Mitten in Absurdistan:Mein Handy wird mal eine Goldmedaille

In Tokio bekommt Recycling eine besondere Bedeutung. Und in Moskau lässt Kaviar Kindheitserinnerungen aufleben.

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... Moskau

Zur "Butterwoche" werden in Russland Stapel von Pfannkuchen mit Nachbarn, Freunden und Arbeitskollegen getauscht. Anlass für lange Debatten über die optimale Kombination von Eiern, Milch und Mehl und darüber, ob man besser Hefe oder Soda oder Mineralwasser an den Teig für die Blini gibt. Weil das nie endgültig geklärt wird, kommt im nächsten Jahr die nächste "Butterwoche". Ein Fest, um vor der Fastenzeit ordentlich Energie zu speichern. Die Krönung für die Blini aber ist der Kaviar, ein Moskauer Nobel-Supermarkt bittet zur Degustation: "Dieser hier hat etwas weniger Salz", sagt die Verkäuferin und reicht vier schwarzgraue Stör-Eier auf einem Plastikstäbchen. "Dieser dagegen ist klassisch, der Geschmack, den wir alle aus unserer Kindheit kennen." Ein Schnapsglas voll kostet 80 Euro. Muss eine schöne Kindheit gewesen sein.

Julian Hans

SZ vom 24. Februar 2017

Olympia 2020 in Tokio Recycling von alten Handys für die Produktion der Medaillen A man donates his

Quelle: imago/AFLOSPORT

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Mitten in ... Tokio

In Japan zahlen Käufer von Elektronik eine Entsorgungssteuer. Trotzdem gibt es natürlich jede Menge Elektroschrott, der keinen Anspruch auf fachgerechte Entsorgung hat - etwa weil ein Laptop aus der Zeit vor dem Recycling-Siegel stammt, ein Handy in Taiwan gekauft wurde oder bei einem kleinen Laden, der Geräte ohne Siegel verhökert. Für all diese Fälle und für jene Leute, die mit der Recycling-Bürokratie nicht zurechtkommen, tuckern Pick-ups mit plärrendem Lautsprecher durchs Viertel und nehmen vom Kühlschrank bis zum PC alles gegen ein Entgelt zwischen 30 und 70 Euro mit. Nur im Rathaus in Tokio gibt es neuerdings ein Recycling von höchster Bedeutung: Dort kann man sein altes Handy in eine Kiste werfen. Aus den enthaltenen Metallen sollen die Gold-, Silber- und Bronze-Medaillen für Olympia 2020 gefertigt werden.

Christoph Neidhart

SZ vom 24. Februar 2017

THEMENBILD ein Verkehrsschild mit einem Elch auf einer Landstrasse nahe Falun Dalarna Schweden

Quelle: imago/Eibner Europa

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Mitten in ... Stockholm

Flughafen Stockholm-Arlanda, ein eiskalter Wintertag. Die Zieladresse liegt mitten in der Stadt, am Kungsträdgården, einem Park, den jeder Taxifahrer kennen sollte. Unserer anscheinend nicht. Der Boden seines Taxis ist mit Zeitungen ausgelegt, offenbar hat der Mann Angst um seine Fußmatten. Als er den Zielort bestätigt, kommt irgendwas mit "Kungs" vor. Besser, ihm noch mal die Karte auf dem Handy zu zeigen. Er nickt eifrig. Doch plötzlich biegt er von der Stadtautobahn ab, irgendwo in den Wald hinein, die Straße ist glatt. Heftige Proteste, der Fahrer dreht sich um, diskutiert, gestikuliert, fährt jetzt in der Mitte der Fahrbahn. Schwere Laster kommen entgegen. Die Aufforderung, langsamer zu fahren, wird mit "okayokayokay" quittiert, aber nicht beachtet. Irgendwann sind wir dann doch wieder auf der Autobahn. Richtung City.

Peter Fahrenholz

SZ vom 24. Februar 2017

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... München

Es ist natürlich ungerecht, sich ewig über angeblich immer schlecht gelaunte Berliner Busfahrer zu beschweren. Bestimmt arbeiten auch im öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt viele ganz reizende Menschen. Aber wer seine prägenden Jahre in Berlin verbracht hat, der zuckt selbst nach sehr langer Zeit im freundlichen Süden noch unwillkürlich zusammen, wenn plötzlich ein Lautsprecher losknarzt, während man mit Kinderwagen, Kindern und allerlei Krempel auf eine Tram zuspurtet. Welches Fehlverhalten wird jetzt wieder gerügt, was hab' ich falsch gemacht? Erst beim zweiten Mal tut sich der Sinn der Durchsage auf: "Der Kinderwagen hat einen Handschuh verloren!" Und dann wartet der Münchner Trambahnfahrer geduldig, bis Kinder-Handschuh, Kinder und alles andere an Bord geschafft sind. Nimm das, Berlin.

Marlene Weiß

SZ vom 24. Februar 2017

Fahrgäste der U-Bahn

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Berlin

Ein ganz normaler Morgen in Berlins U-Bahn-Linie 6, die einmal quer durch die Stadt fährt. An der Haltestelle Kochstraße betritt eine ältere Dame mit Einkaufstüte, Dauerwelle und Hut den Wagen. Sofort springt eine jüngere auf, um ihr Platz zu machen. Die junge Frau trägt, was in Berlin derzeit angesagt ist: bis oben zugeknöpftes Hemd, knöchellangen Mantel und eine Mütze, die so viel Luft zwischen Kopf und Kopfbedeckung lässt, dass man ein Meerschweinchen darunter verstecken könnte. Als die ältere Dame sich dankend setzt, nickt die jüngere kurz, kann aber nicht den Blick von den Schuhen der älteren lassen, bequemen, silbrig glänzenden Slippern. Schließlich fasst die junge Frau sich ein Herz und fragt: "Entschuldigen Sie bitte, aber wo haben Sie denn diese coolen Schuhe gekauft?" Die ältere Dame lacht: "Im Sanitätshaus."

Charlotte Haunhorst

SZ vom 17. Februar 2017

Fahrstuhl in Thüringen

Quelle: dpa

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Mitten in ... Moskau

Ein Mann im Fahrstuhl, vielleicht 45, schwarzes Haar, dunkler Teint. Armenier? Aserbaidschaner? "Aus Afghanistan", sagt er. "Und Sie? Engländer?" - "Deutscher." - "Deutscher?" Seine Augen beginnen zu leuchten. Ihm ist offenbar gerade etwas Tolles eingefallen. Jetzt kommt sicher die Geschichte mit dem Fußball. Oder mit den Autos. Oder mit dem Onkel in Berlin. "Kommen Sie, ich zeig' Ihnen was", sagt er komplizenhaft. Umständlich holt er eine kleine Schatulle aus der Brusttasche seiner Winterjacke, klappt sie auf und präsentiert sie stolz: Auf einem seidenen Kisschen liegen ein silberner SS-Totenkopf und ein Parteiabzeichen der NSDAP. "Sammel' ich", erklärt er strahlend. Ein unkonventioneller Ansatz, um internationale Verbrüderung einzuleiten. Wie erklärt man das in einer Fahrstuhlfahrt, ohne beleidigend zu wirken?

Julian Hans

SZ vom 17. Februar 2017

60 Jahre Radarfalle

Quelle: picture alliance / Hendrik Schmi

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Mitten in ... Lahr

Eine Reise in die Ferne dient ja auch immer dazu, Vorurteile zu bestätigen. Das gilt selbst dann, wenn die Ferne in Baden-Württemberg liegt. Die Reise führt von München nach Lahr im Schwarzwald. Verwandtenbesuch. Das Vorurteil im Reisegepäck: Der Badener ist nur glücklich, wenn er Blitzer aufstellen kann und dazu eine zünftige 30er-Zone ausweist. Am Bodensee beginnt der Blitzermarathon. Die Strecke ist vertraut, jeder Blitzer bekannt. Doch in Lahr passt der Raser aus Bayern nicht auf. Er weiß nicht genau, wohin. Die Frau gibt Anweisungen, der Mann wird hektisch. Zack, geblitzt. Der Bußgeldbescheid beziffert das Vergehen: 13 km/h statt 7 km/h. Es war nur Schrittgeschwindigkeit erlaubt. Man muss sich die Bewohner von Lahr als sehr, sehr glückliche Menschen vorstellen. Aber das ist natürlich ein Vorurteil.

Sebastian Herrmann

SZ vom 17. Februar 2017

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Paris

17. Arrondissement, kurz vor Mitternacht. Foie gras und Joue de bœuf waren vorzüglich. Jetzt noch in eine Bar ins Marais. Aber das Auto ist weg, nicht in der Tiefgarage, nicht auf der Straße. Das ist die Stunde der französischen Bürokratie. Im Netz unter fourriere.interieur.gouv.fr das Nummernschild eingeben. Und siehe da: Das Auto befindet sich in staatlicher Obhut und steht ordentlich eingezäunt unter der Ringautobahn. Sieben Tage die Woche abholbar, 24 Stunden lang. Kreditkarte willkommen. Am Schalter: drei Vertreter der zuständigen Polizeibehörde, im Hinterzimmer: noch mal drei Beamte. Alle sehr höflich. Offenbar die kleine Besetzung für die Nachtschicht. Gesprächsthema: Das neue Gesäßtattoo des Kollegen. Wir wollen nicht weiter stören, zahlen, fahren in die Bar. Zeitverlust: 30 Minuten. Von wegen erstarrtes Frankreich.

Stefan Kornelius

SZ vom 10. Februar 2017

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Quelle: Catherina Hess

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Mitten in ... München

Wer mit einer Zweijährigen durch den Zoo bummelt, der lernt, seine Gesprächspartner sorgfältig zu wählen. Ein Plausch mit Löwen? Sinnlos, zu elitär. Sie verstecken sich hinter Zäunen und Gräben, und wenn doch einmal jemand hineindarf, mit einem zentnerschweren Gastgeschenk aus Fleisch in der Hand, dann würdigen sie ihn oft nicht einmal eines Blickes. Oder die Giraffen: abgehoben. Sagen wir es ruhig offen: hochnäsig. Ein Gespräch auf Augenhöhe findet man erst im Vogelgehege, am Wasser. Die Gastgeberin nimmt sich Zeit für die fast verlorene Kunst des Plauderns. Erst schnattert sie, dann erwidert sie freundlich das begeisterte Schnattern der Zweijährigen. Ohne Eile, ganz bodenständig unterhält man sich, eine kleine Ewigkeit lang. Anas platyrhynchos heißt sie, die gemeine deutsche Ente. Zu Deutsch: Königin des Dschungels.

Ronen Steinke

SZ vom 10. Februar 2017

Toilette Flugzeug Zeichen sign

Quelle: iStockphoto

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Mitten in ... Dschidda

Kurz nach Mitternacht in Dschidda, Saudi-Arabien. Die Einwohner der Hafenstadt am Roten Meer genießen den letzten Tag der Winterferien. Endlos staut es sich auf dem sechsspurigen Highway. Der Bus kommt von einer Ausstellung in der eineinhalb Stunden entfernten Retortenstadt King Abdulla Economic City. Im Bus: angeregte Gespräche über Kunst, Saudi-Arabien, über Gott und die Welt. Seit gefühlt einer halben Stunde stehen wir an einer Ampel vor einer großen Kreuzung. Eben hat unser Fahrer noch gehupt, jetzt aber plötzlich infernalisches Hupen um uns herum. Der Verkehr fließt wieder, nur unser Bus steht. Was ist los? Unser Fahrer - verschwunden. Plötzlich kommt er von hinten durch den Bus gerannt. Setzt sich wieder hinters Steuer. Die rote "Besetzt"-Lampe über der Bustoilette - sie leuchtete nur ganz kurz.

Paul-Anton Krüger

SZ vom 10. Februar 2017

Esel sollen Schafe vor dem Wolf schützen

Quelle: picture alliance / Carmen Jasper

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Mitten in ... Lech

Eine Bauernstube am Arlberg. Ein sympathisch aussehendes Paar, Typ gepflegter Alpen-Adel, sitzt mit zwei Buben am Nachbartisch. Draußen ist Schnee gefallen, ein herrlicher Wintertag. Der Braten duftet. Gelächter im Hintergrund. "Führe vor, wie man die Gabel hält", sagt die Mutter, der Blick wie Pfeile. Der Junge führt es vor. Der andere Junge zappelt plötzlich. Die Ermahnung folgt, woraufhin der Junge mault. "Schweigestrafe!", ertönt es eisern. Der Vater nickt bestätigend von der Seite. Der Junge schweigt, blickt ausdruckslos zum Nebentisch, wo Uno gespielt wird. Die Jungs wollen aufstehen, da sagt die Mutter: "Erst wenn wir zu Ende gegessen haben." Später, an der Bushaltestelle, steht die Familie beisammen, die Flocken tanzen. "Wie macht der Esel?", rufen die Eltern. Die Jungs erwidern müde: "Iiii-Aaaah!" Da strahlen die Eltern.

Gerald Kleffmann

SZ vom 10. Februar 2017

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Torre del Greco

Sonntagmittag am Golf von Neapel, kalte Cumuli am blauen Himmel. Am Hafen von Torre del Greco kauern Fischer neben ihrem kargen Fang, eine Schwade Motoröldunst liegt in der Luft. Hunde jagen einer Plastiktüte nach, die lustig in der Brise wirbelt. Gleich öffnet "La Voce del Mare", das beste Restaurant am Platz. Es ist ausgebucht. Nur ganz hinten, bei der Fischauslage und den Aquarien, ist noch ein schmaler Tisch frei, eigentlich eine Anrichte. "Ich zwänge Sie rein, bis 14 Uhr", sagt der Kellner und zwinkert, als täte er da etwas Halblegales. Tintenfisch an Pesto, dann eine Goldbrasse. 13.58 Uhr, ein Blick, die Rechnung. Ich lege eine kleine Note dazu. Der Kellner steckt sie schnell ein, mit dem Rücken zur Kasse, zwinkert wieder, als wär's ein Deal zwischen ihm und mir. Draußen stehen sie noch Schlange. Nur die Hunde sind nicht mehr da.

Oliver Meiler

SZ vom 3. Februar 2017

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Quelle: imago stock&people

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Mitten in ... München

Feierabend. Der Kopf schwirrt noch, jetzt die U-Bahn-Fahrt ohne Störung überstehen. Da deutet sich ein Zusammenstoß an: Mitten im Gang steht ein groß gewachsener Mann mit Bierdose, ein älterer Herr mit arabischem Aussehen und einem Strauß Luftballons möchte vorbei. Der Jüngere grunzt, geht widerwillig zur Seite. Dann steht er im Gang herum, bis endlich ein Platz frei wird: neben dem Luftballon-Mann. Der mustert seinen neuen Sitznachbarn aus dem Augenwinkel, beiläufig. Plötzlich, der Bierdosen-Mann dreht sich zu ihm, er will was sagen - oh je. Er fragt, auf die Luftballons blickend: "Hat da wer Geburtstag gehabt?" Der alte Mann strahlt und nickt: "Jaja, mein Enkel!" Schon sind die beiden in eine angeregte Unterhaltung vertieft, sie wirken jetzt wie zwei alte Freunde. Das Leben kann so leicht sein, wenn man Luftballons hat.

Florian Kaindl

SZ vom 3. Februar 2017

At least 19 Cambodians died from a road accident at Sihanouk town

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Java

"You German?" Der Mann steht auf dem Dach des Mitsubishi-Busses und bindet die Rucksäcke an. "No German car", sagt er. Die Türen längst weg; der Kilometerzähler steht wahrscheinlich bereits seit Jahren auf 250 000; alles an dem Gefährt ist schon mal repariert worden oder verschwunden, dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. "No German road!", sagt der Fahrer bald darauf, während er sich eine nach Nelken riechende Zigarette anzündet, auf dem Handy tippt und mit seinem Beifahrer über seine Gäste lacht. Doch der Mann ist Profi, er kennt jede der vielen Kurven auf der Strecke. Auf den steilsten Stücken zwischen den Reisfeldern macht er einfach den Motor aus, lässt rollen, spart Sprit. Nur um ihn am Fuß des Berges wieder anzuschmeißen, mit einem Krachen den Gang einzulegen. Das, zugegeben, wäre auch nicht angenehmer in einem deutschen Auto.

Bastian Hosan

SZ vom 3. Februar 2017

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Quelle: Hauke-Christian Dittrich/dpa

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Mitten in ... Berlin

Donnerstagmorgen um acht auf der Friedrichstraße. Die Geschäfte auf der bekannten Einkaufsstraße sind noch geschlossen. Wer jetzt hier unterwegs ist, will zur Arbeit. Vor dem H & M allerdings stehen zwei junge Männer, nur mit Jeans und T-Shirt bekleidet. Immer wieder bewegen sie die Hände vor der sensorgesteuerten Tür auf und ab, sie reagiert nicht. Beide stehen offensichtlich unter Alkoholeinfluss, vermutlich kommen sie von einer Party und haben gerade erst realisiert, dass ihre Kleidung im Winter draußen doch zu dünn ist. Sie wollen ins Warme. Erst nach vielen erfolglosen Versuchen entdeckt einer der beiden schließlich die Ladenöffnungszeiten: Donnerstag ab zehn Uhr. Mühsam schafft er es, sie zu entziffern. "Wir sind auch Trottel", sagt er dann zu seinem Freund. Der: "Wieso?" Er: "Na, weil heute ja Sonntag ist!"

Charlotte Haunhorst

SZ vom 3. Februar 2017

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Quelle: Moritz Baumstieger

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Mitten in ... Tunis

Der Hotelmanager ist besorgt. Um den Ruf seines Landes im Allgemeinen, um den Ruf seines Hauses im Speziellen. "Ihr seht uns Tunesier sowieso als ein Synonym für Terror", beklagt er beim Frühstück. Es folgt ein Exkurs in die altägyptische Mythologie: Mit Isis sei nicht das Kürzel gemeint, mit dem der sogenannte Islamische Staat (im Irak und in Syrien) oft bezeichnet werde. Isis, das sei die Gottheit der Magie, nach der könne man getrost eine Seife benennen. Den Hinweis hatte er bereits am Vorabend auf Facebook unter das Foto jener Seife aus seinem Hotel gesetzt, das der Reporter mit dem Kommentar: "Ein Willkommensgruß?" online gestellt hatte. Am Abend liegt im Zimmer ein neues Stück Seife neben dem Waschbecken. Selbe Farbe, selbe Größe - nur der Markenname in der Mitte ist feinsäuberlich mit einem Messer weggekratzt.

Moritz Baumstieger

SZ vom 27. Januar 2017

Cindy aus Marzahn

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... Berlin

Ein eisiger Ostwind-Tag in der Hauptstadt, junge Frauen frieren strumpffrei, die Männer in dünnen Jacken wärmt nur ihr Fusselbart. Die drei Männer, die mittags über die Friedrichstraße stürmen, tragen wenigstens anständige Mützen. Allerdings werfen sie sich dann auf einen Passanten und reißen ihn zu Boden, halten ihn auf dem Asphalt, drehen ihm die Arme auf den Rücken. Es entsteht ein Handgemenge, es wird geschrien. Als Spaziergänger zu Hilfe eilen wollen, stellt sich eine Frau mit schusssicherer Weste in den Weg, hält ihre Dienstmarke hoch und ruft: "Polizeieinsatz!" Die Spaziergänger sind angemessen beeindruckt. Nur eine gut 60-Jährige schreit von der anderen Seite: "Dit is mir janz egal! Nur weil ihr so Marken habt, gibt's keen Grund, den Herren da so menschenunwürdig festzuhalten! Jibt es Beweise?" Dit is Berlin.

Michael Ebert

SZ vom 27. Januar 2017

Blitzschach-WM

Quelle: dpa

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Mitten in ... Melbourne

Die Tür der Tram geht auf, ein alter Mann am Stock setzt sich. Er fängt ein Gespräch mit einem Rucksackreisenden an. Auf Deutsch. "Wie heißt du?" Er fragt, mit australischem Akzent: "Was sind die beliebtesten Vornamen in Deutschland? Bob? Harry?" Er redet weiter, der Traveller hört zu, manchmal sagt er "Ja" oder "Nein". Der alte Mann holt aus, er arbeite als Schülerlotse. 45 Minuten morgens und nachmittags. Er erzählt von früher. Von der Kameradschaft. Die sei gut gewesen. "In Russland mussten alle Kinder früher Deutsch lernen. Und Schach. Weißt du, warum Schach so toll ist?" Der Traveller schüttelt den Kopf. "Da gibt's ein Remis. Gibt es sonst nirgends." Er steigt aus und ruft: "See ya." Der junge Mann telefoniert und spricht ins Handy: "Da war grad so ein einsamer Deutscher, der im Krieg nach Melbourne ausgewandert ist."

Gerald Kleffmann

SZ vom 27. Januar 2017

Frösche bei der Paarung

Quelle: dpa

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Mitten in ... München

Sonderausstellung im Museum Mensch und Natur. Naturfotografien. Vor einem Bild mit Orang-Utan stehen ein Mann und eine Frau, beide um die 40. Sie unterhalten sich über ein befreundetes Paar, das einander betrügt. Der Mann redet auf die Frau ein. "Die beiden haben jetzt eben auch mit anderen Partnern Sex. Warum sollen sie sich trennen? Sie haben nur die sexuelle Exklusivität aufgekündigt." Kunstpause. "Aber Treue ist sowieso unnatürlich." Es reicht, lieber Abstand von dem Partnerschaftsgelaber, Fokus wieder auf die Fotos richten. Der Blick fällt auf ein Bild, das Frösche in einem Teich zeigt. Der Text dazu erklärt, es handele sich um männliche Frösche während der Paarungszeit, die auf ein Weibchen warten - und dann völlig durchdrehen, wenn eines auftaucht. Ach, Mensch und Natur, es dreht sich doch alles um das Gleiche.

Sebastian Herrmann

SZ vom 27. Januar 2017

Georg Alexander, 1934

Quelle: Scherl

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Mitten in ... Aschaffenburg

Nachts im ICE, kurz vor Aschaffenburg. "Wo fahren Sie hin?", fragt der Mann neben mir. Oh nein, bitte kein Smalltalk. Gut, mein Ziel hat nur eine Silbe: "Köln." "Köln?", bei ihm klingt das wie Mogadischu: Was für eine Stadt, die Silvesternacht, der Nordafrikaner an sich, der Flüchtling an sich, und bei der Zeitung arbeiten Sie? Die Medien, alle manipuliert - aber über all das darf man ja nicht reden, hier in Deutschland. Klingt fast wie die Hassmails, die ich manchmal kriege, also frage ich: Was ist manipuliert? Wovor hat er Angst? Er schimpft weiter: die Ausländer, die fahren zu schnell Auto, die wollen unser Geld ... Alles friert ein, alle schweigen, da ruft ein Mann - er hat türkische Wurzeln - durchs Abteil: "Sie hören jetzt sofort auf mit dem Unsinn, das hält doch kein Mensch aus!" Und dann: Stille, so laute Stille.

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 20. Januar 2017

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Quelle: AFP

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Wir Brasilianer, sagt Damiano, 87, sind fromme Menschen, so fromm, dass wir unsere Vögel begraben. Er weiß das, denn er ist der Friedhofswärter vom Vogelfriedhof der schönen Insel Paquetá mitten in der stinkenden Guanabara-Bucht von Rio. Die weißen Grabplättchen werden aber noch von einem anderen Mann bewacht, der sich offenbar auch für den Friedhofswärter hält. Der sagt: "Die Leute reisen aus ganz Südamerika mit gefrorenen Vögeln an, um sie zu bestatten." Insgesamt werde aber deutlich weniger bestattet als früher, entgegnet Damiano. Der andere Wärter behauptet: "Dies ist der einzige Vogelfriedhof des Kontinents." "Unsinn", knurrt Damiano, "dies ist der einzige Vogelfriedhof der Welt." Wie er sich da so sicher sein könne? Der Mann, der seit 87 Jahren auf Paquetá lebt, sagt, er habe noch nirgendwo anders einen gesehen.

Boris Herrmann

SZ vom 20. Januar 2017

Buchmesse Frankfurt 2015 - Bücherstapel

Quelle: Frank Rumpenhorst/dpa

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Mitten in ... München

Bücher wegwerfen ist das Allerschwierigste überhaupt; aber nun gut, Theo Schilderman: "La Maison", eine Anleitung zum Bau von Häusern in den Armenvierteln von Kigali, Ruanda - das ist ein Buch, das seit fast 30 Jahren unberührt im Regal steht; seit man es für die Diplomarbeit brauchte. Und da man gerade Platz schaffen will, komm, weg damit. Später am Abend: eine Party, am Tisch nimmt ein Dokumentarfilmer Platz. Er sagt, er komme gerade zurück aus Afrika. Wo in Afrika? Ruanda, Kigali. Er drehe einen Film dort, aber über ein sehr spezielles Thema. Welches? "Den Bau von Armenhäusern." Das Projekt komme recht gut voran, nur leider gebe es so gut wie keine Literatur dazu. Schnell im Büro angerufen, die Kollegin vom Nachtdienst gebeten, ob sie in den Papierkorb greifen könne. Man soll wirklich niemals Bücher wegwerfen.

Detlef Esslinger

SZ vom 20. Januar 2017

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