mit sehr kurzen Röcken auf und haken sich bei ihm unter. Was folgt, hätte sich Hunter S. Thompson nicht besser ausdenken können. Die Ladies flüstern dem Mann ins Ohr, er lacht. Eine der Beiden streicht ihm durchs Haar, dann setzt er. 20 Jetons zu je 1000 Dollar. Alle auf die Doppelnull. 15 Sekunden später ist es vorbei. Keiner brüllt. Nur Vegas, die alte Hexe, lächelt böse vor sich hin.

Marc Felix Serrao

SZ vom 18. September 2015

Frisuren-Trends für Herbst und Winter 2014

Quelle: dpa

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Mitten in ... Brüssel

Es ist viel los in Brüssel, kaum Zeit zum Essen, Nachdenken, schon gar nicht zum Haareschneiden. Aber irgendwann muss es eben sein. Also ab in den Salon um die Ecke, in einer Seitenstraße im Europaviertel. Er heißt: Hair France. Das ist, hinter "Vorhair-Nachhair", der neue Platz zwei auf meiner Friseursalonlieblingsnamenliste. Zumal die charmante Chefin namens France wirklich aus Frankreich kommt. Drinnen stinkt es nach Rauch. Kollegin Stella macht sich ans Werk. Sie schwärmt von ihren Kunden - EU-Beamte, Politiker, Journalisten, Künstler -, dann kommt sie auf die Musik. Sie erzählt von dem Chansonnier, den sie liebt, von der Musikkneipe in Ixelles. Sie hat so viel Verve, dass plötzlich alle im Salon mitplappern wollen. Man dreht den Kopf und wippt im Stuhl. Der Haarschnitt ist eine Katastrophe. Aber ich komme wieder.

Thomas Kirchner

SZ vom 18. September 2015

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Quelle: Stephan Rumpf

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Mitten in ... Moskau

Der Sportkomplex Olimpijski ist die größte Sporthalle Europas, aber nicht mehr die neuste. Als sie bei den Olympischen Spielen 1980 eröffnet wurde, waren Architektur und Technik der letzte Schrei. In 35 Jahren sind die Treppen durchgelatscht und die Wände angegilbt, also die passende Kulisse für ein Metallica-Konzert. Die Band gibt es ja fast genau so lange und ein bisschen haben die Herren auch schon Federn gelassen. In vielen Stadien gibt es heute kein Bier mehr, wenn 30 000 Besoffene zusammengesperrt werden, kann das schlecht ausgehen. Im Olimpijski dagegen gießen ältere Damen in Schürzen Cognac, Whiskey und Wodka und Plastikbecher. "Bier gibt's bei uns schon zehn Jahre nicht mehr", erklärt eine. "Wahrscheinlich, damit die Leute das teure Zeug hier kaufen." Der Abend verläuft friedlich. Trotz Begleitung an der Schnapsorgel.

Julian Hans

SZ vom 18. September 2015

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Flensburg

In Langballig an der Flensburger Förde kriegen Kinder noch etwas geboten für das Geld ihrer Eltern: Am Hafen drei Fahrten für einen Euro in einem schlingernden Mini-Betonmischer - der Traum eines Dreijährigen. Vorm Supermarkt steht auch so ein Ding, ein Pferd. Aber man bräuchte D-Mark-Münzen, um es zu füttern; Euros passen nicht in den Schlitz. Meist ignoriert mein Sohn das Tier, hin und wieder steigt er aber doch auf. Eines Tages kommt ein anderer Junge auf ihn zu: "Ich verrate Dir jetzt mal einen Trick", sagt er und fingert in ein Loch an der Apparatur - der Gaul legt so heftig los, dass der Reiter fast herunterfällt. Für lau! Der Marktleiter hat den Stecker nie gezogen, obwohl das Gerät nichts einbringt, zumindest nichts Bares. Andererseits muss das Tier auch nicht oft galoppieren. Man sollte schon was von Pferden verstehen.

Stefan Fischer

SZ vom 18. September 2015

Burgtheater an der Ringstraße in Wien

Quelle: dpa

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Mitten in ... Wien

Saisonauftakt im Burgtheater, das gerade zum "Theater des Jahres" gekürt wurde. Großer Auftrieb, der Kulturminister ist da, Prominenz, der eine oder andere Adabei natürlich auch. Auf dem Programm: Gogols "Revisor". Vor der Burg steht ein eleganter Herr, Einstecktuch aus Seide, genähte Schuhe, dem Aussehen nach 19. Bezirk, Villenviertel, alter Adel oder altes Geld. Man höre ja, erklärt er den Umstehenden voller Emphase, dass man sich diesmal endlich wieder auf einen "echten Text" freuen dürfe. "Selten genug ist das ja", sekundiert eine alte Dame, Silberhaar, Silberschuhe. Der "Revisor" dauert knapp fünf Stunden. In der zweiten Pause sieht man den eleganten Herren wieder im Freien. Er trägt Mantel, obwohl es draußen noch sommerlich warm ist, schaut sich vorsichtig um und schnürt dann eilig davon. War wohl doch etwas zu viel Text.

Cathrin Kahlweit

SZ vom 11. September 2015

Service-Center von "Call a Bike" in München, 2015

Quelle: Florian Peljak

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Mitten in ... Lübeck

Lübeck, Hauptbahnhof. Hier könne man sich, heißt es, bei "Call-a-bike" ein Fahrrad mieten. Tatsächlich, da stehen sie: vier in einer Reihe. Zuerst muss man sich registrieren lassen. Geht ganz schnell, sagt die nette Stimme am Telefon. Name, Geburtsdatum, E-Mail-Adresse, Kreditkartennummer. "Jetzt schauen Sie mal auf das Kästchen am Hinterrad, da steht eine vierstellige Zahl." Jawohl: 6137. Es macht klick-klick im Telefon: "Dieses Bike hat leider einen technischen Defekt." Also das nächste. 1569. Klick-klick: "Leider hat auch dieses . . ." Das dritte: 7213. "Das tut mir jetzt wirklich leid . . ." Schon gut. Das vierte und letzte. Es scheint zu klappen. Ein Riegel springt auf. Aber, was ist das? Das Vorderrad ist auch noch an das Fahrrad daneben angeschlossen. Ich sage: "Ich nehme jetzt ein Taxi." "Ja", sagt die nette Stimme, hörbar erleichtert.

Hans Holzhaider

SZ vom 11. September 2015

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Bisha

Flug IY 650, Yemenia von Sanaa nach Amman. Ein Airbus 310-300, seit Januar 1991 im Dienst. Die Piloten fliegen noch per Seilzug und Steuerstange. Die Jemenitin im Nachbarsitz krallt ihre Finger in die Armlehne. Stoßseufzer entfahren ihr bei jedem Wackler zwischen geflüsterten Koransuren. "Misch muschkila", beruhige ich, kein Problem. Der Pilot setzt an zur obligatorischen Zwischenlandung in Bisha, Saudi-Arabien. Hier wird der Flieger gefilzt. Klack, klack, das Fahrwerk klappt ein, der Pilot startet durch. Zu viel Seitenwind. Eine Platzrunde im Tiefstflug. Man kann Verkehrsschilder lesen. Zweiter Anlauf. Die Maschine setzt hart auf. Die Cockpit-Tür fliegt auf. Der Kopilot klopft seinem Chef auf die Schulter. "Misch muschkila", sagt jetzt der Steward. Ähm, ja . . . Die Jemenitin nickt. Sie hat wohl Vertrauen ins Fliegen gefasst.

Paul-Anton Krüger

SZ vom 11. September 2015

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Quelle: Menden

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Mitten in ... Lajatico

Das Toskana-Dörfchen Lajatico wäre wenig bemerkenswert, wäre hier nicht der blinde Pop-Tenor Andrea Bocelli zur Welt gekommen. An den Häusern prangen Bilder von ihm, einmal jährlich singt er im nahen Teatro del Silenzio. Aber auf das interessanteste Kunstwerk muss der Diakon in der Kirche San Leonardo eigens hinweisen: Die Wand hinter der Chorempore hat der Maler Paolo Maiani mit einem Fresko geschmückt, das die Heilung des Blinden durch Christus zeigt. "Sehen sie den Blinden? Das ist Andrea Bocelli!", sagt der Diakon, selbstverständlich stolz. Ursprünglich habe die Gestalt Jesus angeschaut, erklärt er. "Aber das hat Andreas Mutter nicht gefallen. Also hat der Künstler eine Augenbinde drüber gemalt." Das Mäzenatentum nach Renaissancefürstenart - in der Toskana wurde es geboren, hier lebt es bis heute weiter.

Alexander Menden

SZ vom 4. September 2015

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Quelle: Wittmann

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Mitten in ... Pralong

Dies ist die Geschichte von einem Fußballfan, der zum ersten Mal in seinem Leben einen Landespokal in die Höhe stemmte. Wenn auch nur den der Schweiz. Jedenfalls stand da nun, auf diesem Tisch im Festzelt inmitten der Walliser Alpen, die "Sandoz-Trophäe". Stolze Männer aus Sion hatten sie mitgebracht. Der FC Sion ist ein Fußballwunder: 13 Mal stand der Club im Finale, 13 Mal gewann er. Folglich setzten sich viele Einheimische an den Tisch, für ein Foto mit der Trophäe. Der Deutsche war der Einzige, der den 1925 geschmiedeten Pokal (Wert: 90 000 Franken) stilecht in die Hände nahm. Aber nur kurz. Besorgte Menschen eilten herbei, um ihm den Pokal wieder abzunehmen. Irgendwas musste passiert sein. Dies ist die Geschichte von einem Fußballfan, der zum letzten Mal in seinem Leben einen Landespokal in die Höhe stemmte.

Martin Wittmann

SZ vom 4. September 2015

Münchner S-Bahn

Quelle: Frank Leonhardt/dpa

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Mitten in ... München

Kontrolleure betreten die S-Bahn, die vom Flughafen in die Innenstadt fährt. Ein sehr junger Engländer entfernt pflichtbewusst seine Zunge aus dem Mund seiner Freundin und zeigt zwei Streifenkarten. Der Kontrolleur sieht gleich, dass auf der Karte der Freundin, die von der Insel ihren Freund besuchen kommt, ein Streifen mehr hätte entwertet werden müssen. Die Umsitzenden, geprägt durch Berichte über Bahnmitarbeiter, die Kinder aus Zügen werfen, freuen sich über die unerwartet nette Behandlung im klassischen Deutsche Bahn-Englisch: "No big problem. Next time you make better." Aufatmen. Bis, ja, bis der Kontrolleur ohne weiteren Grund nach den Ausweisen fragt, um dann einen Blick in nur einen der beiden britischen Pässe zu werfen. Er erklärt sich laut auf Deutsch: "Wollte mir mal noch das Foto von der süßen Kleinen angucken."

Johannes Boie

SZ vom 4. September 2015

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Quelle: Braun

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Mitten in ... Gardone Riviera

Vor Jahren hat der Multifunktionskünstler André Heller in Gardone Riviera am Gardasee einen botanischen Garten zum "Reich der Sinne" umbauen lassen. Seitdem stehen dort zwischen Bambusstangen und Teichen mit Koi-Karpfen auch Kunstwerke von Roy Liechtenstein, Keith Haring und natürlich von André Heller. In einer Ecke lugen aus dem exotischen Blätterwald Statuen aus Asien hervor, die hier sogar etwas schicker sind als die beliebten Varianten aus dem Baumarkt. Eine Mutter läuft mit ihrer wissbegierigen Tochter durch den Garten und erklärt der Kleinen voller Stolz alle Besonderheiten. Sie deutet auf eine Buddha-Figur, die mit zusammengefalteten Händen meditiert: "Und das ist Shiva." Als die Mutter den Dutt der Statue bemerkt, gerät sie aber ins Grübeln. Dann fällt es ihr ein: "Ach nein, das ist Frau Buddha."

Fabrice Braun

SZ vom 4. September 2015

A street musician plays the accordion in front of a closed store in central Athens

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Porto

Blaue Stunde am Cais de Ribeira, der Uferpromenade von Porto, unweit der 45 Meter hohen Dom-Luis-Stahlbrücke über den Fluss Douro. Hier drängen sich die Menschen, zwischendrin im Schritttempo ein silbergrauer Mercedes-Kombi mit Berliner Kennzeichen. Pflichtgemäß schämt man sich für seine deutschen Landsleute, die als Touristen überall mit dem Auto hinwollen. Der Berliner parkt vor einem der vielen Straßencafés. Ein etwas verbraucht aussehender Mann steigt aus, holt einen Kontrabass aus dem Kofferraum, während ein anderer, der Adriano Celentano mit Schmerbauch ähnelt, eine Tonanlage aufbaut. Berliner Musikanten, zum Geldverdienen nach Portugal gereist? "Nein, nein", sagt der Bassist in gebrochenem Deutsch, "sind von hier." Die Frage, warum er ein Berliner Nummernschild hat, versteht er dann nicht mehr.

Franz Kotteder

SZ vom 28. August 2015

Frau leckt Eis

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Düsseldorf

Die Menschen in der Düsseldorfer Innenstadt stehen mit ihren Einkaufstaschen vor einer Eisdiele, wo die durchschnittliche Wartezeit eine halbe Stunde beträgt. Ein paar Meter weiter liegt ein Mann auf dem Boden, eine Spritze im Unterarm. Ein paar Jugendliche stehen daneben, mit verzweifelten Gesichtern. Der eine hat gerade den Krankenwagen angerufen, die anderen diskutieren, was man jetzt noch tun könnte. Daneben eine Gruppe Menschen, die an ihrem Eis lecken. "Der ist tot", sagt ein Mann und schleckt an seinem Eis. "Nee, der zuckt noch", sagt die Frau daneben und schleckt an ihrem Eis. Eine ältere Frau kommt vorbei und sagt: "Sie können doch nicht Eis essen und den Menschen beim Sterben zuschauen!" Der Mann: "Ja, soll ich wegen dem mein Eis wegwerfen?" Deutschland ist manchmal im Sommer erschreckend kühl.

Bernd Dörries

SZ vom 28. August 2015

China's Arable Land Shrinks To 121.8 Million Hectares

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Peking

Unsere Gasse soll schöner werden. Im Nachbarschaftskomitee murmeln sie stolz, wir hätten das Zeug zu einem "Klein-Hongkong". Das ist so, als verkünde Oberammergau die Verwandlung seines Dorfplatzes in den New Yorker Times Square. Die Polizei überwacht schon mal den Abriss von Schwarzbauten: weg mit dem Obergeschoss des Lokals gegenüber, weg mit dem Vorbau, den sich das Rentnerpaar nebenan vor Jahren vor seine Hütte gezimmert hatte. Ein paar Tage sitzt der Mann betreten vor seiner Tür, wie eine Schnecke ohne Häuschen, den Blick gesenkt. Mit einem Mal tauchen vor seinen Füßen ein paar Ziegel auf, lose übereinander gelegt. Ein geblümeltes Tuch wird aufgespannt, dann eine Plastikplane. Ein Aquarium hier, ein paar Topfpflanzen da. Nach einer Woche hat sich das Paar seinen Raum zurückerobert.

Kai Strittmatter

SZ vom 28. August 2015

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Quelle: oh

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Mitten in ... Loro Ciuffenna

Ein heißer Morgen in der Toskana: Kennenlernen in der Ferienbetreuung beim Frühstück. Einige Familien sind schon länger da, für sie ist es bereits das zweite Treffen. Neben uns sitzt eine Mutter mit ihren drei Kindern. Die älteste Tochter - ihre beste Urlaubsbekannte ist gerade abgereist - fingert griesgrämig an einem dieser grässlich leblosen italienischen Milchbrötchen herum. Es dauert, bis die 16-Jährige sich aufrafft, ein Messer in die Hand zu nehmen. Weitere fünf Minuten später trennt sie das Teilchen endlich in zwei Teile. Dann stiert sie die Hälften an, eine kleine Ewigkeit lang. Die ganze Trostlosigkeit der kommenden Woche scheint sich in diesem Milchbrötchen zu spiegeln. Sieht aus wie eine Szene von Beckett. Was ist mit dem Kind? Die Mutter, patente Ostwestfälin, blickt kurz zum Nachwuchs und erklärt trocken: "Es hat Pubertät."

Milan Pavlovic

SZ vom 28. August 2015

Beirut Libanon

Quelle: Ronen Steinke

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Mitten in ... Beirut

Die letzte große arabische Diva funkelt wieder. Seit Neuestem lächelt sie von der Fassade eines achtstöckigen Gebäudes in Beiruts muslimischem Stadtteil Hamra herunter - die sagenumwobene Sängerin Sabah, bürgerlich Jeanette Gergis Al-Feghali. Die Ikone hat ein Graffiti-Künstler hingesprüht, und seitdem erzählen ältere Anwohner wieder öfter, wie in diesem Haus einst gefeiert wurde, vor dem libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990), als berühmte Poeten und Maler ins Horseshoe Café kamen. Und die Diva! Sieben Ehemänner hatte sie. Mehr als 3000 Songs sang sie. Ihre Outfits: zwischen Björk und Liberace. Die Suche nach dem nostalgischen Sprayer führt zu einem erst 23-Jährigen. Yazans Bart ist noch flaumig, er kennt die Diva nur aus Erzählungen. Zurzeit ist sie sein liebstes Motiv. Die Stadt habe viel gelitten, sagt er. "Sie schlecht zu bemalen wäre, als träte man eine alte Dame."

Ronen Steinke

SZ vom 21. August 2015

Italy Tuscany Magliano View of kitchen with dining table property released PUBLICATIONxINxGERxSUI

Quelle: imago/Westend61

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Mitten in ... Magliano

Ein Landgasthof in der Maremma, südliche Toskana: Die Zikaden singen so schrill und laut, dass man sich einen Moment lang einen Schwarm Wellensittiche wünscht. In der Gästewohnung mit Kochnische hängen die Hausregeln - auch auf Deutsch. Hotelbetreiber vertrauen ja gerne auf Übersetzungsprogramme im Internet: für Prospekte, Messingschilder, Menükarten. Man liest da zum Beispiel: "Gebrochen oder verloren Ausstattung vor der Kucke, wird belastet." Geht völlig in Ordnung, auch inhaltlich. Neckisch, fast schon etwas manieriert kommt allenfalls das wilde Komma daher. Dann ein Hoch auf den imperativen Infinitiv: "Die Wohnung bevor 12.00 an Euren Abreise tag zu verlassen." Komisch wirkt dann aber der missratene Aufruf zur alltäglichen Abfallentsorgung: "Der Mull in der Mulltonne tätlich bringen." Man hätte echt gerne eine erklärende Zeichnung dazu.

Oliver Meiler

SZ vom 21. August 2015

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Bayreuth

"Auch für Sie hab ich noch einen Blatz an der Sonne", empfängt die Klofrau im Keller des Bayreuther Festspielhauses die verschwitzte Besucherin. Wie bedeutend ein Opernhaus wirklich ist, entscheidet sich nicht auf der Bühne, sondern in den Pausen auf der Damentoilette. Langes Anstehen oder Schmirgelpapier können eine Premiere nachhaltiger verpatzen als ein knödelnder Tenor. Der Lokus im Wagner-Tempel von Bayreuth aber ist eine lustige Erste-Hilfe-Station. Dort bekommt frau ein Glas Wasser gereicht, als hätte sie eben selbst die Isolde gesungen. Auf einem Tischchen mit Plastikblume gibt es Bonbons, zwei Deoroller, Hygiene-Artikel auf Anfrage und im Katastrophenfall sogar Ersatzschlüpfer. Die fränkische Sanitärkraft näht auch geplatzte Roben wieder zusammen. In der zweiten Pause variiert sie einfühlsam ihren Text: "Für Sie hab ich noch einen Schattenblatz."

Jutta Czeguhn

SZ vom 21. August 2015

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Stockholm

Bisher fand man diese Stadt ja vor allem sehr sonnig und friedlich. Jetzt ist Stadtführung, ein Muss für Touristen. Peter Ehgartner heißt der Guide, ein netter, junger Schwede, halb Österreicher. Eigentlich studiert Peter Bioressourcenmanagement in Wien. "Da hinten wohnte der Henker", erzählt er. "Man schnitt ihm die Ohren ab, damit ihn jeder erkannte." Bioressourcenmanagement. "Und hier wurden die Männer beim Spießrutenlauf erstochen. Frauen wurden verbrannt oder lebendig begraben." Ach. "Auf diesem Platz haben die Dänen 80 Schweden enthauptet und dort haben sie beim Schlossbrand die Bücher aus dem Fenster geworfen. Einer bekam eins auf den Kopf. Hämatom. Tödlich." Als Bioressourcenmanager hat man sicher einen ganz eigenen Blick auf die Welt. Peter fragt: "Wo wohnt ihr denn?" Gleich auf den hohen Klippen von Södermalm! "Ah", sagt er. "Am Galgenberg."

Martin Zips

SZ vom 21. August 2015

Auto Familie

Quelle: dpa

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Mitten in ... Beule

Lange Autofahrten sind langweilig. Lange Autofahrten mit drei kleinen Kindern sind nicht langweilig. Sie sind das Fegefeuer, der Ort, an dem Gott einen prüft, ob man sich nicht doch noch an seiner Schöpfung versündigt. Was hilft: die Kinder ablenken mit Nummernschilder zählen. Und: schönen Ortsnamen. Wenn man zum Beispiel im strömenden Regen zuerst an Wisch und dann an Fernwisch vorbeifährt. "Hihi", machen die Kinder. Deutschlands Norden ist da nicht schlecht, der Süden fast noch besser. Wenn hinter Beule der Ort Vorderschweinhöf kommt, was vor Hinterschweinhöf liegt und man später den Hahnschenkel überquert. "Hehe", machen die Kinder. Am besten ist die Schweiz. Dabei wollten wir bloß nach Stansstad, was aber dankenswerterweise unweit vom Rotzberg liegt: "Höhö", machen die Kinder. Bei Rotzloch. Prust. Spuck. Brüll.

Kai Strittmatter

SZ vom 14. August 2015

A convenience store manager poses with a bag of M&M's candies and a pack of Wrigley Doublemint gum at his store in Medford

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Morgantown

Eine einsame Bretterbude an einer Landstraße in Kentucky, laut Schild ein Lebensmittelladen. An der Tür die zehn Gebote, eine Flinte und ein Zettel: "Die Frommen und Tapferen mögen eintreten". Die Hungrigen auch, hofft der Gast. Drinnen ist niemand zu sehen, man inspiziert also erst mal das Süßigkeiten-Sortiment. Aus dem Nirgendwo plötzlich eine Stimme: "Vierzig noch!" Am Boden hinter der Theke macht ein Herr mit langem, grauen Haar Liegestützen. Einhändig. "Zehn noch!" Als er aufspringt, liest man auf seinem T-Shirt: "Verwundet in Vietnam". Vor der Schokolinsen-Transaktion hat der Veteran noch ein paar Fragen: "Bist du getauft, junger Mann? Hast du deinem Land gedient, junger Mann?" Der alte Soldat legt seine Stirn in tiefe Falten. "Germany", brummt er, ein Mal, zwei Mal, drei Mal. Dann sagt er: "Ich war immer ein Fan von Willy Brandt."

Roman Deininger

SZ vom 14. August 2015

Hausmeisterin Christiane Hahn des Schwesternwohnheims der TU Klinikum rechts der Isar in der Trogerstr. 7

Quelle: Florian Peljak

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Mitten in ... Kairo

Niemand steigt in Kairo freiwillig Treppen, nicht im Sommer. So weist der Mitarbeiter in der Tiefgarage den Weg zum Lift. Wie viele Aufzüge hier wird auch dieser von einem Mann gesteuert, der nichts tut, als die Knöpfe zu drücken, die sonst die Benutzer betätigen. Wir stehen im zweiten Untergeschoss: -2: Auf dem Display kann man dem Lift beim Auf- und Abfahren zusehen. -4, -3, ah, jetzt sind wir dran. Neiiinn. Doch nicht. Das Wörtchen "Full" blinkt rot über der Zahl. G, ground floor, ist des Aufzugfahrers nächstes Ziel. -4. -3, full, G. So geht das fünf, sechs Mal. Da muss doch oben mal einer einsteigen, der in -2 parkt. Tatsächlich. Der Aufzug hält. Ein Mann zwängt sich heraus. "Full", sagt der Aufzugfahrer - und schließt die Tür. -4, -3, full ... Nach einer Viertelstunde nehmen wir die Treppe, nassgeschwitzt vom Warten. In der Garage ist es noch heißer als draußen.

Paul-Anton Krüger

SZ vom 14. August 2015

Aprilwetter

Quelle: dpa

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Mitten in ... Loro Ciuffenna

Sommerurlaube in Italien sind voller Standards: die absurde Hoffnung, die Qualität der Schnellstraßen könnte sich mal mit jener der Ameisen-Autobahnen messen; das naive Vertrauen in Verkehrsschilder; der aussichtslose Kampf gegen Mücken; das nervige nächtliche Gekläffe angeketteter Hunde. Da wollten die Hähne diesmal nicht nachstehen. In Umbrien kicherte die Familie über Gockel, die mittags verzweifelt gegen die Übermacht der Tölen ankämpften. In der Toskana wieherten wir über Hähne, die um 20 Uhr krähten. Diese Respektlosigkeit blieb nicht ungestraft. Um 3.45 Uhr löste ein fiepsiger Anfänger ein infernalisches vielstimmiges Konzert aus. Es endete erst kurz vor sechs Uhr morgens. Danach, die Sonne war noch nicht wirklich da, die Menschen aber waren wach, herrschte Stille. Offenbar war den Hähnen der Himmel auf den Kopf gefallen.

Milan Pavlovic

SZ vom 14. August 2015

A European lobster (Hommarus gammarus) is pictured in a breeding station at the Alfred-Wegener institute on the German island of Heligoland

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Aoshima

In Aoshima an der japanischen Pazifikküste kann man sehr schön Wellenreiten, und wenn gerade mal keine Wellen sind, dann kann man in den Flussmündungen Krebse fangen. An einem sehr heißen Nachmittag mit wenig Wellen stehen drei Japaner in Neoprenanzügen unter einer Brücke und fischen mit riesigen Keschern durch das Wasser. Auf der Brücke steht ein vierter Japaner und dirigiert die fischenden Surfer. Das sieht alles sehr professionell aus. Man nähert sich mit einem kennerhaften Blick und fragt: "Na, schon Hummer gefangen?" Der Japaner schüttelt den Kopf, lacht und sagt, man suche nach etwas anderem, nach etwas, das er als "PeeeCeee" beschreibt. Ist das vielleicht so etwas wie ein Kugelfisch? "Nein", sagt der Japaner, es handele sich einfach um einen Computer, der gestern bei einem Streit über die Brücke geworfen wurde.

Bernd Dörries

SZ vom 7. August 2015

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Quelle: AP

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Mitten in ... Berlin

Der Nachbar begrüßt die Berliner Familie, die gerade aus dem Urlaub zurückkommt, mit der Nachricht, dass es zu Ferienbeginn sehr heiß war und dass in alle Keller des Hauses eingebrochen wurde. Und dass die Polizei sagte, die Einbrecher müssten sehr dumm sein, weil sie ihre Zeit damit verbrachten, Kisten zu durchwühlen, statt einfach Dinge von Wert mitzunehmen. Die Berliner Familie stürzt in ihren Keller, und tatsächlich: Die nicht abgeschlossenen Fahrräder sind noch da, dafür wurden sämtliche Kartons, die seit dem letzten Umzug ungeöffnet im Keller verrotten, durchsucht, Kisten mit Skistiefeln, altem Spielzeug und Büchern. Doch dann eine erste Ahnung, was fehlen könnte: die Carrera-Rennbahn nämlich - und mehrere Bände von Kindlers Literaturlexikon. Vielleicht waren die Einbrecher ja doch gar nicht so dumm.

Verena Mayer

SZ vom 7. August 2015

People cheer while raising a national flag as people gather in Tahrir square to celebrate an extension of the Suez Canal

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Kairo

Kairo ist in Partylaune. Es gilt die Einweihung des Suezkanals zu begehen. An Flaggen darf es da nicht fehlen. "Da braucht man schon so eine Million", sagt ein ägyptischer Kollege. Es gibt keinen Ort, der absurd genug wäre, um ihn nicht mit der Trikolore in Rot, Weiß und Schwarz sowie dem goldenen Adler in der Mitte zu dekorieren. Selbst an der verkohlten Ruine des Hauptquartiers der Mubarak-Partei flattern sie - weil es gerade abgerissen wird an verbogenem Baustahl, der im zehnten Stock aus abgebrochenen Betonpfeilern ragt. So viele Fahnen mussten her, dass es wohl zu Engpässen kam, jedenfalls sind viele Brückenpfeiler zwar drapiert in den Farben des Landes - aber ohne den Adler. Es ist die Fahne der brüderlichen Arabischen Republik Jemen. Oder wie die Ägypter zu den adlerlosen Fahnen sagen: "Chinesische Billigqualität".

Paul-Anton Krüger

SZ vom 7. August 2015

Mobile Phone Stores And Users Ahead Of The Telecom Spectrum Auction

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... München

München, Sommer 2014. Der italienische Kellner erblickt das Smartphone des Gastes. "Ah, ich habe jetzt auch so eines. Weißt du, wie man das entsperrt?" fragt er arglos laut. Kürzlich habe er so ein Modell im Gras gefunden, könne es nun aber nicht nutzen. Es ist verzwickt. Ein Jahr später, gleiches Café: Und, wie geht's dem Handy? "Liegt immer noch in der Schublade", antwortet der Kellner verzweifelt, jetzt müsse er damit wohl doch nach Italien zum Entsperren. Wie wär's mit dem Fundbüro? Entzückt ob der Naivität des Gastes sagt er: "Die behalten das Handy doch selber!" Es ist verzwickt. Deshalb hier ein Aufruf: Wer damals sein iPhone 4 in Uni-Nähe verloren hat, möge dem armen Tropf bitte die Pin reichen. Melden kann sich auch, wer diesen echt unpraktischen Sicherheitscode zu knacken weiß. Ansonsten: Fortsetzung im Sommer 2016.

Martin Wittmann

SZ vom 7. August 2015

Aktenstapel

Quelle: Armin Weigel/dpa

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Mitten in ... Rom

Eine Großbank im Zentrum Roms, Via del Corso. Man muss geduldig sein, die Hälfte des Bankpersonals ist im Sommerurlaub. So auch der nette Herr, der einem vor einigen Tagen half, ein Konto zu eröffnen: Er verreiste nach Elba. Eine mindestens ebenso nette Dame ersetzt ihn, braun gebrannt, sie war schon weg: San Teodoro, Sardinien. Als es ums Geschäftliche geht, fehlt ein wichtiges Dokument, der Kollege hat es wohl in seinem Büro liegen lassen. Und so kommt es, dass wir gemeinsam im Büro des verreisten Kollegen Dokumente durchforsten, ganze Berge davon mit fremden Namen drauf, Kreditkartenabrechnungen, Lohnblätter, Bankbürgschaften, Depotkonten. Sie muss mal weg, ich wühle eine Weile alleine weiter: im Schrank, im Aktenfach, auf dem Papierstapel. So muss man sich wohl die neue Transparenz der Bankenwelt vorstellen.

Oliver Meiler

SZ vom 31. Juli 2015

THOUSANDS OF CARS TANGLE IN A CAIRO TRAFFIC JAM

Quelle: Aladin Abdel Naby /Reuters

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Mitten in ... Kairo

Im Taxi von Zamalek nach Maadi, vom einen bei Westlern beliebten Stadtteil in den andern. Der Fahrer geht ans Handy. "Duktura" versteht der Fahrgast, "mustaschfa", "bint" und "blasma" - eine Ärztin vom Krankenhaus ist dran: Die Tochter braucht Blutplasma. Scheint ernst zu sein. Der Mann ruft Verwandte an, es geht jetzt um Geld. Medizin müssen die meisten Ägypter selber zahlen. Er hämmert verzweifelt aufs Lenkrad, er weint, raucht, flucht, bis der Passagier all sein Arabisch zusammennimmt und eruiert, ob er helfen könne. 240 Pfund für blasma braucht er, 27 Euro. 100 Pfund hat er. 40 bringt die Fahrt, der Rückweg ebenso. Also gibt man einen Hunderter. Zum Dank küsst er die Stirn. Kaum ausgestiegen dämmert's: Das Gleiche ist einer Kollegin im Taxi zum Flughafen passiert. Bleibt die Hoffnung, tatsächlich geholfen zu haben.

Paul-Anton Krüger

SZ vom 31. Juli 2015

Frau Telefon Badewanne

Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo

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Mitten in ... Brüssel

Die belgische Vielsprachigkeit - Französisch, Niederländisch und Deutsch sind offizielle Landessprachen - hat für Ausländer einen erfreulichen Nebeneffekt. Wer sich ein Mobiltelefon bei Proximus holt, kann bei Problemen gleich mehrere Hotlines anwählen. Die deutsche Nummer ist ein Geheimtipp, es gibt ja nur ein paar deutschsprachige Städtchen im Osten des Landes. Man wählt, und sofort geht jemand dran, und meldet sich auch noch mit Namen. In moselfränkischer Gemütlichkeit kümmert sich eine männliche Stimme sodann rührend um den Anrufer ("Da muss isch ma naaachschauen"). Mal nennt sich die Stimme "Patrick", mal "Schmitz". Vermutlich heißt der Mann Patrick Schmitz. Leider ist Herr Schmitz nicht immer zu erreichen. Abends und am Wochenende landet man in der vielsprachigen Warteschleife.

Thomas Kirchner

SZ vom 31. Juli 2015

Bauern beim Strohverladen

Quelle: Andreas Gebert/dpa

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Mitten in ... Wörthsee

Ein Julitag auf dem Land, die Straße am Seeufer ist kurvig, vorne schaukeln Strohballen auf einem Traktor-Anhänger - das kann dauern. Man zockelt gemächlich hinterher, Halme wirbeln durch die Luft, es riecht nach Sommer. Da stört sogar das schrecklich bräsige Programm des Lokalsenders nicht übermäßig. Gerade spielen sie den etwa hundert Jahre zurückliegenden Song "I like Chopin", klimperndes Klavier, eingeblendete Männerstimme: "Die besten Hits der Siebziger und Achtziger". Warum sich Kinder in bestimmten Momenten von der Rückbank melden, ist ein Rätsel - jedenfalls stellt die Siebenjährige hinten fest: "Mama, die Siebziger und Achtziger waren doch noch gar nicht." Das sitzt. Jung geblieben ist das eine. Jungsein ist ein Universum für sich. Tapfer in den Rückspiegel gelächelt. Radio ausgeschaltet. Sicher ist sicher.

Anne Goebel

SZ vom 31. Juli 2015

© SZ/ihe/sks
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