Mitten in Absurdistan:Her mit dem unsichtbaren Bier!

In Thailand sind an einem verdammt heißen Abend Kaffeebecher einen zweiten Blick wert. Und in Taipeh wartet ein Wald roter Pfeile.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt

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Quelle: Kai Strittmatter

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Mitten in ... Taipeh

Ich weiß nicht, wie Sie die letzte Woche verbracht haben. Ich wollte mein Parkticket bezahlen, einen Jeton eigentlich. Dann stand da dieser Automat. Ich habe Erfahrung mit Automaten. Ich habe es sogar einmal geschafft, im Hotel in Taipeh auf die Toilette zu gehen, ohne mir vom blinkenden Klodeckel den Unterleib massieren, föhnen und vorgaren zu lassen. Aber dieser Parkautomat, puh. In der Hand hielt ich den Plastikjeton, der Automat hatte allerdings drei Schlitze und drei Münder und ein Keyboard und sage und schreibe 16 angeklebte Hinweiszettel in allen Farben, lose verbunden durch einen Wald roter Pfeile. So stelle ich mir den Schaltplan meines iPhones vor, bloß mit weniger Rostflecken. Ich hob also die Rechte mit dem Jeton und versuchte, den Pfeilen zu folgen, systematisch. Ich tue das bis heute, diesen Text hier schreibt meine Linke.

Kai Strittmatter

SZ vom 10. April 2015

Lokführerstreik - München S-Bahn

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

In der S-Bahn zum Flughafen, kurz vor Englschalking, man hat also noch ein paar Stationen vor sich und die Zeit bis zum Abflug ist knapp kalkuliert. Da knarzt der Lautsprecher. Oh nein! Vorangegangener Notarzteinsatz, Signalstörung, man kennt das ja, jetzt wird es dauern. Aber der Fahrer hat anderes im Sinn: "Meine Damen und Herren, unsere Verspätung beträgt derzeit vier Minuten. Wenn sich die Fahrgäste, die aussteigen möchten, bitte dabei etwas beeilen würden, dann können wir vielleicht wieder etwas Zeit aufholen." Da horcht selbst die Rollkofferfraktion auf, im Waggon tauscht man nun Blicke. Der Zug hält an der Station, fährt wieder an. Kurz vor der Einfahrt in den nächsten Bahnhof dann erneut die Stimme aus dem Lautsprecher, diesmal ist es ein Triumph: "Meine Damen und Herren, unsere Verspätung beträgt drei Minuten."

Alexandra Borchardt

SZ vom 10. April 2015

Bier

Quelle: SZ

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Mitten in ... Chiang Mai

Es ist verdammt heiß. Selbst am Abend hat es hier in Nordthailand knapp 30 Grad. Ein richtig kaltes Bier käme jetzt gerade recht. Ein paar Straßen weiter findet sich endlich eine nette Bar. Doch als wir bei der Kellnerin bestellen, winkt sie freundlich ab: Leider sei heute ein buddhistischer Feiertag, wegen Neumond, Alkohol dürfe heute nicht ausgeschenkt werden, strenge Gesetze, sie bitte um Verständnis. Ein Blick auf die anderen Tische bestätigt: Die Gäste sitzen alle vor Limonadegläsern oder großen Kaffeebechern. Doch die Enttäuschung hält nicht lange an. Schließlich, erklärt die Kellnerin fröhlich, sei es ja möglich, Alkohol unsichtbar zu konsumieren. Unsichtbar? Sie zeigt auf die Kaffeebecher am Nebentisch: "Überall Bier drin." Die Tricks aus der amerikanischen Prohibition finden auch ein knappes Jahrhundert später ihre Nachahmer.

Viola Schenz

SZ vom 10. April 2015

Germany Hamburg Man driving classic cabriolet car model released PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxON

Quelle: imago/Westend61

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Mitten in ... Hamburg

Wenn zum Beispiel in Buenos Aires die Temperatur auf 15 Grad abstürzt, dann passiert Folgendes: Die Menschen kramen ihre Daunenjacken und Fleecepullis hervor. Wenn in Hamburg das Thermometer, sagen wir, neun Grad meldet, dann geschieht dieses Phänomen: Die beachtlich zahlreichen Besitzer von Cabrios klappen reflexartig ihre Autodächer zurück und fahren offen durch die Hansestadt, mit Sitzheizung. Andere Bewohner bevölkern in erstaunlichen Mengen die eilig geöffneten Straßencafés und tun so, als sei es mollig warm - man weiß ja nie, wann das nächste Tief aus Grönland eintrifft. Für Freitag sind unfassbare 19 Grad gemeldet, wahrscheinlich ziehen die Hamburger dann ihre Flipflops an und liegen im Freibad. Nicht auszudenken, wie freizügig das Reich an Alster und Elbe wird, wenn eines Tages der Sommer ausbricht.

Peter Burghardt

SZ vom 10. April 2015

Orchester spielen mehr für die Jugend

Quelle: dpa

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Mitten in...London

An der Trompete des ältesten Sohnes ist ein Ventil verbogen. Weil ein großer Auftritt - mit 2000 anderen Kindern - in der Royal Albert Hall ansteht, bringen wir sie zur Reparatur. Aber Phil Parker in Marylebone, zu dem wir bisher immer gegangen sind, hat zu. Umgezogen, verrät ein Zettel im Schaufenster. Schade, das Lädchen, vollgestopft mit Blechblasinstrumenten und exzentrischen Blechblas-Experten, war ein traditionelles Stück London. Nun residiert man in einem Neubau an der Hampstead Road. Beeindruckend ist es dort, mit langen Reihen gleißender Hörner und Trompeten. Trotzdem: "Warum seid ihr bloß umgezogen?", fragen wir. Der Techniker zeigt ins Schaufenster. Da steht ein zwei Meter hohes Kontrabass-Saxofon für 20 000 Pfund. "Das", sagt er, "haben wir im alten Laden nicht durch die Tür bekommen.

Alexander Menden

SZ vom 04. April 2015

Workers label bananas at a banana farm outside Guayaquil

Quelle: Reuters

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Mitten in...Guayaquil

Die Busreise von Guayaquil nach Machala ist durchaus komfortabel - wenn man zu den Fahrgästen mit Sitzplatz gehört. Reisende mit Stehplatz können sich damit trösten, dass es ja nur 170 Kilometer sind und die Straße meist gerade verläuft, entlang der schönsten ecuadorianischen Bananen-Monokulturen. Verhungern muss auch keiner. Alle paar Kilometer steigt ein mobiler Bratwurstspießverkäufer zu. Auf halber Strecke erscheint dann plötzlich ein Wanderprediger, der vor Fettleibigkeit warnt. Er hat auch ein Gegengift dabei: Uña de Gato, Katzenkralle. Hilft angeblich auch gegen Lungenkrebs. Ferner hat der Mann Chia-Samen im Angebot, ein Dollar pro Päckchen. Er ruft: "Wer das nimmt, hat nach zwei Tagen keine Lust mehr, zu masturbieren." Die Bratwürste gehen am besten, die Katzenkralle am schlechtesten.

Boris Herrmann

SZ vom 04. April 2015

Nikosia - Ledrastraße

Quelle: dpa

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Mitten in...Nikosia

Spätabends am Checkpoint auf der Ledra-Straße, griechisch-zyprische Seite. Die Grenzbeamten trinken Tee. Wenig los heute. Hinter dem Passkontrollhäuschen liegt die Pufferzone, die seit 1974 Norden und Süden trennt. Der heiße Konflikt ist längst erkaltet, die letzten Grenztoten gab es in den Neunzigern. Doch plötzlich springen die Beamten auf, alarmbereit. Ein alter Mann und seine Frau nähern sich von der türkischen Seite. Er pöbelt, sie zetert. Ratlos sehen sich die Grenzer an: Randale? Im Geschrei der beiden fällt das türkische Wort "ambulans". Ein medizinischer Notfall? Irgendwann wird es der alten Frau zu bunt. Wütend haut sie ihrem Mann eine runter. Dann erklärt sie den Grenzbeamten, immerhin Vertretern des politischen Feindes, dass der Kerl mal wieder total besoffen sei. Man möge ihr doch bitte helfen, ihn heimzuschaffen.

Luisa Seeling

SZ vom 04. Aprl 2015

Seifenblasenkunst

Quelle: dpa

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Mitten in...Zürich

Ein sonniger Samstag, einige Hundert Menschen sitzen auf dem Zürcher Sechseläutenplatz. Vor zwei Jahren wurde hier Quarzit verlegt, die Steine sind auf fast alle Eventualitäten getestet worden: Elefantendung, Cola, Öl. Jetzt zeigt sich, wie viel Lauge sie vertragen. Punkt 15 Uhr beginnen die Leute, Seifenblasen in die Luft zu pusten. In Zürich versteht man in diesen Fragen eigentlich keinen Spaß. Gunnar Jauch, ein 70-jähriger Architekt und Straßenkünstler, wurde vom Ordnungsamt mit einer Buße von 250 Euro gestraft, weil er hier auf dem Platz "Seifenblasenkunst machte", unangemeldet. Die Regeln für Straßenkunst sind streng: exakt eingegrenzte Gebiete, Bewilligungsanträge. An diesem Tag steigen aus Solidarität mit Jauch Hunderte unangemeldete Seifenblasenkunstwerke in die Luft. Vom Ordnungsamt: keine Spur.

Charlotte Theile

SZ vom 04. April 2015

Crazydance

Quelle: SZ

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Mitten in ... Adana

Es ist nach 21 Uhr in Südanatolien. Aber man muss jetzt noch nicht ins Bett. Wenn man es genau nimmt, kann man jetzt noch nicht ins Bett, denn nicht weit vom Hotel entfernt leuchtet und blinkt es heftig. Ein Freizeitpark! Und er hat noch geöffnet! Es fühlt sich fast schon verboten an, hier zu sein, denn sonst ist kaum ein Besucher da. Als ob man heimlich über den Zaun geklettert wäre für ein bisschen Privatvergnügen. Vor dem "Crazydance", einem Karussell, das man aus Jugendtagen, in denen Taschengeld noch ein sehr limitierender Faktor war, als heftiges Vergnügen in Erinnerung hat, stehen einige wenige Jugendliche und warten auf Einlass. Nein, sagt der Mann am Schaltpult, Spaß gebe es erst ab sechs Personen. Flehende Blicke. Sehr flehende Blicke. Na gut. Schon fährt der "Crazydance" - und schleudert einen in die Jugend zurück.

Mike Szymanski

SZ vom 27. März 2015

Proben für Schillers 'Wilhelm Tell' in Weimar

Quelle: picture-alliance / dpa/dpaweb

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Mitten in ... München

Es steht ein Bettler am Gartentor. In dieser behüteten Gegend im Münchner Süden sind es in den vergangenen Monaten immer mehr geworden, die um die Häuser ziehen, um eine Kleinigkeit, um Geld bitten. Der Jüngste ist kurz allein zu Hause. Später erzählt er aufgeregt von diesem Mann, der geklingelt hat, kein Deutsch konnte und immer wieder auf den Mund gezeigt hat. "Der hatte Hunger, der Arme." Das Kind flitzt in die Küche, holt einen Apfel, reicht ihn über den Zaun. Der Mann lächelt und dankt. Später sehen wir ihn noch einmal, er telefoniert mit dem Handy und ritzt einen Zinken in den Zaun. Eines jener Geheimzeichen, auch Gaunerzinken genannt, mit dem er anderen signalisiert, was es in welchem Haus zu holen gibt. Was dieses Zeichen wohl bedeutet? "Geld gibt es hier zwar keines, aber einen prima Bio-Apfel"?

Ulrike Heidenreich

SZ vom 27. März 2015

Überladener Bus in Ostafrika

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Banfora

Man soll eine halbe Stunde vor Abfahrt am Busbahnhof sein, heißt es am Ticketschalter in Banfora, einem Städtchen im Südwesten von Burkina Faso. Dann werde man schon aufgerufen. Na, mal sehen. Um 17.30 Uhr bin ich da. Um 17.45 Uhr stehen immer noch Koffer und sperrige Möbel vor dem Bus. Sie warten aufs Verladen. Ich beobachte das chaotische Treiben auf dem Platz, die gefesselten Ziegen auf Mopeds, die heillos überladenen Buschtaxis. Wird das heute noch was? Als sich die Bustüren endlich öffnen, ist es schon kurz vor 18 Uhr. Niemand ruft hier irgendwen auf, alle drängeln, und für die Sitzplatznummer auf dem Ticket interessiert sich auch kein Mensch. Also zwänge ich mich zwischen zwei Mitfahrer, doch was ist das? Die Digitaluhr im Bus schaltet von 17.59 auf 18.00 Uhr, und - tatsächlich - der Bus fährt pünktlich los.

Isabel Pfaff

SZ vom 27. März 2015

Green illuminated microphone PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY RSF000199

Quelle: imago/Westend61

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Mitten in ... Wien

Ein hippes Kulturzentrum, davor Dutzende junge Menschen mit flehendem Blick, die große Schilder hochhalten: "suche Karte!!!" Manche wären bereit, das Dreifache dessen zu zahlen, was das Konzert kostet. Es tritt auf: der mitteljunge, mittelerfolgreiche deutsche Sänger, Songwriter und Comedian Olli Schulz, der vor allem als Sidekick der zwei mittellustigen deutschen TV-Talker Joko und Klaas bekannt ist. Die Halle ist ausverkauft. "Wien, Mann, Wahnsinn!!!" ruft der Sänger dankbar, "ich habe heute schon eine Eitrige gegessen!" Verwirrte Blicke. Wien? Eitrige? Wer hier steht, kennt Scholle Finkenwerder Art, aber keine Käsekrainer. Nicht Österreich huldigt einem Künstler aus Deutschland, sondern gefühlt die ganze deutsche Studenten-Kolonie. Hysterisch beklatscht: ein schriller Zwischenruf aus dem Publikum. "Hamburg!!!"

Cathrin Kahlweit

SZ vom 27. März 2015

Steinadler beziehen neue Voliere

Quelle: Jens Büttner/dpa

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Mitten in ... Schliersee

Am ersten Frühlingssonntag ergeht der revolutionäre Beschluss: Wir bleiben einfach auf dem Sofa liegen. Auf dem, das draußen steht, immerhin. Auf einmal pfeift es gellend. Auf der anderen Talseite sieht man: fünf majestätische Raubvögel. Steinadler? Fünf? Der über einem Weißbier kontemplierende Nachbar sagt: Adler. Drei Vogelkundler, die sich später Fotos anschauen, sind uneinig, 2:1 steht es am Ende für Adler. Kurz bevor die Handgelenke vom Weißbier- und Fernglas-Halten schmerzen, verschwinden die Tiere wieder. Umzug auf das Drinnen-Sofa. Kurz darauf schreckt man schon wieder auf: Ein grünes Licht, hintendran Funken, zischt am Fenster vorbei, von rechts oben nach links unten. Ein magischer Moment, nach dem man betört ins Sofakissen sinkt. Das Internet sagt: Es war ein Meteor. Wir denken uns: Wir sollten öfter zu Hause bleiben.

Birgit Lutz

SZ vom 20. März 2015

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Bobo-Dioulasso

Sogar bei den heiligen Fischen werde man vorbeischauen, verspricht der Stadtführer in Bobo-Dioulasso. Die zweitgrößte Stadt in Burkina Faso ist berühmt für ihre Moschee in Lehmbauweise, für ihre Altstadt - und offenbar auch für ihre Fische. Der Stadtführer zeigt uns das Gotteshaus, lotst uns durch die Gassen der uralten Viertel, lässt uns Hirsebier probieren und macht schließlich halt vor einem Graben. Was wir dort unten sehen, gleicht einer Müllhalde. Knietief steht dort das Schmutzwasser, Ziegen knabbern an Plastiktüten herum, der Gestank verschlägt uns den Atem. Der Stadtführer wirft ein paar Brocken Brot in das schwarze Wasser. Welse mit langen Barthaaren zeigen sich und schnappen nach dem Brot. "Das hier", sagt er feierlich, "sind die heiligen Fische. Niemand hier würde sie je essen." Glauben wir ihm aufs Wort.

Isabel Pfaff

SZ vom 20. März 2015

Szene aus "Manhattan" mit Woody Allan und Diane Keaton

Quelle: SZ diverse

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Mitten in ... Beverly Hills

Zuerst fällt die Frau auf. Sie trägt einen engen Hosenanzug, geht den Rodeo Drive entlang und redet laut auf einen zierlichen Mann ein, den man sofort an seiner Brille erkennt. Sie kommen näher. Zehn Meter. Der Gast aus Deutschland, zum ersten Mal in Los Angeles, hat plötzlich einen trockenen Mund. Er will grüßen. Aber wie? Fünf Meter. Der Mann mit der Brille hebt kurz den Blick. Der aufgeregte Deutsche ruft viel zu laut "Hello!" Der Mann nickt kurz, die Frau guckt etwas angeekelt. Kurz darauf erzählt der Deutsche seinem Kollegen Jürgen von dem unglaublichen Treffen mit: Diane Keaton und ihrem Ex-Freund Woody Allen! Ja, sagt dieser Jürgen, der schon seit zwei Jahren hier lebt und Begegnungen mit Filmstars so was von gewohnt ist. Die Beiden habe er auch gesehen. Er habe sie zwei Blocks weiter fast über den Haufen gefahren.

Marc Felix Serrao

SZ vom 20. März 2015

FERNMELDEMUSEUM MÜHLHAUSEN

Quelle: Martin Schutt/dpa

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Mitten in ... Hamburg

Wir kommen aus Südamerika zurück ins Serviceparadies Deutschland und hätten gerne einen Telefonanschluss. Wie geht das? Man bestellt zum Beispiel in einem Laden in Hamburg ein Kombi-Paket, Telefon plus Internet plus Fernsehen. So was Ähnliches dauert in Buenos Aires circa drei Tage. In Hamburg will nach knapp vier Wochen ein Techniker vorbeischauen, "zwischen zwölf und 20 Uhr". Man wartet einen sonnigen Tag lang, keine Spur von dem Mann. Die Leitung sei noch nicht geschaltet, erläutert tags darauf eine Frau im Geschäft. Nächster Termin: der 23. März. Man muss unweigerlich daran denken, wie sich ein alter Reporterkollege für eine Fernmeldeleitung in Neu-Delhi einst auf einem Kamelwagen direkt zum indischen Postminister ziehen ließ. Wer uns in Hamburg erreichen will: am besten eine Postkarte schicken!

Peter Burghardt

SZ vom 20. März 2015

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Berlin

Lesung in einer Galerie in Kreuzberg. An den Wänden: Albtraum-Grimassen, je 3500 Euro. Taxierung: Ein Soli-Euro für die Kunst, 49 fürs Material, den Rest für den Therapeuten des Künstlers. Auf dem Boden: Sitzkissen mit Menschen drauf. Sie haben die Körperhaltung zweifach aufgegossener Teebeutel; um ihre Hälse tragen sie Tücher, die aussehen wie Gedärm. Auf der Bühne: indiskutabel schlechte Prosa. Trotzdem: Alle schauen ernst, alle sind konzentriert, alle klatschen. Pause, endlich. Eine junge Frau steht vor dem Klo. Einer fragt, flirty: "Du machst die Toilettenschlange?" Sie, ernst: "Ja, eine muss ja!" Er, lächelnd: "Das war doppeldeutig, das war lustig!" Sie, fragend: "Das versteh' ich jetzt nicht, tut mir leid." Er, echt geknickt: "Tut mir leid." Moral: Man wird seine Meinung von Berlin so schnell nicht ändern müssen.

Cornelius Pollmer

SZ vom 13. März 2015

FRANCE-CONSUMPTION-BREAD-PRICE

Quelle: AFP

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Was kostet ein Brot? Etwa dieses Baguette? Schwer zu sagen. Der Mann im Backshop des Supermarktes setzt sich eine Schutzhaube auf und zieht sich einen Hygienehandschuh an. Er greift nach etwas, das wie eine große Nudelzange aussieht. Dann nähert er sich in voller Montur dem Brot. Halb mit der Zange, halb mit dem Handschuh balanciert er es auf die andere Seite des Ladens. Dort steht die Brotwaage. Sie errechnet: 14,90 Reais. Wie bitte? 4,50 Euro für ein Baguette? Gutes Brot habe seinen Preis, sagt der Mann. "Haben Sie noch eine Minute?" Er verschwindet mit der Backware im ersten Stock. Zehn Minuten vergehen. Dann: Er habe noch einmal mit dem Chef gesprochen. Er könne dieses Baguette jetzt für 4,20 Reais anbieten. Ein Rabatt von 10,70 Reais in zehn Minuten, das ist fair. Nicht einmal Brotwaagen sind in Rio unbestechlich.

Boris Herrmann

SZ vom 13. März 2015

Los Angeles Kalifornien Santa Monica

Quelle: Andrew Bayda - Fotolia

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Mitten in ... Los Angeles

Seit Sonntag herrscht an der Westküste der USA Sommerzeit. Das interpretieren die Bewohner als Zeichen, dass der Strand nun wieder exzessiv bevölkert gehört - vor allem durch jene, die gemeinhin eher über rote Teppiche als im Sand spazierten: Der Basketballer Blake Griffin zum Beispiel spielt hier den ganzen Vormittag Beachtennis. Die Schauspielerin Audrina Patridge geht am Wasser spazieren. Sängerin Nicole Scherzinger leiht sich ein Fahrrad, um nach Santa Monica zu fahren. Und Late-Night-Talker Jimmy Kimmel genießt auf der Terrasse eines Restaurants den Sonnenuntergang. Der nur in der eigenen Nachbarschaft bekannte Fan träumt nun von Selfies und Autogrammen, bis er von seinen Freunden an die wichtigste Regel für Strandbewohner erinnert wird: Nur nicht ausflippen. Auch Jimmy muss mal was essen.

Jürgen Schmieder

SZ vom 13. März 2015

Louis Vuitton - Arrivals - Paris Fashion Week Ready to Wear F/W 2

Quelle: dpa

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Mitten in ... Paris

Regel Nummer eins bei der Pariser Modewoche: Wenn du den Weg zur Show nicht kennst, laufe einfach den Label-Leuten hinterher. In der Metro raus zum Bois de Boulogne deshalb Erleichterung, als man die Frau mit teuren Stiefeln, teurem Mantel und riesiger Vuitton-Tasche erspäht: Die will sicher auch zur Fondation Louis Vuitton. Und tatsächlich steigt sie an der Station Les Sablons aus, setzt die Sonnenbrille auf und läuft mit strammem Schritt los. Die Show beginnt in 15 Minuten, also nichts wie hinterher. Sie marschiert die Straße entlang, biegt rechts ab, dann links, dann wieder rechts. Noch sieben Minuten bis zur Show und vom Bois de Boulogne keine Spur. Sie schaut auf die Uhr. Jetzt aber flott! Dann verschwindet sie in einem Bürohaus. Regel Nummer zwei bei der Pariser Modewoche: Trage stets flache Schuhe, damit du rennen kannst.

Tanja Rest

SZ vom 13. März 2015

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Mailand

Ein Wintermorgen in Mailand, Ecke Via Montenapoleone, da, wo all die schönen Läden sind, Luxusboutiquen mit Namen voll unerschwinglicher Verheißung, mit fein gekleideten Türstehern und viel asiatischer Kundschaft. Es ist kalt, die Palazzi stehen schwarz im Regen. Sogar der weiße Sportwagen an der Straße wirkt fahl. Zwei sehr junge, sehr dünne, sehr lange Frauen warten am Rotlicht für Fußgänger, ihre Fotomappen unter dem Arm. Ungeschminkt und ohne Schirm. Sie haben wohl denselben Termin, dasselbe Casting. Sie scheinen sich nicht zu kennen. Demonstrativ drehen sie einander ihre schmalen Schultern zu. Dann wird es grün. Beide rennen los, als zähle die frühe Ankunft, treten in Wasserpfützen, liefern sich ein ungelenkes Laufduell auf rutschigem Boden. Alle Grazie ist weg, aller Glamour, einfach so, erkaltet im Mailänder Alltag.

Oliver Meiler

SZ vom 6. März 2015

Genral Views Of Beijing As Xi Says Risks Linked To China Economic Slowdown ArenÕt Scary

Quelle: Bloomberg

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Mitten in ... Antwerpen

Das "Cuichine" in Antwerpen ist ein hübsches chinesisches Restaurant, gegen Aufpreis kann man das Menü mit Käse abrunden. Man kann das Ganze auch "tussengerecht" bestellen. Nun gut, denkt man sich, das wird ein Überbleibsel des Valentinstages sein. Oder es ist den vielen Nachfragen von Damen geschuldet, die ihr Essen gern "mit ohne scharf" wollen oder ohne Zwiebeln. Warum dann aber der Aufpreis von 14 Euro? Weil die armen chinesischen Köche Zwiebeln, Fleisch und Schärfe mühsam aus ihren Kreationen tilgen müssen? Eine Art Strafzoll? So oder so hätte man das netter sagen können, "tussengerecht" passt nicht in die Welt der Gleichberechtigung. All das denkt man sich, während man aufs Essen wartet. Letztlich ist es dann aber so: Tussengerecht, das ist auf Flämisch einfach nur das Zwischengericht. Und ziemlich gut.

Bernd Dörries

SZ vom 6. März 2015

Klangschalen für die Meditation, 2013

Quelle: Florian Peljak

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Mitten in ... Tannenhof

Opa ist ein in Japan geweihter Zen-Mönch, deshalb will er zu einem Seminar in der Nähe von München. Ein Meister erteilt dort Nachhilfe im "Om". Tannenhof 2 lautet die Adresse - ziemlich ländlich. Besser, die Tochter bringt Opa hin. Der Weg ist das Ziel? Und ob. Vor dem Hof steckt ihr Auto im Matsch fest. Aber Hilfe ist ja da, "Liebende Güte" ist schließlich eine buddhistische Grundtugend. Schnell tauschen die Zen-Eleven ihre Bast-Sandalen gegen Stiefel. Redselig sind sie nicht gerade; viele sprechen kein Wort. Schon eine spezielle Klientel, denkt die Tochter. Sie setzt sich ans Steuer, Aug in Aug mit sieben Zennies vor der Motorhaube. Allein Blicke sagen: Gas! Schieben! Jetzt! Plötzlich ist der Wagen frei. Es folgt: stiller Jubel. Die Tochter, mehr expressiv als meditativ, dankt ausführlich. Dann sagt einer: "Du, das ist ein Schweigeseminar."

Christina Berndt

SZ vom 6. März 2015

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Montevideo

Die Fähre von Montevideo nach Buenos Aires braucht zwei Stunden. "Willkommen bei der schnellsten Flotte der Welt", sagt der Kapitän. Das mag juristisch anfechtbar sein. "Willkommen bei der Flotte mit der seltsamsten Schuh-Politik", das würde stimmen. Jeder Passagier muss sich blaue Plastiktüten über die Schuhe ziehen. Wie Badekappen für die Füße sieht das aus und ist garantiert nicht atmungsaktiv. Wer mit Sandalen an Bord geht, kommt mit durchgegarten Zehen in Argentinien an. Fortbewegung funktioniert nur im Watschelgang. Die Crewmitglieder sind an weißen Fußtüten zu erkennen. Sie sagen, es gehe darum, den neuen Teppich der Fähre zu schützen. Der Teppich ist türkisfarben. Außerdem ist er voller Flecken, weil die Klimaanlage tropft. Klimaanlagen dürfen auf dem Rio de la Plata ohne Plastik-Käppchen reisen.

Boris Herrmann

SZ vom 6. März 2015

Sonnenuntergang über Berlin

Quelle: dpa

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Mitten in ... Berlin

Gastronomisch ist die Hauptstadt oft richtig aufregend, in die eine oder in die andere Richtung. Etwa dieses Traditionslokal am Kupfergraben: Selbst an den Fensterplätzen zur Museumsinsel nimmt man den Küchengeruch wahr, und in der Männertoilette findet man, aber ja doch, vier tote Fliegen, was die Dichter der Zwanzigerjahre, die hier mal als Stammgäste verkehrt haben sollen, sicher zu lustigen Versen animiert hätte. Die herrlich verlebte Chefin serviert nach längerer Wartezeit höchstpersönlich die Berliner Graupensuppe, eine Spezialität des Hauses. "Bitte sehr, die Dame", sagt sie mit beeindruckender Reibeisenstimme, der Herr kriegt den Burger vor die Nase geknallt. Irritierte Blicke. "Ach so, umgekehrt", knarzt die Chefin. "Aber Graupen - dit ist doch für Mädchen!" Sie ahnt nicht, wie gerne wir auf die Fleischbeilage verzichtet hätten.

Christian Mayer

SZ vom 27. Februar 2015

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Quelle: AFP

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Mitten in ... New York

Der Mann in der neongelben Warnweste pustet sich in die Handschuhe, es sind minus 15 Grad Celsius, und New York ist von einer Frostschicht überzogen, auf dem Hudson treiben Eisschollen. "Ich passe auf die Banker auf", sagt er. Wie jeden Morgen um kurz vor neun Uhr eilen Tausende junge Menschen in das gläserne Gebäude von Goldman Sachs im Financial District. Unter ihren Mänteln schaut feinster Zwirn hervor. Die Frauen tragen ihre High Heels in Tüten und schlüpfen aus den Stiefeln heraus, wenn sie das Büro betreten. Dummerweise müssen sie vorher eine achtspurige Straße überqueren. Der West Side Highway Ecke Murray Street gilt als eine der für Fußgänger gefährlichsten Kreuzungen der Stadt. "Es wird immer schlimmer", sagt der Mann in der Warnweste. "Die Leute schauen nur auf die Handys und nicht auf den Verkehr."

Kathrin Werner

SZ vom 27. Februar 2015

RNPS IMAGES OF THE YEAR 2007 - GERMANY

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... München

Es ist nie eine gute Idee, alleine auf Konzerte früherer Helden zu gehen. Das ist einfach zu viel der einsamen Reflexion in der Masse. In der Halle ist man erst mal gezwungen, der eigenen Generation zuzuhören. Es geht um Stilldemenz und die Gottschalk-Sendung vom Vorabend. Endlich erscheint der Star. Mark Lanegan galt einst als der junge Tom Waits. Mittlerweile ist er älter, als es Waits heute ist. Lanegan hat immer noch seine Zigaretten- und Whisky-Stimme, Baritod quasi, aber neuerdings trägt er Brille, trinkt Wasser, raucht nicht. Wenigstens sieht er immer noch aus wie eine Leiche. Früher war das cool. Heute wirkt es fast ein wenig bedrohlich, denkt man auf dem Heimweg. Um elf. Nüchtern. Am Steuer. Im Škoda. Aber ein Quäntchen Punk ist ja noch da: Daheim lässt man zur Feier des Tages die Zahnseide mal schön Zahnseide sein.

Martin Wittmann

SZ vom 27. Februar 2015

A general view shows the city of Amman during a heavy snowstorm

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Amman

"Spring rein, Hübscher!" Zwei Frauen um die fünfzig zeigen Mitleid mit mir, nachdem ein Taxifahrer mich rüde ignoriert hat. Die eine kurbelt das Fenster herunter, winkt mich heran. Die andere lässt den Motor aufheulen, im zerbeulten weißen Opel geht es den Berg hinunter und um die Kurve, Lippenstifte und leere Zigarettenschachteln fliegen durch die Luft. Ob die Freundinnen gerade von der Arbeit kommen? "Vom Rumhängen!", sagt Fatime, die Fahrerin, die ein dunkelbraunes Kopftuch trägt, beide Damen lachen sich schlapp. Es geht plötzlich steil bergauf, eine alte Frau kreuzt den Weg. "Halt drauf!", kreischt Hanan, die Beifahrerin; wieder ohrenbetäubendes Gelächter. Hanan kommt aus Nablus im Westjordanland, Fatima ist vor drei Jahren aus Syrien geflohen. "Schreibst du einen Artikel über unser lausiges, trauriges Leben?"

Ronen Steinke

SZ vom 27. Februar 2015

Elektrische Zigarette

Quelle: Marcus Brandt/dpa

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Mitten in ... Minsk

Der Palast des weißrussischen Präsidenten hat zwei Sicherheitsschleusen: Eine am Eingangstor - Metalldetektor, Taschen auspacken, Abtasten, bitteschön! Ein gewundener Weg führt dann durch den Park zur nächsten Schleuse - Metalldetektor, Taschen röntgen, Abtasten. Moment! Fotografen und Kameraleute haben immer seltsames Gerät dabei: Objektive groß wie Raketenwerfer, Stative wie für Maschinengewehre, Akkublöcke wie Sprengstoffgürtel. Nichts ist den Polizisten beim Ukraine-Gipfel fremd. Aber was ist das? Ein skeptischer Wachmann hält einen handlangen Metallzylinder hoch und betrachtet ihn mit fragendem Blick. Könnte gut ein Schalldämpfer sein. Der Besitzer nimmt ihn an die Lippen, zieht zweimal kräftig dran und stößt eine weiße Wolke aus. Merke: Elektronische Zigaretten haben sich doch noch nicht überall durchgesetzt.

Julian Hans

SZ vom 20. Februar 2015

EURO 2008: Vorbereitungen EM-Halbfinale Deutschland-Türkei

Quelle: Marcus Brandt/dpa

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Mitten in ... München

"Nasılsınız?" Frau Ö., die Türkischlehrerin, schaut erwartungsvoll: Bitte wiederholen. "Wie geht es Ihnen?" Das kann doch nicht so schwer sein. Ein i ohne Punkt ist aber kein i. Frau Ö. leidet. Sie macht es noch einmal vor - und zieht die Mundwinkel so weit nach hinten, dass sie aussieht wie der Joker, der Fiesling im Batman-Film. Ö. ist eigentlich die Gute. Wie oft hat sie mir gesagt: "Das wird schon." Manchmal sagt sie auch, das musst du nicht verstehen. Das musst du einfach machen. Damit will sie mir auch etwas über die Türkei beibringen, wo ich bald leben werde. In einem Formular für die Einreise wurde neulich meine Blutgruppe erfragt. Ich hatte keine Ahnung, was das sollte, und leider auch keine von meiner Blutgruppe. Frau Ö. hätte sich sicher gefreut: Nicht verstehen, einfach machen. Ich bin zum Blutspenden gegangen. Null positiv.

Mike Szymanski

SZ vom 20. Februar 2015

rote unterhose

Quelle: Kai Strittmatter

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Mitten in ... Peking

Einmal im Jahr ist Peking ein Traum. Zu chinesisch Neujahr. Dann wenn eine Milliarde Chinesen auf Reisen gehen. Wer dann in Peking bleibt, der sitzt quasi im Auge des Taifuns: absolute Windstille. In diesem Jahr war - bis zur Böllerei wenigstens - der Himmel tiefblau, die Luft sauber. In den Hutongs hängt die rote Unterwäsche zum Trocknen aus, die vor Unglück schützt: Im vergangenen Jahr, dem Jahr des Pferdes, mussten die Pferdemenschen sie tragen, jetzt werden sie weitergereicht an die Ziegen und Schafe. Die Straßen eine Fata Morgana fast: keine Autos, keine Leute. "Wahnsinn, kein Mensch hier", entfuhr es uns gestern im Zentrum der Stadt. "Doch", krähte unser Sechsjähriger aufgeregt: "Da hinten, da ist einer!" Und tatsächlich: Da war einer, er überquerte gemütlich die Kreuzung. Ein Chinese, mitten in Peking.

Kai Strittmatter

SZ vom 20. Februar 2015

Zahl der Durchfallkranken steigt - Ursache unbekannt

Quelle: Ingo Wagner/dpa

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Mitten in ... Zingst

Ein Wohlfühltag geht zu Ende, der Körper ist bereits im Standby und die Speisenfolge fürs Abendessen glücklicherweise vorgegeben. Im Restaurant des Hotels: Menschen mit Ruhepuls und einem Uns-geht-es-gut-Glitzern in den Augen. Als letztes brummt jene Dame herein, die zuvor schon im Großraum Sauna das Reich der Ruhe zu einem der Unruhe gemacht hatte. "Guten Abend", sagt der Oberkellner. "Wissen Sie, ich habe Unverträglichkeiten. Ohne Ende!", antwortet sie triumphierend. Knappe fünf Minuten geht man zusammen die Karte durch, diskutiert Abweichungen, immer wieder sagt sie: geht nicht. Kellner: "Mal so gefragt, was können Sie denn essen?" Sie: "Im Grunde gehen nur Möhrchen." Er, erschöpft: "Möhrchen?" Sie, glücklich: "Möhrchen." Kellner geht ab, sein Auge scheint zu zucken. Man liest darin: Unverträglichkeit. Ohne Ende.

Cornelius Pollmer

SZ vom 20. Februar 2015

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Paris

Eine Karte soll versandt werden, per Post. Der Empfänger will es so, es geht um die Anmeldung zu einem festlichen Anlass. Ganz alte Schule. Also muss auch eine richtige Briefmarke her, kein Aufkleber aus dem Automaten. Der Mann am Postschalter sagt: "Natürlich habe ich eine schöne Marke! Allerdings nur ein Motiv." Er nimmt die Karte und blickt auf den Adressaten: "Botschaft der Bundesrepublik Deutschland". Da stammelt er: "Pardon, ich habe doch keine Marke für Sie." - "Aber warum denn nicht?" Geniert kramt der Mann das Postwertzeichen hervor. "Ich glaube", sagt er, "das käme nicht gut an." Es ist eine Marke zum Gedenken an den Ersten Weltkrieg, darauf grimmige Soldaten in Blau-Weiß-Rot. Der Postler will einen Eklat vermeiden. Aber die Marke kommt auf die Karte. Das hält der Botschafter bestimmt aus. Alte Schule.

Leo Klimm

SZ vom 13. Februar 2015

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Quelle: imago/Westend61

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Mitten in ... Hamburg

Heimkehrer, kommst du zurück nach Deutschland, dann sieh dich vor. In Südamerika zum Beispiel mögen Auftragskiller und Drogenbarone wüten, Stadtbusfahrer und Stechmücken. In Hamburg dagegen kommt die Gefahr auf zwei Reifen daher, und zwar zu jeder Uhrzeit und aus jeder Richtung. Radelnde Hamburger rasen selbst in Winternächten wie blutrünstige Moskitos heran. Es scheint ihnen nie zu kalt, zu nass oder zu dunkel zu sein. Sie haben es immer eilig und schieben Fußgänger notfalls wie Slalomstangen beiseite, begleitet von schreckhaftem Geklingel. Widerstand ist aus Sicherheitsgründen zu vermeiden. Im Sommer werde ich mich dem Peloton eventuell anschließen. Bis dahin trägt man als ungeübter Fußgänger statt Mütze besser Helm, drückt sich an Häuserfronten entlang und springt rechtzeitig in Deckung.

Peter Burghardt

SZ vom 13. Februar 2015

Delfin

Quelle: Daniel Karmann/dpa

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Mitten in ... Sataya

Als kritische Konsumenten aus Deutschland haben wir selbstverständlich gelernt, allzu verlockenden Angeboten im Urlaub zu misstrauen. Zum Beispiel dem hier: "Tagesausflug: Schnorcheln mit Delfinen am Riff von Sataya! Einmalige Erfahrung!" Bei der zweistündigen Bootsfahrt übers Rote Meer frotzeln wir die Erwartungen runter. Er: "Zwei Delfine. Wenn's hoch kommt." Ich: "Drei, aber einen Kilometer weit weg." Am Riff sagt der Divemaster: "Jump." One, two, three, wir setzen die Masken auf und springen - mitten in die Delfine hinein. Es sind ungefähr hundert, eher mehr. Eine Stunde lang sehen wir ihnen dabei zu, wie sie ihre Formationen bilden, miteinander spielen, uns umkreisen, zum Anfassen nah, alles unterlegt von einem ausgelassenen Keckern und Fiepen. Es ist, nennen wir es ruhig beim Namen: eine einmalige Erfahrung.

Tanja Rest

SZ vom 13. Februar 2015

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Quelle: Andreas Pohlmann

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Mitten in ... München

Ein Abend im Residenztheater. Es brodelt auf der Bühne, das Stück "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" ist in vollem Gange, die Schauspieler keifen und ätzen, dass man es kaum aushalten mag. Da bricht Panik im hintersten Teil des Parketts aus, ein Zuschauer bricht zusammen. "Ein Arzt, ein Arzt!", schreien drei Reihen auf einmal - und damit gegen die Schauspieler an. Ein älteres Paar, in der Mitte des Saals platziert, ist irritiert: "Gehört das zum Stück?" Das Brüllen von hinten wird lauter, irgendwann ist es auf der Bühne still. Nachdem der Mann draußen versorgt ist, alle Köpfe nach vorne zurückgedreht sind, müssen sich die Schauspieler noch sammeln, um den dritten Akt zu Ende bringen zu können. Plötzlich ruft jemand in genervtem Tonfall in die Stille: "Weiter!" Im Wilden Westen hätte man jetzt den Nächsten aus dem Theater getragen.

Julia Rothhaas

SZ vom 13. Februar 2015

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