Mitten in Absurdistan:Und dann zerbröselt der Hund

Im sommerlichen Wahnsinn der Londoner Oxford Street hat selbst Straßenkunst keine Chance. Aber im Wiener Schloss Schönbrunn bringt Sisi die Kulturen zusammen.

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Unglückliche Kaiserin ein Glücksfall für Wien

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Wien

Wer das imperiale Wien erleben will, muss zum Schloss Schönbrunn. Dort ist alles darauf angelegt, den Glanz des verflossenen Habsburgerreichs zu verbreiten. Man schlendert durch die Räume der Kaiserfamilie, fährt mit der Kutsche durch den Park, und für Kinder gibt es einen Trakt, in dem lange Kleider, Fächer und Perücken ausliegen und man sich als Kaiserin Sisi verkleiden kann. Diesen Ort betritt nun eine Gruppe schwarz verschleierter Touristinnen. Wie gerade überall in Europa werden die Frauen misstrauisch beäugt. Doch dann hält sich die erste eine Prinzessinnenrobe vor das bodenlange schwarze Gewand, die zweite zieht sich eine Lockenperücke über den schwarzen Gesichtsschleier, und dann fotografieren sich alle mit den Umstehenden. Man mag vom Sisi-Kult halten, was man will - er bringt jedenfalls die Kulturen zusammen.

Verena Mayer

SZ vom 2. September 2016

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Quelle: AP

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Mitten in ... London

London, Oxford Street. Kein Meter Asphalt ist mehr zu sehen, ein Menschenstrom schiebt sich an den Geschäften vorbei, auf der Fahrbahn Stillstand, die roten Busse, die Taxen, die Elektro-Rikschas - sie alle kommen nur zentimeterweise voran. Wahrscheinlich ist nicht einmal in Delhi, Mumbai oder Peking die Atemluft giftiger. Auf dem Trottoir hat ein Mann eine Plastikdecke ausgebreitet, dort sitzt er und formt mit Messer und Pinsel einen Labrador aus feuchtem Sand. In den britischen Zeitungen und im Netz wird behauptet, dass die sand dogs ein dreister südosteuropäischer Fake seien. Die Straßenkünstler würden Plastikformen mit feuchtem Sand bepacken. An diesem Tag in der Oxford Street tritt eine Amerikanerin den Gegenbeweis an. In ihr Smartphone starrend, latscht sie auf den Hund, der in tausend Sandkörner zerbröselt.

Jutta Czeguhn

SZ vom 2. September 2016

Wettskandal Fußball

Quelle: Archivbild: dpa

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Mitten in ... Pejeng

Wayan kennt sich aus mit dem Federvieh. Er hat einen Blick dafür, welcher Hahn es schaffen könnte. Die schönsten und kräftigsten hat er schon aussortiert. Am Straßenrand stehen sie aufgereiht, eingesperrt in kleine Körbe aus Bast. "Das ist viel besser für sie", sagt der junge Balinese aus Pejeng. "Unter der Glocke kann ihnen nichts passieren." Aber ist es denn nicht so, dass sie am besten gedeihen, wenn sie herumflattern können und sich selbst ihre Würmer aus dem Boden picken? Ach, sagt Wayan, es lauern so viele Gefahren im Freien. Da sind die Autos, die sie überrollen könnten, bevor sie stark genug sind für die Kampfarena. Aber am meisten fürchtet er etwas anderes: Wehe, wenn seine Hähne zu viel Ablenkung erfahren. Wenn sie abschlaffen vor dem großen Kampf. Drüben im Gebüsch gackern schon die Hennen. Aber: keine Chance

Arne Perras

SZ vom 2. September 2016

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Quelle: Uli Deck/AFP

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Mitten in ... Karlsruhe

Nein, der Protest war früher nicht besser. Nur anders. 200 meist junge Menschen haben sich vor dem Bundesverfassungsgericht versammelt, Bürgerprotest gegen Ceta. Also Grundsatzkritik. Fundamentalopposition der Straße gegen eine investorenhörige Regierung. Eine Aktivistin hält eine blitzsaubere Rede, so korrekt, dass es fürs Europarechtsseminar gereicht hätte. Ein Sprecher dankt der Bundespolizei für die hervorragende Kooperation. "Und macht doch bitte hinten eine Gasse für Spaziergänger und Radfahrer frei." Nun der finale Akt: Die bedruckten Kisten mit den Vollmachten für die "größte Bürgerklage" werden - das sieht sehr nett aus - zu einer Art Protest-Scrabble aufgestapelt: 125 000 gegen Ceta. Aber Vorsicht, die Kisten sind schwer, warnt der fürsorgliche Sprecher. Bei Rückenproblemen bitte nicht mitschleppen.

Wolfgang Janisch

SZ vom 2. September 2016

AUT 2016 08 21 POLITIK VERANSTALTUNG TIROL TAG EUROPAEISCHES FORUM ALPBACH 2016 MIT EINWEIHUNG DES

Quelle: imago/Roland Mühlanger

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Mitten in ... Alpbach

Großartige Bergkulisse, bedrohliche Geranien-Idylle, willkommen in Tirol. Die Gesundheitsgespräche finden in perfekter Umgebung für klandestine Mauscheleien und medizinische Debatten statt. Auf dem Podium ein stattlicher Finne, Typ blonder Bergfex, er ist aber Orthopäde und Professor an der Uni Helsinki. Er spricht - ganz ungewohnt in Österreich - Klartext: Dass er es satt habe, wenn jede Krankheit zur Geschäftsidee wird, und statt Aufklärung nur der Lobbyismus blüht. Den Patienten werde immer noch jeder Unsinn angedreht, unnütze Knie-Spiegelungen boomen beispielsweise weiter. "Sie denken vermutlich, dass ich ein wenig frustriert bin", sagt der Arzt aus Finnland. "Aber das stimmt nicht. Ich bin sehr frustriert." Auf die Frage, was er dagegen mache, antwortet er mit einem traditionellen Rezept aus seiner Heimat: "Ich trinke."

Werner Bartens

SZ vom 26. August 2016

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Quelle: ASSOCIATED PRESS

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Mitten in ... Kopenhagen

Ankunft in Dänemark, dem Land, wo sie alles so wahnsinnig richtig machen. Glutenfreie Restaurants, riesige Fahrradwege, erholte Gesichter - ich habe Angst. Also erst mal Flughafen-Koffein, ich will ja mithalten. Ob es mir gut geht, will der Barista wissen. Schon. Ob ich einen Doppelshot wolle? Nein. Ob er "müde Frau" auf meinen Becher schreiben dürfe? Meinetwegen. Aber eigentlich hätte ich schon gerne Kaffee, keine Psychoanalyse. Draußen der nächste nette Mann, er will mein Handy, nur ganz kurz. Hmm, kann er nicht jemanden mit mehr Akku und dänischem Mobilfunkanbieter fragen? Er murmelt was von unfreundlichen Deutschen, lächelt aber sehr herzig. Und dann, ich habe gerade mein freundlichstes Gesicht aufgesetzt, rennt ein Mann vorbei und bewirft mich mit Mayonnaise-Töpfchen. Gut, hier kann ich sein.

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 26. August 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Jerusalem

Die elegante Mamilla-Fußgängerzone am Rande der Altstadt wird am Abend zum Jahrmarkt. Ballonverkäufer, Clowns und Straßenmusiker buhlen um die Gunst der Flaneure, doch einen wie ihn sieht man hier selten: Schwarzer Anzug, schwarzer Hut, Schläfenlocken bis zu den Schultern - normalerweise meiden doch die sitten-strengen Ultraorthodoxen solch weltlichen Spaßbetrieb. Josef Sikuret aber hat die Gitarre ausgepackt, den Verstärker aufgebaut und losgelegt. "Sultans of Swing", Dire Straits! Es folgen die Beatles, Pink Floyd, Bob Marley. Ein rockender Rabbi? Er wippt mit den Füßen, er lacht über die verwunderten Blicke, er spielt mit den blöden Vorurteilen. "Tagsüber studiere ich die Torah in einer Jeschiwa", erzählt er. Also doch! "Ich bin nämlich kein Musiker." War doch klar! "Eigentlich", sagt er, "bin ich Schauspieler."

Peter Münch

SZ vom 26. August 2016

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Quelle: Stephan Rumpf

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Mitten in ... München

Was sie wohl liest, die schlanke Dame mit dem blonden Haar, die tagein, tagaus, morgens und abends, immer wieder auf ihrem Fensterbrett im dritten Stock sitzt? Die Zigarette in der Linken, das Buch in der Rechten. Unten fährt am Vormittag die Müllabfuhr vorbei, am späten Abend schlendern ein paar junge Männer mit Wegbier in Richtung Isar. Nichts kann die Frau von ihrer Lektüre abbringen, nicht einmal die gelegentlichen Vollröhrer mit ihrem Porsche, der in der 30er-Zone im ersten Gang ausgeführt werden will. Die Frau sitzt da, und das einzige, was sich verändert, ist die Zahl der hellbraunen Röhrchen auf dem Fenstersims, zu einem kleinen Hügel zusammengeschoben. Der Buchscheitel wandert von links nach rechts. Irgendwann ist sie am Ende der Geschichte, der Kippenhügel wankt, und der Buch-Titel wird sichtbar: "Endlich Nichtraucher!"

Philipp Crone

SZ vom 26. August 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Bezau

Wandern im Bregenzer Wald, Traumwetter. Zum Abschluss ins Berghaus vom Innauer-Toni, Olympiasieger von 1980. Der Durst ist groß, die Terrasse voll. Ob wir uns dazusetzen dürfen? Eine Frau am Tisch, vier leere Plätze. Ja, bitte. Stühlerücken, peinliches Schweigen. Smalltalk, jemand muss anfangen. Ob sie aus der Gegend sei? Die Dame ist empört. "Ja klinge ich denn wie jemand aus Vorarlberg?" Keine Ahnung, wie klingt so jemand? "Ganz anders. Wissen Sie, da sind überall Sch-Laute dabei." Da müsse man schon differenzieren. Sie sei Sprachwissenschaftlerin, sie differenziere sehr genau. Überhaupt sei Österreichisch kein Dialekt, sondern eine Hochsprache, wie Hochdeutsch. Sie stellt die Gegenfrage: Woher kommen Sie? "Ursprünglich aus Bielefeld." - "Ah, das hab ich mir gedacht. Rheinland, Ruhrgebiet, da klingen alle Leute gleich."

Michael König

SZ vom 19. August 2016

Im Bild: Bielefeld

Von Lagerfeld bis Stan Smith - Wie Turnschuhe boomen

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... München

Früher Abend in Münchens größtem Sport-Kaufhaus, die Sommerware ist reduziert, eine etwa 75-jährige Frau reckt sehr bunte und dennoch sehr schöne Joggingschuhe in die Höhe und tänzelt gut gelaunt in Richtung der Kassen. Dort wartet ihr schlecht gelaunter Mann. "Da hast du dir aber schöne Schuhe ausgesucht", sagt er und setzt dann gleich nach: "Die werden sicher bis an dein Lebensende halten." Ihr Lächeln verschwindet und sie sagt: "Dann wäre mein Ableben aber überraschend früh." Für ein paar Augenblicke halten die beiden noch schweigend Augenkontakt und in dem eben noch stickigen Kaufhaus scheint es ein paar Grad kühler zu werden. Dann geht die Frau mit festem Schritt zur Kasse, bezahlt die Schuhe und gemeinsam einsam tritt das sogenannte Paar vor die Kaufhaustür und in den schönen Sommerabend.

Timm Klotzek

SZ vom 19. August 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Zaatari

70 000 Menschen in Containern. Staub brennt in den Augen, kein Baum der wüstenartigen Ebene gewährt Schatten. Besitz und Leben der syrischen Flüchtlinge im Camp Zaatari in Jordanien sind auf das Nötigste reduziert. Doch auf einer Straße im Lager reiht sich Bude an Bude, Hunderte Lädchen, die den Willen demonstrieren, das Leben weiter zu leben. "Champs Elysées" wird die Straße genannt. Brot, Brathühner, Schuhe, Friseure, Hülsenfrüchte in Plastiktonnen gibt es hier. Und - eine Fata Morgana? Hinter einer Scheibe weiße, pink-, lachsfarbene Kleider, bodenlang, Tüllwogen, Glitzer - Kitschfaktor hoch. Wofür? Selbst wenn die Seide keine ist, wer hier kann sich das leisten? Niemand. Die Kleider sind zum Leihen, zehn Euro am Tag: Auch im Lager wird geheiratet. Und der Traum, einmal Prinzessin zu sein, geht mit auf die Flucht.

Andrea Bachstein

SZ vom 19. August 2016

Taco Bell Launches Its New Cantina Restaurant Experience

Quelle: AFP

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Mitten in ... Jekyll Island

Jekyll Island, die Insel vor Georgias Küste, ist ein Landstrich, den Amerikaner "red territory" nennen. Tiefrotes republikanisches Stammland, in denen (blaue) Demokraten weder Wahlen noch Blumentöpfe gewinnen. Auf dem Weg vom Meer steht da diese Werbetafel, samt Superlativ: "Unsere mexikanische Küche ist so authentisch", prahlt das Lokal, "Donald Trump würde eine Mauer drum herum bauen." Das ist frecher Spott über den Plan des Republikaners, als US-Präsident die Südgrenze per Mauer abzuschotten. Drinnen sitzt Kevin, der Geschäftsführer. "Ja", er höre viele Kommentare über das Schild - "die Leute finden's witzig." Und "nein, um Himmels willen", er sei kein Demokrat "ich wähle Trump!" Präsidenten seien nicht so wichtig, "Hauptsache, das Geschäft brummt." Der Laden rappelt, die "Gringo Tacos" sind am Abend ausverkauft.

Christian Wernicke

SZ vom 19. August 2016

Adapter in einem Schaufenster, 2010

Quelle: Alessandra Schellnegger

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Mitten in ... Douglas

Vier Minuten noch, bis der Supermarkt schließt, die Menschen an der Infotheke sind die letzte Hoffnung an diesem Abend auf der Isle Of Man in der Irischen See. Diese Insel ist ein seltsamer Ort: eine Steueroase, in die man sich nicht einfach so verirrt. Man ist entweder Teil einer Senioren-Reisegruppe, macht Geschäfte mit Offshore-Firmen, fährt Motorrad oder hat mit Internet-Kasinos zu tun. Wenn man vom Festland kommt, sollte man auf keinen Fall seinen Adapter zu Hause vergessen. "Hier gibt es keine", sagt die Frau an der Theke, "ich habe bloß einen zu Hause." Auf einen verzweifelten Blick reagiert sie mit einem kurzen Telefonat. "Also, wenn Sie fünf Minuten Zeit haben, mein Mann bringt den Adapter her", sagt sie. Wenig später: Ein grüner Land Rover fährt vor, ein Mann mit Adapter in der Hand steigt aus. Diese Insel ist ein toller Ort.

Jan Willmroth

SZ vom 12. August 2016

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Les Angles

Schnapp, das Wischerblatt klappt zurück auf die Windschutzscheibe. Unschwer zu erraten, was für einen Zettel die Polizisten in diesem Dorf in den Pyrenäen gerade am Auto fixiert haben. Hier dürfe man nicht parken, sagt einer, die Gelegenheit zu einer persönlichen Lektion ergreifend, verbunden mit dem Verweis auf die Höhe des Bußgelds: 135 Euro. Die Entgegnung, alle Parkplätze seien belegt gewesen, und im Weg stehe das Auto doch nicht: hilft wenig. Nun, sagt der Polizist, ich könne ja jetzt umparken. Witzig, das Knöllchen hängt doch schon an der Scheibe! Die Ordnungshüter steigen in ihren Wagen. 135 Euro für ordinäres Falschparken? Französische Raubritter! Dann ein genauer Blick: Es ist gar kein Strafzettel. Sondern die überaus höflich formulierte Aufforderung umzuparken. Das Bußgeld werde erst bei Hartnäckigkeit fällig.

Stefan Fischer

SZ vom 12. August 2016

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... München

Ein Freitagabend, halb acht, am Pegida-Stand auf dem Marienplatz. Aus der Beschallungsanlage tönt der Gebetsruf eines Muezzins in Heavy-Metal-Lautstärke. Das soll braven Bürgern wohl demonstrieren, was die Islamisierung des Abendlandes bedeuten würde. Es sammeln sich aber nur Touristen aus den Emiraten um den Stand. Die kommen um diese Zeit gerade mit ihren Einkäufen aus der Theatiner- und Maximilianstraße. Sie wundern sich, lachen, filmen mit ihren Handys und warten, ob noch was passiert. Ein paar Flüchtlingsburschen gesellen sich dazu. Ein junger Mann aus Dubai hätte den Deutschen gerne erklärt, dass das Freitagsgebet längst vorbei und das Abendgebet erst in einer guten Stunde ist, und: Für Gebetszeiten gebe es ja auch ganz gute Apps, mit GPS. Aber die Deutschen, sagt er, könnten offensichtlich kein Englisch.

Andrian Kreye

SZ vom 12. August 2016

Matkot Spieler Matkot Spieler am Strand von Tel Aviv

Quelle: imago/ecomedia/robert fishman

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Mitten in ... Tel Aviv

Der Strand von Tel Aviv ist herrlich, aber gefährlich. Nicht wegen der Quallen, die sind ja nur im Juli da. Eher schon wegen der Frisbee-Scheiben, mit denen ein paar Modebärtige hier so hantieren wie die Kopfabschneider vom IS mit dem Messerchen. Die größte und ständige Gefahr aber kommt vom Matkot. Das ist ein Spiel, das von Ferne aussieht wie das harmlose Beachball. In Israel jedoch wird es als Kampfsport betrieben. Mit Fiberglasschlägern und Handschuhen, mit voller Kraft und vollem Risiko - für all jene zumindest, die einfach nur einen kleinen Strandspaziergang unternehmen wollen. Die Kugeln, also die Gummibälle, zischen einem um die Ohren, und natürlich dauert es nicht lange, bis einer trifft. Ein stechender Schmerz in der Wade, dann ein knarzender Ruf von hinten: "Hey, wirf mal den Ball zurück". Hm, mal sehen.

Peter Münch

SZ vom 12. August 2016

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Alexandria

Ägypter haben die beneidenswerte Gabe, immer und überall schlafen zu können, egal wie laut, eng, stickig oder unbequem es ist. Mit der Gabe fürs Autofahren dagegen ist es nicht so weit her, was auch daran liegen mag, dass Fahrschule keine Pflicht ist und die Führerscheinprüfung darin besteht, das Auto einmal vorwärts und einmal rückwärts zwischen ein paar orangefarbenen Hütchen hindurchzubewegen, ohne diese umzufahren. Aber man soll sich ja auf seine Stärken verlassen. Also macht der junge Mann ein Nickerchen im Kofferraum eines Lada; unter den Deckel hat er als Stütze ein Rohr geklemmt, damit er ihm bei den allgegenwärtigen Schlaglöchern nicht auf den Kopf knallt. Man will ja nicht gestört werden, wenn man sich mit 120 Stundenkilometern über die dreispurige Schnellstraße nach Alexandria kutschieren lässt.

Paul-Anton Krüger

SZ vom 5. August 2016

AUTOFREIER SONNTAG IN ITALIEN

Quelle: DPA

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Mitten in ... Mailand

Der Platz vor dem Mailänder Dom ist an diesem heißen Nachmittag Ende Juli gut besucht, es sind vor allem Touristen, gekommen, um die weiße Fassade zu bestaunen. Es herrscht Unruhe, an den Arkaden am Rande des Platzes ist ein Areal mit rot-weißem Plastik abgesperrt, viele Polizeiwagen sind zu sehen. Aufgeregte Carabinieri stehen vor einem Geschäft, "rauskommen, sofort raus da!", brüllt einer. An der Absperrung drängen sich Gaffer in Shorts und T-Shirts. "Bitte, gehen Sie weiter", rufen zwei Polizistinnen auf Italienisch und Englisch. Keine Reaktion. Viele Schaulustige drehen Videos von der Szene. Die Beamtinnen breiten die Arme aus: "Weitergehen!" Alle bleiben stehen. Plötzlich dringt ein lauter Knall aus dem Laden. Jetzt rennen die Leute. Es ist viel passiert in letzter Zeit. Offenbar führt das nicht dazu, dass wir anfangen nachzudenken.

Marten Rolff

SZ vom 5. August 2016

Andrang an Sonnenhungrigen Touristen und Einheimischen auf der Wiese vor dem Reichstag in der Haupts

Quelle: imago/Ralph Peters

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Mitten in ... Berlin

Teenager in Jeansshorts und Badeschlappen. In den Gesichtern verspiegelte Fliegersonnenbrillen, mit grünlila Gläsern. Die T-Shirts mit Sprüchen bedruckt, in den Händen Primark-Tüten. "So, jetzt erzähle ich euch, was wir vorhaben", sagt ihr Lehrer auf dem Vorplatz am Hauptbahnhof Berlin. "Ich will euch nicht überfordern, es ist etwas zu laufen, aber wir gehen rüber zum Reichstag." Der ist 1150 Meter entfernt. Eine Schülerin stöhnt laut auf. "Geile Klassenfahrt . . ." Der Lehrer schaut besorgt. "Jetzt hört doch erst mal zu", sagt er. Also, das Programm: Erst der kurze Gang, dann Besuch im Bundestag und danach zum Holocaust-Denkmal, das sei wirklich wichtig. Kaum einer hört zu, ein paar gähnen ihn an. Der Lehrer geht wütend los. Langsam trottet ihm die Gruppe hinterher. "Fuck, Sie überfordern mich doch", ruft ein Schüler. Alle lachen.

Anne Backhaus

SZ vom 5. August 2016

Reichsautobahn München-Salzburg, 1938

Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo

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Mitten in ... Irschenberg

Ein sonniger Vormittag, Oberbayern satt, grasgrüne Hügel, dunkelgrüne Wälder, blauweißes Firmament und ein Alpenpanorama wie aus dem Heidi-Film. An den Kassen der Raststätte bei Irschenberg stehen die Leute Schlange. Als wir vorn angelangt sind, will die junge Dame schließen. Wir protestieren. "Gehn S' einfach rüba zu meina Kollegin, die lässt Sie scho vor", sagt sie und deutet auf die Kasse nebenan. Wir tun, wie geheißen, und stellen uns mit reinstem Gewissen an die Spitze der anderen Menschenschlange. "So eine Unverschämtheit", schimpft der Mann, der dort jetzt eigentlich an der Reihe wäre. "Saftladen!" Er legt seine Riegel und Getränke zurück und geht. Die Frau an der Kasse seufzt: "Bin i froh, dass i ned auf Männa steh." "Es gibt auch andere", wenden wir vorsichtig ein. Darauf die Kassiererin: "Ich hab noch keine getroffen."

Stefan Ulrich

SZ vom 5. August 2016

Jo-jo-Sommer

Quelle: dpa

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Mitten in ... Hurghada

Es ist heiß am Roten Meer. 40 Grad in Hurghada, wenn die Sonne mittags gleißend auf den Strand brät. Man verkriecht sich im Schirmschatten, schlürft eisgekühltes Wasser und kapituliert wenig später. Rückzug ins klimatisierte Zimmer, bis nachmittags eine Brise weht, die Sonne warmes Orange zaubert. Die ägyptische Familie nebenan: unbeeindruckt, die Tochter rückt ihre Liege in die Sonne. Und wenn man sich um vier Uhr wieder ans Meer traut, liegt sie noch da, ohne eine Schweißperle auf der Haut. Unterschiedliches Temperaturempfinden offenbar. Zum Abendessen auf der Terrasse angenehme 28 Grad, alle Europäer sitzen draußen, wie schon beim Frühstück. Die Ägypterin mit ihrer Familie und allen Landsleuten hingegen: drinnen. Im Kühlschrank. Klimatisiert, 18 Grad. Ja, es muss unterschiedliche Temperaturempfinden geben.

Paul-Anton Krüger

SZ vom 29. Juli 2016

Fahrradstreife der Dresdner Polizei

Quelle: dpa

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Mitten in ... Leipzig

Fahrradpolizisten haben es oft schwer, ernst genommen zu werden. Trikots mit Polizei-Schriftzug, Helme mit Lüftungsschlitzen, kein Blaulicht, kein Tatütata - im Vergleich zu einem SEK-Kommando macht das nicht viel her. Doch hier scheint es sich um eine ernste Sache zu handeln: Ein Rad-Polizist und eine Rad-Polizistin strampeln hinter einem athletischen, tätowierten jungen Mann her. Das Trio rast auf eine Baustelle zu. Eine Verfolgungsjagd? Zu den Aufgaben der Fahrradstreife gehört es, "Radl-Rowdys" zu stellen. Beim Schild "Radfahrer absteigen" bremst der Tätowierte ab und schiebt. Die Polizei rollt rechts an ihm vorbei, sie hatten ihn gar nicht im Visier. "Das Schild gilt auch für Sie!", ruft der Mann. Schuldbewusst steigen die uniformierten Verkehrsrowdys ab - und entschuldigen sich beim selbst ernannten Ordnungshüter.

Titus Arnu

SZ vom 29. Juli 2016

Rechtsstreit ums Pinkeln im Stehen in nächster Instanz

Quelle: dpa

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Mitten in ... Neufchâtel-en-Bray

Eine Kleinstadt in der Normandie, der Wirt des Café du Centre hat offenbar nicht nur gute Erfahrungen mit seinen Gästen gemacht; zumindest nicht mit jenen, die die Toilette besuchen. Es gebe seit Neuestem eine Tendenz, nicht in, sondern neben das Pissoir zu urinieren, steht auf dem Merkblatt, das er übers Pissoir geklebt hat. Deshalb: "Falls Sie protzig sind, treten Sie lieber einen Schritt vor. Der Abstand ist viel kürzer, als Sie denken. - Falls Sie zerstreut sind: Um zu vermeiden, dass Sie auf Ihre Hose pinkeln, knöpfen Sie Ihren Hosenlatz und nicht Ihre Weste auf. - Falls Sie zu klein sind: Nehmen Sie einen Schemel anstatt zu springen." Schwierig genug, sich zu konzentrieren, bei solch einer Lektüre. Es folgt der letzte Tipp, der Wirt hat ihn in Fettbuchstaben geschrieben: "Vermeiden Sie, diese Anweisung während des Pinkelns zu lesen."

Detlef Esslinger

SZ vom 29. Juli 2016

Tageszeitungen

Quelle: dpa

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Mitten in ... Madrid

Die nette Dame mit dem grauen Dutt und dem müden Grauhaardackel hat etwas für deutsche Kultur übrig: Aus ihrer Wohnung im ersten Stock ertönt gelegentlich das Vorspiel zu Wagners "Rheingold" oder "Isoldes Liebestod". Auch fährt sie einen älteren VW Golf. Neulich fragte sie im Treppenhaus, ob sie nicht, wenn ich sie ausgelesen hätte, ein paar von den deutschen Zeitungen bekommen könnte, die der Briefträger immer am Treppenabsatz ablegt, weil sie nicht in den Briefkasten passen. Aber selbstverständlich. "Eure Zeitungen sind nämlich die besten", sagt sie. Selbstverständlich, nicke ich erfreut. Wie immer fängt sie von ihrem Perrito an, dem Hundchen. Der sei ja schon alt, mit dem Gassigehen klappe es nicht immer. "Aber dieses deutsche Papier", strahlt sie. "Es saugt einfach alles auf, ohne Flecken aus Druckerschwärze zu machen."

Thomas Urban

SZ vom 29. Juli 2016

Aida Kreuzfahrt Mittelmeer Neapel Italien

Quelle: imago/Waldmüller

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Mitten in ... Neapel

"Neapel sehen und sterben", schmachteten einst die Nordländer nach dieser Hafenstadt des Südens, wegen ihrer Baukunst, des brodelnden Straßenlebens und der spektakulären Landschaft zwischen Mittelmeer und Vesuv. Wer Neapel gesehen hat, hat alles gesehen und kann getrost von dannen gehen, drückt der Spruch aus. Neapel sehen und sterben, seufzen wir diesmal aber aus anderem Grund. Das Thermometer warnt vor 36 Grad, die Sonne knallt auf das schwarze Lavapflaster, und der feuchte Wind vom Meer wirkt in den "Spanischen Vierteln" wie ein Saunaaufguss. Es ist Zeit für Lichtschutzfaktor 50 und für ein Eis. Der Pensionswirt erklärt den Weg zur Bar. Wir biegen um einige Ecken - und stehen nicht vor einer Eisdiele, sondern vor einem Bräunungszentrum. "Inferno Giallo", steht ehrlicher Weise darüber, "Gelbe Hölle".

Stefan Ulrich

SZ vom 22. Juli 2016

Tourismus in Berlin

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Berlin

Die meisten Touristen, die nach Berlin kommen, finden die Stadt toll und würden am liebsten bleiben. Oder zumindest durchfeiern, drei Nächte wach. Die Touristenfamilie in der S-Bahn gehört nicht dazu. Der Vater blättert lustlos in einem Reiseführer, die Mutter sieht genervt aus dem Fenster, und der pubertierende Sohn wirkt ohnehin, als sei großes Unglück über ihn hereingebrochen. Noch mehr schlechte Laune, als die Bahn stehen bleibt und alle rausmüssen. Nichts fährt mehr, man hört nur plärrende Lautsprecherdurchsagen. Als gute Einheimische erklärt man den Touristen, was der Grund dafür ist: Auf der Strecke wird gerade eine Weltkriegsbombe entschärft. Das Gesicht des Vaters hellt sich auf. Berlin, was für eine Stadt, sagt er. "So very authentic." Und auch der pubertierende Sohn scheint zum ersten Mal seit Langem zu lächeln.

Verena Mayer

SZ vom 22. Juli 2016

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Versam

Wohin die Reise geht, lässt die Reaktion der Schweizer Freunde in Zürich ahnen. Safiental? Keine Ahnung, nie gehört, entschuldige, aber: Wo ist dieses Tal? In Graubünden, sagt Wikipedia, es liege nord-südlich von der Einmündung eines Nebenflusses des Rheins: der Rabiusa. Auch nie gehört, sagen die Freunde. Zwei Stunden später bahnt sich das Postauto hupend einen Weg durch die Serpentinen, jedes Kind wird mit Namen und Tatütata begrüßt. Zwischendurch hält der Fahrer, weil die Kinder Süßigkeiten kaufen wollen. Das Postauto hat mittlerweile 20 Minuten Verspätung, der Fahrer ermahnt die Gäste: "Keine Eile. Wir sind im Safien." Als eine Baustelle den Weg versperrt, steigt der Fahrer aus, ein Küchenmesser in der Hand. Was jetzt wieder ist? Er gehe "pilzeln" erklärt er. Pilze sammeln. Uns wundert jetzt gar nichts mehr.

Charlotte Theile

SZ vom 22. Juli 2016

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Pullach

Die Idee der friedlichen Koexistenz hat eine Chance verdient. Tofuschnitzelesser und Schweinswürstlgriller, Kampfhunde und Raubkatzen, Radfahrer und Fußgänger - sie könnten sich doch alle mal gern haben, auch kreuzweise. Doch als ich auf dem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad eine Fußgängerin mit Hund überhole, schreit sie mich von der Seite an: "Wir dürfen auch hier laufen!" Was habe ich ihr getan? Abbremsen, zurückfahren, Gegenfrage: "Sie dürfen von mir aus gerne hier laufen, wo ist das Problem?"- "Sie schauen so böse." Zugegeben, um ins 27 Kilometer entfernte Büro zu kommen, muss ich viel in die Pedale treten, das ist anstrengend. Aber muss ich mich für mein Gesicht rechtfertigen? Nachdem ich mich dafür entschuldigt habe, wie furchtbar ich aussehe, lachen wir beide und wünschen uns einen schönen Tag. Peace & Harmony!

Titus Arnu

SZ vom 22. Juli 2016

© SZ/ihe
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