Mitten in Absurdistan:Drei Männer und der Durst

Im kaukasischen Bergdorf gibt es aus triftigem Grund umständliche Antworten. Japans Superheld wiederum glänzt mit einem Kopf aus Hefeteig und Bohnenpaste.

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Quelle: Imago

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Mitten in ... Hamburg

Es besteht noch Hoffnung für das Abendland, sogar am schönen und teuren Isemarkt. Der Isemarkt, soviel für Fremde, ereignet sich jeden Dienstag und Freitag unter einer Brücke der Hochbahn in der schicken Isestraße, er ist die Hamburger Variante des Münchner Viktualienmarkts. Vor ein paar Wochen stand an einem Tisch jenseits der Verkaufsbuden auf einmal eine Abordnung der AfD. Man wunderte sich, aber es ging weiter: Dienstags darauf wurde an derselben Stelle dann Pfefferspray angeboten. Würden weitere Eskalationsstufen folgen? Was würde einem an den kommenden Markttagen in diesem Winkel begegnen? NPD? Bazookas? Glücklicherweise fanden sich bei nächster Gelegenheit die "Ärzte ohne Grenzen" ein, wie beruhigend. Und nun: ein Mann mit einer Kiste. Hölzerne Ostereier aus der Ukraine, handbemalt.

Peter Burghardt

SZ vom 24. März 2016

Barman's 2009 International Drinks Fair Held In Tel Aviv

Quelle: David Silverman/Getty Images

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Mitten in ... Mazeri

Ein Bergdorf im Großen Kaukasus, Georgien. Das Restaurant der Pension mit dem schönen Namen "Grand Hotel Ushba" ist mit Holzofen beheizt, Kerzen brennen, es gab einen Stromausfall. Der Betreiber der Pension, ein sympathischer, dienstfertiger Mann namens Arkadi, setzt sich dazu, um ein paar Fragen zu beantworten. Auf jede Frage antwortet er sehr ausführlich auf Russisch, für ihn eine Fremdsprache. Die Übersetzung ins Deutsche besteht meist nur aus zwei, drei Sätzen. Wie, das ist alles, was er gesagt hat? Er spreche so umständlich, komme nicht zum Punkt, rechtfertigt sich die russische Übersetzerin, es sei anstrengend, ihm zu folgen. Seltsam. Am späteren Abend klärt der georgische Fahrer, der komisch grinsend mit am Tisch sitzt, die Sache auf: "Wir tranken Wodka. Viel Wodka. Zwei Liter, drei Männer." Arkadi war einer von ihnen.

Hans Gasser

SZ vom 24. März 2016

München S-Bahn Mitten in ...

Quelle: Tobias Hase/dpa

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Mitten in ... München

Morgens in der Münchner S-Bahn. Zwei Frauen treffen aufeinander, beide Mitte 20 und für einen Tag im Büro oder Hörsaal hergerichtet. Eine läuft durch den Mittelgang der Bahn, sie sucht einen Sitzplatz. Im Vorbeigehen erwischt sie die andere mit ihrer Tasche im Gesicht. Die Getroffene schimpft. Die Täterin entschuldigt sich. Die Getroffene springt auf und schreit die andere an. Die Täterin mit der Tasche schimpft zurück. Geschrei, ausgestreckte Arme, Beleidigungen. Die Frau mit der Tasche verlässt die Szene. Die Getroffene schimpft laut weiter. Ein junger Mann versucht zu beschwichtigen: "Sie hat sich doch entschuldigt." Die Frau schreit nun den Mann an: "Was willst du denn? Du fickst solche Mädchen, oder?!" Der Mann blickt betreten auf das dicke Buch in seiner Hand. Es ist Leo Tolstois "Krieg und Frieden".

Sebastian Herrmann

SZ vom 24. März 2016

!! Cello !!

Quelle: Imago

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Mitten in ... Karlsruhe

Brahms-Lieder könnten das sein, neulich war es Beethoven, eindeutig. Drei Taxifahrten in Karlsruhe, da fällt so etwas auf: stets ohrenbetäubende, aber irgendwie schöne Beschallung des Fahrgasts mit klassischer Musik. Haben sich die Karlsruher Chauffeure abgesprochen? Nicht, dass er wüsste, sagt der dritte Fahrer auf Nachfrage, er selbst fahre - naturgemäß - ja kaum in anderen Taxis. Weitere Recherchen also: Da gibt es die Badische Staatskapelle, die ganz ordentlich sein soll und einen der größten Polizeichöre Deutschlands. Keine heiße Spur. In der Liste großer Söhne steht der Komponist Hans Erich Apostel; der aber war Zwölftonmusiker, das geht eher pling-plong-bömpf. Dann eine Entdeckung: Es gibt die Karlsruher Band Taxi. Ursache der Klassik-Taxis? Leider nein - sie heißt mit vollem Namen Taxi Sandanski. Und ist eine Balkan-Combo.

Johann Osel

SZ vom 18. März 2016

Hamleys Make Their Christmas 2015 Toy Predictions

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... London

Kopf einziehen! Der Bumerang saust vorbei. Hätte auch schiefgehen können. Und was macht der Verkäufer, nachdem er sein Wurfgeschoss wieder eingefangen hat? Er lacht. Hamleys heißt der Laden. Ein vierstöckiges Spielzeugland auf der Londoner Regent Street. Ein Feuerwehrauto soll her. Es gibt: Den puren Wahnsinn. Im ersten Stock verkauft eine Polo-Hemd-Frau Wecker, die ein hübsches Guten-Morgen-Lied spielen. Ihr Oberkörper wiegt hin und her, als ob bei ihr jemand einen An-Knopf gedrückt hätte. Nicht weit entfernt balanciert ein Mitarbeiter hoch konzentriert Seifenblasen. Im vierten Stock herrscht Drohnen-Krieg. In der Stellenbeschreibung fürs Personal muss "Kind gesucht" gestanden haben. Arbeitet hier denn niemand? An der Kasse dreht ein Spielzeughamster in einer Kugel seine Runden. Was für ein Wunderland.

Mike Szymanski

SZ vom 18. März 2016

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Wolfsburg

Wer mit dem Zug nach Wolfsburg reist und zum Stadion des dort ansässigen Fußball-Bundesligisten VfL will, der kommt an der sogenannten Autostadt kaum vorbei. Wer es eiliger hat, sollte die museale Ausstellung des Volkswagenkonzerns sogar auf jeden Fall durchqueren: Es ist der entscheidend schnellere Weg, was unter anderem daran liegt, dass die überdachte Brücke, die über den Mittellandkanal führt und durch die stets der Wind treibt, ein Laufband hat. Sicherheitsleute im Einreiher und mit Krawatte wachen darüber, dass man den richtigen Weg nimmt. Aber auch darüber, dass der Besucher die Autostadt nicht rauchend passiert, die Security kann da richtig barsch werden. Lerne: Der VW-Konzern, der mehr als nur im Ruche steht, bei den Abgaswerten beschissen zu haben, sorgt sich doch um die Reinheit der Atmosphäre.

Javier Cáceres

SZ vom 18. März 2016

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Quelle: imago

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Mitten in ... Rom

Giulio hört auf, ausgerechnet er. An der Kasse seines Lokals an der Via dei Falegnami hängt der Dank an die "gentile clientela", die geschätzte Kundschaft. "Giulio, echt, du hörst auf?" Alle drängen, er möge es sich bitte noch mal überlegen. Doch der hagere Giulio lächelt nur müde und berührt. "Zio Giulio" war eine "tavola calda", ein Quartiersimbiss im frugalen Dekor, ein rotes Neonschild draußen, ohne jede Anmut. Am Donnerstag gab es immer Gnocchi, am Freitag Baccalà, die Rindstreifen mit Pilzen die ganze Woche, wie wunderbar. Vor allem aber gab es da Giulio, den Koch, die Seele des Lokals, seine alltäglichen Gesten der Nähe, ein bisschen Familie. Italien halt. Er sagt, das Geschäft sei eingebrochen, unvermittelt. Die Terrorangst der Touristen, die Krise in Italien - so gehe das halt nicht mehr. Ausgerechnet Giulio. Grazie, Giu.

Oliver Meiler

SZ vom 11. März 2016

Eintracht Frankfurt v 1899 Hoffenheim - Bundesliga

Quelle: Bongarts/Getty Images

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Mitten in ... Los Angeles

"Foul!" - "Nein!" - "Doch!" - "Niemals!" - "Lügner!" - "Betrüger!" - "Ich hasse dich!" - "Ich zeige dich an!" Das Basketballspiel zwischen Erstklässlern in dieser stickigen Turnhalle im Süden von L. A. ist längst vorbei, doch die Debatten auf dem Spielfeld gehen weiter. Es geht um rein gar nichts, nicht mal um eine Trophäe fürs Dabeisein, keiner der Teilnehmer wird später in der NBA spielen. Es sind die Kinder von Schauspielern, Anwälten und Journalisten, und es sind auch nicht die Jungs, die streiten, sondern ihre Eltern. Kindersport in den USA ist kein Freizeitspaß, es hagelt Beleidigungen. Das Wunderbare an dieser Auseinandersetzung aber ist: Während die Eltern in der Halle Rudelbildung üben, haben sich die Kinder beider Teams schon verabschiedet. Sie spielen draußen Fangen, der meistgesagte Satz lautet: "Du bist mein bester Freund."

Jürgen Schmieder

SZ vom 11. März 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... München

Der Pass ist abgelaufen, ein neuer muss her. Durchs Labyrinth des Kreisverwaltungsreferats zur zuständigen Wartezone. Nummer ziehen. Der Automat spuckt die 195 aus. Die Anzeige an der Decke verrät: Gerade ist Nummer 21 dran. Die Sache wird also dauern. Blick zurück auf den Automaten. Moment, was steht da? "SCH (ohne S)". Hm, könnte schwierig werden. Wird man hier jemals als "Sch. . ." Einlass finden? Oder soll man sich besser ohne S als "Ch. . ." ausgeben? Aber wäre man dann überhaupt noch in der korrekten Wartezone, oder sollte man sich gleich bei C einreihen? Und wie lange wird man bei den Cs warten müssen? Am besten nachfragen. "Bitte sprechen Sie auf Tür 3 vor" steht über dem Automaten. "Auf Tür 3"? Wie soll das nun wieder gehen? Na ja, Zeit, darüber nachzudenken, hat man schließlich genug.

Viola Schenz

SZ vom 11. März 2016

Berlin Expands Youth Arrest Facilities

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Berlin

"Sorry, help?" Die beiden jungen Männer, die an einer Ecke in Mitte stehen, sprechen kein Deutsch, ihr Englisch ist auch nicht besonders. Typische Touristen in Berlin eben, wahrscheinlich wollen sie wissen, wo die Mauer ist. Auf die Frage, was sie suchen, erzählen sie in gebrochenem Englisch folgende Geschichte: Sie waren Partymachen, die ganze Nacht, mit ihrem Kumpel. Viel Alkohol, dann eine Schlägerei, ein Messer muss auch irgendwo gewesen sein. Die Polizei kam, nahm den Kumpel mit, jetzt brauchen sie Hilfe. Während man als Einheimische noch überlegt, ob das eine Art Antanztrick ist, sagen sie, dass ihre Pässe in der Jacke des Kumpels stecken. Und die brauchen sie, um heimzufahren. "Wissen Sie, wo das nächste Gefängnis ist, in dem er sein könnte?" Der Berliner Massentourismus schafft einfach immer neue Sehenswürdigkeiten.

Verena Mayer

SZ vom 11. März 2016

Bahnangestellter gibt die Abfahrt frei, 1930

Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo

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Mitten in ... Deutschland

Im ICE von Berlin nach München: Mit mir im Abteil sitzt eine Dame mittleren Alters. Sie stellt die beschuhten Füße auf den Rand des gegenüber liegenden Sitzes. Das gehört sich nicht, gar kein Zweifel. Allerdings - die Schuhe sind blitzsauber, auch die Sohlen. Plötzlich steht ein Schaffner in der Tür. Oder vielleicht der Zugchef? Sein Gesichtsausdruck: der blanke Abscheu. Der Arm ausgestreckt, der Zeigefinger ausgestreckt, deutend auf das schrecklich Anzuschauende: die Schuhe auf dem Sitzpolster. "Saubermachen!" In einem Ton, den ich zuletzt vor 50 Jahren auf dem Kasernenhof gehört habe. Die Dame spricht kein Deutsch. Fragender Blick. "Saubermachen!" Es klingt wie "Ablecken!" Ich sage: "Da ist doch kein bisschen Dreck." Er sagt: "Tut nichts zur Sache. Es geht ums Prinzip." Tür zu, Schaffner ab. Willkommen in Deutschland.

Hans Holzhaider

SZ vom 4. März 2016

Preparations Are Made For The Commonwealth Day Service At Westminster Abbey

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Wien

Neulich bei der Chorprobe: Zwei weibliche Piefkes, Sopran und Alt, verstehen einen Scherz nicht, mit dem sich - in derber Mundart - zwei österreichische Sänger hochnehmen. "Sing di in kan Wirbel!" Mit Singen hat das offenbar nichts zu tun; es heißt: Reg dich nicht auf! Der Rest der Probenpause vergeht mit heiterem Rätselraten: Was heißt (lautmalerisch mitgeschrieben und ohne Garantie für orthografische Präzision): "Hupf in Gatsch und schlag a Welln"? Oder: "Beiß ihm a Stiegn ins Gnack, damit sich die Schas zerstessen?" Oder "Sowas wie di hab ich schon in der Gehschul' derbissen"? Oder "Drah kan Füm?" Der alte Gag "was Deutschland und Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache", der Karl Kraus zugeschrieben wird, hat eben seine Berechtigung. Aus Rache singen die Piefkes plattdeutsch: "Dat du min Leevsten büst".

Cathrin Kahlweit

SZ vom 4. März 2016

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Wie viele Norweger es wohl gibt? Sagen wir, sechs Millionen. Einige von ihnen leben in Brasilien, und sicher sind welche im Seemannswesen tätig, wobei man sich die norwegisch-brasilianische Seefahrt vor allem als Transfer zu Ölplattformen vorstellt. Gewiss lauern dort viele Gefahren, vor denen nur der Herrgott schützen kann. Da wundert es kaum, dass in bester Hanglage über Rio ein Gebäude thront, das Sjømannskirken heißt: die Kirche der norwegischen Seeleute in Brasilien. Deutsche Landeier dürfen aber auch rein. Musik macht an diesem Sonntag ein Favela-Orchester, das eine Klassikversion des Guns 'N' Roses-Hits "Sweet Child o' Mine" spielt. Wenn norwegische Seebären in Rio Gottesdienst feiern, gelten eigene Regeln. Dann darf auch zu Liedern geklatscht werden, die von einem Album namens "Appetite for Destruction" stammen.

Boris Herrmann

SZ vom 4. März 2016

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Quelle: OH

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Mitten in ... Katutura

Der junge Mann ist nicht gerade das, was man einen waschechten Bayern nennt: dunkle Hautfarbe, wohnhaft in Katutura, das Township von Namibias Hauptstadt Windhoek, und außerdem ist sein Onkel Berliner. Dem Onkel gehört das zweieineinhalb Autostunden von den berühmten roten Dünen entfernte "Capricorn Rest Camp", und der junge Mann aus Katutura sitzt gerade auf der Veranda, spricht Damara mit seiner Tante, Englisch mit dem Onkel - und Deutsch mit den Gästen. Er studiert schließlich Biotechnologie und möchte Bierbrauer werden. Die Weißwurst schmecke ihm nicht so wirklich gut, aber dafür habe er einen bayerischen Volkstanz einstudiert. Ob er ihn nicht mal kurz aufführen könne? "Klar! I' hob Zeit", sagt er, legt einen Schuhplattler hin, dass es nur so knallt und kracht und meint: "Hab' ich von Youtube gelernt."

Dominik Prantl

SZ vom 4. März 2016

Aerial view of the Grand Canal in Venice lagoon

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Venedig

In der Nähe der Rialto-Brücke gibt es ein Kaufhaus. Es heißt "Coin" und verfügt über eine Einrichtung, die im historischen Zentrum Venedigs selten ist, nämlich über eine Rolltreppe, wenn auch eine sehr kurze. Im vergangenen Herbst wurde das Kaufhaus umgestaltet. Früher konnte man dort ein Sieb kaufen, mit dem sich Spaghetti-Wasser abschütten ließ. Oder ein Paar Socken. Dann verwandelte sich das Geschäft in "Coin Excelsior". Seitdem befindet sich im Parterre eine Parfümerie, oben gibt es Markenkleidung. Das neue Warenhaus scheint den demografischen Wandel in Venedig zu spiegeln: Auf 30 Millionen Besucher kommen gegenwärtig nur noch 57 000 Einheimische. Aber warum nur verspricht "Coin Excelsior" jetzt einen Rabatt von zehn Prozent, nur für Touristen, bei Vorlage des Reisepasses? Es sind offenbar noch nicht genug.

Thomas Steinfeld

SZ vom 26. Februar 2016

Women's Run in München, 2012

Quelle: Florian Peljak

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Mitten in ... München

Ich mache montags Sport. Nichts Großes. Wirklich. Eher, damit mir der Schmerz am Folgetag anzeigt, welche Muskeln im Körper eines Mittvierzigers sich noch zurückmelden. Nach Hause geht's danach zu Fuß. Manche würden sagen: um runterzukommen. Ich sage: weil die Busverbindung ins Westend so mies ist. Immer gegen 21 Uhr schleppe ich mich über die Theresienwiese. Dort treffe ich dann jedes Mal: ihn, um die 30, athletisch. Bei jedem Wetter. Im Februar. Im Dunkeln. Die Trainingsmatte im fahlen Licht einer Straßenlaterne auf dem Asphalt ausgerollt, einmal sogar in einer Pfütze, ich schwöre. Und dann: Press-ups, Sit-ups, Star Jumps, name it. Diszipliniert? Ja, ja. Münchens härtester Winter-Freeleth? Schon gut. Vielleicht bin ich ja neidisch. Oder ist es eher so, dass unser Hang zur Selbstoptimierung hier und da ein bisschen verzweifelt wirkt?

Marten Rolff

SZ vom 26. Februar 2016

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Quelle: Claus Schunk

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Mitten in ... Köln

Fast 30 Jahre lang folgte auf die Frage der Doktoren nach Allergien automatisiert die Antwort: "Nur gegen Sulfonamide", einer Form von Antiobiotika also. Darauf die gelangweilte Entgegnung: "Die sind da ohnehin nicht drin." Diesmal bleibt der Dialog aus, bevor es Medizin gibt. Erst nach der ersten Pille fällt der Blick auf den bibeldicken Beipackzettel und dort unter tausend Geboten und Warnungen zufällig auf das Wort "Sulfonamide". Eilig wird ein Ersatzmedikament bestellt. Ohne solche Zutaten, dafür mit einem zweibibeldicken Beipackzettel. Der verspricht nicht zu viel: In der Nacht gibt es Schüttelfrost und Herzflattern, eine Matschbirne, taube Hände und unkontrollierte Muskelzuckungen. Sowie, quasi als Bonus, irre Träume, für die andere Menschen viel Geld in LSD investieren. Wo war noch mal die Packung mit den Sulfonamiden?

Milan Pavlovic

SZ vom 26. Februar 2016

Behinderungen nach starken Schneefällen in Schweden

Quelle: dpa

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Mitten in ... Nyköping

Der Zug bleibt stehen, irgendwo zwischen Nyköping und Norrköping, draußen Felder, Birken, schlechtes Wetter. Dann die Durchsage: Probleme mit der Stromversorgung. Vor dem Zugfenster läuft ein Mann vorbei, gelber Overall, weißer Helm. Sieht ernst aus. Drinnen geht das Licht aus, eine Zugbegleiterin betritt das Abteil. Sie lächelt, obwohl sie in jedem Wagen dasselbe erzählen muss. Logisch, die Durchsage funktioniert auch nicht mehr. Schuld sei ein anderer Zug, gleich vor unserem, es tue ihr sehr leid. Unwillkürlich denkt man an die Deutsche Bahn, an Signalstörungen, Weichenstörungen, Fahrzeugstörungen, und stellt sich darauf ein, den Rest des Tages im Zug zu verbringen. Doch nach zehn Minuten geht das Licht wieder an, der Zug rollt, die Lautsprecher knacken. "Willkommen zurück", schallt es durchs Abteil. Willkommen in Schweden.

Silke Bigalke

SZ vom 26. Februar 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Madrid

Der spanische Kollege hatte auf der Mailbox den Treffpunkt unweit seiner Redaktion angegeben: ein Café auf der - auch nach dem x-ten Abhören kam nur heraus: Arzewutsch-Straße. Wie schreibt sich das nur? Im Verzeichnis gibt es unter "A" keine Straße, die annähernd so heißt. Jetzt geht der Kollege nicht ans Handy, und die Zeit drängt. Kopfloses Herumgesuche. Schließlich halte ich einem Passanten mein Handy mit der Nachricht ans Ohr. Der nickt. "Wir sind genau hier", sagt er und zeigt auf das Straßenschild: Hartzenbusch-Straße. Klar, die Spanier können kein "H", das "B" ist eher ein "W", und das "Sch" ist ihnen ein Rätsel. Hartzenbusch? Hier? Schnelle Netzrecherche: Juan Eugenio Hartzenbusch, spanischer Poet, Sohn eines Tischlers aus dem Rheinland. "Komische Namen habt ihr Deutschen", sagt der Kollege später: "Arzewutsch!"

Thomas Urban

SZ vom 19. Februar 2016

Demonstration gegen Homophobie, Madrid, Spanien

Quelle: AFP

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Mitten in ... Moskau

Der Film "The Danish Girl" erzählt die wahre Geschichte der Malerin Lili Elbe, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Körper eines Mannes geboren wird, ihre weibliche Natur entdeckt, sich als erster Mensch in der Geschichte ihr Geschlecht operativ anpassen lässt und am Ende an Folgen des Eingriffs stirbt. Ein ernster Film über die Suche nach sich selbst. Und kein Thema, das in der homophoben Atmosphäre Russlands auf Verständnis stößt. Ins Kino "Pionier" kommen weltoffenere Moskauer, andächtig sitzen sie im Saal. Bis eine Frau halblaut zur Nachbarin sagt: "Das ist doch Putin!" Tatsächlich: Matthias Schoenaerts sieht in der Rolle von Lilis Jugendfreund Hans Axgil dem jungen Präsidenten frappierend ähnlich. Dass er nun seinen transsexuellen Freund liebevoll unterstützt, wirkt zu komisch. Bei jedem Auftritt von Axgil prustet der Saal los.

Julian Hans

SZ vom 19. Februar 2016

Kriminalgericht Moabit

Quelle: Paul Zinken/dpa

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Mitten in ... Berlin

Das Berliner Kriminalgericht stammt noch aus einer Zeit, als Justizgebäude die Leute einschüchtern sollten. Die Eingangshalle ist so riesig, dass angeblich sogar der Kaiser sagte: Dit is mir zu ville. Der Richter, der in einem viel zu großen Saal sitzt, verwendet daher viel Zeit, den Prozessbeteiligten die Berührungsängste zu nehmen. Jedem, der hereinkommt, erklärt er, dass das hier alles ganz normal sei, reine Routine. Auch der Studentin, die als Zeugin aussagen soll. Sie beginnt gerade zu erzählen, als draußen ein lautes Klingeln ertönt. Der Richter unterbricht und setzt wieder zu einer seiner Erklärungen an. Das sei alles ganz normal, sagt er, reine Routine. Wahrscheinlich hätten Gefangene versucht, sich loszureißen, und das sei jetzt der Alarm. Alle Leute im Gerichtssaal, die bislang nicht eingeschüchtert waren, sind es spätestens jetzt.

Verena Mayer

SZ vom 19. Februar 2016

Arabische Frauen in München

Quelle: Peter Kneffel/dpa

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Mitten in ... München

Die Stimme eines Muezzins schallt über den Marienplatz. Anhänger der AfD haben vor dem Rathaus Lautsprecher aufgebaut. Ein Passant brüllt: "Stellt den Scheiß aus!" Manche suchen das Gespräch. Ein jüngerer Mann fragt: "Was singt der Muezzin denn da eigentlich?" Die AfD-Frau zuckt mit den Schultern. "Weiß ich jetzt auch grad nicht so genau." Eine Familie aus Saudi-Arabien, die gerade Großeinkauf gemacht hat im Kaufhaus Ludwig Beck, eilt auf ein Taxi zu, das gegenüber den AfD-Lautsprechern parkt. Als die verschleierten Frauen den Muezzin hören, schauen sie irritiert. Eine holt ihr iPhone 6 hervor und macht ein Foto. Der Taxifahrer sagt, die Frauen freuten sich über den Muezzin. Doch er klärt sie auf, dass der Betgesang den Deutschen Angst machen soll. Plötzlich haben es die fünf Frauen sehr eilig, ins Taxi zu steigen.

Thorsten Schmitz

SZ vom 19. Februar 2016

© Süddeutsche Zeitung/ihe
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