Mitten in Absurdistan:Kates wahre Liebe

Eine royale Verwechslung in London, eindeutig heimatliche Klänge in Kambodscha, Sprachbarrieren in München und Budapest: SZ-Autoren berichten Kurioses aus aller Welt.

1 / 31
(Foto: oh)

Mitten in ... London Man könnte sagen, dass englische Prinzen wie englische Kathedralen sind: Hat man eine(n) gesehen, hat man alle gesehen. Aber das stimmt schon deshalb nicht, weil es weniger Prinzen gibt als Kirchen, und nur zwei im heiratsfähigen Alter sind. Einer schließt bald den Bund fürs Leben, weshalb sein Antlitz auf allen möglichen bedruckbaren Oberflächen prangt. Man kann natürlich der Meinung sein, dass nicht William, sondern Harry der rechte Mann sei für die süße Kate. Aber dafür ist es jetzt zu spät. Deshalb bleibt es rätselhaft, weshalb die chinesische Firma Guangdong den Kopf des rothaarigen jüngeren Prinzen auf die Souvenirtasse zur Royal Wedding ("Die märchenhaft romantische Vereinigung aller Jahrhunderte") applizierte. Es sei denn, man dächte schon an eine Sotheby-Auktion im Jahr 2050: Fehlfarben und Druckfehler steigen immer im Wert. Wolfgang Koydl, SZ vom 11.4.2011

2 / 31
(Foto: dpa)

Mitten in ... Koh Rong Samloen So könnte es aussehen, das Paradies: der Strand weiß, das Wasser türkis, die Bucht geformt wie ein Herz. Die Insel Koh Rong Samloen vor Kambodscha ist ein sehr abgelegener Ort fast ohne Touristen, nur vier kleine Bungalows stehen unter Palmen. Allein ein paar Einheimische scheinen hier zu sein, aus Bambusholz haben sie eine Bar gezimmert. Sogar eine Speisekarte gibt es, "Asian Food" steht darauf. Bei Frühlingsrollen und Meeresfrüchten aber bleibt es nicht, im Angebot sind außerdem: Bratwurst mit Sauerkraut und Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat. Die Kambodschaner lächeln. In dem Moment kommt ein Mann um die Ecke, schütteres graues Haar, das Unterhemd spannt am Bauch. Der Besitzer der Bungalows ist Deutscher, er stammt aus Dingolfing bei München. "Servus Burschen", sind seine ersten Worte, "mögt's a Bier?" Florian Fuchs, SZ vom 11.4.2011

3 / 31
(Foto: Stephan Rumpf)

Mitten in ... München Der Lastwagenfahrer hat auf der Straße gehalten, so, dass niemand mehr durchkommt. Dann steigt er aus und steuert mit einem wandteppichgroßen Stadtplan auf die Passantin zu. "Schlachthof!", sagt er. Die Passantin nickt. Sie zeigt die Straße entlang und sagt: "Sie fahren über die Isar und ..." - "Isar?" - "Der Fluss." - "Fluss??" - "Die Isar ist der Fluss." Der Fahrer wedelt mit dem wandteppichgroßen Plan. "Schlachthof!!", beharrt er. Die Passantin sagt: "Ja, Sie fahren über die Isar und ..." Der Lastwagenfahrer ruft: "Schlachthof!!!" - "Sie fahren über die Isar und ..." - "Schlachthof!!!!" Die beiden sehen einander an. "Sie fahren über die Isar, den Fluss", setzt die Passantin noch einmal sehr geduldig an. Der Lastwagenfahrer lässt sie einfach stehen. Frauen, so sagt sein Kopfschütteln: schwer von Begriff und keine Ahnung. Christian Zaschke, SZ vom 12.4.2011

Mitten in ... Budapest Zwei Touristengruppen begegnen einander auf der Kettenbrücke über die Donau. Hier, wo der große Strom die Stadt teilt, ist der Blick auf Budapest besonders beeindruckend. Eines der Trüppchen kommt aus der Slowakei. Sein Anführer weist mit großer Geste auf die Paläste der Budaer Burg und die Prachtbauten des Pester Ufers. "Wie in Wien die Ziegelböhmen die Ringstraße gebaut haben", trompetet er, "so haben wir Slowaken hier all diese Pracht mit eigenen Händen errichtet, als wir noch Ungarn untertan waren. Und niemand hat es uns gedankt!" Die zweite Gruppe, durchwegs Ungarn, ist verwundert und entzückt über das Pathos des Redners - und applaudiert. Sie haben kein Wort verstanden, halten den Furor der Schimpfenden für Begeisterung für ihre Hauptstadt. So fördert, was ganz anders gemeint ist, am Ende die Völkerverständigung. Michael Frank, SZ vom 11.4.2011

4 / 31
(Foto: AP)

Mitten in ... Buenos Aires Reisender, willst du Buenos Aires verlassen, dann brauchst du Geduld. Vor allem am Stadtflughafen Aeroparque. Die Flugzeiten sind dort bloß Richtwerte, besonders bei der Staatslinie Aerolineas Argentinas. Nach einem weiteren Tag voller gestrichener und absurd verspäteter Flüge kam es kürzlich wieder zu meutereiähnlichen Zuständen, ehe eine Frau mit schwarzem Kopftuch und Sonnenbrille ans Mikrofon eines Schalters trat und sang: "Girls just wanna have fun." Es war tatsächlich Cyndi Lauper, die Erfinderin des Liedes. Auch sie steckte fest. Da waren die Gestrandeten gleich gut gelaunt und tanzten und sangen mit. Mitsingen ist eine argentinische Spezialität, weshalb viele Bands gerne live am Rio de la Plata aufnehmen. Derzeit ist U2 zu Gast. Hoffentlich geht alles klar, wenn die Iren am Sonntag abreisen. Sonst: Sunday, bloody sunday! Peter Burghardt, SZ vom 2./3.4.2011

5 / 31
(Foto: ddp)

Mitten in ... Budapest Auf eine Gulaschsuppe in die Markthalle mitten in Budapest. In dem pittoresken Konsumpalast am Fuße der Touristenmeile, wo sich Würste, Paprika und saures Kraut in allen Variationen zu Bergen türmen, gibt es auch vielerlei Köstlichkeiten zum sofortigen Verspeisen. Zwei spätblonde, wuchtige Damen betreiben ihren Imbissstand oben auf der Galerie. Beide sind unentwegt aufgefordert, Fotos zu machen: Touristen beim Pörkölt, Touristen vor folkloristischem Plunder, der hier verkauft wird, Touristen vor den imposanten Eisenverstrebungen der Halle. "Wir kennen alle Kameras auf der ganzen Welt; und alle Handys, die knipsen können", sagt die eine. Manchen müsse man ihr Gerät erst einmal richtig erklären, besonders den Weißabgleich älterer Modelle. Wer also seinen Fotoapparat richtig kennenlernen will, geht in Budapest am besten auf eine Gulaschsuppe. Michael Frank, SZ vom 2./3.4.2011

6 / 31
(Foto: AP)

Mitten in ... Costa Mesa Neulich war ich in der South Coast Plaza von Costa Mesa verabredet, einem Vorort im Süden von Los Angeles. Das Einkaufszentrum ist ein Schrein des Kommerzes: plätschernde Wasserfälle, künstliche Himmel, auf denen Schweinwerfer weiße Sterne kreisen lassen, mehr als 250 Läden mit edelsten Marken, von Armani bis Prada. Die Geschäfte gehen gut, Krise hin, Krise her: 1,5 Milliarden Dollar Einnahmen pro Jahr. Das macht South Coast Plaza zur umsatzstärksten Mall der USA. Steuern zahlen die Luxusboutiquen aber nicht reichlich: Die Stadt Costa Mesa ist pleite und will fast die Hälfte ihrer 450 Angestellten feuern. Einer von ihnen kam mit dem Verlust der Arbeitsstelle nicht klar. Der 29-jährige Huy Pham stürzte sich vom Dach des Rathauses. Er ist tot. An Steuererhöhungen für die Nobelläden in der South Coast Plaza hat in Costa Mesa niemand gedacht. Reymer Klüver, SZ vom 2./3.4.2011

7 / 31
(Foto: lkn)

Mitten in ... Garching Am Forschungsreaktor in Garching hatten sie diese Woche Gäste aus Japan. Darum läuft an einem sonnigen Vormittag eine Frau mit einem Geigerzähler die Stationen der Besucher ab. An der Pförtnerloge legt sie ihn auf den Tisch und schiebt ihn hin und her, als sei er ein Bügeleisen. Stets zeigt die Anzeige um die 15 Zählimpulse pro Sekunde. "Die stammen aus den Bodenplatten aus Granit, das ist normal", sagt die Frau. Jede Sekunde sind in dem Gestein also so viele Atome zerfallen, dass 15 geladene Teilchen eine Fläche von der Größe eines DIN-A5-Blattes durchdringen. "Wenn hier etwas von den Japanern wäre, müssten die Werte mindestens doppelt so hoch sein", sagt die Frau. Dann setzt sie die Schutzkappe auf ihr Instrument und zieht weiter. Im Ausweisbüro haben sich die Gäste aus Fernost bestimmt länger aufgehalten. Christopher Schrader, SZ vom 2./3.4.2011

8 / 31
(Foto: picture-alliance/ dpa)

Mitten in ... Hamburg Eigentlich hatte Kiki sich immer für eine Frau mit Erfahrung gehalten. Sie betreut die Toiletten in einem schicken Hamburger Hotel. Wenn zwei Frauen zusammen aufs Klo gehen, dann weiß sie: Die reden über Gucci oder Männer. Und wenn zwei Männer zusammen aufs Klo gehen, dann hat sich Kiki bisher ihren Teil gedacht. Aber da habe sie falsch gedacht, sagt sie. Gerade waren wieder zwei da. Kaschmirmantel und so. Anwälte, Kiki erkennt so was. Die also rein in die Kabine, wurschteln rum, und wieder raus. Kiki ist dann selbst rein - Hygiene-Check. Sie hat sich noch über die Scheuersandlinien auf der Brille gewundert und rübergewischt. Da kamen die Männer schon wieder, nun zu dritt. Rein in die Kabine und wieder raus. "Hast du saubergemacht?" "Klar", hat Kiki geantwortet. "Mensch Mutti, sag uns doch Bescheid, bevor du Koks für 300 Euro im Klo runterspülst." Marten Rolff, SZ vom 26./27.3.2011

9 / 31
(Foto: iStock)

Mitten in ... Wien Es ist ein permanentes Hupen und Schimpfen vor der Würstelbude hinter der Staatsoper. Fußgänger beklagen sich über Autofahrer, Autofahrer beklagen sich über Fußgänger, ein Busfahrer lässt Touristen aussteigen, ein Fahrradbote prallt fast mit einem Lieferwagen zusammen, weil der einem Fiaker ausweichen muss. Ja, herrscht denn nur noch Hektik in dieser Welt? Kann man nicht mal in Ruhe einen Käsekrainer essen? Dann, plötzlich, ist die Zauberflöten-Schulvorstellung aus, die Oper öffnet ihre Türen und Tausende fröhliche Schüler quellen aus dem Gebäude, fluten Bürgersteige und Verkehrswege. Kreuz und quer rennen sie unter den verzweifelten Blicken ihrer Lehrer über die Straße, lachen, scherzen, schreien. Niemand schimpft mehr, niemand hupt, alles steht still. In diesem Meer des Glücks wird der eigene Wahnsinn erst richtig deutlich. Martin Zips, SZ vom 26./27.3.2011

10 / 31
(Foto: dpa)

Mitten in ... Berlin Noch eine halbe Stunde bis Abflug und an der Sicherheitsschleuse eine lange Schlange. Eine Gruppe dunkelblauer Anzüge ist auf wichtiger Mission. Zielsicher marschiert sie an den Wartenden vorbei. "Hey!" Unmissverständlich meldet ein grauer Anzug Widerspruch an. Fünf Meter vor dem Anführer der Blauen baut er sich auf. Konzentriert, ohne eine Miene zu verziehen, blicken die beiden Kontrahenten sich tief in die Augen. Die Umstehenden verstummen, ihre Bewegungen gefrieren. Gebannt beobachten sie das Duell. Zehn Sekunden dauert es, zwanzig Sekunden, keiner regt sich. In der Ferne bellt ein Hund, aber vielleicht bildet man sich das nur ein. Dreißig Sekunden. Kaum merklich zuckt ein Muskel in der Stirn des Blauen. Keine Sicherheitsleute zu sehen. Da schlägt er die Augen nieder. Die blauen Anzüge reihen sich ganz hinten ein. Malte Conradi, SZ vom 26./27.3.2011

11 / 31
(Foto: dapd)

Mitten in ... Istanbul Das türkische Kabinett ist mächtig. Es kann Stauseen hinsetzen, wo eben noch Kulturerbe war und Atomkraftwerke, wo Kontinentalplatten aneinander reiben. Es kann aber auch die Zeit anhalten. Ganz Europa wird am 27. März die Uhren um eine Stunde vorstellen: Sommerzeit. Bloß die Türkei nicht. Dort hat das Kabinett beschlossen, den Sommer in diesem Jahr einen Tag später beginnen zu lassen. Der Grund: Am 27. März treten 1,5 Millionen Schüler zu den gefürchteten Hochschulaufnahmeprüfungen an. Man wolle die Kinder nicht zusätzlich belasten, hieß es. Dafür leiden andere: Tausende Computersysteme in Finanz- und Telekomindustrie sind falsch programmiert. Alle von Turkish Airlines ausgestellten Flugtickets für den 27. März stimmen nicht mehr. Wer zu der dort angegebenen Uhrzeit eintrifft, hat seinen Flug schon verpasst. Kai Strittmatter, SZ vom 19./20.3.2011

12 / 31
(Foto: AFP)

Mitten in ... Wien Die Prunkräume des Bundeskanzleramtes am Wiener Ballhausplatz haben ihre spezielle Geschichte. Pressekonferenzen nach Kabinettssitzungen absolviert man heute in dem Saal, in dem einst der Wiener Kongress verhandelte. Vier Türen sicherten, dass die vier gekrönten Häupter Österreichs, Russlands, Frankreichs und Preußens protokollgerecht im selben Augenblick auftreten konnten. Hinter zweien sind nur blinde Besenkammern. An der Decke ornamentenumrankte schwarze Öffnungen. Heute die Atemlöcher der Klimaanlage, saßen beim Wiener Kongress dort oben in Hohlräumen die Spione des Fürsten Metternich (im Bild), um insgeheim die Gespräche zu belauschen und zu protokollieren. Passendes Thema diesmal der Wiener Regierung: Das Gesetz über die elektronische Datenvorratsspeicherung. Metternich, Erfinder des Polizei- und Spitzelstaates, hätte frohlockt. Michael Frank, SZ vom 19./20.3.2011

13 / 31
(Foto: iStockphoto)

Mitten in ... München Donnerstagabend, in der S-Bahn vom Münchner Flughafen. Ein Mann um die 40, grauer Busfahrer-Anzug, fährt sein Smartphone hoch, wählt, und spricht: "Ja, hallo Schatz, ich bin's, ja genau, gerade gelandet." Pause. "Ja, Schatz, ich vermiss' dich auch ganz doll. Freu mich schon, wenn ich dich nächste Woche wieder hab, ja? Hab dich lieb." Luftküsse, Schmatzen. Der Mann legt auf, schaut auf das Telefon, tippt erneut, offenbar nimmt er wieder eine Abkürzung über die Kurzwahl: "Ja, hallo Schatzi, ich bin's, gerade gelandet." Pause. "Bin so in einer knappen Stunde da, freu mich ganz doll auf dich, ja?" Luftküsse, Schmatzen. Der Mann legt auf, sein Gesicht: unfassbar regungslos. Er packt das Handy in die Tasche, tauscht es gegen eine Computerzeitschrift und blättert sie gezielt auf. Dann schaut er kurz auf, lächelt, und schüttelt den Kopf. Cornelius Pollmer, SZ vom 19./20.3.2011

14 / 31
(Foto: ddp)

Mitten in ... Buenos Aires Jetzt könnte es einsam werden für Barbie und Ken in Argentinien, dem Land der schönen Körper. In Buenos Aires gibt es zwar zwei rosarote Barbie-Stores, die ausschließlich Barbie-Sachen verkaufen. Und die Puppe feiert am Rio de la Plata nun seit mehr als einem halben Jahrhundert große Erfolge. Selbstverständlich möchten auch junge Argentinierinnen gerne so aussehen wie Barbie und einen Freund finden wie Ken. Aber jetzt heißt es, Argentiniens Regierung bremse den Nachschub. Es werde Importstopps geben für den US-Produzenten Mattel und einige andere ausländische Firmen - der Handelsbilanz und einheimischen Produktion zuliebe. Schon wird laut über nationale Alternativen zur blonden Puppe nachgedacht, zu den Favoriten für die Vorbilder gehören der ehemalige Zentralbankchef und seine Lebensgefährtin, Barbie und Ken nicht unähnlich. Peter Burghardt, SZ vom 12./13.3.2011

15 / 31
(Foto: dpa)

Mitten in ... Istanbul In der Bäckerei. Eine Frau tritt ein, um die 40, schlank, groß, lange Haare. Eine Erscheinung. Hinter der Theke werkeln ein schüchterner Junger und ein dicker Alter mit Hercule-Poirot-Schnauzer. Die drei kennen sich. Der Junge kassiert, fasst sich ein Herz: "Ach, wenn ich eine Geliebte hätte wie Sie, mir machten auch eine Million Lira Schulden nichts aus." Die Frau tut als habe sie nichts gehört, verabschiedet sich. "Und wo bleibt unser Morgenglück?", ruft ihr der Junge hinterher. Sie lächelt, macht kehrt. Der Alte eilt vor die Theke. Die Frau und er umarmen sich. "Die Haare!" ruft der Junge, da wirft sie ihre langen Haare auf die Glatze des kleinen Alten, so routiniert als tue sie es jeden Tag. Der Alte schließt die Augen: "Meine Tochter, diese Umarmung wird uns Glück bringen." Die Frau winkt und geht. Der Junge dreht sich zum Alten: "Heute verkaufen wir sicher gut." Kai Strittmatter, SZ vom 12./13.3.2011

16 / 31
(Foto: DPA)

Mitten in ... Berlin Jeden Freitagabend treffen sie sich hier, im Abflugbereich des Flughafens, die Pendler nach Berlin. Man nickt sich zu, reden will jetzt keiner, nur schnell einen Kaffee, eine Zeitung und Ruhe. Bei den besseren Airlines gibt es das noch gratis. Doch plötzlich wird der routinierten Prozession der Weg zum Kaffeeautomaten und zum benachbarten Zeitungsständer versperrt: Eine Gruppe Teenager, mit grellen Sweatshirts, Kappen und hängenden Hosen offenbar ohnehin eine Zumutung für Kostüm- und Anzugträger. "Können die überhaupt lesen?" raunt einer von ihnen gehässig. Als man näher kommt, ist zu verstehen, was die Jugendlichen aufhält: "Hier, die Zeit, eine geile Zeitung", verkündet einer. "Oder hier, die FAZ, auch total geil", sagt ein anderer. Während des einstündigen Flugs hört man nichts mehr von ihnen. Sie sind vertieft in ihre Lektüre. Malte Conradi, SZ vom 12./13.3.2011

17 / 31
(Foto: AP)

Mitten in ... Kairo Essen muss jeder, der Revolutionär und auch der Soldat. Essen ist friedlich. Der Soldat nimmt ein Tuch und breitet es sorgfältig auf seinem Panzer aus. Der Schützenpanzer M 113 ist oben flach wie ein Tisch, da kann man gut im Schneidersitz Platz nehmen. Gewöhnlich ist die ägyptische Armee irgendwo in der Wüste stationiert, seit Wochen aber campiert sie mitten in Kairo. Da muss man sich eben einrichten. Die Panzerketten tragen schwarze Gummi-Näpfe, damit der Straßenbelag geschont wird, und die sehr jungen Soldaten packen ihre Essenspakete aus, wo es gerade geht. "Essen", sagt auch ein Taxifahrer, "ist doch alles, was wir wollen." Daher sollten die Proteste aufhören, damit wieder Touristen kommen und "es Arbeit und Essen gibt". "Welcome to Egypt", sagt ein Soldat, lacht und winkt. Es ist eine Einladung zum Mitessen. Christiane Schlötzer, SZ vom 5./6.3.2011

18 / 31
(Foto: REUTERS)

Mitten in ... Dubai Verhangene Wolkendecke? In Dubai? Das Ticket für den höchsten Turm der Welt ist schon gelöst. Auf der Aussichtsplattform des Burj Khalifa im 124. Stock kann man sich dann von der Undurchlässigkeit der Wolkendecke einen Eindruck machen. Selbst das nur ein paar hundert Meter Luftlinie entfernte Meer ist im Nebel verschwunden. Unterhaltung gibt es trotzdem: Entweder man lässt sich zum Andenken eine kleine Goldmünze prägen. Oder - noch besser - man drückt beim Besucherfernrohr den Knopf "History". Dann erblickt man die Stadt, wie sie vor nicht allzu langer Zeit noch ausgesehen hat. Statt Dubai Mall mit Aquarium, Eislaufbahn, Wasserfall und arabischen Souk ist da: Wüste. Statt pseudovenezianischer Kanäle und Luxushotels: Wüste. Und weiter Richtung Dubai Hafen? Ein paar einsame Strommasten. In der Wüste. Laura Weißmüller, SZ vom 5./6.3.2011

19 / 31
(Foto: dapd)

Mitten in ... Frankfurt Zwei junge Männer am Nachbartisch eines Bistros an der Hauptwache. Dunkler Anzug, nasser Bürstenhaarschnitt. Dennoch sind die beiden nicht auf den ersten Blick als Unternehmensberater identifizierbar. Doch schon die ersten Worte entlarven sie: "Wir brauchen ein Ergebnis in der Setup-Phase, auf der wir die Baseline ziehen", sagt der eine und ergänzt: "Ansonsten verbrennen wir da." Hmpf, was könnte man dieser Analyse entgegnen, fragt sich der Zuhörer und staunt: "Die müssen sagen, wie sich die Potentiale auf der Zeitachse verteilen", lautet es zurück. Und, natürlich, "die Validierung muss mit rein in den Case." Der eine, offenbar ein Rang höher, scheint mit dem anderen, dem Unter, zufrieden. Er lächelt: "Ich sehe, du bist on track, läuft alles?", fragt er bestimmt. Die Antwort: "Also ich formuliere jetzt polar - im Prinzip ja." Markus Zydra, SZ vom 5./6.3.2011

20 / 31
(Foto: dpa)

Mitten in ... Marburg Ein ökologisch orientierter Supermarkt in Marburg: Der Vater, im blauen Wollanzug, geht voran, dahinter zwei Mädchen mit Locken und Kleidern aus buntem Naturgarn. Im Wagen landen Bio-Eier aus der Region, Fruchtriegel ohne extra Zucker, Milch von Kühen, die kein genmanipuliertes Soja gefuttert haben. Ein Mädchen greift nach einem bunten Glas Waldblütenhonig, aber der kommt aus Mexiko. Der Vater geht kurz auf die CO2-Belastung und den ökologischen Fußabdruck ein, und der Honig wird zurückgetragen. Draußen trifft man die drei wieder, die Kinder manövrieren den voll beladenen Einkaufswagen in Richtung Parkplatz. Aber da steht doch nur diese 360 PS starke Geländelimousine! Der Vater zieht den Schlüssel aus der Tasche, das Monstrum blinkt. In der CO2-Bilanz zählt schließlich nur das Endergebnis. Corinna Nohn, SZ vom 5./6.3.2011

21 / 31
(Foto: ddp)

Mitten in ... München U-Bahn-Linie 2, vom Hauptbahnhof in Richtung Messestadt Ost. Sie (Mitte, Ende 20) zu ihm (etwas älter), in einer Lautstärke, die jeden Passagier im Waggon zwangsläufig zum Mithörer macht: "Wenn es um Gott geht, dann darf es für mich keine Freunde geben, keinen Job, keinen Mann. Nur Gott. So ist das bei mir." Er: "Äh - ja." Sie: "Gott ist sehr wertvoll, verstehst du? Sehr wertvoll!" Er: "Ja. Ja." Sie: "Wenn ich bete, fühle ich mich Gott ganz, ganz nahe. Das ist für mich ein schönes, warmes Gefühl." Er: "Ah." Sie (bittend, jetzt fast schon verzweifelt): "Du musst mit Gott sprechen! Bitte sprich mit ihm!" Bald ist die Haltestelle Fraunhoferstraße erreicht. Er: "Ja. Ich muss jetzt aussteigen." Sie: "Ich fahr noch ein kleines Stück weiter." Er (steht auf): "Also tschüss dann." Sie: "Ja, tschüss. Sag mal, wie heißtn du überhaupt?" Stephan Handel, SZ vom 26./27.2.2011

22 / 31
(Foto: Presence Switzerland/oh)

Mitten in ... Grindelwald Die Bussalp hoch über Grindelwald im Berner Oberland. Rast in der Sonne mit Eiger-Nordwand-Blick. Die Bergluft macht hungrig, und da gibt es nichts Besseres als die hiesige Spezialität: "Chäsbrätel", Bauernbrot mit Käse, den sie am Laib erhitzen, mit langen Messern abstreifen und anständig mit Paprika und Pfeffer würzen. Auf ihre Milchdelikatessen sind die Leute hier mächtig stolz. Nur wenn die Kühe auf über 1500 Meter gegrast haben, darf ein Käse Alpkäse heißen, sonst nennen sie ihn Bergkäse. "So etwas Gutes hast du lange nicht mehr gegessen, oder?", fragt ein Einheimischer. Doch, ehrlich gesagt, erst vor kurzem im Wallis. Da gab es ebenfalls Bauernbrot, geschmolzenen Käse, Paprika und Pfeffer - aber auch noch eine Silberzwiebel dazu. Der Grindelwalder winkt ab: "Ach das, das ist doch kein Brätel, das ist nur Raclette!" Jochen Temsch, SZ vom 26./27.2.2011

23 / 31
(Foto: dpa)

Mitten in ... Bratislava Boris ist nervös. Boris ist ein gewandter Plaudergeist, er liebt dafür das Film- Café mitten in Bratislava mit der Glaskuppel in buntem Jugendstil, die Fotos verblichener Stars. Boris ruckelt auf seinem Stuhl hin und her, schaut ständig auf die Uhr, zitiert den Ober herbei, der sein diskretes Begehr bedauernd mit Kopfschütteln abweist. Plötzlich der Ruf: "Es ist soweit!" Boris rupft eine Schachtel Zigaretten aus dem Jackett, schnippt am Feuerzeug und saugt den Tabakrauch ein, als ginge es ums Überleben. Eigentlich darf man in Lokalen dieser Art und Größe in der Slowakei rauchen. Aber das Film-Café liegt im Film-Hotel, hier wird auch gefrühstückt. Also Rauchverbot bis zehn Uhr. Man erinnert sich an DDR-Bräuche: In Gaststätten galt zu Essenszeiten Rauchverbot, dazwischen durfte gequalmt werden. Der Sozialismus lebt. Michael Frank, SZ vom 26./27.2.2011

24 / 31
(Foto: dpa)

Mitten in ... Peking Da schlendert man nichtsahnend über den Platz des Himmlischen Friedens, zählt die Überwachungskameras, die sich zahlreich wie die Zweige eines Tannenbaums an den Straßenlaternen spreizen, und plötzlich blickt man auf zu: Konfuzius. Neun Meter hoch, steinern und ernst steht er seit kurzem gegenüber dem Tor des Himmlischen Friedens. Er ist Mao Zedong zugewandt, der von seinem riesigen Porträt, das noch immer an dem Tor hängt, über den Platz blickt. Und man kann nicht anders als sich fragen, ob der Große Vorsitzende sich nachts vor Wut heimlich in seinem Glassarkophag im Mao-Mausoleum umdreht, das ebenfalls einen Steinwurf weit entfernt steht. Hatte es zu seiner Zeit nicht eine "Kritisiert Lin, kritisiert Konfuzius"-Kampagne gegeben? Es hat ein wenig gedauert, aber das "alte Denken" (Mao) feiert ein Comeback. Henrik Bork, SZ vom 26./27.2.2011

25 / 31
(Foto: ddp)

Mitten in ... Berlin Frierende Berliner und Touristen vereint im Matsch zwischen klapprigen Ständen. Schrottmöbel neben Bücherschätzen und selbstgehäkelten Topflappen. Es ist Flohmarkt am Mauerpark. Eine junge Frau betrachtet lange geknüpfte Armbänder, die hübsch an einer Korkwand hängen. Das Stück zwei Euro. Sie fragt leise: "Entschuldigung, wie und wo wurden die hergestellt?" Der Verkäufer, lange Rastalocken mit Tuch gebändigt, dampfender Kaffeepott in der Hand, antwortet laut: "Von kleinen tadschikischen Kindern in dunklen Kellern. Die haben so kleine Hände, die können prima knüpfen." Die Frau: "Äh..." Der Verkäufer: "War'n Witz. Aber da wollense für zwei Euro ein fair und ökologisch hergestelltes Bändchen und dann gehnse raus und kaufen Kaffee bei Starbucks! Oder?" Pause. Die Frau: "Ist ja gut, ich nehm es." Karin Prummer, SZ  vom 18./19.2.2011

26 / 31
(Foto: dpa)

Mitten im ... Flugzeug der Turkish Airlines Rückflug aus dem Urlaub. Thailand, mit allem was dazugehört: Insel, Mangos, Thilo Sarrazin. Von Kapitel sieben bleibt hängen: Wie inzestuös gezeugte dumme Türken uns Deutsche in eine Unterschichtennation verwandeln. Wir fliegen Turkish Airlines. Um uns herum viele Türken. Rechts hinten ein junger Mann, der oft bei der Stewardess bestellt. Wein, Bier, Wein. Einmal kracht er vom Sitz. Im Lauf des Fluges wird er lauter, deutsche Fetzen dringen herüber: "Kanaken, elendige." "Wollt's alle bloß nach Deutschland!" Es ist ein Lallen, das über viele Sitzreihen dringt. Türken, die die deutsche Sprache nicht beherrschen? Gottseidank ist der Flieger voll davon. Plötzlich ein Röcheln. Dann ein Röhren. Dann kotzt der Deutsche. Der zweite Schwall geht über die Lehne, dem Vordermann auf den Arm. Der Besoffene wischt sich das Maul. "Dreckstürken." Kai Strittmatter, SZ vom 12./13.2.2011

27 / 31
(Foto: dpa/dpaweb)

Mitten in ... Buenos Aires Auch die Straßen von Buenos Aires sind an manchen Stellen mit weißen Streifen bemalt. Anderswo kennt man solche Markierungen als spießiges Angebot an Fußgänger, die Seiten zu wechseln. Hier haben die Muster für Menschen keinen Wert, jedenfalls nicht für Fußgänger. Autofahrer allerdings fühlen sich magisch von ihnen angezogen. Sie geben Vollgas, wenn die Zebrastreifen nahen. Besonders magnetisch wirken sie auf die Colectivos, die Stadtbusse. Die Colectivos sind, noch weit vor dem Jaguar, die gefährlichsten Raubtiere Argentiniens. 2010 haben die 131 Linien 29 Einwohner der Hauptstadt zu Tode gefahren. Und es wurde ermittelt, dass mindestens jeder dritte Chauffeur rote Ampeln ignoriert und vier von zehn Busfahrern schneller unterwegs sind als andere Verkehrsteilnehmer. Am liebsten am Zebrastreifen. Peter Burghardt, SZ vom 12./13.2.2011

28 / 31
(Foto: AP)

Mitten in ... Phnom Penh Jay ist kein Kambodschaner, sondern kommt aus dem reichen Taiwan. Um das zu unterstreichen, hat er der Zufallsbekanntschaft aus Deutschland soeben eine Schoko-Trüffel-Torte bestellt. Eine ganze. Der Jetlag-Smalltalk kommt dabei irgendwie auf das Thema Valium. Das wird in Deutschland gegen Flugangst verschrieben, macht beschwingt und soll deshalb auch als Partydroge nicht ganz ohne sein. Jays Augen blitzen. "Kann ich organisieren!" Stolz senkt er erst die Lider, dann, verschwörerisch, die Stimme, zückt ein iPhone und gebietet absolute Stille. Jay hat hier Freunde, die können einem alles besorgen. Sogar Backstage-Pässe. Er hat jemanden erreicht. "Hey mein Guter..." Nonchalantes Lächeln: "Also, wo könnte ich denn so etwas herbekommen?" Schnarren am anderen Ende. "In jeder Apotheke? Oh. Vielen Dank." Ronen Steinke, SZ vom 12./13.2.2011

29 / 31
(Foto: AP)

Mitten in ... Venedig Der Chianti liegt sehr rund im Bauch, und auch sonst kann nichts die norditalienische Wochenendidylle trüben. Bis auf die zwei alten Männer und ihr Tischchen. Mitten aufs venezianische Pflaster haben sie es gestellt, zwei Papierstapel draufgepackt, und nun wird agitiert. Es geht um Silvio Berlusconi, den in der kalten Heimat selbst die Brüllzeitung nur noch "Berlustconi" nennt. "Is against Berlusconi?" fragt eine kräftige ältere Touristin, deren Akzent am ehesten auf eine russische Herkunft schließen lässt. Die Herren nicken. "Perfect!", ruft sie, "can I sign?" Während man noch überlegt, ob man die Dame an die dubiose Führungsriege ihrer eigenen Heimat erinnern soll, wird man sanft, aber bestimmt an der Hand fortgezogen. Die reizende Begleiterin will zurück ins Hotel. "Und Berlusconi?", ruft einer der Unterschriftensammler. Berluswer? Marc Felix Serrao, SZ vom 12./13.2.2011

30 / 31
(Foto: dpa)

Mitten in ... Hamburg Amtsgericht Hamburg-Barmbek, erster Prozesstag gegen Graffiti-Sprayer Walter Josef F. alias "OZ". Schon geht der Verteidiger ins Grundsätzliche: Kunstfreiheit! Weshalb auch unbedingt Kunstprofessoren zu laden seien. Davor allerdings ergeht noch ein kleiner anwaltlicher Protest gegen die Kunst - der Gerichtszeichnerinnen. Die Frauen in der vordersten Reihe schauen verdutzt. Sie mögen auf der Stelle den Stift zur Seite legen, sagt der Anwalt. Schließlich seien Fotos im Gerichtssaal verboten, und was unterscheide diese schon von einer Zeichnung? Ihr Arbeitgeber, eine Lokalzeitung, werde ihr Werk ohnehin später verpixeln, sagt eine Künstlerin. "Was, eine Zeichnung verpixeln?" Ja, leider. "Ach so. Na dann." Später wird sie den Angeklagten vor der Tür leise fragen: Ob sie wohl eine Chance habe, ein Autogramm von ihm zu bekommen? Ron Steinke, SZ vom 5./6.2.2011

31 / 31
(Foto: dpa)

Mitten in ... Rom Was ist da los auf dem Petersplatz? Direkt an dem mächtigen Obelisk liegt ein Haufen zerbrochener Bretter mitten auf dem gewaltigen Rund. Dahinter ein scheußliches Eisengerüst. So ein Verhau direkt vor dem Petersdom, wo noch dazu der Papst aus seinen Fenstern darauf blicken kann. Was man in einer ersten Frühlingssonne sieht, sind nicht Vorbereitungen zu einer Ketzerverbrennung, sondern die traurigen Reste der großen Weihnachtskrippe. Manche Touristen schauen etwas ratlos, und geben Obacht, dass die Ruine nicht mit aufs Erinnerungsfoto kommt. Am Mittwoch hat der Abbau begonnen. Und wer meint, das sei doch ziemlich spät, irrt. Der Vatikan hat sich exakt an Maria Lichtmess gehalten, 40 Tage nach dem Fest ist Weihnachten auch im Kirchenstaat beendet. Wer noch den Christbaum hat, sollte ihn nun wirklich entsorgen. Andrea Bachstein, SZ vom 5./6.2.2011

© Süddeutsche Zeitung - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: