Mitten in Absurdistan:Hereinspaziert!

In Vancouver bescheren nicht vorhandene Zäune ungebetene Gäste - aber auch deren Abwehr. Berlin will ungebetene Ereignisse mit ausreichend Personal verhindern. Und verbotene Früchte in der Karibik führen zum Spontanbesuch.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt.

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Marzipan Niederegger Lübeck

Quelle: dpa

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt.

Mitten in ... Lübeck

Das Café Niederegger in Lübeck ist das Musterbeispiel für gediegenes Ambiente. Die Touristen treten sich zwar gegenseitig auf die Füße, trotzdem ist das Marzipankaufhaus einer jener Orte, an denen der Mensch unweigerlich die Stimme senkt und sein bestes Benehmen hervorkramt. Jedenfalls der erwachsene Mensch. Der Junge aber vertauscht die Preistafeln und sortiert die kunstvoll drapierten Schachteln um. Nichts wie raus, nur noch die Kassenschlange überstehen. Da schreit der Bub: "Ich muss Kacka." Der Aufzug zum WC ist holzgetäfelt, der Fahrstuhlknopf hat die Form einer Marzipan-Praline. Drinnen bestaunt der Bub die eckige Kloschüssel. Alsbald befiehlt er: "Abputzen", dann bricht er in Gelächter aus: "Ätsch, noch nicht fertig." Nichts wie raus. Die Klofrau hält die Tür auf, sie sagt: "Endlich Leben in der Bude."

Nadeschda Scharfenberg, SZ vom 25./26. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Vancouver

Waschbär

Quelle: dpa

Hunde, Hunde, Hunde. Hunde der Nachbarn, die in meinen Garten entwischen. Hunde, die meine Katze jagen. Hunde, die ihr Geschäft auf meiner Wiese verrichten. "Ich brauche einen Zaun", sage ich zu einer Bekannten. "Nö, Zäune sind verpönt hier - das ist so europäisch", sagt sie. Und überhaupt: Die Hundebesitzer bräuchten Zäune, nicht ich. Es gibt schon genug Probleme mit Waschbären. Die schlüpfen durch die Katzentür ins Haus und machen Radau, und ihre Klauen sind scharf wie Messer. "Mach's wie ich", sagt meine Bekannte, "in meinen Garten dürfen die Hunde. Um die Waschbären zu verscheuchen." Recht hat sie. Immerhin dringen Hunde nicht in mein Wohnzimmer und schlitzen das Sofa mit den Krallen auf, ich habe wohl also das kleinere Übel gewählt. Jetzt müssen es nur noch die Waschbären mitkriegen.

Bernadette Calonego, SZ vom 25./26. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Berlin

Polizisten Berlin

Quelle: dpa

Donnerstagfrüh, Sprengelstraße in Wedding: Polizisten an den Zufahrten, gepanzerte Fahrzeuge, Absperrgitter. Ein Anwohner in Jogginghose will sich zu seiner Wohnung vorkämpfen. Ohne Ausweis? Unmöglich. Es könnte gleich etwas passieren, es gab schlimme Drohungen. Ein Terroranschlag oder ein Mordversuch? Aber nein, hier soll eine Kältestube für Obdachlose geräumt werden - wegen Mietschulden. Der Betreiber rief deshalb zum Protest auf. Das haben die Beamten im autonomengeplagten Berlin sehr ernst genommen. Gut 50 Polizisten- noch einmal so viele warten im Hintergrund - stehen nun aber 20 schweigenden Rebellen gegenüber. Keine Unbekannten, wie ein Berliner Journalist sofort bemerkt. Er hat sie schon bei mehreren anderen Aktionen gesehen, die ganz gewöhnlichen Berufsdemonstranten der Hauptstadt.

Melanie Staudinger, SZ vom 25./26. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Dominica

Grapefruit

Quelle: AFP

70.000 Einwohner, ein selbständiger Staat, und jede Menge hügeliger Regenwald voller exotischer Pflanzen. An einem Hang wachsen gelbe Bälle an den Bäumen, Grapefruits von erstaunlicher Größe und betörendem Geruch. Die meisten sind von Papageien zerfressen, aber eine der wenigen Genießbaren schnappt sich der Besucher aus Übersee. Da schallt ein Pfiff aus einem Hüttchen am Wegrand. Ein zahnloser Einheimischer mit Khakihemd winkt energisch. Au weia, jetzt gibt's Ärger. Wahrscheinlich gehört ihm das Obst. "Come in", befiehlt er. Nein, Mann, lieber nicht, sieh nur, meine matschverschmierten Schuhe. "I say you come in. So come in." Also hinein, vorbei an einer ärmlichen Matratze und links um die Ecke. Ein Wasserhahn ragt dort aus der Wand. Hier, sagt der Mann, könne ich die Grapefruit waschen.

Patrick Illinger, SZ vom 25./26. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Mitterbrünst

Milchkühe dpa

Quelle: picture alliance / dpa

Ein langes Wochenende auf dem Bauernhof im Bayerischen Wald. Genau das Richtige für den Kleinen, denn mit seinen zweieinhalb Jahren ist es höchste Zeit, dass er lernt, woher sein Glas Milch am Morgen kommt. Der Ausflug zum Ursprung des Lebensmittels führt naturgemäß geradewegs in den Stall. Der Bauer karrt Gras mit dem Traktor heran. Toll! Die Kühe rumpeln frei durch den Offenstall. Noch toller!! Aus dem Melkstand schnauben 600 Kilo geflecktes Vieh dem Kleinen direkt ins Gesicht. Super!!! Plötzlich: Ein Dröhnen, der Stallboden vibriert, der Arm des Melkroboters schwenkt in Richtung Euter aus - und der Kleine nimmt schreiend Reißaus. Auch während der nächsten Tage weigert er sich, den Stall zu betreten. Ach, hätten wir ihn doch in seinem kindlichen Glauben gelassen, dass die Milch aus dem Supermarkt kommt.

Clemens Markus, SZ vom 18./19./20. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Cannes

Film "DER GENDARM VON SAINT TROPEZ" Louis de Funes Frankreich

Quelle: OBS

Es ist 6.35 Uhr, als es an der Tür des Zimmers im Apartmenthaus klingelt. Am letzten Tag vor dem Beginn des Filmfests war Ausschlafen angesagt, deshalb knurre ich missmutig: "Wer ist da?" Eine männliche Stimme antwortet nicht weniger grimmig: "Police!" Durch das Guckloch sind drei Zivilpolizisten zu erkennen, zwei halten ihre Dienstmarken hoch. Ich öffne. "Wissen Sie, wo Monsieur Verger wohnt?", fragt der Chef, als er sieht, dass ich nicht aussehe wie Monsieur Verger. Nö. "Wissen Sie, wer hier drüben wohnt?" Ja, deutsche Kollegen, aber die kommen erst morgen, und keiner von ihnen heißt Verger. Die Beamten machen eifrig Notizen. "Wie sind Sie ins Haus gekommen?", frage ich neugierig. "Die Polizei kommt überall rein", sagt der bärtige Flic ohne hochzugucken. Er sieht glücklich aus, dass er diesen filmreifen Satz endlich mal sagen konnte.

Milan Pavlovic, SZ vom 18./19./20. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Berlin

Siegessäule Berlin

Quelle: iStockphoto/Ralph Hoppe

Auf die Frage "Do you have any newspapers?" beim Einsteigen in den Airbus am Flughafen Heathrow sagt der Lufthansa-Steward: "Nu kommense erstma' rinne, dann sehnse die njuspeipeers schon da rumliejen." - Dann die beim Abheben von einem Londoner Flughafen zwar etwas seltsam nationalistisch, aber doch auch wohltuend heimelig klingende Ansage des Kapitäns: "Willkommen auf unserem Flug in die Hauptstadt." Und schließlich bei der Landung, wieder der Kapitän, ganz geschäftsmäßig mit realistisch-philosophischem Extra-Zuschlag: "Bitte klappen Sie Ihre Tische jetzt wieder hoch, stellen Sie die Lehnen senkrecht und schnallen Sie sich an. Wir beginnen jetzt unseren Landeanflug nach Tegel, den einzig wahren Flughafen Berlins." Alle lachen. Einer applaudiert und sagt stolz zu seinen britischen Sitznachbarn: Dit is Bärlin!

Evelyn Roll, SZ vom 18./19./20. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Sarajewo

Dynamo Dresden - MSV Duisburg

Quelle: dpa/dpaweb

Stari Grad, die Altstadt von Sarajewo, ist ein Gewusel aus Nippesläden, Imbissen und Moscheen. Es ist knallvoll, aber über allem liegt ein sehr entspanntes orientalisches Flair, eine Mischung aus türkischem Kaffee und Cevapcici. In diese Atmosphäre platzen etwa 15 junge Männer mit sächsischem Akzent. Tätowierte Arme, rasierte Nacken und schwarzgelbe T-Shirts mit Slogans wie "Elb Kaida": Die Ultras von Dynamo Dresden sind in der Stadt, warum auch immer. Kurz darauf biegt eine zweite Truppe in roten Trikots um die Ecke, Mitglieder der "Horde Zla", der nicht minder berüchtigten Ultras des Fudbalski Klub Sarajewo. Die Männer fallen sofort übereinander her - aber nicht mit Fäusten, sondern mit Umarmungen und Küsschen. "Wir sind ganz digge Kumpels", erklärt einer der Sachsen strahlend. Da soll noch einer sagen, Europa sei am Ende.

Marc Felix Serrao, SZ vom 18./19./20. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Hamburg

Actors Peter Fonda and Dennis Hopper are shown in this undated publicity photograph, in a scene from their 1969 film 'Easy Rider'.

Quelle: Reuters

Wer als HSV-Fan Freude erleben will, wendet sich in Hamburg ja sicherheitshalber den Handballern des Vereins zu. Aber an diesem Dienstag versagen selbst die 26:31 gegen den TuS N-Lübbecke. Als ob das nicht genug wäre, springt auch noch das Motorrad nicht an, als der unfrohe Herr mit dem HSV-Schal aus dem Stadion tritt. Und dann ist noch nicht einmal einer zum Helfen da - nur die Polizeiwache an der Arena. Da läuft er rein, kommt mit einem Überleitkabel wieder raus. Es passt nicht. Der HSV-Fan sagt etwas von "Mist" und "Pechtag". Der Polizist sagt: "Einen Moment." Er geht ins Revier, kommt mit drei Kollegen zurück. Die Beamten stellen sich hinters Motorrad, schieben, laufen, rennen, drücken. Der Motor springt an, der Mann fährt los, die Fans johlen, die Polizisten winken. Es gibt eben doch noch gute Nachrichten vom HSV-Stadion.

Charlotte Frank, SZ vom 11./12. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Peking

Rats  Vietnam

Quelle: REUTERS

Lammfleischspießchen, hm. Sollen wir? Mein Freund Liu und ich schauen uns an. Was ist schlimmer? Pferd im Rindergulasch wie in Deutschland, oder Lammfleisch aus Ratte und Fuchs, wie es hier entdeckt wurde? Die Ratte muss man offenbar erst noch mit Nitraten, Gelatine und Färbemittel versetzen, bis sie wie Lamm daherkommt. Liu hatte vorher noch gemeint, er sei jetzt auf dem besten Weg zum Vegetarier, aber in China verkaufen sie auch Hühnereier zusammengerührt aus Gips und Stärke, und der beliebte Ingwer aus Shandong, erfuhren wir soeben, wird mit dem hochtoxischen Aldicarb gedüngt. Kein Entkommen. Liu zuckt mit den Schultern. Geht zum Lammspießbrater. "Hoffentlich ist sie wenigstens organisch, deine Ratte", sagt er. "Hä?", murmelt der andere. Liu nimmt vier Spieße. Beißt rein. "Passt schon", sagt er.

Kai Strittmatter, SZ vom 11./12. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Wien

Rathaus Wien

Quelle: DPA

Der Heldenplatz am 8. Mai gehörte bisher den Burschenschaften, die hier ihr schmissig-dumpfes Heldengedenken begingen. Damit sollte endlich Schluss sein, fand man in Wien, und lud zum Fest der Freude. Rosafarbener Abendhimmel, die Wiener Symphoniker mit Beethoven, und Zehntausende, die ihren Platz am Tag der Befreiung zurückeroberten. Ein paar hundert Meter weiter die Sommereröffnungsparty im Museumsquartier, auch hier Tausende auf der Suche nach dem Kick der lauwarmen Nacht und einer Band namens Naked Lunch. Ein paar hundert Meter in die andere Richtung, vor dem Rathaus, probten Schauspieler und Sänger für die Eröffnung der Wiener Festwochen. Wer sich in die geografische Mitte dieser drei Konzerte stellte, hörte einen Mix, der auch nach einem Wiener klang: nach dem Neutöner Arnold Schönberg.

Cathrin Kahlweit, SZ vom 11./12. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Tel Aviv

boys soccer  south africa

Quelle: dpa

Donnerstag ist Fußballtag. Wir kicken auf einem Hartplatz, ehrlicher Asphalt, das ist gerade im Alter wichtig, um die Belastbarkeit der Gelenke regelmäßig zu überprüfen. Wir spielen bei Sandsturm, wir spielen bei Hitze, und wir spielen auch, wenn die Luftfeuchtigkeit höher ist als in einem türkischen Dampfbad. Alles kein Problem - nur leider spielen wir seit einiger Zeit auch ohne Tore. Auf einem anderen Platz hatte es einen Unfall gegeben, das Eisengestänge des Basketballkorbs war heruntergekracht. Daraufhin hat die Stadtverwaltung alle Körbe und gleich auch noch alle Fußballtore abbauen lassen. Nun endlich sind die Arbeiter angerückt, um den Platz wieder herzurichten. Ein nagelneuer, einsamer Basketballkorb hängt da nun an rostfreien Eisenstangen. Pfosten und Latte aber soll es hier nicht mehr geben. Was für eine Torheit.

Peter Münch, SZ vom 11./12. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Seoul

Rapper Psy

Quelle: REUTERS

Abends halb neun. Es ist dunkel geworden in Seoul. Angestrahlt von Scheinwerferlicht ziehen Wachen in schillernd blauen Gewändern vor dem Tor des Changdeokgung auf, einer alten Königsresidenz mitten in Koreas Hauptstadt. Sie verziehen keine Miene. Das haben sie trainiert, so wie die Posten vor den Palästen überall in der Welt. Plötzlich hallen laute Beats aus einer Boombox über den Platz: Psy und sein neuer Hit Gentleman. Zehn, 20, bald 30 junge Leute tanzen auf einmal in Formation. Hüftschwung, Kniesprung. Ein Flashmob. Das machen sie jetzt öfters in Seoul. Psy ist wie ein Ventil. Das Staatsfernsehen KBS hat das Video auf den Index gesetzt. Offiziell, weil es zum Missbrauch von öffentlichem Eigentum anleitet. Tatsächlich wohl, weil es für koreanische Verhältnisse zu eindeutig zweideutig ist. Nur die Wachen verharren ungerührt.

Reymer Klüver, SZ vom 04./05. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... München

München SZ-Hochhaus Google View

Quelle: SZ

Neulich auf der Couch. Das iPad liegt halt so herum, das blaue Symbol für Googles Weltatlas Earth leuchtet irgendwie anziehend, also drauflosgetippt. Und wieder gestaunt. Fast ganz München gibt es in dem Programm des Suchmaschinenanbieters inzwischen als dreidimensionales Modell. Man fährt zum Beispiel mit einem Fingerwisch zum Turm von O2 am Georg-Brauchle-Ring und kann wie mit einem Hubschrauber rund um das Hochhaus fliegen. Kann wie ein Turmfalke um die Frauentürme kreisen, mal kurz in die Allianz-Arena gucken (leider sind keine Live-Bilder verfügbar). Und jetzt nach Zamdorf zum eigenen Verlagshochhaus. Der Flachbau sieht aus wie immer, aber der Turm! Der Turm ist eine Ruine, steht da zerklüftet, als habe ein Riese mit seiner Faust gegen die oberen Stockwerke geschlagen. War wohl ein Internet-Riese.

Helmut Martin-Jung, SZ vom 04./05. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Nyaung Shwe

Inle-See Myanmar

Quelle: dpa-tmn

Eine Wanderung in den Bergen über dem Inle-See in Myanmar. 35 Grad im Schatten, doch kein Schatten in Sicht. Bergführer Moma stapft voraus, kein Schweißtropfen auf seiner Stirn. Ihm bleibt genug Atem, um zu erzählen - von den Kindern, von "seinem" Buddha, vom nächsten Leben. "Letztes Jahr war ich in Amerika", sagt der 32-Jährige, wartet auf die Reaktion seiner zwei Gäste. Die versuchen ihre Zweifel höflich zu verbergen, doch im Stillen geht das große Rechnen los. Ist das wahr? 1200 Euro verdient ein Myanmare im Jahr. Eben noch hat Moma doch erzählt, dass er die 15 Euro Miete nicht immer bezahlen kann. Da plötzlich blitzt es in seinen Augen auf. "Ich war dort in meinen Träumen", sagt er. "Und heute Nacht fahre ich nach Deutschland. Wenn du mir deine Hausnummer sagst, bring' ich dir frische Mangos mit."

Elisa Grafenstein, SZ vom 04./05. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Hamburg

Müll im Berliner Volkspark

Quelle: picture-alliance/ dpa

Frau A. muss eine nette Party gefeiert haben in der Nacht zum 1. Mai. Jedenfalls lässt sich das aus den Überresten schließen, die sie und ihre Gäste im Fischerspark im Hamburger Stadtteil Ottensen haben liegen lassen. Hätte es der Lebensfreude der Runde wirklich einen Abbruch getan, danach noch den Müll wegzuräumen: zwei benutzte Einweggrille, Pizzakartons, Plastikgabeln, leergeschlürfte Saftpäckchen? Eine Antwort könnte ein Anruf bei Frau A. liefern. Ihr voller Name und ihre Handynummer stehen auf dem ebenfalls hinterlassenen Lieferbeleg für zwei Pizzen "Athena" und "Lucca" für 14,40 Euro. Ihre Adresse auch: direkt am Parkeingang. Vielleicht konnte A. ihren kleinen Müllberg ja vom Fenster aus sehen. Vielleicht haben sie und ihre Freunde Mikado gespielt: Wer sich an dem Anblick als Erster störte, hatte verloren.

Christopher Schrader, SZ vom 04./05. Mai 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Zadar

Hände mit Handy

Quelle: REUTERS

"Wenn Sie durch diese Türe gehen", sagt, Fremdenführerin Ivana, "dann betreten Sie eine andere Zeit." Das Kloster Sveta Marija in Zadar wurde 1066 gegründet, tatsächlich scheint dort die Zeit stehengeblieben zu sein. Nonnen im schwarz-weißen Habit, Kerzen, dicke Mauern, die den Lärm des kroatischen Frühsommers fernhalten. "Keine Fotos von den Nonnen und von den Kunstwerken", mahnt Ivana. Beim Gang durch das Klostermuseum, in dem Reliquien und Heiligenbilder zu sehen sind, folgen zwei Nonnen den Besuchern. Sie plappern laut wie Schülerinnen auf einem Klassenausflug, offenbar haben sie nicht so oft die Gelegenheit, ihr eigenes Museum zu besichtigen. Vor der Vitrine mit einem angeblichen Schulterblatt eines angeblichen Heiligen zieht eine von beiden ein Foto-Handy unter dem Gewand hervor. Klick. Vorbei ist es mit der anderen Zeit.

Titus Arnu, SZ vom 27./28. April 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Weinheim

Fahne mit NPD-Logo

Quelle: dpa

Wer gerne wandert, hat es gut in Weinheim. Das Städtchen ist umgeben von Burgen und Wäldern, und in der Altstadt bekommt man im "Goldenen Pflug" selbstgemachte Pflaumenmarmelade von netten Wirtsleuten. Es könnte alles so schön sein, wäre man nicht nach Weinheim gefahren, um einen Parteitag der NPD zu beobachten. Die Braunen treffen sich im verrümpelten Gasthof "Zum schwarzen Ochsen" und schaufeln Schnitzel in sich hinein. Statt zu wandern, hockt man nun zwischen Rechtsextremisten. Als der Hunger zu groß wird, bestellt man auch ein Schnitzel. Dazu gibt's halbgare Pommes. Draußen wacht die Polizei, drinnen dröhnen die NPD-Redner. Spät am Abend ist der Magen wieder leer. Was haben Sie denn noch so? - Schnitzel wären da. Also ein Jägerschnitzel. Braune Soße, wieder halbgare Pommes. Der Tag ist eh' versaut.

Tanjev Schultz, SZ vom 27./28. April 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... Moskau

Mausoleum Lenin einbalsamierter Leichnam

Quelle: DPA

Lenin hat ihn erfunden, und so wie Lenin noch immer nicht beerdigt ist, so ist es auch mit seinem Subbotnik. Zweimal im Jahr, stets an einem Samstag (Russisch: Subbota), gibt es gemeinschaftlichen Frühjahrsputz. Unbezahlt. Dafür freiwillig. Offiziell zumindest. Kolonnen von Angestellten und Studenten rücken aus, klauben Steine vom Rasen, kehren Müll zusammen. Auch an der benachbarten Schule, wo das Areal um eine öffentliche Rasenfläche zu säubern ist. Doch was für eine Lässigkeit ist da zu spüren: kein Druck, keine Befehle. Die Schüler bringen lachend die letzten vereisten Schneereste zum Zerspringen, Jungs drehen Rechen um und üben Schattenfechten, Mädchen werfen leere Mülltüten in die Luft wie rhythmische Sportgymnastinnen ihre Bänder. Der Rest spielt Fußball. Lockeres Russland. Wenn das Lenin sähe.

Frank Nienhuysen, SZ vom 27./28. April 2013

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Mitten in Absurdistan:Mitten in ... München

Vogelnest Küken Jungvögel

Quelle: dpa

Zehn überdachte Fahrradständer stehen vor unserem Haus, und die Plätze als begehrt zu bezeichnen würde ihrer Bedeutung nicht ansatzweise gerecht. Im Kampf um die Metallbügel empfiehlt es sich zum Beispiel am Samstag um kurz nach acht, wenn die Pensionäre im Supermarkt und ihre Stellplätze für etwa 30 Minuten frei sind, aufzustehen und das eigene Rad unters Dach zu schieben. Ein zuverlässiges Schloss sichert die Position, zumindest bis Montag, wenn man wieder fahren muss. Ein ewiger Wettkampf. Doch am vergangenen Montag ist etwas anders als sonst: Vogelgezwitscher, Rascheln, nur wenige Zentimeter entfernt. Im Einkaufskorb an einem der Pensionärsräder hat eine Amsel ihr Nest gebaut. Nach dem Gezwitscher zu urteilen, sind schon Vögelchen geschlüpft. Jetzt wäre wohl die Zeit für ein "Reserviert"-Schildchen.

Charlotte Theile, SZ vom 27./28. April 2013

© Süddeutsche Zeitung/cag
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