Mitten in Absurdistan:"Aber Treue ist sowieso unnatürlich"

Eine Münchner Naturfoto-Ausstellung inspiriert zum klärenden Paargespräch. Und in Tunis macht ein Stück Seife Ärger.

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(Foto: Moritz Baumstieger)

Mitten in ... Tunis Der Hotelmanager ist besorgt. Um den Ruf seines Landes im Allgemeinen, um den Ruf seines Hauses im Speziellen. "Ihr seht uns Tunesier sowieso als ein Synonym für Terror", beklagt er beim Frühstück. Es folgt ein Exkurs in die altägyptische Mythologie: Mit Isis sei nicht das Kürzel gemeint, mit dem der sogenannte Islamische Staat (im Irak und in Syrien) oft bezeichnet werde. Isis, das sei die Gottheit der Magie, nach der könne man getrost eine Seife benennen. Den Hinweis hatte er bereits am Vorabend auf Facebook unter das Foto jener Seife aus seinem Hotel gesetzt, das der Reporter mit dem Kommentar: "Ein Willkommensgruß?" online gestellt hatte. Am Abend liegt im Zimmer ein neues Stück Seife neben dem Waschbecken. Selbe Farbe, selbe Größe - nur der Markenname in der Mitte ist feinsäuberlich mit einem Messer weggekratzt. Moritz Baumstieger SZ vom 27. Januar 2017

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(Foto: picture alliance / dpa)

Mitten in ... Berlin Ein eisiger Ostwind-Tag in der Hauptstadt, junge Frauen frieren strumpffrei, die Männer in dünnen Jacken wärmt nur ihr Fusselbart. Die drei Männer, die mittags über die Friedrichstraße stürmen, tragen wenigstens anständige Mützen. Allerdings werfen sie sich dann auf einen Passanten und reißen ihn zu Boden, halten ihn auf dem Asphalt, drehen ihm die Arme auf den Rücken. Es entsteht ein Handgemenge, es wird geschrien. Als Spaziergänger zu Hilfe eilen wollen, stellt sich eine Frau mit schusssicherer Weste in den Weg, hält ihre Dienstmarke hoch und ruft: "Polizeieinsatz!" Die Spaziergänger sind angemessen beeindruckt. Nur eine gut 60-Jährige schreit von der anderen Seite: "Dit is mir janz egal! Nur weil ihr so Marken habt, gibt's keen Grund, den Herren da so menschenunwürdig festzuhalten! Jibt es Beweise?" Dit is Berlin. Michael Ebert SZ vom 27. Januar 2017

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Melbourne Die Tür der Tram geht auf, ein alter Mann am Stock setzt sich. Er fängt ein Gespräch mit einem Rucksackreisenden an. Auf Deutsch. "Wie heißt du?" Er fragt, mit australischem Akzent: "Was sind die beliebtesten Vornamen in Deutschland? Bob? Harry?" Er redet weiter, der Traveller hört zu, manchmal sagt er "Ja" oder "Nein". Der alte Mann holt aus, er arbeite als Schülerlotse. 45 Minuten morgens und nachmittags. Er erzählt von früher. Von der Kameradschaft. Die sei gut gewesen. "In Russland mussten alle Kinder früher Deutsch lernen. Und Schach. Weißt du, warum Schach so toll ist?" Der Traveller schüttelt den Kopf. "Da gibt's ein Remis. Gibt es sonst nirgends." Er steigt aus und ruft: "See ya." Der junge Mann telefoniert und spricht ins Handy: "Da war grad so ein einsamer Deutscher, der im Krieg nach Melbourne ausgewandert ist." Gerald Kleffmann SZ vom 27. Januar 2017

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(Foto: dpa)

Mitten in ... München Sonderausstellung im Museum Mensch und Natur. Naturfotografien. Vor einem Bild mit Orang-Utan stehen ein Mann und eine Frau, beide um die 40. Sie unterhalten sich über ein befreundetes Paar, das einander betrügt. Der Mann redet auf die Frau ein. "Die beiden haben jetzt eben auch mit anderen Partnern Sex. Warum sollen sie sich trennen? Sie haben nur die sexuelle Exklusivität aufgekündigt." Kunstpause. "Aber Treue ist sowieso unnatürlich." Es reicht, lieber Abstand von dem Partnerschaftsgelaber, Fokus wieder auf die Fotos richten. Der Blick fällt auf ein Bild, das Frösche in einem Teich zeigt. Der Text dazu erklärt, es handele sich um männliche Frösche während der Paarungszeit, die auf ein Weibchen warten - und dann völlig durchdrehen, wenn eines auftaucht. Ach, Mensch und Natur, es dreht sich doch alles um das Gleiche. Sebastian Herrmann SZ vom 27. Januar 2017

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(Foto: Scherl)

Mitten in ... Aschaffenburg Nachts im ICE, kurz vor Aschaffenburg. "Wo fahren Sie hin?", fragt der Mann neben mir. Oh nein, bitte kein Smalltalk. Gut, mein Ziel hat nur eine Silbe: "Köln." "Köln?", bei ihm klingt das wie Mogadischu: Was für eine Stadt, die Silvesternacht, der Nordafrikaner an sich, der Flüchtling an sich, und bei der Zeitung arbeiten Sie? Die Medien, alle manipuliert - aber über all das darf man ja nicht reden, hier in Deutschland. Klingt fast wie die Hassmails, die ich manchmal kriege, also frage ich: Was ist manipuliert? Wovor hat er Angst? Er schimpft weiter: die Ausländer, die fahren zu schnell Auto, die wollen unser Geld ... Alles friert ein, alle schweigen, da ruft ein Mann - er hat türkische Wurzeln - durchs Abteil: "Sie hören jetzt sofort auf mit dem Unsinn, das hält doch kein Mensch aus!" Und dann: Stille, so laute Stille. Friederike Zoe Grasshoff SZ vom 20. Januar 2017

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(Foto: AFP)

Mitten in ... Rio de Janeiro Wir Brasilianer, sagt Damiano, 87, sind fromme Menschen, so fromm, dass wir unsere Vögel begraben. Er weiß das, denn er ist der Friedhofswärter vom Vogelfriedhof der schönen Insel Paquetá mitten in der stinkenden Guanabara-Bucht von Rio. Die weißen Grabplättchen werden aber noch von einem anderen Mann bewacht, der sich offenbar auch für den Friedhofswärter hält. Der sagt: "Die Leute reisen aus ganz Südamerika mit gefrorenen Vögeln an, um sie zu bestatten." Insgesamt werde aber deutlich weniger bestattet als früher, entgegnet Damiano. Der andere Wärter behauptet: "Dies ist der einzige Vogelfriedhof des Kontinents." "Unsinn", knurrt Damiano, "dies ist der einzige Vogelfriedhof der Welt." Wie er sich da so sicher sein könne? Der Mann, der seit 87 Jahren auf Paquetá lebt, sagt, er habe noch nirgendwo anders einen gesehen. Boris Herrmann SZ vom 20. Januar 2017

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(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Mitten in ... München Bücher wegwerfen ist das Allerschwierigste überhaupt; aber nun gut, Theo Schilderman: "La Maison", eine Anleitung zum Bau von Häusern in den Armenvierteln von Kigali, Ruanda - das ist ein Buch, das seit fast 30 Jahren unberührt im Regal steht; seit man es für die Diplomarbeit brauchte. Und da man gerade Platz schaffen will, komm, weg damit. Später am Abend: eine Party, am Tisch nimmt ein Dokumentarfilmer Platz. Er sagt, er komme gerade zurück aus Afrika. Wo in Afrika? Ruanda, Kigali. Er drehe einen Film dort, aber über ein sehr spezielles Thema. Welches? "Den Bau von Armenhäusern." Das Projekt komme recht gut voran, nur leider gebe es so gut wie keine Literatur dazu. Schnell im Büro angerufen, die Kollegin vom Nachtdienst gebeten, ob sie in den Papierkorb greifen könne. Man soll wirklich niemals Bücher wegwerfen. Detlef Esslinger SZ vom 20. Januar 2017

Mitten in ... Kotor Wenn in Montenegro jemand stirbt, und jemand hatte den Menschen noch lieb, laufen die Hinterbliebenen die Nachbarschaft ab und hängen eine Art Todesanzeige an Bäume, Zäune, Haltestellen. DIN-A4-Zettel im Querformat mit Foto, Namen und ein paar netten Zeilen. Trauerfeier um so und so viel Uhr, oder einfach: Wir trauern, ruhe sanft. Ein balkanischer Brauch. Das, was man in Deutschland in der Zeitung verkündet, wenn einem danach ist. Neben dem Foto ist entweder ein Kreuz (in Montenegro meistens der Fall), oder der muslimische Halbmond oder der kommunistisch rote Stern. In Kotor, einer Hafenstadt an der Adria, hängen diese Gedenkzettel auch an einem Schwarzen Brett neben dem Eingang in die denkmalgeschützte Altstadt. Am gleichen Brett macht jemand Werbung für Shoppingtouren nach Albanien, oder auch nach Kroatien. Tim Neshitov SZ vom 20. Januar 2017

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(Foto: dpa)

Mitten in ... Singapur Vom Husky bis zum Chihuahua reicht die Palette der vierbeinigen Freunde, man trifft sie jeden Tag, wenn man vor die Tür der Wohnanlage tritt. Doch was ist das? So klein und flauschig, die Kinder führen ihn stolz an der Leine. Sie geben ihm Befehle, aber er scheint nicht auf sie zu hören. Das Mädchen in Gummisandalen hat seine liebe Mühe mit dem sprunghaften Kerlchen, das ein blaues Geschirr mit Glöckchen trägt. Im Zickzack flitzt es mal hierhin, mal dorthin. Nun ist es im Schatten eines Hibiskusbäumchens angekommen und will nicht mehr weg. Den seltsamen Zwergenhund möchte man näher betrachten, vielleicht eine neue Rasse? Also rüber auf die andere Straßenseite, ein paar Schritte noch. Und siehe da: Der Hund ist ein Hase. Echt jetzt? Man kann nur hoffen, dass der Husky vom Nachbarn noch keinen Wind davon bekommen hat. Arne Perras SZ vom 13. Januar 2017

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mitten in ... München Angeblich ist der Alltag ein großes Abenteuer. Und weil der Alltag an diesem Dienstagabend gar nicht danach aussieht, als würde noch irgendetwas Bleibendes passieren, reift da dieser abseitige, verrückte, alles umwälzende Plan in mir: Ich gehe runter zum Altglas, um 21.30 Uhr. Leise klirren die Flaschen, da wird es laut. Ein Mann steht vor mir, er schreit: "Sie hören sofort auf, Flaschen zu schmeißen, das ist verboten, das ist illegal." Illegal, ach wirklich? Aber Brüllen geht? Ich werfe weiter. Der Mann kommt näher, drängt mich zwischen Braun- und Grünglas. Okay, schreien kann ich auch: "Sie lassen mich sofort in Ruhe, ich rufe die Polizei, das hier ist illegal!" Weg ist er. Ich werfe noch ein paar Flaschen, mein Herz rast, da sehe ich das Schild auf dem Container: Einwurf werktags 7 - 19 Uhr. So was mache ich echt nie wieder. Friederike Zoe Grasshoff SZ vom 13. Januar 2017

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(Foto: imago/Westend61)

Mitten in ... Bocas del Toro Urlaub ist Lesezeit und bekanntlich ganz besonders herrlich, wenn der Lesestoff zum Urlaubsort passt. Nur: Krimis, die in Panama spielen? Uff, da hatte selbst die allwissende Verkäuferin der Kriminalbuchhandlung nur einen einzigen Vorschlag. Am vierten Urlaubstag ist es folglich so weit: Man legt John le Carrés grandios langweiligen "Schneider von Panama" ausgelesen in den Sand und blinzelt rauf zu den Palmen, die sich über den Strand beugen. Was nun? Ein Schluck Cola, ein Blick rüber zu dem australischen Paar, das den ganzen Tag schläft... - Moment, der Typ hat jetzt ein Buch! Irgendwas mit "Panama" im Titel, interessant. Sonnenbrille ab, Augen zusammenkneifen: "International Bestseller" steht da, darunter zwei Namen, die man doch irgendwo schon mal ... Oha! "The Panama Papers." Es gibt sie noch, die guten Krimis. Jan Stremmel SZ vom 13. Januar 2017

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(Foto: DPA/DPAWEB)

Mitten in ... Berlin Ein Bier zur Gänsekeule, ein kleines zweites beim Konzert. Für Berliner Verhältnisse ist man also deutlich unterzuckert und somit entspannt, als später in der Nacht eine Polizeikelle aufleuchtet. Rechts ran, Fenster runter. Junger Polizist I, aufgekratzt: "Hallöchen, Zivilpolizei, ham Se Drogen jenommen, Alkohol jetrunken?" - Und selbst? Würde man gerne zurückfragen, weil der Mann mehr nach Party aussieht als nach Polizist. Ein Scherz? Es folgt wirrer Smalltalk mit abschließendem Pustefix. 0,07 Promille. Gegenangriff: Noch was, die Herren, vielleicht das Warndreieck? Oder die Zulassung, ja? Partypolizist II grinst sehr irre. Die Skepsis zerbröselt erst beim zweiten Blick auf den Alkoholtester. Schutzlaminiert steht dort eine siebenstellige Inventarnummer. Kein Scherz also. Das Vertrauen in den Staat ist wieder hergestellt. Cornelius Pollmer SZ vom 13. Januar 2017

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mitten in ... Berlin Saisonwechsel im Charlottenburger Ullrich Verbrauchermarkt. Das ist der Laden, in dessen Mitte-Filiale die Kanzlerin gerne einkaufen geht. Bei uns heißt er "Verbrechermarkt", wegen einer lustigen Vokabelverwechslung der amerikanischen Schwiegertochter, und auch, weil es ganz gut passt: immer geöffnet, auch an Sonn- und Feiertagen, direkt unter den Gleisen vom Bahnhof Zoo, die Kinder von Charlottengrad also, Riesen-Alkohol-Sortiment (Foto: Schellnegger), aber das sind ganz andere Geschichten. Jedenfalls räumen alle Mitarbeiter da immerzu eifrig Regale ein, weil der Umsatz offensichtlich so sehr hoch ist. "Bitte, wo stehen die Dominosteine" wurde einer dieser Einräumer vier Tage vor Heiligabend von einem älteren Herrn gefragt. "Dominosteine? Haben wir doch jetzt nicht mehr. Hier kommt gerade das Ostersortiment rein." Evelyn Roll SZ vom 30. Dezember 2016

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(Foto: ARD)

Mitten in ... Brühl Heiligabend, früher Nachmittag, die Stimmung ist nicht wirklich besinnlich. Die Waschmaschine streikt und fordert Schöpfqualitäten, die Geschenke sind nicht alle da, wo sie sein sollten, der Junior hört Hip-Hop-Musik im Konzertlautstärke und hätte statt simplen Pellkartoffeln lieber aufwendige Backofenkartoffeln. Die Dame des Hauses, seit Tagen überall zur Stelle, wirkt langsam etwas angespannt. Greife lieber zur Fernbedienung. Dort läuft, vermutlich zum 6001. Mal, Loriots "Willkommen bei den Hoppenstedts" (Foto;: Radio Bremen), ein Höhepunkt deutscher TV-Geschichte. "Zickezacke Hühnerkacke. Sei doch nicht so ungemütlich. Wir bauen uns ein Atomkraftwerk." Der Junior eilt herbei. Zuerst ein Lächeln, dann Lachen, schließlich brüllendes gemeinschaftliches Gelächter. Weihnachten ist gerettet. Danke vielmals, Loriot. Milan Pavlovic SZ vom 30. Dezember 2016

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(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Mitten in .. Adlkofen Zwischen den Jahren, also zwischen dem dunklen 2016 und 2017, tut Optimismus gut. Man findet ihn bei der Oma, die in diesen Tagen viel besucht ist. Zwar ist auch ihr die Weltlage suspekt (sie liest immer noch Zeitung und damit wunderliche Nachrichten, etwa über Trump, dessen Namen sie unabsichtlich despektierlich ausspricht, wie eine Verschmelzung aus Trumm und Depp; ihr "Fackebock" wiederum klingt nach bayerischem "Ferkel" und Bock, ist aber Facebook). Die eigene Zukunft hingegen stimmt sie zuversichtlich. Sie freue sich darauf, sagt sie, wenn die Urenkelin alt genug sein werde, um selbst mit dem Auto zu Besuch zu kommen. Das wird frühestens 2024 sein. Und die trüben Tage dieses Winters werden dann tatsächlich nichts als eine weitere längst überlebte Episode einer dann 106-Jährigen sein. (Foto: Scherl) Martin Wittmann SZ vom 30. Dezember 2016

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(Foto: Tangopaso/public domain)

Mitten in ... Paris Einst war es die Venus von Milo, die man als Besucher des Louvre sofort angesteuert hat. Auch Amor und Psyche des italienischen Meisters Antonio Canova. Neuerdings aber scheinen sich alle hier nur noch für eine einzige Statue zu interessieren. Für sie rasen junge Leute durchs Museum wie ehedem Odile im Film "Die Außenseiterbande" oder Isabelle in "Die Träumer". Ein Selfie muss her! Sofort. Ein Selfie neben der ältesten "Selfie-Statue der Welt". Tatsächlich hält der gut 300 Jahre alte Apollo (Foto: Tangopaso/Public Domain), der gerade den Python getötet hat, ganz deutlich ein Marmor-Smartphone in die Höhe. "Der stellt sich gerade auf Snapchat", lacht ein Schüler und fotografiert sich mit ihm. Aber ist es nicht so, dass Apollo nur einen abgebrochenen Pfeil...? "Nööö." Dann muss der Selfist sofort weiter. Jetzt ist digitales Face-Swapping mit Mona Lisa angesagt. Martin Zips SZ vom 30. Dezember 2016

Mitten in ... München Ein grauer Montagmorgen, die Trauerfeier für Hildegard Hamm-Brücher. Eigentlich fährt die U-Bahn fast bis vors Kirchentor. Aber es ist einer jener Tage, an denen es nicht ohne Auto geht. Parkplätze sind Mangelware rund um St. Lukas, man kurvt durch die Wohnstraßen, die Uhr läuft. Da: Ein geparktes Auto setzt sich in Bewegung. Auf die Bremse treten, den anderen Fahrer durchs geschlossene Fenster fragend anschauen. Er lächelt zurück und wedelt mit seinem Parkschein. Veralbern kann ich mich selber, denkt sich der Suchende. Weiter geht's, noch mal um den Block. Diesmal ist die Lücke tatsächlich leer. Schnell einparken, alles wird gut. Während sich der Wagen in den Parkplatz schiebt, hält ein anderes Auto daneben. Es ist der Mann von vorhin, er wedelt wieder mit dem Parkschein. "Bitte sehr, für Sie", sagt er. "Noch gültig bis elf Uhr." Frank Müller SZ vom 23. Dezember 2016

Mitten in ... Hamburg Es herrscht babylonisches Klänge-Gewirr im Vorweihnachtsgeschäft rund um den Hamburger Rathausmarkt. Zithermusik, Harmonikamusik, Trommelmusik. Ein Saxofon schmachtet, daneben swingt ein Herr mit Hut an einem Multi-Instrumente-Kasten, aus dem Seifenblasen aufsteigen. Und jede Darbietung ist laut. Sehr laut sogar. Das also ist das Weihnachten des Jahres 2016? Plötzlich kommt noch eine ganz andere Musik dazu, die zierlicher ist als der klingende Rest und dennoch unüberhörbar. Sechs Mädchen stehen an der Schleusenbrücke und singen traditionelle Weihnachtslieder. Vor ihnen liegt ein Kuchenblech in Herzform und auf einem schlichten Pappschild steht: "Wir sammeln für unsere Klassenfahrt. Damit wirklich jeder mitkommen kann." Cool. Nun ist es da, das Gefühl, dass bald tatsächlich Weihnachten ist. Thomas Hahn SZ vom 23. Dezember 2016

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(Foto: Narendra Shrestha/dpa)

Mitten in ... Kathmandu Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt, das Durchschnittseinkommen beträgt 658 Euro - pro Jahr. Trotzdem muss man auf einen gewissen Luxus nicht verzichten. Der Touristenbus, der von Kathmandu in Richtung Berge fährt, ist besser ausgestattet als jeder deutsche ICE. Laut Eigenwerbung auf der Heckscheibe verfügt das Fahrzeug über Wi-Fi, "Facebook 2", Klimaanlage, Liegesitze, LED-Bildschirme und viele Annehmlichkeiten mehr. Schnell stellt sich heraus: Man kann schon froh sein, dass der Bus vier Räder, einen Motor und eine Bremse besitzt. Der Rest ist ein Marketing-Trick und hat absolut nichts mit der Bordausstattung zu tun. Nicht mal die analoge Uhr funktioniert. Über dem Fahrersitz ist ein rätselhafter Kasten angebracht, der mit einem Vorhängeschloss gesichert ist. Wahrscheinlich das Wlan. Leider verschlüsselt. Titus Arnu SZ vom 23. Dezember 2016

Mitten in ... Zürich Tiktok. Neue Anfrage auf Facebook, unbekannter Kontakt. "Bist du Charlotte T von Blabla Car?" Schnelle Antwort? Nein. Bessere Antwort: Worum geht es denn? "Ich habe dort eine Anfrage gemacht wegen dem Transport von Hamstern ab Dortmund." Sofort drängen sich Fragen auf. Zahl der Hamster? Vier. Warum müssen sie nach Zürich? Zu Zuchtzwecken. Um welche Rasse handelt es sich? Campbell-Zwerghamster. Jetzt wird es konkret: Wie versorgt man die Tiere während der Fahrt? Kann man Hamster anschnallen? Und überhaupt: Gibt es in Zürich keine Zuchttiere? Campbell-Zwerghamster, lerne ich, sind Mangelware, bei einem Züchter ist die Datenbank durch einen Computervirus ausgefallen. Ein Notfall! Von daher: Falls Sie am 29. Dezember von Dortmund nach Zürich fahren und Platz für zwei Hamsterboxen haben: Bitte melden Sie sich. Charlotte Theile SZ vom 23. Dezember 2016 (Im Bild: Roborowski-Zwerghamster)

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(Foto: imago/EQ Images)

Mitten in ... Zürich Ein kleiner Quartierladen, man kann Milch und Briefmarken kaufen. Außerdem, daran erinnert der Verkäufer gern, Lotto spielen. "Der höchste Jackpot aller Zeiten", raunt er seit Tagen, jetzt also: Einmal für fünf Franken mitspielen, bitte. Begeisterung. "Irgendjemand muss ihn knacken!" Ich finde auch. Zu Hause fotografiere ich den Schein und schicke ihn an Freunde. Die ganze Schweiz versucht gerade, an die 64 Millionen Franken zu kommen. News-Seiten drucken Ratgeber: Was tun mit dem Gewinn? Umziehen, zum Beispiel nach Wollerau, Kanton Schwyz. Je nach Gemeinde unterscheidet sich die Steuerlast erheblich. Was man nicht tun sollte: Den Schein per Whatsapp rumschicken, im Falle eines Gewinns kann der Freundeskreis unüberschaubar werden. So gesehen: Null Richtige, Glück gehabt. Und: Neuer Jackpot, 70 Millionen. Charlotte Theile SZ vom 16. Dezember 2016

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(Foto: Paul-Anton Krüger)

Mitten in ... Kairo Deutschland steht bei Ägyptern hoch im Kurs; Mercedes, BMW und Schweinsteiger kennt jeder Taxifahrer, auch Hitler finden manche gut. Die Türkei ist eher im Verschiss, weil sie die Muslimbrüder unterstützt, die hierzulande für jede Unbill verantwortlich gemacht werden, selbst wenn die Nationalmannschaft verliert. So könnte man Kairos neueste kulinarische Errungenschaft erklären: "Döner Kebab - Home of The Best German Doner Kebab", verspricht die Bauplane. Dreht sich hier bald Schwein am Spieß? Firmenchef Farshad Abbaszadeh, dessen Name nicht gerade türkisch klingt, wuchs in Berlin auf, wo er 1989 seine erste Döner-Bude aufmachte. Heute verkauft er die deutsche Spezialität in den Emiraten, in Schweden, Großbritannien. Als Reminiszenz an die alte Heimat gibt es nun auch in Kairo Döner - mit Frikadelle und Kartoffelsalat. Paul-Anton Krüger SZ vom 16. Dezember 2016

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(Foto: imago)

Mitten in ... Twizel Eine Schafsfarm in Twizel, am Fuß der neuseeländischen Alpen. Freundliche Tiere, klarer Blick auf den Mount Cook. Gerade ist der neuseeländische Premierminister zurückgetreten, ein politischer Donnerschlag. Der deutsche Tourist ist sehr aufgeregt. Da ist er aber auch der Einzige. Der Farmer, ein gescheiter Typ, sagt: "Ach, Politik, einer geht, ein anderer kommt." Auf dem Zimmer im Farmhaus sofort den Fernseher an, 20 Uhr: Kein Kanal lässt sich zu einer Sondersendung hinreißen. Stattdessen Dating- und Koch-Shows. 22.30 Uhr, die Hauptnachrichten. Sie dauern dreißig Minuten - der Premier kriegt zehn davon. Danach geht es viel um Schafe. Am nächsten Morgen fragt der Tourist den Farmer, was er sich denn vom neuen Premier erhofft. Der Farmer sagt: "Ich hoffe, dass wir heute wieder einen klaren Blick auf die Berge haben." Roman Deininger SZ vom 16. Dezember 2016

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(Foto: AFP)

Mitten in ... München "Antigone" von Sophokles. Premiere im Residenztheater, Außenplatz. Ständiges Aufgestehe, weil dauernd irgendwer durchwill: "Ach, das ist gar nicht Reihe 12?" - "Entschuldigung, ich habe mein Programm vergessen." - "Sagen Sie, ich müsste etwas früher raus. Könnten wir die Plätze tauschen?" Nein, können wir nicht. Woher weiß die Dame in Gold jetzt schon, dass sie früher gehen will? Kennt sie die Inszenierung schon? Endlich: Antigone! Vielleicht sollte man 2500 Jahre alte Texte doch lieber in der Truhe lassen. Kurz vor Ende bricht die Platztauscherin auf. Sicher aus Protest. Der Aufführungs-Funke springt nicht über. Auch der hustende ältere Herr vor ihr rast plötzlich hinaus. Er hat Recht. Der Vorhang fällt. Dann tauchen auf der Bühne neben den Schauspielern der ältere Herr und die goldene Dame auf. Es sind: der Regisseur und seine Mitarbeiterin. Martin Zips SZ vom 16. Dezember 2016

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(Foto: AFP)

Mitten in ... New York Mit Durchschnitt, das weiß man, gibt sich der Amerikaner nicht zufrieden. Makellosigkeit ist hier eine Tugend, deshalb sieht etwa die Barbie aus, wie sie aussieht. In einer solchen Welt hat auch der Christbaum höchsten Ansprüchen zu genügen - und das tut er, wie ein Gang durch die Straßen von Brooklyn zeigt: Vollkommen sind die Bäume, die feilgeboten werden, satt grün, dicht gewachsen, perfekte Kegel wie die Kleider spanischer Renaissance-Königinnen. Kurzum: das glatte Gegenteil jener oft lichten, grotesk verzweigten Klimawandelopfer, die in vielen deutschen Wohnstuben stehen. Nur die kleinen Schnittwunden am Ende beinahe aller Äste irritieren: Da wird doch kein Schönheitsdoktor mit Gartenschere und Dachlatte nachgeholfen haben? Ach, was soll's - jetzt, da die Plastische Chirurgie sogar Einzug ins Weiße Haus hält. Claus Hulverscheidt SZ vom 9. Dezember 2016

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(Foto: AFP)

Mitten in ... Rom Manchmal ist man gerne ein "Dottore". Piazza Cairoli, am frühen Abend. Es ist mal wieder unmöglich, einen Parkplatz zu finden. Da taucht der "Parcheggiatore abusivo" auf. So nennt man Einweiser ohne Lizenz, die für einen Euro auf den Wagen aufpassen. Bezahlt man nicht, kann schon mal was passieren: ein Kratzer, ein hängender Rückspiegel - kleine Racheakte. Über die Piazza Cairoli herrscht ein junger, beleibter Mann in Sporthose. Man kennt ihn im Viertel, er ist der Boss am Platz, laut und ein bisschen böse. Doch er sieht Parkplätze, wo es keine gibt. Da fuchtelt er schon mit den Händen: "Hier, los!" Barscher Ton, der Boss kennt seine Kundschaft. Beim letzten Mal hatte ich kein Kleingeld dabei, es flogen wüste Drohschmähungen. Diesmal: drei Euro. Er zählt ungläubig und sagt dann mit sanfter Stimme: "Dottore, schönen Abend." Oliver Meiler SZ vom 9. Dezember 2016

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(Foto: AFP)

Mitten in ... Kairo Die Mitfahr-Firma Uber lässt mich wissen, ich habe in Kairo 47 Mal seit Juli 2015 ihre Dienste in Anspruch genommen: 1085 Kilometer in 34 Stunden. Und da sind viele Nachtfahrten zum Flughafen dabei, wenn man 20 Minuten für die 25 Kilometer braucht. Was läge also näher, als im täglichen Stau nicht nur aufs Handy zu stieren, sondern mit Menschen im Nachbarauto zu kommunizieren? Ein paar Taxifahrer, auffällig freundlich, seit Uber ihnen das Geschäft abgräbt, sind besonders findig: Sie haben auf dem Dach oder im Kofferraumdeckel rote LED-Laufschrift-Anzeigen eingebaut, wie sie in den Achtzigern Schaufenster zierten. Der neueste Schrei. Name und Handynummer könnte man damit übermitteln, denkt man. Stattdessen auf Englisch dutzendfach die gleiche Ansage: "Programmieren Sie bis zu 5 individuelle Botschaften!" Paul-Anton Krüger SZ vom 9. Dezember 2016

Mitten in ... Blindham Ausflug mit der Nichte in einen Wildpark nahe München. Mit im Auto sitzt Jesus - so hat die Dreijährige wegen oder trotz christlich-abendländischer Bildung ihre Puppe getauft. Zu den Tieren gehen wir aber lieber ganz unchristlich, Jesus muss im Auto warten. Nicht dass er in dem Trubel noch verloren geht. Wären da nicht der Kinderlärm, die Hüpfburgen und Mini-Seilbahnen - das Gelände mit seinen Mufflons und Pferden hätte etwas von einer beschaulichen Bergalm. Neben dem Bungee-Trampolin verhandelt ein Ehepaar mit einem Mitarbeiter, ob der Sohn nun schon groß genug zum Hüpfen ist oder noch nicht. Die Mutter trägt ein schwarzes Kopftuch und einen dunklen Umhang. Auch die Nichte hat die muslimische Kleinfamilie bemerkt. Sie deutet auf die verschleierte Frau und ruft begeistert: "Schau mal, da ist die Maria!" Elisa von Grafenstein SZ vom 9. Dezember 2016

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